UNTERWEGS IN FRANKREICH Île-de-France / Yvelines senden. Es scheint, als ob der spanische König – über die Blutsbande zu Ludwig XVI. hinaus – wohl an den jüngsten Entdeckungen der Franzosen interessiert war, vor allem was die Bodenbestellung anging. So kam es, dass der französische Botschafter am spanischen Hof die Erlaubnis bekam, Merinoschafe auszuwählen – und das noch dazu bei den zehn besten Züchtern des Landes. Karl III. ging sogar so weit, die Schafbesitzer aufzufordern, ihre besten Tiere zu präsentieren und die Zusammenstellung der Herde für seinen Cousin zu erleichtern. So kam es also dazu, dass am 12. Oktober 1786 die berühmten 366 Merinoschafe in Rambouillet ankamen. Der Krieg der Schafe In den Jahren nach der Ankunft der Schafe nahm die Bergerie royale de Rambouillet allmählich Gestalt an. Die imposanten Gebäude waren schließlich fertig und der Ort entwickelte sich zu einer Art « Drehscheibe » für das damalige Wissen, vor allem was Zuchttechniken anging. Man begann mit ersten fundierten wissenschaftlichen Forschungen über die Reproduktion der Merinoschafe. Abgesehen davon zeichnete sich nach und nach ein neues Ziel für die Schäferei ab: Sie sollte eine führende Rolle im Rahmen eines ausgedehnten Projektes für die Entwicklung der Wollproduktion spielen, zunächst in Frankreich und dann, im Zuge der revolutionären und kaiserlichen Eroberungen, in den angeschlossenen Ländern. Napoleon Bonaparte (1769-1821) sah darin eine gute und willkommene Möglichkeit, durch die Herstellung von Wolle im eigenen Land die englische Dominanz im Handel anzugreifen. Er beschloss, aus der Schäferei in Rambouillet eine « kaiserliche Schäferei » zu machen, die das zentrale Element im Rahmen der geplanten « Merinosierung » nicht nur des französischen, sondern des europäischen Tierbestandes sein sollte. Die Schäferei in Rambouillet wurde damit de facto ein politisches und strategisches Werkzeug des Kaisers. Was folgte, war ein Wirtschafts- und Handelskrieg zwischen den verschiedenen Nationen, ein regelrechter « Krieg der Schafe »! « Depots reinrassiger Merinowidder » Für alle, die noch tiefer einsteigen möchten: Für die Einkreuzung von Merinoschafen in die französischen Herden stützte sich Napoleon auf das kleine Wenn Sie sich für dieses Thema interessieren, empfehlen wir Ihnen das exzellente Buch La guerre des Moutons: Le Mérinos à la conquête du monde 1786-2021 (Pierre Cornu und Henri Pinoteau, Gourcuff Gradenigo, 208 Seiten, 2021, 29 €, ISBN 978-2353403431). Das Werk ist ausgesprochen umfassend und gut belegt, es enthält zahlreiche Grafiken, Aquarelle und Fotografien. Eine Fundgrube interessanter Informationen! bestehende Netz an Schäfereien, welches die Krone nach und nach aufgebaut hatte. Die erste Schäferei war beispielsweise in Perpignan gegründet worden, in der Nähe von Betrieben mit Schafen einer lokalen Rasse, die vor der Ankunft der spanischen Merinoschafe in Rambouillet zu den Tieren mit der besten Wolle des Königreiches zählten. Der Ansatz, die lokalen Schafrassen mit den Merinoschafen aus Rambouillet zu kreuzen, wurde allmählich auf rund zehn Schäfereien im Land ausgeweitet. Diese Schäfereien arbeiteten in ihrer Gesamtheit jedoch nur mittelmäßig und Frankreich war noch weit von den <strong>83</strong>3 000 Tieren entfernt, die man Schätzungen zufolge benötigte, um die Manufakturen des Landes zu betreiben, ohne Wolle aus dem Ausland importieren zu müssen. Daher entschied sich Napoleon für eine noch viel dirigistischere Vorgehensweise. Er kreierte sogenannte « Depots reinrassiger Merinowidder », welche als einzige die französischen Schafe decken durften. Per Dekret vom 8. März 1811 verfügte er, dass die « autorisierten Zuchttiere » in « von Privatpersonen geführten Depots » untergebracht würden, « die zur kostenlosen Verfügung aller Züchter stehen, die, wenn sie sich in der Nähe eines Depots befinden, alle gekreuzten männlichen Tiere kastrieren müssen ». Um dies zu kontrollieren, wurde ein regelrechter Verwaltungsapparat eingerichtet, doch das System war ein Misserfolg. Aufgrund fehlender Mittel gab es Anfang 1813 lediglich 28 solcher Depots, anstatt der geplanten 60. Selbst mit Napoleon war Frankreich weit davon entfernt, seinen Tierbestand « merinosiert » zu haben. Die letzten reinrassigen Merinoschafe Das Ende des Ersten Kaiserreichs war gleichzeitig auch das Ende der französischen Pläne für eine Vormachtstellung in der europäischen Wollindustrie. Um die Zukunft der Schäferei in Rambouillet war es dagegen besser bestellt, denn sie besaß immer noch ihren unbezahlbaren Schatz, nämlich die Herde reinrassiger Merinoschafe. Vor allem aber hatte sie sich im Laufe der Jahre ein wertvolles Know-how angeeignet. Dieses trug in den folgenden Jahrzehnten zu ihrem Ruf bei, als sich plötzlich Länder der südlichen Hemisphäre (Australien, Neuseeland, Südafrika) ebenfalls für Wolle, Merinoschafe und 52 · Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2022</strong>
Oben links: Entnahme von Sperma in der nationalen Schäferei Mitte der 40er-Jahre. Nach Kriegsende diente die Herde in Rambouillet als wertvolle Ressource im Rahmen des nationalen Wiederaufbaus. Die Schäferei war Vorreiter bei der Entwicklung der künstlichen Befruchtung. Oben rechts: 1963 besuchte Charles de Gaulle die Schäferei. Unten: Um die Entwicklung der Tiere zu überwachen, führte die Bergerie nationale die regelmäßige Erstellung von Fotoaufnahmen ein. Dafür erfand man eine Vorrichtung mit einer horizontalen und einer vertikalen Messlatte aus Holz sowie mit einem Geländer, um das Schaf zu immobilisieren (Foto um 1925). Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2022</strong> · 53