2022_05_20_Kent_Nagano
Toshio Hosokawa Intermezzo aus der Oper „Stilles Meer“ (2016) Charles Ives „The Unanswered Question“ (1906/1935) Anton Bruckner Sinfonie Nr. 6 A-Dur (1879-1881) Kent Nagano | Dirigent Dresdner Philharmonie
Toshio Hosokawa
Intermezzo aus der Oper „Stilles Meer“ (2016)
Charles Ives
„The Unanswered Question“ (1906/1935)
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 6 A-Dur (1879-1881)
Kent Nagano | Dirigent
Dresdner Philharmonie
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JÜRGEN OSTMANN<br />
In Kürze<br />
Klang als Mittel, mit übernatürlichen<br />
Kräften in Verbindung zu treten, religiöse<br />
Inhalte zu vermitteln, einen gemeinsamen<br />
Glauben zu festigen – solche<br />
Vorstellungen verbanden sich zu allen<br />
Zeiten und in allen Kulturen mit Musik.<br />
Sie bestimmen auch, wenngleich in ganz<br />
unterschiedlicher Weise, die drei Werke<br />
unseres Konzerts.<br />
Der US-Amerikaner Charles Ives war ein<br />
Nonkonformist, und das sowohl als Musiker<br />
wie auch in seiner Einstellung zur Religion.<br />
In seinem um 1906 entstandenen<br />
Werk »The Unanswered Question« bezog<br />
er sich auf Ideen »transzendentalistischer«<br />
Denker wie Ralph Waldo Emerson<br />
(1803-1882) oder Henry David Thoreau<br />
(1817-1862). Drei Klangschichten lassen<br />
sich unterscheiden: Die Streicher verkörperten<br />
»das Schweigen der Druiden,<br />
die nichts wissen, sehen und hören«, eine<br />
Trompete stellt »die ewige Frage nach der<br />
Existenz«, und ein Flötenquartett sucht<br />
nach »der unsichtbaren Antwort«.<br />
Toshio Hosokawa absolvierte sein Kompositionsstudium<br />
in Deutschland, ließ<br />
sich aber auch durch die Musik, Ästhetik<br />
und Spiritualität seiner japanischen Hei-<br />
mat beeinflussen. Seine vierte Oper »Stilles<br />
Meer« (<strong>20</strong>16) versteht er als Requiem<br />
für die Opfer des Tohoku-Erdbebens und<br />
der Reaktorkatastrophe von Fukushima<br />
im Jahr <strong>20</strong>11. Das Libretto verbindet ein<br />
jahrhundertealtes Stück des No-Theaters<br />
mit der Geschichte einer Frau, die durch<br />
den Tsunami Ehemann und Sohn verliert.<br />
Einer Schamanin gleich, nimmt sie<br />
singend Kontakt mit den Verstorbenen<br />
auf. Angeregt durch <strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong>, der die<br />
Hamburger Uraufführung der Oper leitete,<br />
schrieb Hosokowa ein instrumentales<br />
Intermezzo, dessen Schlagzeugklänge an<br />
japanische Taiko-Trommeln erinnern.<br />
Der tief gläubige Anton Bruckner komponierte<br />
alle seine Werke, ob geistlich oder<br />
weltlich, »zur größeren Ehre Gottes«. Mit<br />
seiner Sechsten, zwischen 1879 und 1881<br />
komponierten Sinfonie muss er sehr zufrieden<br />
gewesen sein – schließlich nahm<br />
er an ihr, ganz untypisch für ihn, keine<br />
nachträglichen Überarbeitungen mehr<br />
vor. Im Konzertleben wurde die Sechste<br />
dennoch lange Zeit vernachlässigt,<br />
vielleicht wegen der Abweichungen vom<br />
gewohnten Bruckner-Bild: Zwar enthält<br />
die Sinfonie manche typischen Züge,<br />
diese allerdings in konzentrierter Form.<br />
Ihr fehlt die Monumentalität, die viele<br />
mit Bruckner verbinden.<br />
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