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FOCUS-GESUNDHEIT_2022-04_Vorschau

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HÖRVERLUST<br />

Das Ohr zur Welt<br />

Unser Gehör leistet Erstaunliches. Doch Hörverlust,<br />

Tinnitus und Schwindel werden immer mehr zu Volkskrankheiten.<br />

Neueste Technik bringt die Töne zurück<br />

Irgendwo am anderen Ende des Raums<br />

spielt ein Pianist Bar-Jazz. Schräg rechts,<br />

in vielleicht zehn Metern Entfernung,<br />

klingt es, als würde sich eine größere Gruppe<br />

zuprosten. Das Paar am Nachbartisch<br />

flüstert, aber ist doch gut zu verstehen: „Los, gib<br />

mir einen Kuss“, raunt der Mann, „sieht doch<br />

keiner.“ Einem Gast in meinem Rücken ist wohl<br />

ein Besteckteil auf den Boden gefallen, es hörte<br />

sich schwer und dumpf an, ein Messer vielleicht.<br />

Jetzt knarzt ein Stuhl. Womöglich versucht der<br />

Gast, es aufzuheben. Jemand fasst mich leicht<br />

an der Schulter: „Guten Abend, ich bin Saskia,<br />

was darf ich euch zu trinken bringen?“ Die Stimme<br />

klingt sanft und sympathisch.<br />

Wer in der „Unsicht-Bar“ in Berlin-Mitte<br />

speist, muss mit den Ohren sehen. In dem Dunkelrestaurant<br />

ist es nachtschwarz. Handys sind<br />

unerwünscht, selbst die Leuchtziffern von Uhren<br />

stören. Essen wird zur neuen Erfahrung, denn das<br />

Auge isst nicht mit. Die anderen Sinne übernehmen:<br />

Tasten, Schmecken, Riechen, vor allem<br />

Hören. Ohrenscheinlich ist das Lokal gut besucht.<br />

Inmitten einer Wolke aus Klängen und Geräuschen<br />

zeigt unser Gehör, was es kann: Es dechiffriert<br />

subtile Signale, empfängt Emotionen, erkundet<br />

die Umgebung, verschafft uns ein Bild der Lage.<br />

Unser Ohr, ein Wunderwerk.<br />

Millionen Deutsche hören schlecht<br />

Die Ohren sind unsere feinsten, leistungsstärksten<br />

Rezeptoren, 24 Stunden auf Empfang, schneller<br />

und weiter ausgreifend als unsere übrigen Sinne.<br />

Ohne das Multitalent Gehör wären wir vielen<br />

Gefahren schutzlos ausgesetzt, könnten uns nur<br />

eingeschränkt verständigen, bekämen Probleme<br />

mit dem Gleichgewicht und der räumlichen Orientierung.<br />

Im Mutterleib ist das Gehör als primäres<br />

Sinnesorgan schon vollständig ausgebildet, bevor<br />

die anderen Sinne reifen. Dank ihm können wir<br />

sprechen lernen, selbst im Schallrausch einer Metropole<br />

kommunizieren und Musik mit Gefühlen<br />

verbinden. Es ist auch Werkzeug unseres Erfolgs.<br />

Wir verschaffen uns Gehör, stoßen auf offene<br />

Ohren, verblüffen mit Unerhörtem. Der Philosoph<br />

Immanuel Kant schätzte das Gehör als sozialen<br />

Sinn ein, der wichtiger ist als das Sehen: „Nicht<br />

sehen können, trennt von den Dingen. Nicht hören<br />

können, trennt vom Menschen.“<br />

Umso erstaunlicher ist es, wie wenig Achtsamkeit<br />

wir unserem Super-Sinnesorgan schenken, wie<br />

sehr wir es vernachlässigen und durch Überreizung<br />

schädigen. Die Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO listet Lärm als zweitgrößten Krankmacher<br />

unter Europas Umweltproblemen. Bis zum Jahr<br />

2050 könnten weltweit 2,5 Milliarden Menschen<br />

Hörverluste erleiden, schreibt die Genfer Behörde<br />

in ihrem World-Report zum Thema Hörgesundheit.<br />

Das wären eine Milliarde Menschen mehr<br />

als heute. Der Deutsche Schwerhörigenbund<br />

schätzt, dass 20 Prozent der Bundesbürger Töne,<br />

Sprache und Geräusche nur eingeschränkt wahrnehmen.<br />

Ab einem Alter von 65 Jahren hört vermutlich<br />

jeder zweite Mann und jede dritte Frau<br />

schlecht. Experten berichten, dass die Anzahl<br />

junger Menschen mit Hörverlusten und Tinnitus<br />

weiter steigt. Als Hauptursache gilt, dass sie zu<br />

lange zu laute Musik hören.<br />

Bei Thomas Sünder, 47, verhallen die Folgen<br />

nicht mehr. Stundenlang wummerten dem<br />

120<br />

Dezibel beträgt<br />

die Schmerzgrenze<br />

für das<br />

menschliche Ohr.<br />

Röhrt die Motorsäge,<br />

startet<br />

ein Flugzeug oder<br />

explodiert ein<br />

Feuerwerkskörper,<br />

halten wir<br />

uns reflexartig<br />

die Ohren zu<br />

Quelle:<br />

AOK-Bundesverband<br />

24 <strong>FOCUS</strong>-<strong>GESUNDHEIT</strong>

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