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KUNST KULTUR JOKER 19

Familienaufstellungen

„Someone else. Die Fremdheit der Kinder“ im Museum für Neue Kunst Freiburg

Jamie Diamond, The Al Bustans, aus der Serie Constructed Family Portraits, 2007-ongoing

© Courtesy the Artist and KEWENIG Galerie, Berlin

Omer Fast, Continuity, 2012

Véréna Paravel and Lucien Castaing-Taylor, Commensal, 2017

© Courtesy the Artists and LUX, London

Nach dem Tod seines Vaters

entdeckt Erik Levine eine alte

Videokassette von einer Safari

in Afrika. In der Wiedergabe

ist die Landschaft unscharf,

eine Herde Zebras läuft vorbei,

dann ein Schuss, eine Stimme

ist zu hören. Und immer wieder

Schüsse. Ein Büffel wurde

so getroffen, dass man gefühlte

Minuten seine Agonie erlebt.

Das Tier brüllt leise. Der Erzähler

spricht von einem unerwarteten

Tod. Man könnte

© Courtesy gb agency, Paris

auch sagen, dass Tier war arglos

und die Männer mit ihren

Waffen haben hier nichts zu

suchen. Stattdessen werden

sie später die getöteten Tiere

aneinanderreihen, ihre Köpfe

in die Kamera halten, wie um

sie zu verhöhnen. Und ganz am

Ende sieht man die Trophäen

der gebleichten Schädel. Auch

Levines Vater ist keines natürlichen

Todes gestorben. 1997,

26 Jahre nach dem Jagdausflug,

wird der Vater in seinem

Auto erschossen. Der Titel von

Erik Levines „Someone hears

a shot“ ist also doppeldeutig –

wobei sich keine Zeugen fanden,

die den Mord gesehen oder

gehört hatten. Die Polizei stieß

weder auf Fingerabdrücke noch

erhielt sie irgendwelche Hinweise.

Eine Frau und ein Mann,

es sind die damaligen Ermittler,

berichten von dem, was sie über

diesen Fall wissen, der bislang

nicht abgeschlossen werden

konnte. Weitere elf Jahre später

entsteht die Videoarbeit, die auf

dem VHS-Film und Filmdokumenten

der Polizeiarbeit beruht.

Sie schließt etwas kurz, was

eine willkürliche Synopse ist.

War nicht alles vorgezeichnet?

Wird wer Wind sät, nicht Sturm

ernten? Levines beschreibt mit

„Someone hears a shot“ eine

Entfremdung. Der Mann, der

zum Spaß Tiere tötet, ist ihm

so fremd wie derjenige, der aus

unerfindlichen Gründen das

Opfer einer Gewalttat wird.

Die Arbeit ist derzeit in der

Ausstellung „Someone else.

Die Fremdheit der Kinder“ im

Museum für Neue Kunst zu

sehen, die von Leonhard Emmerling

und Catherine Garet

kuratiert und vom Team des

Freiburger Museums modifiziert

wurde. Viele der Arbeiten

beschreiben, wie jemand Vertrautes

zu einem Fremden wird,

vom someone zu someone else.

Es ist wohl kein Zufall, dass

ein Großteil der gezeigten Arbeiten,

Videos sind. Die Familie

ist, weil wir alle aus einer

stammen, ein Fundus an Erzählungen,

doch nur selten taugt

sie für eine lineare Geschichte.

Manchmal ist das abgründig

komisch, wenn Karam Natour

seine Mutter vor der Kamera

bittet, doch etwas Intelligentes

zu sagen und zwar auf Hebräisch.

Natours Mutter schweigt

erst und gibt dann Allgemeinplätze

wie „man muss optimistisch

bleiben“ von sich und

dies auch noch auf Arabisch.

Natour inszeniert hier nicht

nur Familienkonstellationen,

sondern analysiert auch das

Verhalten Israels gegenüber

den dort lebenden Arabern als

patriarchalisch. Mitunter wird

die Kindheit selbst zu einem

fremden Planeten, so gibt Ben

Rivers in „Ah, Liberty!“ einen

Einblick in eine geradezu unbeaufsichtigte

Kindheit dreier

Brüder auf einem abgelegenen

Hof in den schottischen Highlands.

Die Jungs fahren mit

Autos durch den Fluss, setzen

sich Masken auf und demolieren

den herumliegenden

Schrott, einer der Jungen erzählt

von ihrer großen Freiheit

und doch ist da diese Atmosphäre

von Verwahrlosung

und Verfall. Wie fremd und

verstörend selbst Geschwister

sein können, zeigen Véréna

Paravel und Lucien Castaing-

Taylor in ihrer Videoprojektion

von einem Gespräch der Brüder

Sagawa, das den Mord an

einer Kommilitonin und den

Kannibalismus des einen umkreist.

Gegenübergestellt sind

dem Video Familienfilme aus

den 1950er und -60er Jahre,

die Einblicke in eine behütete

Kindheit geben. Der Mensch,

das führt ihre Arbeit vor, kann

auch für seine Nächsten, eine

Black Box sein.

grafikbüro billharz, www.gbbillharz.de

Die Stadt

von morgen

Vorträge

Diskussionen

ARTE-Filmreihe

Exkursion

Foto-Ausstellung

Kurzf ilme von Studierenden

www.freiburg.de/korrespondenzen

Man muss Zeit für „Someone

else. Die Fremdheit der Kinder“

mitbringen. Besser noch:

man kommt öfters. Der Kindheit

oder der Familie nähert

man sich dabei nur bedingt,

man sollte auch keine These

erwarten. Aber es gibt ein

paar wirklich gute Arbeiten zu

entdecken.

Someone else. Die Fremdheit

der Kinder. Museum für Neue

Kunst, Marienstr. 10a, Freiburg.

Dienstag bis Sonntag 10

bis 17 Uhr, Donnerstag 10 bis

19 Uhr. Bis 9. Oktober 2022.

Annette Hoffmann

12.

Deutsch-Französische

Kulturgespräche

Freiburg

12.- 14.5.2022

Kulturamt

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