flip-Joker_2022-05
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THEATER KULTUR JOKER 7
Anna Kempin und
Kirill Berezovski
© Marc Doradzillo
Auf Empfang
Mit „Skin“ schließt Emi Miyoshi ihre Trlogie über Nähe ab
Aus einem solchen Stoff hätte
man früher Tütüs genäht.
Doch jetzt schwebt eine Wolke
aus Tüll über der Bühne des
Freiburger E-Werks. Je nach
Licht sieht sie pink aus, dann
ziemlich kühl. Weiße und neonfarbene
Fäden strecken sich
wie Fühler zu den beiden Tanzenden
am Boden aus. Es wirkt
wie ein hypersensibles Sender-
Empfänger-Modell oder es
könnte die Vervielfältigung des
größten menschlichen Organs,
der Haut sein (Bühnenbild:
Paula Mierzowsky). Um diese,
um „Skin“, so der Titel des
abschließenden Teils von Emi
Miyoshis Trilogie zum Thema
Nähe und deren Verlust, soll es
ja auch gehen.
Es wummert, während Anna
Kempin und Kirill Berezovski
am Boden liegen. Ephraim
Dance Dates
I-Fen Lin (CH/Luzern) und Katja Gluding (D/Freiburg) im E-Werk
Als „Dating-Plattform“ für
zeitgenössische Tanzstücke
wurde Dance Dates im November
2020 ins Leben gerufen. So
treffen an einem Doppel-Abend
zwei Choreograf*innen mit
ihren jeweiligen Stücken aufeinander
– dabei entsteht eine
sorgfältig ausgewählte Begegnung
zwischen Freiburger und
überregionaler Produktionen,
die in einem anschließenden
Künstler*innengespräch endet.
Auf diesem Weg wird ein Austausch
zwischen den Kunstschaffenden
ermöglicht, an dem ein
interessiertes Publikum, aber
auch Veranstalter*innen teilhaben
können.
Am 20. Mai treffen bei einer
neuen Runde der Dance Dates die
Choreografinnen I-Fen Lin (CH/
Luzern) und Katja Gluding (D/
Freiburg) im E-Werk Freiburg
aufeinander. Der Abend beginnt
um 18.30 Uhr mit der Tanzperformance
„Eden“ (Katja Gluding),
bei der sechs Tänzer*innen und
zwei Musiker*innen der Frage
nach dem Glück in einer Gesellschaft,
in der uns dem Anschein
nach an nichts fehlt, auf den Grund
gehen. Um 20 Uhr geht’s weiter
mit der Südpol Produktion „findet
Jetzt statt“ (I_Fen Lin), in der vier
Darsteller*innen nach kurzen, zufälligen
Glücksmomenten suchen.
Diese Inszenierung provoziert
bewusst unvorhersehbare Situationen,
in welchen der Ursprung
jener Glücksmomente zu liegen
scheint. Im Anschluss findet um
21.20 Uhr der abschließende Artist
Talk, unter der Moderation
von Tobias Steiner (Tanznetz Freiburg),
statt. Weitere Infos: www.
tanznetz-freiburg.de
„findet Jetzt statt“ der Choreografin I-Fen Lin Foto: Roberto Conciatori
Wegner hat mit den Klängen
und Geräuschen ihrer Körper
wie dem Herzschlag gearbeitet
und daraus eine Soundcollage
entwickelt, die aus Kempin
und Berezovski ein miteinander
verbundenes System macht. Ihr
Bewegungsradius wird während
der gut 70-minütigen Vorstellung
überschaubar bleiben.
„Skin“ ist kein raumgreifendes
Stück, Emi Miyoshis Choreografie
zielt auf minimale, aber
genaue Veränderungen der
Körper ab. Die Körperspannung,
die es dafür braucht,
kann man sich wohl nicht groß
genug vorstellen. Anna Kempin
und Kirill Berezovski sind aufeinander
bezogen, mal indem
sie sich simultan bewegen, mal
indem sie sich voneinander absetzen.
Einerseits lenkt nichts
von der Silhouette ab, Kempins
Haare liegen in Flechten
eng am Kopf, andererseits vervielfältigen
die hautfarbenen
Trikots durch Raffungen die
Oberfläche. Das sieht mitunter
so aus als hätten sie sich eine
fremde Haut übergeworfen, die
an manchen Stellen zu groß ist.
Gut möglich, dass die ursprünglich
vorgesehenen Kostüme aus
Folie mit aufgemalten Blumen
dem Stück eine lichtere Note
verliehen hätten.
Bis die beiden auf den Füßen
stehen, braucht es eine gute
halbe Stunde. Bis dahin werden
am Boden minimal Gesten
ausgeführt. Der Kopf wird aufgestellt,
dann abgelegt, Beine
gestreckt. Es sind Bewegungen,
die um ein Unmerkliches verschoben
werden und so immer
wieder verlangen, die Balance
neu herzustellen. Einmal scheinen
die beiden parallel zusammenzubrechen,
ihre Körper
zucken, während das Licht sich
dabei verändert und heller wird.
Die Tüllinstallation wirft dadurch
Muster auf den Bühnenboden
und sieht plötzlich wie
eine Vergrößerung von etwas
aus, das unbekannt bleibt. Die
Haut ist die Grenze zwischen
uns, den anderen und der Welt.
Sie ist ein Organ, mit dem wir
mit dem Außen kommunizieren.
Frieren wir, lässt es sich an
der Haut ablesen, sind wir unsicher
auch. Es braucht keinen
sichtbaren Anlass, dass Anna
Kempin und Kirill Berezovski
aufeinander reagieren, die beiden
sind auf beeindruckende
Weise aufeinander eingespielt.
Oft sind es groteske Körperbilder,
die sie kreieren, wenn
sie etwa auf den Zehen stehen,
die Arme nach hinten nehmen
und den Kopf nach hinten strecken.
Später hört man ein unregelmäßiges
Pochen, durch das
noch der Herzschlag auszumachen
ist. Dann erneut ein Kollaps,
die beiden beginnen sich
zu drehen, seltsam unrund, sie
stützen sich ab, um am Ende
wieder am Boden zu sein. Ein
Aufbäumen im Dunkeln und
dann ein Absinken. Ein beeindruckend
präziser Abend.
Annette Hoffmann
Deutsche Erstaufführung
Sa, 07.05.2022 // 19.30 Uhr & So, 08.05.2022 // 18.00 Uhr
Großes Haus // Mit deutschen Übertiteln
REVISOR
Kidd Pivot / Crystal Pite (Kanada/Vancouver)
Die weltweit gefeierte Choreografin Crystal Pite präsentiert im Mai
2022 ihr fulminantes Werk REVISOR am Theater Freiburg. Tanz und
Theater verschmelzen zu einem großen Ganzen und bringen die
scharfsinnige Gesellschaftskritik der kanadischen Tanzikone auf
humorvolle und höchst sarkastische Weise zum Ausdruck.
© Michael Slobodian