flip-Joker_2022-05
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Kunst KULTUR JOKER 15
Die Vielfalt echter und virtueller Lebensformen
Die Ausstellungen „BioMedien“ und „The Beauty of Early Life“ im ZKM Karlsruhe laden ein, inspirierende Erfahrungen
zu sammeln und Spaß zu haben
Bernd Lintermann, Derek Hauffen, »Archigenesis«, 2022, Interaktive
computerbasierte Installation; (aus „The Beauty of Early
Life“) © Bernd Lintermann, Derek Hauffen © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien,
Foto: Felix Grünschloss
Agnieszka Kurant »Chemical Garden«, 2021
Natriumsilikat, Kupfer, Nickel, Kobalt, Chrom, Mangan, Eisen,
Salze, 30 x 30 x 30 cm; (aus „The Beauty of Early Life“)
© Agnieszka Kurant, © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien,
Foto: Felix Grünschloss
Wer fantastische Tierwesen
sucht, muss dazu nicht ins Kino
gehen, sondern nach Karlsruhe
fahren. Dort, im ZKM Zentrum
für Kunst und Medien, kann
man mit zutraulichen virtuellen
Quallen spielen, mehr und auch
weniger menschenähnlichen
Robotern begegnen, Künstliche
Intelligenz beim Lernen
erleben und die Entwicklung
des Lebens in längst vergangenen
Erdzeitaltern studieren. Die
beiden aktuellen Ausstellungen
„BioMedien. Das Zeitalter der
Medien mit lebensähnlichem
Verhalten“ und „The Beauty
of Early Life“ befinden sich im
gleichen Lichthof und ergänzen
sich perfekt.
Gleich rechts im Eingangsbereich
der „BioMedien“ laufen
und springen die seltsamsten
Gestalten in Lebensgröße über
den Bildschirm. Aus menschlichen
Bewegungsmustern und
digitaler Technik entstand diese
Arbeit. „Infinity“ läuft sozusagen
unendlich in immer neuen
Farben und Formen. Vieles in
der Ausstellung ist interaktiv,
große und kleine Besucher können
hier Erfahrungen sammeln
und Spaß dabei haben. Zum
Themenbereich „Leben mit
Robotern“ lädt das „Reallabor“
des KIT, des Karlsruher Instituts
für Technologie, dazu ein,
die reizvollen leuchtenden Formen
auf dem Boden zu verfolgen
und dabei selbst spannende
neue Muster zu kreieren.
Ein kleines bisschen Gott
spielen kann man im Bereich
„Interaktion mit neuen Mitwesen“.
Ein bisschen singen oder
summen, schon kommen die
niedlichen virtuellen Quallen
der Arbeit „The Jellyfish“ angeschwommen.
Und auf dem
Bildschirm vor dem scheinbar
leeren Wasserbecken kann man
Formen zeichnen, die dann im
Wasser Gestalt annehmen.
Zwar ähneln sie optisch alle
einem leeren Eisbecher, aber
sie verhalten sich wie Lebewesen,
sie wachsen und manchmal
fressen sie sich gegenseitig. „A-
Volve“, Titel des Kunstwerks,
ist natürlich ein Wortspiel, in
dem „Evolve“, also Evolution,
drin steckt.
Das Zentrum der „BioMedien“
wird von großen, wie Segel
aufgespannten Stoffen eingenommen,
die sich ganz langsam
verändern. „Zoiratia“ soll
dazu beitragen, dass die ganze
Ausstellung wie ein großer,
lebender Organismus wirkt.
Echte Gurkenpflanzen gehören
ebenso dazu wie der virtuelle
Schwarm aus geometrischen
Formen, die sich wie Insektenschwärme
verhalten.
Einen Stock höher taucht man
ein in die Schau „The Beauty
of Early Life. Spuren frühen
Lebens“, die allerdings auch
wörtlich übersetzt als Schönheit
des frühen Lebens gelten kann.
Echte Fossilien aus dem Naturkundemuseum
Karlsruhe sind
zu sehen, aber auch spannende
chemische Experimente mit
lebenden Algen und ästhetisch
faszinierende Kunstwerke.
Folgt man der interaktiven „Archigenesis“
von Bernd Lintermann
und Derek Hauffen, erlebt
man wie sich aus einfachen
Formen komplexe Wesen bilden,
in leuchtenden Farben zu
sanften Klängen.
Entlang eines Zeitstrahls folgt
man den verschiedenen Erdzeitaltern,
denn die Zeitreise
zu den Ursprüngen des Lebens
geht weit zurück. Es geht aber
gar nicht so sehr um längst ausgestorbene
Tier- und Pflanzenarten
als um die Frage, wie Leben
überhaupt entsteht, wie es
sich entwickelt und was Leben
eigentlich ausmacht. Lebende
Mikroalgen in großen und
kleinen Glasbehältern sind Teil
der Ausstellung. Der beheizte
„Zeitstein“ verweist auf ein
Experiment in Schweden. Dort
wird auf einer künstlichen Insel
studiert, wie sich die Natur
entwickelt, wenn sie konstant
5 Grad wärmer ist als derzeit
üblich. Klimawandel gab es in
vielen Erdzeitaltern, meist mit
drastischen Auswirkungen wie
dem Entstehen und Aussterben
von Arten.
Wie man sich das frühe Leben
vorstellen kann, zeigt das
grandiose Panorama „Living
Rocks: A Fragment of the Universe“
von James Darling und
Lesley Forwood. Hinter Inseln
aus Wurzelholz in Wasser sieht
man auf einer großen Leinwand
eine fantastische Landschaft
aus Wasser und Inseln, Dämpfe
wabern, Vulkane brechen aus…
Wie der Blick in ein Aquarium
wirken die Videos von Martin
Lisec. Aber man sieht keine
Zierfische, sondern das Meeresleben
im Cambrium und im Ordovicium,
als könne man einen
langen Blick werfen zurück in
der Zeit. Man kann sogar spazieren
gehen zwischen Strahlentierchen.
Nicht den Echten,
sondern den vergrößerten, frei
gestalteten und von der Decke
hängen Tierchen aus Kunststoff,
die Rainer Maria Matysik
in seiner „radiolarien übung“
geschaffen hat.
Die Vielfalt des Lebens und
der echten und/oder virtuellen
Lebensformen in den beiden
Ausstellungen „BioMedien“
und „The Beauty of Early Life“
ist beeindruckend und ausgesprochen
inspirierend.
„BioMedien“ läuft bis zum
28. August, „The Beauty of
Early Life“ ist bis zum 10. Juli
zu sehen, Mi-Fr 10-18 Uhr,
Sa+So 11-18 Uhr, Eintritt 7€,
erm. 5€, Kinder&Jugendliche
bis 17 frei, freitags ab 14 Uhr
freier Eintritt, www.zkm.de
Nike Luber
Universal Everything, »Infinity«, 2021, Computerbasierte Installation; (aus „BioMedien“)
© Universal Everything