Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
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Überwachungssysteme am Arbeitsplatz Grenzen, besonders
im Hinblick auf die Menschenwürde und berechtigte Interessen
des Betroffenen. 4
Der deutsche Gesetzgeber hat in Anwendung dieser Öffnungsklausel
mit § 26 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) eine
Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten
im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen geschaffen.
§ 26 BDSG verdrängt in diesem Kontext den allgemeineren Art.
6 Abs. 1 lit. f DSGVO. 5 Personenbezogene Daten dürfen nach §
26 Abs. 1 S. 1 BDSG für die Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses
verarbeitet werden, wenn es für dessen Durchführung
erforderlich ist. Davon wird auch die „Kontrolle, ob der Arbeitnehmer
seinen Pflichten nachkommt“, erfasst. 6
Beschäftigungsverhältnisse sind typischerweise von
einem strukturellen Macht ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer geprägt. Die hierdurch erzeugte
Drucksituation für Beschäftigte ist in der Regel vor Abschluss
eines (Arbeits-)Vertrages höher als im laufenden Beschäftigungsverhältnis.
7 Sofern eine Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext
auf Grundlage einer Einwilligung erfolgt,
ist diese Abhängigkeit daher gemäß § 26 Abs. 2 S. 1 BDSG bei
der Frage nach der Freiwilligkeit der Einwilligung besonders zu
berücksichtigen. Von der Freiwilligkeit der Einwilligung ist nach
§ 26 Abs. 2 S. 2 BDSG insbesondere auszugehen, wenn für die
beschäftigte Person ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil
erreicht wird oder zwischen ihr und dem Arbeitgeber eine
gleichgelagerte Interessenlage besteht.
Wird automatisierte Technik, beispielsweise ein KI-System,
zur Verhaltens- und Leistungskontrolle eingesetzt, ist
schließlich (auch im Beschäftigungskontext) Art. 22 Abs. 1
DSGVO zu beachten, der ausschließlich aufgrund automatisierter
Verarbeitung getroffene Entscheidungen – einschließlich
Profiling – verbietet. Profiling definiert sich nach Art. 4 Nr.
4 DSGVO als automatisierte Verarbeitung personenbezogener
Daten, die darin besteht, bestimmte persönliche Aspekte
einer natürlichen Person zu analysieren und vorherzusagen,
wie etwa Arbeitsleistung, Zuverlässigkeit und Verhalten.
Aus Art. 22 Abs. 1 DSGVO ergibt sich aber kein generelles
Verbot von Profiling, 8 zudem können auf Profiling basierende
automatisierte Entscheidungen nach Art. 22 Abs. 2 DSGVO
ausnahmsweise zulässig sein, etwa aufgrund einer Einwilligung.
Deren Freiwilligkeit ist im Abhängigkeitsverhältnis im
Beschäftigungskontext (s.o.) allerdings zu bezweifeln. 9
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2_ Einsatz technischer Mittel zur Leistungskontrolle:
legitime Arbeitgeberinteressen
vs. unzulässige „Totalüberwachung“
Das Datenschutzrecht stellt keine unüberwindbaren Hürden
dar, sofern es um den Einsatz technischer Mittel zur Leistungskontrolle
am Arbeitsplatz geht, vielmehr kann es den
äußeren Rahmen für deren Gestaltung setzen. Dafür müssen
die konträren Interessen von Arbeitgebern und Beschäftigten
im Spannungsverhältnis von Technikeinsatz und Datenschutzrecht
berücksichtigt werden. Dabei ist ein Mittelweg zwischen
legitimen Arbeitgeberinteressen und unzulässiger „Totalüberwachung“
zu finden.
§ 26 Abs. 1 S. 1 BDSG erlaubt die Verarbeitung personenbezogener
Daten im Beschäftigungskontext, wenn die Verarbeitung
für dessen Durchführung erforderlich ist. „Erforderlich“
ist eine Datenverarbeitung in diesem Kontext dann, wenn
berechtigte Arbeitgeberinteressen sie erfordern, wobei die
Organisationshoheit des Arbeitgebers über seine Betriebe und
Dienststellen sowie seine unternehmerische Freiheit regelmäßig
zu beachten ist. 10
Es ist daher eine zweistufige Verhältnismäßigkeitsprüfung
durchzuführen: Während auf der ersten Stufe zunächst
die erörterte Erforderlichkeit der Datenverarbeitung für die
Interessen des Arbeitgebers festzustellen ist, ist auf der zweiten
Stufe die Verhältnismäßigkeit der Verarbeitung im engeren
Sinne zu prüfen. 11
1. Die Prüfung der Erforderlichkeit umfasst zunächst die
Feststellung, dass die Kontrolle, ob Beschäftigte ihren
Pflichten nachkommen, essenzieller Faktor für die Durchführung
des Arbeitsverhältnisses ist. Zu berücksichtigen
ist dabei auch die regelmäßig notwendige Leistungs- und
Verhaltenskontrolle, zu deren Durchführung Arbeitgeber
im Rahmen ihrer Compliance-Pflichten verpflichtet sind. 12
2. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist anhand der
konkreten Einzelfallumstände zu ermitteln.
Die Ermittlung und Abwägung der konkreten Einzelfallumstände
kann sich jedoch bisweilen als schwierig gestalten. Es
haben sich sowohl in der behördlichen und gerichtlichen Praxis
II – BERICHTE