Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit

Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.) Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)

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19.05.2022 Aufrufe

Transparenz als EinbahnstraßeManagement verfügt überDaten – HerrschaftswissenSteuerung &KontrolleMitarbeitendeals Objekt30Abbildung 1: Transparenz als Einbahnstraße (eigene Darstellung)An der Spitze der Pyramide steht das Management beziehungsweisespezialisierte Abteilungen in den Bereichen HumanResources, Controlling oder in der Produktionsplanung. DasManagement verfügt mehr oder weniger exklusiv über die in derOrganisation anfallenden Daten. Die einseitige Schaffung vonTransparenz wird so zu einer Quelle von „Herrschaftswissen“.Sie dient dem Management dazu, eine hierarchisch aufgebauteOrganisation top-down zu steuern und letztlich die Leistungsverausgabungder Beschäftigten zu kontrollieren. Dieseerscheinen in diesem Modell vor allem als ein passives Objektder Daten, aktiv treten sie allenfalls auf, um „Ungewissheitszonen“zu verteidigen. Die Instrumente des Datenschutzes, dieim Betrieb zur Anwendung kommen (vgl. dazu Wedde 25 ) – vom§ 87 (1) 6 BetrVG zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle, derursprünglich mit der Verbreitung der Lochkarten entstand,bis hin zu „Privacy-by-Design-Ansätzen“ – sind letztlich alsReaktion auf dieses System und als ein Regulativ dieses einseitigenWirkzusammenhangs von Transparenz entstanden.Sie dienen insbesondere dazu, die Beschäftigten vor immerweitergehenden Kontrollzugriffen des Managements zu schützen.Im Angesicht einer neuen Informationsökonomie gewinntdie Notwendigkeit dieser Schutzfunktion eine neue Qualität.Auffallend ist dabei jedoch zweierlei: In der Praxis wird es mitBlick auf die rasant fortschreitende Informatisierung immerschwerer, diesem Bedarf nachzukommen und wirklich Schutzzu gewährleisten; und zugleich gilt, dass die grundsätzlicheAsymmetrie des betrieblichen Systems von Transparenz bislangunberührt bleibt.Der Ansatz der Inversen Transparenz will hier einengrundlegenden Perspektivenwechsel wagen – und die „Pyramide“drehen (siehe Abbildung 2). Zugespitzt formuliert gehtes darum, wie die Beschäftigten von einem passiven und zuschützenden Objekt der Daten zu aktiven Gestaltenden undNutznießenden von Transparenz werden können. Inspiriert vonBrins Überlegungen ist die Grundidee ein Empowerment derDatensubjekte selbst und eine breite, mithin „demokratische“Nutzbarmachung von Transparenz in der Arbeitswelt. Konkretsetzt unser Verständnis von Inverser Transparenz dazu aufzwei zentrale Prinzipien:• „Watch-the-Watcher“: Inverse Transparenz bedeutet, dassdie Datenverwendung selbst transparent wird und nichtlänger „hinter dem Rücken“ der Beschäftigten stattfindet. Inder Regel wissen diese kaum, welche Daten in ihrem Arbeitsprozessanfallen, von wem und wie diese im UnternehmenII – BERICHTE

genutzt und weiterverarbeitet werden und welcheRückschlüsse damit gegebenenfalls möglich sind. EchteDatensouveränität und informationelle Selbstbestimmungin einer digitalen Arbeitswelt sind jedoch nur möglich, wennBeschäftigte als „Datensubjekte“ hier Einblick bekommenund selbst unmittelbar nachvollziehen können, wie und vonwem personenbezogene Daten verwendet werden.• Data Empowerment: Inverse Transparenz zielt zum zweitendarauf, dass die Datennutzung und der Zugriff auf Datennicht länger Privileg einer kleinen Gruppe mit exklusivemHerrschaftswissen bleiben, sondern in der Breite der Belegschaftenverankert wird. In lebendigen Innovationskulturensollten Beschäftigte selbst über die Daten verfügen, die inihrem eigenen Arbeitsprozess anfallen und entstehen – unddiese zum Beispiel dafür nutzen können, selbstorganisiertihre Arbeitsbedingungen zu verbessern und Prozesse in ihremSinne zu gestalten (vgl. Kämpf/Langes 20 ). GrundlegendeEntwicklungstendenzen des tayloristischen Kontrollmodus– wie etwa die Dequalifizierung und die Enteignung desProduktionswissens der Arbeiter und Arbeiterinnen – könntenso umgekehrt werden. Konsequent zu Ende gedacht,eröffnet Data Empowerment das Potenzial dafür, dass dieBeschäftigten im Umbruch zur Informationsökonomie inneuer Qualität Teilhabe am zentralen Produktionsmitteldieses Zeitalters gewinnen könnten – den Daten.Inverse Transparenz als Enabler für einen neuen Umgang mit DatenData Empowerment31Neue InnovationskulturenMitarbeitende als zentraleGestalterInnenWatch the watcherAbbildung 2: Die Grundidee hinter Inverser Transparenz (eigene Darstellung)Zusammengenommen bilden diese beiden Prinzipien einenneuartigen und vielversprechenden Ansatz für einen nachhaltigenUmgang mit der rasant fortschreitenden Transparenz inWirtschaft und Gesellschaft. Im Sinne eines sozialen Lernprozesseskann das Zusammenspiel von Data Empowerment und„Watch-the-Watcher“ zum Fundament von Vertrauen in digitalenArbeitswelten werden. Dieses bildet die Voraussetzungdafür, dass dynamische, breit getragene und wirklich lebendigeInnovationskulturen im Umgang mit Daten überhaupt entstehenkönnen: Ohne die Gewissheit, über die eigenen DatenII – BERICHTE

Transparenz als Einbahnstraße

Management verfügt über

Daten – Herrschaftswissen

Steuerung &

Kontrolle

Mitarbeitende

als Objekt

30

Abbildung 1: Transparenz als Einbahnstraße (eigene Darstellung)

An der Spitze der Pyramide steht das Management beziehungsweise

spezialisierte Abteilungen in den Bereichen Human

Resources, Controlling oder in der Produktionsplanung. Das

Management verfügt mehr oder weniger exklusiv über die in der

Organisation anfallenden Daten. Die einseitige Schaffung von

Transparenz wird so zu einer Quelle von „Herrschaftswissen“.

Sie dient dem Management dazu, eine hierarchisch aufgebaute

Organisation top-down zu steuern und letztlich die Leistungsverausgabung

der Beschäftigten zu kontrollieren. Diese

erscheinen in diesem Modell vor allem als ein passives Objekt

der Daten, aktiv treten sie allenfalls auf, um „Ungewissheitszonen“

zu verteidigen. Die Instrumente des Datenschutzes, die

im Betrieb zur Anwendung kommen (vgl. dazu Wedde 25 ) – vom

§ 87 (1) 6 BetrVG zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle, der

ursprünglich mit der Verbreitung der Lochkarten entstand,

bis hin zu „Privacy-by-Design-Ansätzen“ – sind letztlich als

Reaktion auf dieses System und als ein Regulativ dieses einseitigen

Wirkzusammenhangs von Transparenz entstanden.

Sie dienen insbesondere dazu, die Beschäftigten vor immer

weitergehenden Kontrollzugriffen des Managements zu schützen.

Im Angesicht einer neuen Informationsökonomie gewinnt

die Notwendigkeit dieser Schutzfunktion eine neue Qualität.

Auffallend ist dabei jedoch zweierlei: In der Praxis wird es mit

Blick auf die rasant fortschreitende Informatisierung immer

schwerer, diesem Bedarf nachzukommen und wirklich Schutz

zu gewährleisten; und zugleich gilt, dass die grundsätzliche

Asymmetrie des betrieblichen Systems von Transparenz bislang

unberührt bleibt.

Der Ansatz der Inversen Transparenz will hier einen

grundlegenden Perspektivenwechsel wagen – und die „Pyramide“

drehen (siehe Abbildung 2). Zugespitzt formuliert geht

es darum, wie die Beschäftigten von einem passiven und zu

schützenden Objekt der Daten zu aktiven Gestaltenden und

Nutznießenden von Transparenz werden können. Inspiriert von

Brins Überlegungen ist die Grundidee ein Empowerment der

Datensubjekte selbst und eine breite, mithin „demokratische“

Nutzbarmachung von Transparenz in der Arbeitswelt. Konkret

setzt unser Verständnis von Inverser Transparenz dazu auf

zwei zentrale Prinzipien:

• „Watch-the-Watcher“: Inverse Transparenz bedeutet, dass

die Datenverwendung selbst transparent wird und nicht

länger „hinter dem Rücken“ der Beschäftigten stattfindet. In

der Regel wissen diese kaum, welche Daten in ihrem Arbeitsprozess

anfallen, von wem und wie diese im Unternehmen

II – BERICHTE

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