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atw - International Journal for Nuclear Power | 03.2022

Ever since its first issue in 1956, the atw – International Journal for Nuclear Power has been a publisher of specialist articles, background reports, interviews and news about developments and trends from all important sectors of nuclear energy, nuclear technology and the energy industry. Internationally current and competent, the professional journal atw is a valuable source of information. www.nucmag.com

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3Bis die Welt zusammenfällt<br />

<strong>atw</strong> Vol. 67 (2022) | Ausgabe 3 ı Mai<br />

Liebe Leserinnen und Leser, der seit dem 24. Februar 2022 tobende Krieg in der Ukraine hat zu vielerlei strategischen Neubestimmungen<br />

geführt, im Rahmen der NATO hinsichtlich der Truppenstationierungen an ihrer Ostflanke und der möglichen Aufnahme von Schweden<br />

und Finnland als Mitgliedern, in der EU im Blick auf die Finanzierung von Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet und eine möglichst<br />

schnelle Aufnahme der Ukraine als Mitglied sowie in Deutschland etwa in Bezug auf ein Sondervermögen zur Ausrüstung der Bundeswehr in<br />

Höhe von 100 Milliarden Euro neben dem Bundeshaushalt und die auch von den Grünen unterstützte, sogar vehement ge<strong>for</strong>derte Lieferung<br />

von Waffen in ein Kriegsgebiet.<br />

EDITORIAL<br />

Auch in der Energiepolitik Deutschlands und der EU ist die von<br />

Bundeskanzler Scholz verkündete Zeitenwende deutlich spürbar,<br />

mit dem Ziel der Europäischen Kommission, die EU bis 2027 von<br />

Energieträgern aus Russland unabhängig zu machen, einer seit<br />

Wochen andauernden Diskussion über ein Embargo russischer Energielieferungen<br />

sowie der Bereitschaft der Bundesregierung, den<br />

Fahrplan für den Kohleausstieg für eine noch unbestimmte Zeit und<br />

in unbestimmtem Umfang auszusetzen. Für einen kurzen Augenblick<br />

rückte sogar die Möglichkeit in den Blick, auch die Kernenergie<br />

zur Energiesicherung in einer Krisensituation für einige Zeit weiter<br />

zu nutzen. Während aber in der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-,<br />

Rüstungs-, und sogar Energiepolitik die heiligen Kühe wie<br />

am Fließband geschlachtet wurden, hat man beim Thema Kernenergie<br />

schnell, innerhalb von Tagen die ideologischen Reihen in der<br />

Regierung geschlossen. Stand der Abfassung dieses Editorials<br />

erscheint es nun kaum mehr denkbar, dass auch nur eine kleine<br />

Änderung am Kernenergieausstiegsfahrplan von 2011 vorgenommen<br />

wird, so dass wir damit rechnen dürfen, in der Halbzeit des<br />

kommenden Winters die letzten 4 Gigawatt Kernkraftkapazität zu<br />

verlieren und sich die Betreiber von Kohlekraftwerken freuen dürfen,<br />

ab 2023 neben einer unbestimmten aber erheblichen Menge an<br />

Stromerzeugung mit Erdgas auch die rund 33 TWh Strom aus Kernenergie<br />

ersetzen zu dürfen, die von den letzten drei Anlagen in<br />

diesem Jahr noch produziert werden dürften. Zu diesem Thema<br />

findet sich mehr in einem eigenen Dossier in dieser Ausgabe.<br />

Gänzlich anders reagiert man energiepolitisch auf den Krieg und<br />

das Problem der Abhängigkeit von Russland im Vereinigten Königreich,<br />

wo eine neue Energiesicherheitsstrategie insbesondere für den<br />

Ausbau der Kernenergie nun sehr deutliche Impulse setzen soll, um<br />

langfristig die Versorgungssicherheit des Vereinigten Königreiches<br />

zu gewährleisten. Auch in Südkorea hat der gewählte Präsident Yoon<br />

Suk-yeol angekündigt, wegen der hohen Strompreise und zur<br />

CO 2 -Einsparung die Kernenergieausstiegspolitik seines noch amtierenden<br />

Vorgängers zu revidieren.<br />

Ein anderes direkt durch den Krieg in der Ukraine aufgeworfenes<br />

Thema findet ebenfalls seinen Widerhall in dieser Ausgabe, der russische<br />

Angriff auf Kernkraftwerke und kerntechnische Einrichtungen<br />

in der Ukraine. Auch diese Handlungen gegen den Standort Tschernobyl,<br />

das Kernkraftwerk Saporischschja, zwei Abfalllager für radioaktive<br />

Reststoffe und einen unterkritischen Reaktor zur Forschung<br />

und Isotopenherstellung qualifizieren sich als völkerrechtswidrige<br />

Kriegsverbrechen. Waren auch die Ziele nicht so ausgewählt bzw.<br />

das Maß an Gewalt nicht so bemessen, ernsthaften Schaden in<br />

größerer Dimension zu verursachen, bleiben es doch Handlungen<br />

von großer Verantwortungslosigkeit, die den internationalen Prinzipien<br />

der nuklearen Sicherheit Hohn sprechen. Dies wiegt umso<br />

schwerer, als Russland nicht nur eine Kernwaffenmacht, sondern<br />

eine führende Nation in der Kerntechnik insgesamt ist, mit großer<br />

Erfahrung und Kompetenz.<br />

Jenseits des alle Aufmerksamkeit absorbierenden Realitätsschocks<br />

in Osteuropa, aber doch damit verbunden, zeigt sich, dass<br />

einer der großen Hoffnungsträger der Energiewende, die Windkraft,<br />

in wirtschaftlich schwieriges Fahrwasser zu geraten droht. Auf dem<br />

großen Branchentreffen WindEurope 2022 beklagten große<br />

Hersteller, dass der finanzielle Druck der Auktionierungsverfahren<br />

in Verbindung mit höheren Rohstoff- und Logistikkosten, die durch<br />

den Krieg noch verschärft wurden, zu Verlusten führt, die auf Dauer<br />

nicht tragbar sind und es der Branche unmöglich machen, die europäischen<br />

Ausbauziele zu erfüllen. Dies bezieht sich insbesondere auf<br />

das Ziel der EU, in ihrem Plan RE<strong>Power</strong>EU zur Erlangung von Energieunabhängigkeit<br />

von Russland die Windkraftkapazität in der EU<br />

bis 2030 von 190 auf 480 GW zu steigern. Ein Branchenvertreter<br />

machte darauf aufmerksam, dass die Komponenten für Windkraftanlagen<br />

zu 85 % aus China stammten und insoweit die Gefahr<br />

bestehe, die Energieunabhängigkeit Europas mit einer Lieferkettenabhängigkeit<br />

erreichen zu wollen.<br />

Schließlich sei noch erwähnt, dass in der deutschen Bevölkerung<br />

anders als in der Bundesregierung der Ukraine-Krieg tatsächlich zu<br />

einem gewissen Umdenken hinsichtlich der Kernenergie geführt hat.<br />

In einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach haben auf<br />

die Frage, ob die Laufzeiten der Kernkraftwerke in Deutschland über<br />

2022 hinaus verlängert werden, oder man die letzten Kernkraftwerke<br />

dieses Jahr planmäßig abschalten sollte, im Februar 42 % der<br />

Befragten für das Abschalten und 35 % für die Verlängerung plädiert.<br />

Im März gab es auf dieselbe Frage dann 57 % Zustimmung für eine<br />

Verlängerung und nur noch 25 % sprachen sich für die pünktliche<br />

Abschaltung aus. Das zeigt nicht nur, dass die Bevölkerung durchaus<br />

vernünftig ist – es haben sich auch 57 % der Befragten gegen ein<br />

schnelles Energieembargo gegen Russland ausgesprochen – sondern<br />

auch, dass die Kernenergie eben nicht so unbedingt abgelehnt wird,<br />

wie es oft dargestellt wird.<br />

Nicolas Wendler<br />

– Chefredakteur –<br />

Editorial<br />

Bis die Welt zusammenfällt

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