Forschungsreport Daten – Innovation – Privatheit
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
Mit Inverser Transparenz das Gestaltungsdilemma der digitalen Arbeitswelt lösen. Forschungsreport von Andreas Boes, Thomas Hess, Alexander Pretschner, Tobias Kämpf, Elisabeth Vogl (Hrsg.)
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Funktionalitäten. Ein instruktives Beispiel hierfür liefert
Tesla. Das Unternehmen erfasst die Fahrzeug-Daten der
gesamten Flotte und wertet die Daten aus dem Realbetrieb
unter anderem mithilfe von Methoden Künstlicher Intelligenz
aus. Auf diesem Wege erhält der Hersteller laufend Anhaltspunkte,
wie sich die Funktionalitäten seiner Autos verbessern
lassen und wie er das eigene Leistungsangebot weiterentwickeln
kann. Tesla erhält dadurch einen unschätzbaren
Wettbewerbsvorteil und konnte innerhalb weniger Jahre in
den Bereichen des autonomen Fahrens und der Batteriesteuerung
zu einem Technologieführer in der Automobilindustrie
aufsteigen.
• Menschen befähigen aus Daten Wert zu schaffen: In dem
Maße, wie Daten ins Zentrum der Wertschöpfung treten, wird
die Arbeit mit und an Daten zum integralen Bestandteil des
Arbeitsalltags von Beschäftigten. Datengetriebene Organisationen
sind darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter die erzeugten Daten im Arbeitsprozess
weiterverarbeiten. Erst durch die Analyse, Interpretation
und Kontextualisierung können aus Daten sinnvolle Informationen
gewonnen, Maßnahmen abgeleitet oder Entscheidungen
getroffen werden. Unternehmen wie Salesforce oder
Microsoft integrieren beispielsweise eigens entwickelte
Analyse- oder Visualisierungstools in ihre Arbeitsprozesse,
um Beschäftigte in die Lage zu versetzen, auf Basis von Daten
Prozesse zu verbessern oder neue Produkte zu entwickeln.
Gepaart mit agilen Arbeitsformen ist es ihnen so gelungen,
die konsequente Nutzung von Daten für Innovation und Lernen
in der Organisation zu verankern.
Deutlich wird: In der „Informationsökonomie“ avancieren Daten
zum permanenten Innovationsimpuls. Dies birgt weitreichende
Implikationen für die Arbeitswelt; denn in dem Maße,
wie Arbeit im Informationsraum stattfindet und Daten zum
neuen Arbeitsmittel und/oder Arbeitsgegenstand für immer
mehr Menschen avancieren – vom Werker in der Fabrik über
die Lagerarbeiterin in der Logistik bis hin zur Datenspezialistin
im Tech-Konzern –, wird die Arbeit von Beschäftigten in neuer
Form transparent.
Blick in die Arbeitswelt:
Was bedeutet die neue Transparenz für
Beschäftigte?
In der Empirie zeichnet sich ein ambivalentes Bild. Die wachsende
Transparenz ist mit gegenläufigen Entwicklungstendenzen
verbunden.
Digitale Kontrolle
Auf der einen Seite leistet sie neuen Formen der Kontrolle und
Leistungssteuerung Vorschub. Dies lässt sich insbesondere in
Kunden- und Servicecentern beobachten. Auf Basis digitaler
Arbeitsumgebungen und integrierter Workflows können Führungskräfte
jederzeit einsehen, wann Mitarbeiter aktiv arbeiten,
welcher Tätigkeit – Gespräch, Nachbereitung oder Pause – sie
gerade nachgehen, wie lange sie für die Bearbeitung von Kundenanliegen
brauchen und wie die Serviceleistung bewertet
wird. Auf dieser Datengrundlage können Vorgesetzte den Vollzug
und die Qualität von Arbeitstätigkeiten engmaschiger als
jemals zuvor kontrollieren; dieser Aspekt wird für die Beschäftigten
selbst immer „spürbarer“.
Steigender Leistungsdruck
Digitale Kontrolle geht oftmals Hand in Hand mit rigiden
Formen der Leistungssteuerung. Dies lässt sich vor allem in
niedrig- und mittelqualifizierten Bereichen der Angestelltenarbeit
wie zum Beispiel dem Vertrieb, dem Service und der
Logistik beobachten. Die im Arbeitsprozess erzeugten Daten
– von der Anzahl der Klicks und Tastaturanschläge bis hin zu
den aktiven Applikationen während der Arbeitszeit – werden
automatisiert zu einer Vielzahl an Leistungsdaten verdichtet.
Individualisierte Dashboards oder E-Mail-Reportings halten
mitunter den Arbeitsfortschritt, die Entwicklung der Arbeitsproduktivität
und auch den Grad der Zielerreichung fest.
Den Beschäftigten wird mit dem Ziel, sie „anzuschubsen“,
beständig vor Augen geführt, wie sie im Vergleich zu ihren
Kolleginnen und Kollegen abschneiden. Die gesteigerte Transparenz
darüber, was jeder und jede Einzelne leistet, kulminiert
in der Praxis nicht selten in einem „System permanenter
Bewährung“. Wer sein Tagwerk nicht erreicht, steht unter
Rechtfertigungsdruck. Die Arbeit wird zu einer dauerhaften
Bewährungsprobe, die Beschäftigte dazu zwingt, kontinuierlich
an die eigenen Leistungsgrenzen zu gehen.
Taylorismus reloaded
Mit der digitalen Durchdringung von Arbeit erleben wir
derzeit auch so etwas wie einen „Taylorismus reloaded“.
Prägnantestes Beispiel hierfür ist die Logistikbranche. Hier
werden die Bewegungsdaten von Lagerarbeitern oder Paketzustellerinnen
lückenlos getrackt, um eng maschige Vorgaben
zu erstellen, wie die einzelnen Arbeitsschritte zu erledigen sind.
Ähnliche Entwicklungen finden sich auch in den hochqualifizierten
Kopfarbeitsbereichen wieder: In einem Cloud-Unternehmen
der ersten Stunde konnten wir beispielsweise beobachten, wie
die Potenziale von Cloud und Big-Data konsequent ausgenutzt
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I – EINFÜHRUNG