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Nr. 83 - Sommer 2022

Mont Saint-Michel: die Geheimnisse des "Gefängnisbergs" Drôme: die Schönheit der Dörfer Okzitanien: Céret, das "Mekka des Kubismus" Territoire de Belfort: die Stärke der Kleinen

Mont Saint-Michel: die Geheimnisse des "Gefängnisbergs"
Drôme: die Schönheit der Dörfer
Okzitanien: Céret, das "Mekka des Kubismus"
Territoire de Belfort: die Stärke der Kleinen

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UNTERWEGS IN FRANKREICH Normandie / Manche<br />

Räumen, in denen Frauen und Männer unter Bewachung<br />

arbeiteten, Webstühle und lärmende Maschinen bedienten,<br />

mehr schlecht als recht einen Strohhut oder einen<br />

Stoff anfertigten, sofern sie nicht damit beschäftigt waren,<br />

Rohstoffe von einem Raum in den anderen zu transportieren.<br />

Jérémie Halais, ein Experte für diese Zeit (siehe<br />

Infobox « Für alle, die noch tiefer einsteigen möchten »)<br />

hält diesbezüglich fest: « Es gibt zwar nur wenige Aussagen<br />

von Gefangenen, allerdings haben wir das wertvolle<br />

Zeugnis eines von ihnen, des Doktors Hyacinthe Ledain.<br />

» Dieser musste nach einem versuchten politischen<br />

Aufstand bis 1824 eine fünfjährige Zuchthausstrafe auf<br />

dem Mont Saint-Michel verbringen und in der Krankenabteilung<br />

dem Gefängnisarzt zur Hand gehen. Dies sind<br />

einige seiner Aussagen über die Arbeitsbedingungen der<br />

Häftlinge in den Werkstätten: « Tagsüber sind alle arbeitenden<br />

Häftlinge in ihren Werkstätten eingesperrt, die<br />

sie nicht verlassen können […] Die geringe Fläche der<br />

Werkstätten im Verhältnis zur Anzahl der Arbeiter, die<br />

dort eingepfercht sind, ist ein Nachteil […] Einige Werkstätten<br />

des Mont Saint-Michel sind ziemlich geräumig<br />

und ausreichend hoch; in den meisten macht man diese<br />

Vorteile jedoch wieder zunichte, indem man zu viele Gefangene<br />

einsperrt […] Man könnte auch sagen, dass diese<br />

Werkstätten nicht für die Unterbringung von Gefangenen<br />

konzipiert wurden, sondern um dort angemessen die<br />

Maschinen zu verteilen, welche [die Gefangenen] dann<br />

antreiben müssen. »<br />

Bleizisternen und ein « Hamsterrad »<br />

Oben: Das « Hamsterrad », eine erfinderische Vorrichtung, die von<br />

Gefangenen betrieben wurde, um auf diese Weise die Versorgung<br />

mit Nahrung und anderen Waren sicherzustellen. Unten: Der<br />

Kreuzgang war zwar integraler Bestandteil des Gefängnisses,<br />

trotzdem konnte man hier oft Besucher antreffen, vor allem aus<br />

der lokalen Bourgeoisie. Rechte Seite: Der Rittersaal, der damals<br />

eine Werkstatt war, in dem die Häftlinge arbeiten mussten.<br />

Doch nicht nur die Arbeitsbedingungen in den Werkstätten<br />

waren schwierig, gleiches galt für die Haftbedingungen<br />

ganz allgemein. Der Mont Saint-Michel war<br />

schließlich kein Ort wie jeder andere. Die isolierte Lage<br />

und das maritime Umfeld mit seinen Gezeiten stellten<br />

zwar einen Vorteil für die Überwachung der Gefangenen<br />

dar, erschwerten jedoch die Beschaffung von Nahrung<br />

und Wasser. Da es auf dem felsigen Eiland keine natürlichen<br />

Ressourcen gab, erfolgte die Wasserversorgung der<br />

Bewohner und Gefangenen durch Zisternen, in denen<br />

Regenwasser aufgefangen wurde. Angesichts der stark<br />

gestiegenen Zahl der Häftlinge wurde Wasser jedoch<br />

schnell ein knappes Gut. Im Winter schmolz man daher<br />

oftmals Schnee, um so an das wertvolle Nass zu kommen.<br />

Der Wassermangel hatte Folgen: Um die Hygiene war<br />

es schlecht bestellt, was wiederum die Entstehung von<br />

Krankheiten begünstigte. Auch in diesem Punkt handelte<br />

die Gefängnisverwaltung « so gut wie eben möglich »:<br />

Erneut scherte man sich weder um die Geschichte noch<br />

um die Architektur des Ortes, sondern erhöhte die Anzahl<br />

der Zisternen unter anderem durch die Umwandlung<br />

einer Krypta der Abtei in ein großes Wasserreservoir. Viele<br />

Besucher, die heute die hübsche Krypta Saint-Martin<br />

bewundern, ahnen von dieser Episode nichts. Dabei ist<br />

nicht sicher, ob solche « Verbesserungen » den Häftlingen<br />

32 · Frankreich erleben · <strong>Sommer</strong> <strong>2022</strong>

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