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12 KULTUR JOKER Vision

Essen feiert Jubiläum, der Hagener Impuls bleibt

Karl Ernst Osthaus: Gelderbe, Sammler, Mäzen – und Motor der Moderne

Wer kennt nicht das Museum

Folkwang in Essen! Gegründet

vor 100 Jahren, im Oktober 1922,

erhielt es internationale Aufmerksamkeit

durch den zum Kulturhauptstadtjahr

„Ruhr 2010“ realisierten

Neubau des britischen

Architekten David Chipperfield.

Finanziert hatte das Projekt die

Alfried Krupp von Bohlen und

Halbach Stiftung, nachdem deren

langjähriger Chef Bertold Beitz

auf einer spektakulären Pressekonferenz

am 24. August 2006

die finanzielle Förderung von55

Mio. Euro zugesagt hatte. Doch

das Haus besitzt eine kunst- und

kulturhistorisch nicht unbedeutsame

Vorgeschichte.

Karl Ernst Osthaus, geboren

1874 in Hagen nahe der Ruhr,

gleichsam schon in Sichtweite

der großen Industriestädte

Dortmund, Bochum und Essen,

spielte die Schlüsselrolle. Durch

Familie und Erbschaft kam er zu

Geld. Eine historische Quelle ersten

Ranges ist die mehrere Seiten

umfassende autobiografische

Notiz, die Osthaus seiner späten

Dissertation „Grundzüge der Stilentwicklung“

(erschienen 1918)

beigab, drei Jahre vor seinem Tod.

Darin schildert er wesentliche

Etappen seiner Vita: „Mein Vater

war der Bankier Ernst Osthaus,

meine Mutter, Selma, die Tochter

des Großindustriellen Wilhelm

Funcke, dem Deutschland die

Blüte seiner Holzschrauben-Industrie

verdankt.“ Der Schwiegervaterführte

in der zweiten Generation

das industrielle Großunternehmen

Funke & Hueck, mit

zeitweilig bis zu 1.500 Beschäftigten.

Finanzielle Unabhängigkeit

war also gewährleistet, mehr

noch: die Basis allen späteren mäzenatischen

Wirkens.

Premiumhändler

Südbaden

Im Frühjahr 1893 begann Osthaus,

Literatur und Philosophie in

Kiel zu studieren. „Ein Pfingstbesuch

in Kopenhagen lenkte mein

Interesse so stark auf die Gegenstände

der bildenden Kunst, dass

ich mich entschloss, das literarische

Studium mit dem kunstgeschichtlichen

und die Kieler

Universität mit der Münchener

zu vertauschen.“ In der Folge

schrieb er sich der Reihe nach an

den Universitäten Berlin, Straßburg,

Wien und Bonn ein – und

konnte es sich leisten.

Wanderjahre mit abruptem

Ende

Die Vielfalt der Hochschullehrer,

ihrer Ansätze und Methoden,

weiteten Bildung und Interessen

des großbürgerlichen Eleven hin

auf eine kulturhistorische Sicht,

auf Grundfragen der menschlichen

Kultur. Zwischenzeitlich

gerät Osthaus durch das Straßburger

und Wiener Verbindungsleben

auf politisch eingleisige Pfade: ein

„Alldeutsches Reich“ schwebte

ihm vor, bald wurde er eines Besseren

belehrt und, so die eigene

Darstellung, „infolge eines zu intimen

Verkehrs mit den Deutschnationalen

in Österreich des

Landes verwiesen“, im Juli 1896.

Zeitweilig findet sich auch Antisemitisches

in seinem Schrifttum.

Daheim in Hagen war man nicht

begeistert über die Eskapaden

des Weltenbummlers. Wenige

Monate später verstarben beide

Großeltern Funcke und hinterließen

ihm die beträchtliche Erbschaft

von drei Millionen Mark

(heutiger Wert: gut das Zehnfache

in Euro). Zwei Drittel davon will

Osthaus dem Allgemeinwohl

widmen. Er scheint nun, politisch

endlich geerdet, rückbezogen auf

Konviktstr. 21 - 23

79098 Freiburg

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Unikat von Stephan Rambaud, Meilleur Ouvrier de France

Bildungs- und Kulturprojekte in

seiner Heimat: der Industriestadt

Hagen. Und die Reisen nehmen

zu. Es ging „in den Atlas und die

Sahara“, auf den Balkan und in

den Orient: „Ich besuchte Ungarn,

Rumänien, die Türkei, Griechenland,

Kleinasien und Aegypten.

Die Reise machte mich zum

Sammler von Kunstwerken, und

als ich im Frühjahr 1899 nach

Hagen zurückkehrte, war das

Problem der Aufstellung meiner

Kunstsammlungen bereits dringend

geworden.“ Im selben Jahr

heiratet Osthaus, fünf Kinder

werden in der Folge geboren.

Eigene Kunstsammlung, eigenes

Museum

Die, befördert durch die Reisetätigkeit,

angelegte beachtliche

Sammlung bedurfte einer Heimat.

1898 wurde der Grundstein

für das Museum im Zentrum der

Stadt gesetzt. Angedacht waren

als Kern des Hauses: Naturkunde,

dann die Gemäldeabteilung

sowie außereuropäisches Kunstgewerbe.

Es gab den Entwurf im

späthistoristischen Neo-Renaissancestil,

von der Hand des Berliner

Architekten und königlichen

Baurats Carl Gérard, der schon

für den Vater gebaut hatte. Dann

der Umschwung, der Konvention

folgten formale Innovation und

Avantgarde: „Mich berührte das

Schaffen des Vlamen Henry van

de Velde. Ein kurzer Entschluss

machte ihn am 1. Mai 1900 zum

Nachfolger meines Museumsarchitekten;

leider stand der Rohbau

damals fertig, und die Gestaltung

des Künstlers, der alsbald

seinen Wohnsitz von Brüssel nach

Deutschland verlegte, konnte sich

nur noch auf die Innenausstattung

beziehen. So kam es, dass

der als naturwissenschaftliche

Anstalt projektierte Bau ein Programmwerk

des modernen Stils

in Deutschland wurde.“ Und van

de Velde bewunderte das Engagement:

„In weniger als einem

Jahr hatte er Werke von Manet,

Renoir, Seurat, Signac, Cross,

van Gogh, Gauguin, und Skulpturen

von Minne, Rodin, und

Constantin Meunier erworben.

Bevor die Freundschaft zwischen

uns entstand.“ Im Sommer 1902

öffnete das Museum. Aktuelle

Kunst war nun die Domäne. In

Ausstellungen zeigte man hernach

Werke der „Brücke“, Kirchner,

Nolde, dann Archipenko und

vor allem Christian Rohlfs, der

durch die ‚Säuberungen‘ der NS-

Zeit wieder entfernt wurde. Die

Kunsthistorikerin Birgit Schulte,

langjährige Osthaus-Forscherin

und stellvertretende Direktorin

des Museums, konstatiert: „Das

Folkwang erlangte schon bald

den Ruf als das bedeutendste Museum

für zeitgenössische Kunst.“

Osthaus notierte als Credo: „Das

Ida Gerhardi (1862–1927), Porträt von Karl Ernst Osthaus, 1903,

Öl auf Leinwand, Osthaus Museum Hagen / Inv.-Nr. K 425 Foto:

Achim Kukulies

große Problem der Zeit war die

Zurückführung der Kunst ins Leben,

und dieser Aufgabe hat das

Museum sich seither zu widmen

versucht.“

Ganz nebenbei zeugt von der

persönlichen Historie der Kollektion

auch das Osthaus-Bildnis von

Ida Gerhardi, einer umtriebigen

Hagener Kunstmalerin, zwölf

Jahre älter als Osthaus. Sie beriet

den Sammler bei Ankäufen,

führte ihn in die Pariser Szene

ein, bei Auguste Rodin und Aristide

Maillol. Ihr Öl-Porträt zeigt

den 29-jährigen jungen Gelehrten

im Arbeitszimmer: angespannt,

konzentrierten Blicks, mit der

Linken eine Stuhllehne fassend,

in der rechten Hand ein Schreibstift,

im Hintergrund das Bücherregal

und rechts eine Staffelei mit

gerahmten Bildern –vorn auf dem

Desk, deutlich sichtbar, steht eine

antike Vase, ein Salbgefäß (Lekythos)

der attisch-rotfigurigen

Produktion des 5. Jahrhunderts

vor Christus aus Athen. Die griechische

Klassikzählte mit zum

Weltkunsthorizont von Osthaus –

und wurde also inszeniert.

Was bedeutet die Folkwang-

Idee?

Folkwang ist ein Begriff, den

wir heute nurmehr durch das Essener

Museum kennen. Osthaus

fand ihn in der nordischen Mythologie

und entwickelte das zugehörige

Lebenskonzept. Fólkvangr,

das ‚Volksfeld‘, ist Territorium

der Göttin Freya und mythischer

Ort der Wiederkehr verstorbener

Heldenfiguren in Walhall. Zugleich

eben: Treffpunkt der Gemeinschaft.

Osthaus reklamierte

die Bezeichnung für sein Hagener

Museum. Die gedankliche und

terminologische Wurzel gründete

in den jugendlichen Gespinsten,

geprägt von germanisch-nordischer

Saga. Doch mittlerweile

hatte sich der Blick verändert, der

Name implizierte ihm mehr: „Als

Zentrum der schönen Künste der

Welt sollte es zugleich ein Ort

der Bildung und Volkserziehung

sein“ (Birgit Schulte). Deshalb

erscheint auch eine zweite Gründung

1909 nur konsequent: das

„Deutsche Museum für Kunst

und Gewerbe“, die Motivation

steht in engem Zusammenhang

mit Osthaus‘ Engagement im

„Deutschen Werkbund“, dessen

Vorstand er seit 1910 angehörte.

Modernes Design ist hier das

Thema, ein zunächst virtuelles

Museum, eine Art „Zentrale für

Wanderausstellungen, die den

Umlauf des gewerblichen Ausstellungswesens

zu erleichtern

bestimmt war. Das Deutsche

Museum erwirbt Objekte des modernen

Kunstgewerbes, stellt sie

zu Ausstellungen zusammen und

verleiht sie an öffentliche Institute

gegen eine Leihgebühr.“

Künstlersiedlung am Hohenhof

Um die Jahrhundertwende besaßen

Künstlerkolonien, in schöner

Natur meist und frei von den

Zwängen staatlicher Akademien,

Konjunktur: Worpswede im Teufelsmoor

(seit 1889), die Darmstädter

Mathildenhöhe (seit 1899),

der „Blaue Reiter“ in Murnau am

Staffelsee (seit 1908). Der legendäre

Monte Verità bei Ascona am

Lago Maggiore (seit 1900) zeigte

vielleicht am deutlichsten den

Drang zur praktischen Erprobung

neuer Lebensformen: die Verbindung

von Kunst mit der eigenen

Daseinsgestaltung, Naturheilkunde,

Vegetarismus, Nudismus.

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