flip-Joker_2022-05
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KUNST KULTUR JOKER 19
Familienaufstellungen
„Someone else. Die Fremdheit der Kinder“ im Museum für Neue Kunst Freiburg
Jamie Diamond, The Al Bustans, aus der Serie Constructed Family Portraits, 2007-ongoing
© Courtesy the Artist and KEWENIG Galerie, Berlin
Omer Fast, Continuity, 2012
Véréna Paravel and Lucien Castaing-Taylor, Commensal, 2017
© Courtesy the Artists and LUX, London
Nach dem Tod seines Vaters
entdeckt Erik Levine eine alte
Videokassette von einer Safari
in Afrika. In der Wiedergabe
ist die Landschaft unscharf,
eine Herde Zebras läuft vorbei,
dann ein Schuss, eine Stimme
ist zu hören. Und immer wieder
Schüsse. Ein Büffel wurde
so getroffen, dass man gefühlte
Minuten seine Agonie erlebt.
Das Tier brüllt leise. Der Erzähler
spricht von einem unerwarteten
Tod. Man könnte
© Courtesy gb agency, Paris
auch sagen, dass Tier war arglos
und die Männer mit ihren
Waffen haben hier nichts zu
suchen. Stattdessen werden
sie später die getöteten Tiere
aneinanderreihen, ihre Köpfe
in die Kamera halten, wie um
sie zu verhöhnen. Und ganz am
Ende sieht man die Trophäen
der gebleichten Schädel. Auch
Levines Vater ist keines natürlichen
Todes gestorben. 1997,
26 Jahre nach dem Jagdausflug,
wird der Vater in seinem
Auto erschossen. Der Titel von
Erik Levines „Someone hears
a shot“ ist also doppeldeutig –
wobei sich keine Zeugen fanden,
die den Mord gesehen oder
gehört hatten. Die Polizei stieß
weder auf Fingerabdrücke noch
erhielt sie irgendwelche Hinweise.
Eine Frau und ein Mann,
es sind die damaligen Ermittler,
berichten von dem, was sie über
diesen Fall wissen, der bislang
nicht abgeschlossen werden
konnte. Weitere elf Jahre später
entsteht die Videoarbeit, die auf
dem VHS-Film und Filmdokumenten
der Polizeiarbeit beruht.
Sie schließt etwas kurz, was
eine willkürliche Synopse ist.
War nicht alles vorgezeichnet?
Wird wer Wind sät, nicht Sturm
ernten? Levines beschreibt mit
„Someone hears a shot“ eine
Entfremdung. Der Mann, der
zum Spaß Tiere tötet, ist ihm
so fremd wie derjenige, der aus
unerfindlichen Gründen das
Opfer einer Gewalttat wird.
Die Arbeit ist derzeit in der
Ausstellung „Someone else.
Die Fremdheit der Kinder“ im
Museum für Neue Kunst zu
sehen, die von Leonhard Emmerling
und Catherine Garet
kuratiert und vom Team des
Freiburger Museums modifiziert
wurde. Viele der Arbeiten
beschreiben, wie jemand Vertrautes
zu einem Fremden wird,
vom someone zu someone else.
Es ist wohl kein Zufall, dass
ein Großteil der gezeigten Arbeiten,
Videos sind. Die Familie
ist, weil wir alle aus einer
stammen, ein Fundus an Erzählungen,
doch nur selten taugt
sie für eine lineare Geschichte.
Manchmal ist das abgründig
komisch, wenn Karam Natour
seine Mutter vor der Kamera
bittet, doch etwas Intelligentes
zu sagen und zwar auf Hebräisch.
Natours Mutter schweigt
erst und gibt dann Allgemeinplätze
wie „man muss optimistisch
bleiben“ von sich und
dies auch noch auf Arabisch.
Natour inszeniert hier nicht
nur Familienkonstellationen,
sondern analysiert auch das
Verhalten Israels gegenüber
den dort lebenden Arabern als
patriarchalisch. Mitunter wird
die Kindheit selbst zu einem
fremden Planeten, so gibt Ben
Rivers in „Ah, Liberty!“ einen
Einblick in eine geradezu unbeaufsichtigte
Kindheit dreier
Brüder auf einem abgelegenen
Hof in den schottischen Highlands.
Die Jungs fahren mit
Autos durch den Fluss, setzen
sich Masken auf und demolieren
den herumliegenden
Schrott, einer der Jungen erzählt
von ihrer großen Freiheit
und doch ist da diese Atmosphäre
von Verwahrlosung
und Verfall. Wie fremd und
verstörend selbst Geschwister
sein können, zeigen Véréna
Paravel und Lucien Castaing-
Taylor in ihrer Videoprojektion
von einem Gespräch der Brüder
Sagawa, das den Mord an
einer Kommilitonin und den
Kannibalismus des einen umkreist.
Gegenübergestellt sind
dem Video Familienfilme aus
den 1950er und -60er Jahre,
die Einblicke in eine behütete
Kindheit geben. Der Mensch,
das führt ihre Arbeit vor, kann
auch für seine Nächsten, eine
Black Box sein.
grafikbüro billharz, www.gbbillharz.de
Die Stadt
von morgen
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ARTE-Filmreihe
Exkursion
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www.freiburg.de/korrespondenzen
Man muss Zeit für „Someone
else. Die Fremdheit der Kinder“
mitbringen. Besser noch:
man kommt öfters. Der Kindheit
oder der Familie nähert
man sich dabei nur bedingt,
man sollte auch keine These
erwarten. Aber es gibt ein
paar wirklich gute Arbeiten zu
entdecken.
Someone else. Die Fremdheit
der Kinder. Museum für Neue
Kunst, Marienstr. 10a, Freiburg.
Dienstag bis Sonntag 10
bis 17 Uhr, Donnerstag 10 bis
19 Uhr. Bis 9. Oktober 2022.
Annette Hoffmann
12.
Deutsch-Französische
Kulturgespräche
Freiburg
12.- 14.5.2022
Kulturamt