ANALYSEInverseTransparenz24Ein soziologischer Perspektivenwechsel füreinen nachhaltigen Umgang mit Transparenzin der digitalen ArbeitsweltTOBIAS KÄMPF,ELISABETH VOGL,ANDREAS BOES,FORSCHUNGSGRUPPE „INFORMATISIERUNG DER GESELLSCHAFTUND ZUKUNFT DER ARBEIT“ AM ISF MÜNCHENII – BERICHTE
Gerade in der Arbeitswelt wird deutlich: Die zunehmende Transparenz, diedurch Daten entsteht, ist ambivalent. Sie ermöglicht einerseits neue Formender Beherrschung und Kontrolle. Sie bietet andererseits aber auch Chancenfür neue Innovationskulturen und die Verbesserung von Arbeit. Es braucht alsoneue Wege, die datenbasierte Innovation ermöglichen und mit dem Schutzvon Beschäftigtendaten vereinen. Mit „Inverser Transparenz“ entwickeln wireinen innovativen und vielversprechenden Gestaltungsansatz.1_ Gestaltungsdilemma: Zwischen Kontrollpanoptikumund neuen InnovationskulturenMit dem Aufstieg des Internets scheint die Welt mehr undmehr transparent zu werden. Der digitale „Informationsraum“(Baukrowitz & Boes 1996 2 ) ist heute in der Gesellschaft allgegenwärtigund durchdringt unser Leben in nahezu allen Bereichen.Bei fast allem, was wir tun – ob wir arbeiten, einkaufen,Sport treiben oder uns einfach von A nach B bewegen –, hinterlassenwir einen Datenschatten. In modernen Cloud-Strukturenkönnen diese gigantischen Datenmengen miteinanderverknüpft, ausgewertet und zu einem detaillierten Abbild desalltäglichen Geschehens in der Gesellschaft verdichtet werden.Selbst das Sozialverhalten von Menschen kann so erfasst undanalysiert werden.Der Umgang mit dieser neuen Transparenz ist eineSchlüsselherausforderung in der digitalen Transformation. Aufder einen Seite droht mit der zunehmenden Datafizierung derGesellschaft eine neue Qualität von Überwachung und Kontrolle– auf die neben vielen anderen Expertinnen und Experteninsbesondere Shoshana Zuboff mit ihrem Begriff des „SurveillanceCapitalism“ (siehe Zuboff 27 ) hingewiesen hat. Auf deranderen Seite öffnen die neue Allgegenwart von Daten und der„Paradigmenwechsel zu einer Informationsökonomie“ (Boes etal. 9 ) jedoch auch faszinierende Möglichkeiten und Potenzialefür die Gesellschaft, die von neuen Gebrauchswerten bis hin zueiner nachhaltigen Transformation der Wirtschaft reichen. DieGleichzeitigkeit von Chancen und Risiken macht die besondereBrisanz dieser Gestaltungsherausforderung aus. Es gilt einenSpagat zu meistern: Wie kann es gelingen, eine neue Qualitätvon Überwachung und Kontrolle zu verhindern und gleichzeitigneue Innovationskulturen zu fördern, die die „Datafizierung“der Welt zum Ausgangspunkt machen?Gerade in der Arbeitswelt entsteht damit ein großerHandlungs- und Gestaltungsbedarf. Gesucht sind neue Ansätzefür einen nachhaltigen Umgang mit Daten, die übereine einfache Strategie der bloßen Datenvermeidung hinausgehen,trotz der Geschwindigkeit der digitalen Durchdringungder Welt wirkmächtig bleiben und die Privatheit von Beschäftigtenschützen. Im Zeitalter von KI und Cloud – und der permanentenWeiterentwicklung von Algorithmen und dem automatischenUpdate von Anwendungen – erweist es sich alszunehmend schwierig, a priori zu bestimmen, welche Datenerhoben, verwendet und verknüpft werden, beziehungsweisehier Zugriffsrechte genau festzulegen. Präventive Ansätzewie „Privacy-by-Design“ (Cavoukian 12,13 ), die darauf abzielen,Datenschutzaspekte bereits beim Design von IT-Systemenund Netzwerkarchitekturen zu berücksichtigen, geraten inder Praxis zunehmend an Grenzen (siehe z.B. Pohle 22 ).Vor diesem Hintergrund hat der Science-Fiction-AutorDavid Brin (siehe Brin 4,5 ) bereits in der Mitte der 1990er Jahreeine anregende Perspektive entwickelt, wie Privatheit imdigitalen Zeitalter gewahrt werden kann. Am Beispiel derDurchdringung des öffentlichen Raumes mit digitalen Kamerasentwickelte er die provokante These, dass der traditionelleDatenschutz mit seinem Fokus auf eine Beschränkung undReglementierung der Datennutzung in Zukunft an Wirkmächtigkeitverliert. Zugespitzt argumentiert er, dass Privatheitweniger durch ein Verbot von Kameras im öffentlichen Raum zuschützen sei, sondern vielmehr dadurch, dass möglichst viele25II – BERICHTE