Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
werden, um selbst die geistigen Tätigkeiten von Entwicklerinnen
und Entwicklern live zu beobachten und auszuwerten. Auf dieser
Basis werden Arbeitsprozesse mit wissenschaftlichen Methoden
veredelt und optimiert – mit dem Ziel, den „idealen“ Prozess zu finden,
der unabhängig von Geschick und Fähigkeiten des Einzelnen
die bestmögliche Produktqualität liefert.
jedermann zugänglich. Transparente Arbeitsumgebungen und
Abstimmungsprozesse bilden die Grundlage dafür, dass Dritte an
quelloffenen Entwicklungsvorhaben mitwirken können; zugleich
fördern sie auch das Vertrauen zwischen den Beteiligten, weil alle
gleichberechtigt auf die geteilten Ressourcen zugreifen und diese
verwenden können.
18
Verhaltenssteuerung
Schließlich wird datenbasierte Transparenz in vielen Fällen auch
dafür genutzt, das Verhalten von Beschäftigten zu steuern. Kommunikations-
und Kollaborationstools wie Microsoft Teams oder
Slack ermöglichen es Unternehmen, die Art und Weise der Zusammenarbeit
sowie das Kommunikations- und Sozialverhalten ihrer
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter systematisch zu analysieren,
um beispielsweise Ansatzpunkte zu identifizieren, wie sich die
Motivation, die Produktivität und das Engagement weiter steigern
lassen. Unternehmen sind dadurch in der Lage, Anreize und
Kontextfaktoren so zu setzen, dass Beschäftigte ein gewünschtes
Verhalten an den Tag legen – aber nicht, weil sie „müssen“, sondern
weil sie „wollen“.
Neue Chancen
für Kollaboration
Gleichzeitig sind wir in der Empirie auf zahlreiche Fälle gestoßen,
die aufzeigen, dass Transparenz enorme Produktivkräfte freisetzen
und zu einer merklichen Verbesserung der Arbeitssituation von
Beschäftigten führen kann.
So eröffnet Transparenz vielfältige Chancen für neue Kollaborationskulturen.
Gerade in wissensintensiven Beschäftigtenbereichen
wie der Softwareentwicklung haben viele Unternehmen
digitale Projektmanagementtools wie JIRA und Wikisysteme wie
Confluence eingeführt, um Expertensilos aufzubrechen und
global verteilte Softwareprojekte wie aus einem Guss zu steuern.
Beschäftigte erleben die gesteigerte Transparenz als enorme Arbeitserleichterung,
weil sie unmittelbar nachvollziehen können, an
welchen Themen ihre Kollegen und Kolleginnen arbeiten, wie deren
Arbeitsstand ist und wie sie Probleme bearbeiten. Dies versetzt
Teams, aber auch ganze Abteilungen in die Lage, bei überlappenden
Themen zusammenzuarbeiten und auf vorhandene Wissensbestände
und Erfahrungen aufzubauen.
Transparenz erweist sich darüber hinaus auch für die
unternehmensübergreifende Zusammenarbeit als wichtiger
Enabler. Bestes Beispiel hierfür sind Open-Source-Projekte. Sie
entfalten gerade deshalb so eine große Dynamik, weil eine Vielzahl
an Softwareentwicklern aus unterschiedlichen Unternehmen
zusammenarbeiten können. Öffentliche Code-Repositorien
auf GitHub und Kommunikationsmedien wie Foren oder Mailinglisten
machen Arbeitsergebnisse und Wissensbestände für
Innovation und
Lernen
Des Weiteren ist Transparenz ein wichtiger Baustein agiler
Teams. In einem Leuchtturmprojekt aus der industriellen Forschung
und Entwicklung haben wir gesehen, dass gerade diskursive
Formen der Transparenz eine wichtige Voraussetzung bilden,
um voneinander zu lernen und Innovationskulturen von unten zu
ermöglichen. Eine entscheidende Rolle kommt dabei den Institutionen
und Meetingroutinen zu: In den täglich stattfindenden
„Stand-ups“ legt jedes Teammitglied offen, woran es arbeitet,
wieviel Zeit es auf Aufgaben verwendet, wie es diese angeht
oder wo Probleme auftauchen. Gerade jüngere oder unerfahrene
Mitarbeiter können auf Grundlage der geschaffenen Transparenz
von ihren Kolleginnen und Kollegen lernen und vom kollektiven
Erfahrungswissen profitieren. Außerdem eröffnet die Offenlegung
von Arbeitsfortschritten und Problemen die Möglichkeit, kollektive
Lösungsstrategien zu entwickeln oder Belastungsspitzen durch
die Umverteilung von Aufgaben abzufedern.
Mehr Empowerment
Besonders spannend ist, dass Beschäftigte die gesteigerte Transparenz
in der digitalen Arbeitswelt auch dazu nutzen können, ihre
Selbstorganisation zu stärken und ihre Interessen gegenüber dem
Management zu verteidigen. In einem Fallunternehmen aus der
Automobilindustrie beispielsweise haben die Ingenieurinnen und
Ingenieure lange darunter gelitten, dass das obere Management
die Intransparenz in Entwicklungsprojekten ausnutzen konnte,
um zum Beispiel immer wieder mitten im Projektverlauf zusätzliche
Arbeitspakete „einzuschieben“. Mit dem Umstieg auf agiles
Arbeiten gewinnen Beschäftigte an Legitimität, „Nein“ zu sagen,
weil in den Planungssitzungen transparent gemacht wird, welches
Arbeitsprogramm im jeweiligen Sprint verfolgt wird. Teams
können sich auf dieser Grundlage viel besser gegen unkontrollierte
Eingriffe seitens des Managements schützen.
Interessanterweise lassen sich ähnliche Entwicklungen auch
in mittelqualifizierten Bereichen feststellen. So entstehen beispielsweise
selbst in Call- und Servicecentern – die gemeinhin als
„Idealtyp“ für tayloristische Arbeitsgestaltung und die Einengung
individueller Handlungsspielräume gelten – neue Chancen für
Empowerment. In einigen Bereichen haben Kundenberaterinnen
und Kundenberater damit begonnen, sich die im Arbeitsprozess
I – EINFÜHRUNG