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Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit

Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)

Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)

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Ausführung und schließlich einer umfassenden Kontrolle jedes

einzelnen Arbeitsschrittes. Die Basis hierfür bildet eine neue

Qualität der Transparenz, die erzeugt wird durch eine detaillierte

Beobachtung, Dokumentation und wissenschaftliche Analyse

der einzelnen Schritte des Arbeitsprozesses. Ausgerüstet mit

Stoppuhr, Beobachtungsbögen und Analyse-Tabellen wird vom

Management dazu die informatorische Durchdringung der

Arbeitsprozesse vorangetrieben und systematisiert. Sie bildet

die Grundlage dafür, um einen „one best way“ zu generieren,

diesen den Beschäftigten vorzuschreiben und schließlich

dessen Ausführung minutiös zu kontrollieren.

Das Beispiel der „wissenschaftlichen Betriebsführung“

Transparenz, Informatisierung

und die Entwicklung betrieblicher

Machtverhältnisse sind

eng miteinander verwoben.

macht deutlich, wie Transparenz, Informatisierung und die

Entwicklung der betrieblichen Machtverhältnisse in der

Praxis miteinander verwoben sind. Auf der einen Seite wird

hier das vorher individuell gebundene Erfahrungswissen

der Arbeiterinnen und Arbeiter transparent und zugänglich

gemacht, die Beschäftigten verlieren damit wichtige

„Primärmachtpotentiale“ (Jürgens 19 ); auf der anderen Seite

entsteht mit der Trennung von Planung und Ausführung neues

„Herrschaftswissen“ im Bereich des Managements. Dieses

Wissensmonopol wird zur Grundlage einer neuen Qualität von

Kontrolle in der Arbeit. Im Rahmen der „Labour Process Debate“

werden die Auswirkungen und die Reichweite dieses neuen

Kontrollregimes seit den 1970er Jahren in der Arbeitssoziologie

breit diskutiert (vgl. dazu Edwards 16 ). Ein wichtiges Thema der

Debatte waren hier auch die Bereiche von Arbeit, die sich der

tayloristischen „Durchleuchtung“ entziehen konnten (zum

Beispiel die Wissensarbeit). Gerade weil hier im Arbeitsprozess

keine Transparenz erzeugt werden konnte, musste das

Management auf weniger rigide Kontrollkonzepte wie die

„verantwortliche Autonomie“ (Friedman 17 ) zurückgreifen. Im

Sinne eines „contested terrain“ (Edwards 15 ) erweist sich in der

Folge die Verteidigung dieser „Ungewissheitszonen“ (Crozier &

Friedberg 14 ) und die Verhinderung von Transparenz als wichtiger

Gegenstand der Interessenkonflikte im Feld der Arbeit.

2.3 Informatisierung in der digitalen

Transformation: Vom PC zu einer neuen

Informationsökonomie

In der Debatte um die Taylorisierung wurde jedoch oftmals

übersehen, dass die informatorische Durchdringung der

Wertschöpfung weit mehr ist als ein bloßes Herrschaftsinstrument.

Die Informatisierung erweist sich in der Praxis vor

allem auch als ein wesentlicher Treiber der Entwicklung der

gesellschaftlichen Produktivkräfte und des Wandels von Arbeit.

Insbesondere mit dem Aufstieg der Digitalisierung zum

„Leitmedium“ der Informatisierung wird dies augenfällig: In der

Fertigung erreichte die Automatisierung mit der „mikro-elektronischen

Revolution“ (PAQ 21 ) eine neue Stufe, komplementär

wurde in den Büros der PC zum allgemeinen Arbeitsmittel

(siehe Baethge & Oberbeck 1 ) und mit der Digitalisierung stieg

schließlich auch die Wirkmächtigkeit der betrieblichen Informationssysteme

schlagartig. Neue ERP-Systeme wie SAP

R/3 eroberten die Unternehmen und führen zu einer neuen

Transparenz in der Wertschöpfung. Selbst die Steuerung von

Wertschöpfungsnetzen über organisatorische und räumliche

Grenzen hinweg wird nun möglich.

Einen qualitativen Sprung in der Informatisierung leitete

jedoch vor allem der Aufstieg des Internets ein. Es erweist

sich in der Praxis als „sozialer Handlungsraum“ (Baukrowitz

& Boes 2 ), in dem Menschen die unterschiedlichsten Dinge

tun und sich aktiv einbringen können. In kurzer Zeit ist so

eine neue „gesellschaftliche Handlungsebene“ (Boes et al. 9 )

entstanden. Kaum eine Sphäre in der Gesellschaft – von der

Arbeitswelt bis zur Lebenswelt – kann heute noch ohne diesen

digitalen Raum gedacht werden. Der Informationsraum hat die

Informatisierung in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens

gebracht. Da jedes Handeln im Informationsraum Spuren

hinterlässt, entstehen hier nahezu im Selbstlauf gigantische

Datenmengen, die in Informationssystemen verknüpft und

nutzbar gemacht werden können. Zugespitzt formuliert,

entsteht so auf der Informationsebene ein „digitaler Zwilling“

der materiellen Welt.

Diese neue Qualität der Informatisierung wird heute

auch – oder besser vor allem – in der Wirtschaft und der

Arbeitswelt spürbar. Vergleichbar mit der Industrialisierung

im 19. Jahrhundert läutet die „Informationsökonomie“ (Boes

et al. 9 ) einen Paradigmenwechsel ein. Ausgehend von der

rasant fortschreitenden informatorischen Durchdringung

der Welt werden digitale Daten zum strategischen Fokus

einer Wirtschaft im Umbruch. Sie sind nicht länger ein bloßes

nachgelagertes Anhängsel der Produktion, sondern werden

zum „Rohstoff“ der Wertschöpfung selbst. Sie erweisen sich als

strategisches Produktionsmittel, das zum Ausgangspunkt für

neue Gebrauchswerte, neue Geschäftsmodelle und schließlich

disruptive Veränderungen ganzer Branchen wird. Beispiele wie

II – BERICHTE

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