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24 KULTUR JOKER LITERATUR
Kein Jahr ohne Tschechow
In Badenweiler wurde vor 30 Jahren eine Büste des russischen Autors eingeweiht
Kein Jahr ohne Tschechow,
ließe sich mit Blick auf deutsche
Spielzeiten resümieren, und auch
die Freiburger Theaterszene widmet
dem Autor stets einen Platz.
Mit nur 44 Jahren starb er bekanntlich
in Badenweiler, wo vor
30 Jahren eine Büste eingeweiht
wurde – diese umgibt eine einmalige
Geschichte.
Anton P. Tschechow
Aber der Reihe nach: Anton P.
Tschechow (1860-1904) galt als
aktiver Mensch. Er praktizierte
als Arzt in Moskau, gründete
Schulen, Krankenhaus, Feuerwehr.
Er verfasste in gut 20 Jahren
600 literarische Werke: „Ich
schreibe ununterbrochen, ich
kann nicht anders“. Nichtigkeiten
verwandelte er in Erzählungen.
So wies er auf einen Aschenbecher:
„Wenn Sie wollen ist morgen
die Geschichte fertig. Überschrift:
Der Aschenbecher“ (Zitat
Ärzteblatt). Schon zu Lebzeit
erlangten Theaterstücke Ruhm.
Sein letztes, „Der Kirschgarten“,
gilt als dritt-bekanntestes Werk.
Alle Fotos: Ines Bode
Das Buch ist zu beziehen bei Ingrid Hosp
Schloss Rimsingen, Bundestraße 44,
79206 Breisach-Oberrimsingen
oder Tel.: 07664/3135 oder ingrid@hosp.de
Kosten incl. Versand 12 € zu beziehen
2017 war es in Freiburg zu sehen.
Die Premiere fand in Moskau am
29. Januar 1904 statt, der Autor
wurde 44 Jahre alt. Im Juli stirbt
er in Badenweiler. Ganze drei
Wochen war er zu Gast. Krank
war Tschechow sein halbes Leben,
mit 23 bekam er Tuberkulose,
den Weg zum Arzt scheute er
lange – aus Angst. Einen Kirschgarten
nun legte auch Badenweiler
an. Symbolhaft wurde er am
Fuß der Burg (nahe Aussichtspunkt
Kaffeemühle) 1994 gepflanzt
– mit deutsch-russischem
Aufgebot. Gekrönt wird der Platz
jedoch mit der Büste. 1992 wurde
das Bronze-Denkmal eingeweiht.
Erneut publikumswirksam. Denn
so ein russischer Kopf bildete
natürlich ein Politikum. Der eiserne
Vorhang war gerade erst
gefallen. Dass Tschechow nun
ewig ins Markgräflerland blickt,
ist einem Mann zu verdanken. Er
war besessen von dem Plan, hieß
Georgi I. Miromanow, und leitete
das Tschechow-Museum der Insel
Sachalin. Sachalin? Selbst unter
Russen gilt der schmale Inselarm
als große Unbekannte, kein Wunder,
die untere Hälfte heißt Japan.
Randnotiz: Deutschland bezieht
sein Erdgas nahezu von Sachalin.
Aktuelle Anmerkung: Ähnlich
der Ukraine rief Sachalin mehrfach
militärisch ausgetragene Gebietsansprüche
seitens Russland,
China und Japan hervor. Der
Landweg nach Badenweiler beträgt
12000 Kilometer. Dort soll
im herbstlichen Morgengrauen
1991 ein Militärlastwagen eingetroffen
sein. Das könne nur „der
Tschechow“ sein, war sich Bürgermeister
Rudolf Bauert sicher.
Vor 30 Jahren wurde die Büste am
Fuß der Burg aufgestellt
Barock und Klassizismus
Eine Monografie erklärt Bedeutung und Wandel des Schloss Rimsingen
Als Rainer Lothar Hosp und
seine Frau Ingrid Hildegard
1985 das Schloss Rimsingen in
Breisach-Oberrimsingen bezogen,
standen sie vor einer historischen
Größe. 1776 fertiggestellt
gehört die kleine Residenz zu
einer Reihe von Adelshäusern,
die zu dieser Zeit errichtet wurden,
um die regionale Elite zu
repräsentieren. Für den Wissenschaftler
Ansgar Steinhausen bot
das kleine Schloss einen idealen
Forschungsgegenstand, so stellte
er sich der frisch eingezogenen
Kaufmannsfamilie 1986 vor und
bat sie, die Bauweise der Residenz
erforschen zu dürfen. Rainer
Lothar Hosp war einverstanden.
Aus ihrer langen und intensiven
Zusammenarbeit resultiert
das Buchprojekt „Schloss Rimsingen.
Eine Residenz des Frühklassizismus
am Oberrhein“, das
2015 erschienen ist und bis heute
einen idealen Ratgeber für Interessierte
der Regionalgeschichte
wie Architektur darstellt.
In seiner detaillierten, reichhaltig
bebilderten Untersuchung
stellt Ansgar Steinhausen die Bedeutung
des Schlosses als „Bau
des Übergangs“ heraus. Einer-
Die Strapaze begann in Fernost,
ging durch Europa – per Flieger,
per Schiff. Die Frage, ob die Büste
überhaupt ankommen würde,
trieb den Initiator um. Vier Jahre
kümmerte er sich, Geld musste
her, die Büste wurde erst geschaffen,
der Transport war teuer. Die
nötigen Rubel fand er „bei den
Ärmsten der Armen“, heißt es im
Buch von 2020 „Duett und Duell“
von Maria Deppermann und
Alexej Parin. Zu Spendern zählten
„Tschechow-Anhänger sowie
Nachkommen der Sträflinge“.
Sträflinge? Das ostsibirische
Sachalin diente im Zarenreich als
Verbannungsort für Kriminelle.
Tschechow begab sich dorthin,
um üble Missstände aufsehenerregend
zu publizieren. Das war
regimefeindlich. 10000 Kilometer
bewältigte der kranke Autor. Sein
Einsatz blieb unvergessen. Denn
üblich war, dass Frauen und Kinder
mit in die Verbannung zogen.
Wer heute vor der Büste in Badenweiler
steht, misst dem Stein
mit der Inschrift kaum Bedeutung
zu. Dabei trug er schon den
Vorgänger 1908. Tschechow war
vier Jahre tot, die Heimat stiftete
eine Büste. 400 Menschen weihten
sie ein. Zehn Jahre später, der
1. Weltkrieg tobte, wurde Metall
zu Waffen. Der Stein verwaiste,
überstand auch den 2. Weltkrieg,
bis ihn ein Gärtner fand – mit
seits verwurzelt in der damals
dominanten regionalen Architektur
des Barock und Rokoko, andererseits
stark beeinflusst durch
den einflussreichen Klassizismus
Frankreichs entstand ein Bau, der
für seine Zeit hochgradig modern
wirkte. Bauherr Franz Anton von
Falkenstein konnte damit in der
Region neue Akzente setzen.
Vergleichbare Adelsresidenzen,
etwa in Neuershausen, Umkirch
und Hugstetten sind erst später
Maria Deppermann und ihrem
„Prof“ Rolf-Dieter Kluge. Das
Trio suchte den Sockel für die
neue Büste aus Sachalin. Überwuchert
von Dornendickicht
wusste man nach 70 Jahren nicht,
wo die Stelle war. Und doch stand
er da: wie ein Wartender – wie bereit
für die neue Mission.
Ines Bode
entstanden. Auch heute, so Steinhausen,
habe das Bauwerk wenig
von seiner Wirkung eingebüßt.
Entsprechend stellt der Autor
seiner bündigen Monografie den
Titel „Genauso erhaben wie einfach“
voran.
Ansgar Steinhausen, „Schloss
Rimsingen. Eine Residenz des
Frühklassizismus am Oberrhein“,
hrsg. von Rainer Lothar
Hosp 2015.
Foto: Ingrid Hosp