19.05.2022 Aufrufe

Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit

Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)

Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)

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werden, um selbst die geistigen Tätigkeiten von Entwicklerinnen

und Entwicklern live zu beobachten und auszuwerten. Auf dieser

Basis werden Arbeitsprozesse mit wissenschaftlichen Methoden

veredelt und optimiert – mit dem Ziel, den „idealen“ Prozess zu finden,

der unabhängig von Geschick und Fähigkeiten des Einzelnen

die bestmögliche Produktqualität liefert.

jedermann zugänglich. Transparente Arbeitsumgebungen und

Abstimmungsprozesse bilden die Grundlage dafür, dass Dritte an

quelloffenen Entwicklungsvorhaben mitwirken können; zugleich

fördern sie auch das Vertrauen zwischen den Beteiligten, weil alle

gleichberechtigt auf die geteilten Ressourcen zugreifen und diese

verwenden können.

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Verhaltenssteuerung

Schließlich wird datenbasierte Transparenz in vielen Fällen auch

dafür genutzt, das Verhalten von Beschäftigten zu steuern. Kommunikations-

und Kollaborationstools wie Microsoft Teams oder

Slack ermöglichen es Unternehmen, die Art und Weise der Zusammenarbeit

sowie das Kommunikations- und Sozialverhalten ihrer

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter systematisch zu analysieren,

um beispielsweise Ansatzpunkte zu identifizieren, wie sich die

Motivation, die Produktivität und das Engagement weiter steigern

lassen. Unternehmen sind dadurch in der Lage, Anreize und

Kontextfaktoren so zu setzen, dass Beschäftigte ein gewünschtes

Verhalten an den Tag legen – aber nicht, weil sie „müssen“, sondern

weil sie „wollen“.

Neue Chancen

für Kollaboration

Gleichzeitig sind wir in der Empirie auf zahlreiche Fälle gestoßen,

die aufzeigen, dass Transparenz enorme Produktivkräfte freisetzen

und zu einer merklichen Verbesserung der Arbeitssituation von

Beschäftigten führen kann.

So eröffnet Transparenz vielfältige Chancen für neue Kollaborationskulturen.

Gerade in wissensintensiven Beschäftigtenbereichen

wie der Softwareentwicklung haben viele Unternehmen

digitale Projektmanagementtools wie JIRA und Wikisysteme wie

Confluence eingeführt, um Expertensilos aufzubrechen und

global verteilte Softwareprojekte wie aus einem Guss zu steuern.

Beschäftigte erleben die gesteigerte Transparenz als enorme Arbeitserleichterung,

weil sie unmittelbar nachvollziehen können, an

welchen Themen ihre Kollegen und Kolleginnen arbeiten, wie deren

Arbeitsstand ist und wie sie Probleme bearbeiten. Dies versetzt

Teams, aber auch ganze Abteilungen in die Lage, bei überlappenden

Themen zusammenzuarbeiten und auf vorhandene Wissensbestände

und Erfahrungen aufzubauen.

Transparenz erweist sich darüber hinaus auch für die

unternehmensübergreifende Zusammenarbeit als wichtiger

Enabler. Bestes Beispiel hierfür sind Open-Source-Projekte. Sie

entfalten gerade deshalb so eine große Dynamik, weil eine Vielzahl

an Softwareentwicklern aus unterschiedlichen Unternehmen

zusammenarbeiten können. Öffentliche Code-Repositorien

auf GitHub und Kommunikationsmedien wie Foren oder Mailinglisten

machen Arbeitsergebnisse und Wissensbestände für

Innovation und

Lernen

Des Weiteren ist Transparenz ein wichtiger Baustein agiler

Teams. In einem Leuchtturmprojekt aus der industriellen Forschung

und Entwicklung haben wir gesehen, dass gerade diskursive

Formen der Transparenz eine wichtige Voraussetzung bilden,

um voneinander zu lernen und Innovationskulturen von unten zu

ermöglichen. Eine entscheidende Rolle kommt dabei den Institutionen

und Meetingroutinen zu: In den täglich stattfindenden

„Stand-ups“ legt jedes Teammitglied offen, woran es arbeitet,

wieviel Zeit es auf Aufgaben verwendet, wie es diese angeht

oder wo Probleme auftauchen. Gerade jüngere oder unerfahrene

Mitarbeiter können auf Grundlage der geschaffenen Transparenz

von ihren Kolleginnen und Kollegen lernen und vom kollektiven

Erfahrungswissen profitieren. Außerdem eröffnet die Offenlegung

von Arbeitsfortschritten und Problemen die Möglichkeit, kollektive

Lösungsstrategien zu entwickeln oder Belastungsspitzen durch

die Umverteilung von Aufgaben abzufedern.

Mehr Empowerment

Besonders spannend ist, dass Beschäftigte die gesteigerte Transparenz

in der digitalen Arbeitswelt auch dazu nutzen können, ihre

Selbstorganisation zu stärken und ihre Interessen gegenüber dem

Management zu verteidigen. In einem Fallunternehmen aus der

Automobilindustrie beispielsweise haben die Ingenieurinnen und

Ingenieure lange darunter gelitten, dass das obere Management

die Intransparenz in Entwicklungsprojekten ausnutzen konnte,

um zum Beispiel immer wieder mitten im Projektverlauf zusätzliche

Arbeitspakete „einzuschieben“. Mit dem Umstieg auf agiles

Arbeiten gewinnen Beschäftigte an Legitimität, „Nein“ zu sagen,

weil in den Planungssitzungen transparent gemacht wird, welches

Arbeitsprogramm im jeweiligen Sprint verfolgt wird. Teams

können sich auf dieser Grundlage viel besser gegen unkontrollierte

Eingriffe seitens des Managements schützen.

Interessanterweise lassen sich ähnliche Entwicklungen auch

in mittelqualifizierten Bereichen feststellen. So entstehen beispielsweise

selbst in Call- und Servicecentern – die gemeinhin als

„Idealtyp“ für tayloristische Arbeitsgestaltung und die Einengung

individueller Handlungsspielräume gelten – neue Chancen für

Empowerment. In einigen Bereichen haben Kundenberaterinnen

und Kundenberater damit begonnen, sich die im Arbeitsprozess

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