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Grimselwelt-Magazin 2022

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DAS MAGAZIN <strong>2022</strong><br />

Mondbasis Grimselpass<br />

Simulation im Stollen<br />

Alpabzug Gental<br />

Spektakel mit Strahlkraft<br />

Simonetta Sommaruga<br />

Die Bundesrätin im<br />

Interview


grimselwelt3 3<br />

editorial<br />

Es geht uns in diesen Tagen<br />

allen ähnlich: Wir sehen<br />

fassungslos mit an, was auf der<br />

Welt geschieht, fühlen uns ohnmächtig<br />

angesichts des Leids,<br />

das der Krieg in der Ukraine<br />

mit sich bringt. Eine ganz neue<br />

Situation verlangt Aufmerksamkeit,<br />

stellt uns vor Fragen, die<br />

noch stärker als die Pandemie<br />

an unseren Grundwerten rütteln. Was eint<br />

uns? Was ist verhandelbar, was nicht? Wie<br />

gehen wir mit der Wahrheit um?<br />

Der Krieg rückt auch die Diskussion um<br />

die Energieversorgung in ein neues Licht.<br />

Wie vielleicht in jeder Krise verschärfen<br />

sich Probleme, die bereits vorher da waren.<br />

Die Schweiz ist nicht so unabhängig, wie<br />

sie es sich manchmal wünscht. In den<br />

Wintermonaten sind wir stark von Stromimporten<br />

abhängig, weil unsere Stromproduktion<br />

zu bestimmten Zeiten nicht ausreicht,<br />

um die Nachfrage zu decken. Im<br />

vergangenen Jahr ist Dynamik in die Debatte<br />

gekommen: Versorgungssicherheit<br />

wird plötzlich als effektives Problem<br />

wahrgenommen. Bundesrätin Simonetta<br />

Sommaruga hat mit ihrem Runden Tisch<br />

Wasserkraft erreicht, dass sich verschiedene<br />

Interessengruppen auf konkrete Projekte<br />

einigen konnten, was bisher kaum<br />

denkbar war (siehe Interview Seite 16).<br />

Weitere Entscheide, wie etwa die Ankündigung,<br />

Verfahren für künftige Grossbauprojekte<br />

zu vereinfachen, halten wir für<br />

genau so wichtige Meilensteine. Ich bin<br />

überzeugt, dass die Wasserkraft ein Teil<br />

der Lösung sein kann für die Herausforderungen,<br />

vor denen wir stehen.<br />

Willkommen in der <strong>Grimselwelt</strong><br />

Alpabfahrt Seite 8–11<br />

Mit den Kühen vom Gental nach Innertkirchen<br />

Ein Alpabzug ist eine logistische Meisterleistung und ein Spektakel,<br />

das unter die Haut geht. Ein Blick hinter die Kulissen auf der Alp<br />

Gental ob Innertkirchen.<br />

Langlaufen in Gadmen Seite 22–25<br />

Der Nordische Skiclub im Portrait<br />

Der Nordische Skiclub Oberhasli (NSCO) kümmert sich jedes<br />

Jahr im Spätherbst mit viel Manpower um bauliche Massnahmen,<br />

die für eine vernünftige Streckenführung der Loipe nötig sind.<br />

Auch hier wird es nicht ohne vielleicht heftige<br />

Diskussionen und schmerzhafte Erkenntnisse<br />

gehen. Wir sind gefordert, einige<br />

unserer Vorstellungen zu überdenken:<br />

Was stellen wir uns unter Natur vor?<br />

Schützen wir Wildnis oder schützen wir<br />

eine von Menschen geprägte Kulturlandschaft?<br />

Lassen sich Kraftwerksanlagen<br />

vielleicht sogar in Einklang mit der Landschaft<br />

denken und planen?<br />

Ich wünsche mir eine gute Portion Mut für<br />

uns alle, sich auf den Dialog einzulassen,<br />

Offenheit und Weitsicht, um das zu sehen,<br />

was uns verbindet – in Hinsicht auf die<br />

hitzige Energiedebatte, genau wie auf ein<br />

friedliches Zusammenleben in Europa. Ich<br />

hoffe mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser,<br />

dass wir diesen Weg gemeinsam packen.<br />

Herzlich Ihr<br />

Die Studentin Sophie Lismore von der EPFL Lausanne bei ihrem Einsatz als<br />

«Test-Astronautin» in einem Stollen der KWO.<br />

Persönlich Seite 12–13<br />

Portraits aus der <strong>Grimselwelt</strong><br />

Wie die Landschaft Menschen inspiriert – drei kleine Portraits<br />

von Personen, die viel Kraft aus der alpinen Natur schöpfen.<br />

Im Gespräch Seite 16–19<br />

Simonetta Sommarugas Strategie für die Energiewende<br />

Versorgungssicherheit ist in aller Munde. Welche Massnahmen<br />

Bundesrätin Simonetta Sommaruga für dringlich hält und wie sie<br />

Wasserkraftprojekte konkret voranbringen will, erklärt sie im<br />

Interview.<br />

Baustelle Spitallamm Seite 26–31<br />

Das Grossprojekt nimmt Form an<br />

Die neue Staumauer ist in der dritten Bausaison im Sommer 2021<br />

kräftig in die Höhe gewachsen. Wie eine Burg präsentiert sich die<br />

Mauer mit ihren unterschiedlichen Blöcken, die in Etappen betoniert<br />

werden.<br />

Impressum<br />

Herausgeber KWO Kommunikation, Innertkirchen<br />

Gestaltung und Realisation Alain Gruber, Panache AG<br />

Konzept und Projektleitung Thomas Huber<br />

Bilder David Birri<br />

Texte Annette Marti und KWO<br />

Druck Jordi AG, Belp<br />

Auflage 20’000 Exemplare<br />

Die <strong>Grimselwelt</strong> ist ein Engagement der<br />

KWO, Kraftwerke Oberhasli AG<br />

Daniel Fischlin<br />

Titelgeschichte Seite 4–7<br />

In den Stollen anstatt auf den Mond<br />

Eine Gruppe von Studentinnen und Studenten haben den Nagra-<br />

Stollen am Grimselpass zu einer Mondbasis umgebaut. Im Sommer<br />

2021 simulierten sie dort das Leben auf dem Mond.<br />

Das Guttanner «Wohn-Ei» Seite 20–21<br />

Eine Übernachtung der anderen Art<br />

Den Sommer über steht ein futuristisches Häuschen mitten im<br />

Dorf Guttannen: Die Ecocapsule versorgt sich selber mit Energie<br />

und kann für Übernachtungen gebucht werden.<br />

Mix<br />

Produktgruppe aus vorbildlicher<br />

Waldwirtschaft und<br />

anderen kontrollierten Herkünften<br />

Cert no. SQS-COC-023903, www.fsc.org<br />

© 1996 Forest Stewardship Council


4 grimselwelt4<br />

· mondbasis grimselpass<br />

grimselweltgrimselwelt · mondbasis · grimselpass 5<br />

Astronauten mitten in Guttannen – während sieben Tagen<br />

simulierten Studentinnen und Studenten im Sommer<br />

2021 eine Mondmission am Grimselpass. Sie lebten im<br />

Nagra Felslabor, so, als wären sie auf dem Mond.<br />

Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />

AM<br />

«Und Sie? Was machen Sie so auf dem<br />

Mond?» Würden Sie das einen Menschen<br />

fragen, der gerade in einem Raumfahrtanzug<br />

entlang der Staumauer des Räterichsbodensees<br />

spaziert? Oder – was würde<br />

man fragen? Gute Frage. Ende Juli 2021<br />

wäre es möglich gewesen, tatsächlich zwei<br />

Astronauten zu begegnen, die sich von ihrer<br />

Mondbasis aus auf eine Erkundungstour<br />

am Grimselpass begeben hatten. Einige<br />

Studentinnen und Studenten simulierten<br />

unter dem Begriff «Asclepios 1» eine Mission<br />

auf den Mond. Eine Woche lang lebten sie<br />

in einem Stollen des Nagra Felslabors unter<br />

dem Räterichsbodensee so, wie wenn<br />

sie effektiv auf dem Mond wären. Diese<br />

sogenannte Analog-Mission (mit Analog-<br />

Astronauten) wurde vom Raumfahrtzentrum<br />

der EPFL Lausanne und anderen<br />

Partnern getragen. Im Grundsatz setzten<br />

aber Studenten das Vorhaben um: Vorbereitung,<br />

Durchführung und wissenschaftliche<br />

Begleitung lagen in ihrer Verantwortung.


6<br />

grimselwelt · mondbasis grimselpass<br />

grimselwelt · mondbasis grimselpass 7<br />

urz bevor die sechs Analog-Astronautinnen und Astronau-<br />

ihre Basis bezogen, gewährten sie den Medien Einblick<br />

Kten<br />

in ihre Unterkunft. Manche Dinge im gesamten Setting konnten<br />

nicht sehr realistisch umgesetzt werden, etwa der «Flug» in der<br />

Raumfähre vom Kontrollzentrum (Schulhaus Guttannen) zum<br />

Mond (Nagra Felslabor). Dazu musste ein<br />

irdisches «Büssli» dienen, in dem nicht nur<br />

die Raumfahrer Platz nahmen, sondern<br />

auch die eingeladenen Presseleute. Die Begeisterung<br />

der jungen Menschen schwappte<br />

aber bald auf die ganze Gruppe über und<br />

spätestens als das Fahrzeug im Stollen<br />

Gerstenegg stoppte, wähnte man sich tatsächlich<br />

auf einem anderen Planeten. Die<br />

junge Astronautin Sophie Lismore öffnete<br />

in Vollmontur die Türe der Schleuse und<br />

bat die Gäste herein in die gute Mondbasis-<br />

Stube. Beim Eintreten schlug einem der typisch<br />

erdige, feuchte Duft der Felsstollen<br />

entgegen. Natürlich gab es nirgends auch<br />

nur ein Fünkchen Tageslicht und die Temperaturen<br />

waren eher frisch. Den Stollen<br />

hatten die Studenten in Zusammenarbeit<br />

mit den Verantwortlichen des Nagra Felslabors<br />

zu einer tatsächlichen Basis umgebaut:<br />

Mit Versuchslaboren, Aufenthaltsraum,<br />

Sportraum, Schlafstätte und Küche,<br />

verteilt auf verschiedene Etagen. Eines der<br />

Ziele der Asclepios Mission war, ein Gefühl<br />

der Lebensbedingungen im Weltall zu<br />

erhalten, beispielsweise Hygiene ohne<br />

Wasser, Kommunikation nur über das<br />

Kontrollzentrum, komplette Autarkie für<br />

die sieben Tage Versuchszeit. Ebenso, so erklärte Lismore, sollten<br />

auch die wissenschaftlichen Experimente unter Weltraumbedingungen<br />

durchgeführt werden.<br />

Willkommen auf dem Mond! Der Eingang zur Basis<br />

im Nagra-Stollen tief unter dem Räterichsbodensee.<br />

Aubin Antonsanti arbeitete im temporären Kontrollzentrum im Schulhaus<br />

Guttannen.<br />

hloé Carrière, Co-Leiterin des Projekts, führte aus: «Wir<br />

Csuchten einen möglichst abgelegenen Ort und einen, der<br />

möglichst ähnlich ist wie eine mögliche Basis in einem Lavastollen<br />

auf dem Mond.» Das Setting im Nagra Felslabor sei ideal.<br />

Julien Corsin, einer der Analog-Astronauten, schmunzelte und<br />

meinte: «Es wird sicher nicht so komfortabel sein, wir können<br />

acht Tage nicht duschen, aber ich mache mir keine Sorgen.» Sie<br />

hätten einen genauen Fahrplan und viele Aufgaben, jeder wisse,<br />

was zu tun sei. Und für alle Fälle habe er seine Gitarre dabei. Die<br />

Studentinnen und Studenten hatten sich monatelang sorgfältig<br />

vorbereitet, sowohl jene, die auf der Basis lebten, wie auch jene<br />

im Kontrollzentrum unten in Guttannen. Vor ihrer simulierten<br />

Reise musste die Gruppe viele technische Fragen lösen, nicht nur<br />

zur Einrichtung der Behausung, sondern beispielsweise auch zur<br />

Kommunikation. Was würde man zum Beispiel tun, wenn das Internet<br />

nicht mehr verfügbar wäre oder sonst etwas Wichtiges aus-<br />

ein<br />

für<br />

gefühl<br />

le b e n<br />

d a s<br />

i m<br />

w e lt a l l<br />

e r h a lt e n<br />

fallen würde? Ein weiterer Teil der Vorbereitung waren psychologische<br />

Trainings, so campierte die Crew im Schnee oder unternahm<br />

Tauchexpeditionen unter Eis.<br />

ach zwei Stunden «auf dem Mond» verabschieden sich die<br />

NJournalisten und die Crew unternimmt die letzten Vorbereitungen<br />

für den effektiven take-off. Zurück bleiben spezielle<br />

Eindrücke aus einer anderen Welt, die man leicht als Science-Fiction<br />

abtun könnte. Wären da nicht die enthusiastischen Asclepios-<br />

Studenten, für die die Erkundung des Weltalls und ein mögliches<br />

Leben auf dem Mond keine Fiktion ist, sondern ein Traum, für<br />

den es sich zu kämpfen lohnt.<br />

Julien Corsin am Computer in der Mondbasis – hier noch in zivil.<br />

Ein Klo, das auch auf dem Mond funktionieren<br />

würde.<br />

Für die wenigen Pausen im Stundenplan konnten die<br />

Studentinnen und Studenten dieses «Wohnzimmer» benutzen.<br />

Engagement<br />

Die Mission Asclepios 1 wurde von Grimsel Hydro,<br />

dem Technologiezentrum Wasserkraft der KWO,<br />

unterstützt. Zwar haben die Raumfahrt und die<br />

Wasserkraft auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam<br />

und doch sind in beiden Feldern technisch<br />

hochstehende Lösungen gefragt, clevere Ideen<br />

und innovative Ansätze. Vor diesem Hintergrund<br />

lag es für Grimsel Hydro nahe, den jungen Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftlern fachliches<br />

und ortsspezifisches Knowhow<br />

zur Verfügung zu stellen.<br />

i nte rvi e w<br />

Rückblick von Sebasthian Ogalde, Mechatronik Ingenieur aus Chile<br />

In eurer Mondbasis im Nagra-Stollen war es kalt und feucht, ihr<br />

habt eine Woche lang kein Tageslicht gesehen. Wie bist du mit<br />

den Umständen klargekommen?<br />

Wir hatten tatsächlich nur so zwischen 14 und 16 Grad und die<br />

Luftfeuchtigkeit war hoch. Obwohl ich die Kälte persönlich nicht<br />

so mag, ging es gut. Die ersten beiden Nächte konnte ich kaum<br />

schlafen. Aber der Körper gewöhnte sich daran. Ich hatte auch<br />

nicht das Gefühl, das Tageslicht zu vermissen, aber als wir nach<br />

der Mission an die Oberfläche kamen, war das Grün der Wiesen<br />

und Bäume überwältigend.<br />

Ihr wart zu sechst auf der Basis, wie hat das Zusammenleben<br />

funktioniert?<br />

Wir kommen sehr gut zusammen aus, aber das hat mich nicht erstaunt.<br />

Wir kennen uns unterdessen von den langen Vorbereitungen<br />

und wissen, wie wir ticken. Wichtig waren die psychologischen<br />

Trainings, in denen wir analysiert haben, welche Faktoren<br />

unser Verhalten beeinflussen, insbesondere<br />

unter Stress oder in Isolation.<br />

Was war dein persönliches Highlight unter<br />

der Erde, beziehungsweise «auf dem<br />

Mond»?<br />

Wir hatten ein Problem mit der elektrischen<br />

Versorgung. In den Stollen wäre es<br />

ohne Heizkörper nur etwa 10 Grad warm.<br />

Zwei Sicherungen sind durchgebrannt.<br />

Wir haben sie ersetzt und es passierte wieder.<br />

Danach hatten wir nur noch eine Ersatzsicherung<br />

übrig. Wir konnten nicht riskieren,<br />

diese zu verschwenden und mussten<br />

also den Grund für die Probleme herausfinden.<br />

Die Verantwortung wurde mir zugeschrieben<br />

und ich begann in Absprache<br />

mit dem Kontrollzentrum nach Gründen<br />

zu suchen. Irgendwann gelang es, den Verbrauch<br />

der Geräte festzulegen<br />

und einen Automatismus auszuarbeiten,<br />

der uns zeigte, was wir<br />

gleichzeitig anschliessen konnten.<br />

Es war super spannend, dieses<br />

Problem zu lösen. Niemand<br />

hatte damit gerechnet und so entstand<br />

noch viel mehr das Gefühl<br />

einer echten Mission.<br />

Möchtest du tatsächlich in einer<br />

echten Basis auf dem Mond<br />

wohnen?<br />

Ich könnte mir gut vorstellen, für<br />

eine Weile auf dem Mond zu leben.<br />

Da habe ich keine Bedenken<br />

und die Mission Asclepios hat dies bestätigt. Ich würde gerne weitere<br />

Erfahrungen sammeln. In dieser Woche am Grimselpass habe<br />

ich so viel gelernt über Teamgeist, Leadership und Verantwortung<br />

kann mir<br />

g ut vo r -<br />

ste l l e n<br />

auf de m<br />

mond zu -<br />

leben<br />

wie nie zuvor in meinem Leben.<br />

Das ist fantastisch.<br />

Wie willst du nun weitermachen,<br />

um tatsächlich Astronaut zu<br />

werden?<br />

«Echter» Astronaut zu werden ist<br />

ein sehr komplexes Unterfangen.<br />

Es gibt keine genau festgelegte<br />

Karriere. Das Einzige, was man<br />

machen kann, ist seine Fähigkeiten<br />

laufend zu verbessern. Ich<br />

habe Mikroelektronik in Chile<br />

studiert, dann in Italien einen<br />

Masterabschluss gemacht in Mechatronik,<br />

für ein Jahr war ich<br />

auch in Russland – russisch ist wichtig für die Raumfahrt.<br />

Jetzt sammle ich Arbeitserfahrungen beim Projekt Satellit<br />

«Euclid» der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Ich<br />

fühle mich bereit dazu, an einer echten<br />

Mission teilzunehmen, aber klar muss<br />

man das Glück haben, an die richtige Person<br />

oder die richtige Organisation zu gelangen.<br />

Gerne wäre ich der erste chilenische<br />

Astronaut im All. Wenn es mir nicht<br />

gelingt, so möchte ich auf jeden Fall den<br />

Weg ebnen. Vielleicht<br />

schafft es jemand<br />

nach mir!


8 grimselwelt8<br />

· alpabzug gental<br />

grimselweltgrimselwelt · alpabzug gental 9<br />

Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />

Wie ein Feuerwerk steht der Alpabzug am<br />

Ende des Alpsommers. Es ist ein Tag der<br />

Wehmut und der Freude, für Älpler und<br />

Tiere gleichermassen. Ein Blick hinter die Kulissen<br />

auf der Alp Gental ob Innertkirchen.


10 grimselwelt10<br />

· alpabzug gental<br />

grimselweltgrimselwelt · alpabzug gental 11<br />

Jeweils am Nationalfeiertag vom 1. August<br />

bietet die Alpgenossenschaft für Gäste einen<br />

reichhaltigen Älplerbrunch. Der Alpabzug findet<br />

jeweils in der zweiten Hälfte September statt.<br />

www.alp-gental.ch


12 grimselwelt12<br />

· persönlich<br />

grimselwelt · persönlich<br />

13<br />

Barbara Luchs<br />

ERZÄHLEN MACHT GLÜCKLICH<br />

Jessica Banholzer<br />

ARCHITEKTIN MIT HERZBLUT<br />

Sie braucht wenig, um ihr Publikum glücklich zu machen: Eine<br />

Geschichte und sich selbst. Barbara Luchs entführt die Zuhörerinnen<br />

und Zuhörer an ihren Erzählabenden in eine andere Welt.<br />

In ihren Worten werden Figuren lebendig, es entstehen eindrückliche<br />

Bilder und Stimmungen. Gebannt folgt man den Erzählungen,<br />

die so direkt und natürlich wirken, als wären sie aus dem<br />

Moment entstanden. Doch bei genauerem Hinhören zeigt sich,<br />

wie gross der Aufwand ist und wie ausgereift die Fähigkeiten der<br />

Erzählerin sein müssen. Bis eine gute Geschichte gefunden ist, kann<br />

es lange dauern. Barbara Luchs sucht in verschiedenen Quellen,<br />

hört zu, liest und liest, bis sie etwas Passendes gefunden hat. Zum<br />

Repertoire der Geschichtenerzählerin gehören Sagen, Geschichten,<br />

die das Leben schrieb, Mythen oder Märchen. Nach der Auswahl<br />

folgt der Prozess des Einübens. Luchs lernt keine Texte auswendig,<br />

sondern befasst sich so lange mit Figuren und Szenen, bis<br />

sie sie vor sich sieht. «Ich arbeite immer mit Bildern», erklärt Barbara<br />

Luchs, «damit kann ich die Geschichten verinnerlichen.» Die<br />

gesprochenen Worte nimmt sie auf, löscht sie wieder, formt neue<br />

Sätze, sucht nach noch passenderen Worten – so lange, bis sich<br />

Barbara Luchs richtig wohl fühlt in ihrer Geschichte und sie frei<br />

erzählen kann. Dann erst ist sie bereit, vor ein Publikum zu treten.<br />

Junge Menschen in den Tälern im Oberhasli müssen zuweilen<br />

erfinderisch sein, um ihren Lebensentwurf zu realisieren. Nicht<br />

alle Ausbildungsmöglichkeiten liegen gerade um die Ecke. Jessica<br />

Banholzer aus Innertkirchen hat sich ihren beruflichen Werdegang<br />

dennoch genauso zusammengezimmert, wie sie es sich erträumt<br />

hatte. Für die 23-Jährige war bereits in der 7. Klasse klar,<br />

dass sie Architektin werden wollte. Sie absolvierte zuerst eine<br />

Lehre als Zeichnerin, danach wechselte sie an die Fachhochschule<br />

in Chur und schloss vor einem knappen Jahr ihr Studium ab.<br />

Seither arbeitet sie als Architektin bei der Werkunion in Sarnen<br />

und ist von ihrem derzeitigen Job- und Wohn-Arrangement begeistert.<br />

«Ich möchte unbedingt in Innertkirchen wohnen, hier<br />

bin ich zuhause, hier fühle ich mich wohl», sagt Banholzer. Sie<br />

mochte die Zeit in Graubünden und sammelte viele Erfahrungen,<br />

aber ihr Herz schlägt für das Oberhasli mit seiner grossartigen<br />

Landschaft. «An den Wochenenden fahren<br />

Menschen von weit her, um sich bei<br />

uns zu erholen – ich bin schon da!» Die<br />

Baubranche liegt Jessica Banholzer im<br />

Blut: Ihr Vater führt in Innertkirchen eine<br />

Holzbauunternehmung, die zuvor in den<br />

Händen von Jessicas Grossvater und Urgrossvater<br />

lag. Der Bezug zur Praxis war<br />

der jungen Architektin immer wichtig,<br />

dennoch will sie sich für ihre Zukunft<br />

nicht festlegen. «Keine Ahnung, vielleicht<br />

ist eine Selbständigkeit mal ein Thema,<br />

vielleicht sogar in Verbindung mit Holzbau<br />

– aber dies zu sagen, ist noch viel zu<br />

früh.»<br />

«Es steckt viel von mir selbst in diesen Geschichten», sagt Barbara<br />

Luchs. Nicht nur die Bezüge zu ihrer eigenen Kindheit in<br />

Gadmen fliessen in die Erzählungen ein, überhaupt ist die Auseinandersetzung<br />

mit den Geschichten eine ganz persönliche. «Die<br />

Person schwingt mit», sagt sie. Und: «Du gibst immer alles von<br />

dir, wenn du dort vorne stehst und erzählst.»<br />

Rita und Roland Weber<br />

DIE «NEUEN» IN GUTTANNEN<br />

Ich bin Geschichtenerzählerin<br />

und mit<br />

grosser Freude teile<br />

ich mit meinem<br />

Publikum Geschichten<br />

aus aller Welt.<br />

So ist es nicht verwunderlich, dass Barbara Luchs ihr Publikum<br />

automatisch mitnimmt in die Welt, die sie am meisten geprägt hat:<br />

Gadmen und die Berge rundherum. Luchs ist in Gadmen aufgewachsen,<br />

zwischen «Zwergensteinen und Riesenbäumen», wie sie<br />

es beschreibt. In einigen Geschichten ist es nur ein Einstieg, der<br />

nach Gadmen führt, zum Beispiel ihre Erinnerung an den Schulweg<br />

im tiefen Schnee. Manchmal verpflanzt Luchs aber auch eine<br />

ganze Geschichte ins Bergtal. Ihre eigene Verbindung zu diesem<br />

Ort ist stark, auch wenn sie Gadmen bereits als junge Erwachsene<br />

verlassen hat und heute mit ihrer Familie in Oppligen wohnt.<br />

«Diese ursprüngliche Landschaft lebt in mir», sagt sie und lacht.<br />

Ihre Augen glänzen, wenn sie vom Trycheln in der Altjahrswoche<br />

erzählt oder von den ruhigen Wochenenden im Alphüttli unter<br />

den Wendenstöcken. Fast am meisten schätzt sie an dieser Umgebung,<br />

wie die Natur dem Menschen zeigt, dass er nicht so gross<br />

ist. «In Gadmen erlebt man die Naturgewalten sehr direkt. Dieses<br />

Raue empfinde ich als prägend», sagt sie.<br />

Selbst wenn Barbara Luchs vor einem Publikum in Berlin erzählt<br />

– wo sie derzeit eine Weiterbildung im künstlerischen Erzählen<br />

absolviert – spricht fast immer eine Person im Haslitaler-Dialekt.<br />

«Viele Menschen in Deutschland lieben das», weiss sie unterdessen,<br />

«auch wenn ich jeweils übersetzen muss.» Vor Schweizer<br />

Publikum erzählt Barbara Luchs meistens die ganze Geschichte<br />

im Hasli-Dialekt. Seit einigen Jahren ist sie nicht nur solo unterwegs,<br />

sondern auch mit dem Musiker Martin Kettler, beispielsweise<br />

mit ihrer aktuellen Tour «Vogelfrii». Dabei erzählt sie in<br />

Gärten oder Wohnzimmern, in Kapellen, auf der Heubühne oder<br />

im Schloss, egal wo. Das Einzige was für sie zählt: «Die Geschichten<br />

sind ein Glück! Wenn sie weitergehen an andere Menschen, ist<br />

dies das Schönste für mich.»<br />

www.barbaraluchs.com<br />

Für Guttannen ist die Familie Weber<br />

ein Glücksfall und für die Familie ist Guttannen<br />

ein Glücksfall – so sieht die Bilanz<br />

zumindest nach einem guten halben Jahr<br />

aus. So lange leben Rita und Roland Weber<br />

nämlich mit ihren fünf Kindern im Bergdorf.<br />

Sie sind von aussen zugezogen. «Wir<br />

suchten die Ruhe», sagt Rita Weber, «hier<br />

haben wir sie gefunden. Es stimmt für<br />

alle.» Weder sie noch ihr Mann Roland<br />

hatten vor dem Abenteuer eine Ahnung,<br />

wo genau Guttannen liegt. Sie interessierten<br />

sich für ein Haus, das ausgeschrieben<br />

war, und als Rita noch eine passende Stelle<br />

auf der Gemeindeverwaltung fand, nahm<br />

ihr Vorhaben Form an. «Bei meinem ersten Besuch war ich beeindruckt<br />

von der Gegend», schwärmt sie. Ihrem Mann und den Kindern<br />

ging es ähnlich. Alle gemeinsam wagten den Schritt und lebten<br />

sich bald schon gut ein. Das grösste Plus sehen Rita und<br />

Roland in der Nähe zur Natur. «Im Winter können die Kinder an<br />

einem Schultag in den Pausen Schlittschuh laufen, die Skis oder<br />

die Langlaufskis anschnallen – wo kann man das schon.» Die drei<br />

Primarschulkinder wurden in der Dorfschule herzlich willkommen<br />

geheissen, denn allzu oft waren die Schülerzahlen in Guttannen<br />

in den letzten Jahren eher tief. Die beiden älteren Kinder besuchen<br />

die Schule in Innertkirchen. Weder Rita noch Roland<br />

können sich unterdessen etwas Anderes vorstellen als Guttannen:<br />

«Früher haben wir uns gefreut, wenn wir einmal Schnee sahen.<br />

Jetzt finden wir es komisch, wenn es keinen hat. Wir mögen es, so<br />

mit der Natur zu leben.»


14 16 grimselwelt16<br />

· aussicht grimselweltgrimselwelt · impressionen 15<br />

Ein verregneter Ausflug in die Lauteraarhütte<br />

ermöglichte Fotograf Patrick Luchs<br />

diesen mystischen Ausblick auf den<br />

Grimselsee. «Ich halte immer Ausschau, was<br />

es so gibt», sagt der 34-Jährige aus Innertkirchen,<br />

der seit einiger Zeit als selbständiger Fotograf<br />

arbeitet. Seine Leidenschaft für das Fotografieren<br />

hat sich wie von selbst ergeben. Beim Skifahren<br />

mit seinen Kollegen habe er immer<br />

eine Kamera dabei gehabt zum Filmen. Bald<br />

entwickelte sich aus den ersten Ski-Videos<br />

eine Leidenschaft dafür, was sich mit dem Medium<br />

Video oder Fotografie erreichen lässt.<br />

Weil sich «Paedii» Luchs gerne in der Natur<br />

bewegt und den Outdoorsport wie auch das<br />

Reisen liebt, spiegeln seine Aufnahmen diese<br />

Faszination. «Die Bilder entstehen manchmal<br />

ganz von alleine, wie hier am Grimselsee», erzählt<br />

Luchs. «Wir sind am Vortag 4 Stunden<br />

durch den Regen gewandert, haben in der<br />

Lauteraarhütte übernachtet und trafen am<br />

nächsten Morgen auf diese besonders schöne<br />

Stimmung.»<br />

www.plpictures.com


16 grimselwelt16<br />

· im gespräch<br />

grimselweltgrimselwelt · im gespräch 17<br />

Interview: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />

Simonetta Sommaruga erklärt, wie sie die am<br />

Runden Tisch vereinbarten 15 Projekte in der<br />

Wasserkraft voranbringen will – darunter drei<br />

Vorhaben der KWO. Die Bundesrätin pocht auf<br />

Dialog, Umsicht und Transparenz.<br />

Annette Marti: Frau Bundesrätin, Sie haben am Runden Tisch<br />

eine Einigung erzielt über Wasserkraft-Projekte, die Sie fördern<br />

wollen. Wie geht es weiter, damit diese Projekte effektiv<br />

realisiert werden können?<br />

Simonetta Sommaruga: Diese Einigung ist ein Meilenstein.<br />

Die Wasserwirtschaft, Umweltorganisationen und die Kantone<br />

haben sich auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt und<br />

15 vielversprechende Projekte benannt, die sich umweltfreundlich<br />

realisieren lassen. Und sie haben<br />

vereinbart, bei jedem Projekt frühzeitig zusammenzukommen<br />

und nach Lösungen zu<br />

suchen. Das ist für die Umsetzung zentral.<br />

Nun liegt der Ball bei jenen, die bauen<br />

wollen und bei den Kantonen,<br />

welche die Projekte bewilligen.<br />

Die Zeit eilt, um das Szenario einer Strommangellage zu<br />

verhindern und die Umsetzung der Energiestrategie<br />

2050 nicht zu gefährden. Welche Möglichkeiten haben<br />

Sie, Einfluss zu nehmen, sollte es lokal doch zu Widerständen<br />

kommen?<br />

Bei den nächsten Schritten sind Umsicht und Transparenz<br />

gefragt: Es ist wichtig, die Bevölkerung frühzeitig<br />

einzubeziehen und sie offen zu informieren. Im<br />

Dialog können sinnvolle Lösungen entstehen, wenn<br />

zum Beispiel Eingriffe in die Natur mit Massnahmen<br />

zum Schutz der Natur ausgeglichen werden. Einsprachen<br />

bleiben auch in Zukunft möglich. Das gehört zur<br />

Schweiz. Gleichzeitig wollen wir die erneuerbaren einheimischen<br />

Energien rasch ausbauen. Deshalb will der Bundesrat<br />

die Verfahren straffen und beschleunigen. Dieser<br />

Vorschlag ist jetzt in der Vernehmlassung.<br />

Nach welchem Massstab sind bei den 15<br />

Projekten die Schutzkriterien festgelegt<br />

worden?<br />

Wenn wir in erneuerbare Energien investieren,<br />

tun wir auch etwas für den Klimaschutz.<br />

Schmelzende Gletscher, Bergstürze<br />

und Wetterextreme treffen gerade die<br />

Menschen in den Bergen hart. Wenn es immer<br />

wärmer wird, schwindet zudem die<br />

Artenvielfalt; Tiere verlieren ihre Nahrungsgrundlage<br />

und ihren Lebensraum.<br />

Darum müssen alle Akteure immer wieder<br />

den Blick auf das Ganze richten. Das ist<br />

am Runden Tisch gelungen: Wir haben neben<br />

den wirtschaftlichen Überlegungen<br />

auch dem Naturschutz Rechnung getragen<br />

und nur Projekte berücksichtigt, welche die<br />

Biodiversität und die Landschaft möglichst<br />

wenig beeinträchtigen.<br />

Keines der vorgeschlagenen Projekte ist so<br />

weit fortgeschritten in der Planung wie das<br />

Vorhaben der KWO in der Trift. Dort sind<br />

auch keine bestehenden Schutzperimeter<br />

betroffen. Und trotzdem gibt es erbitterten<br />

Widerstand. Welche Lösung sehen Sie?<br />

RUNDER TISCH WASSERKRAFT<br />

Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat im August 2020 den Runden Tisch<br />

Wasserkraft einberufen, um sich über die besonderen Herausforderungen<br />

auszutauschen und konkrete Massnahmen festzulegen. Im 13-köpfigen<br />

Gremium haben Vertreterinnen und Vertreter der Kantone, Akteure<br />

aus Umweltschutzorganisationen und aus dem Bereich Wasserkraft<br />

Einsitz genommen. Ziel der gemeinsamen Sitzungen war, Projekte zu<br />

identifizieren, die als besonders vielversprechend gelten. Dies in Hinsicht<br />

auf ihren energetischen Nutzen und die gleichzeitig einen möglichst<br />

guten Schutz von Biodiversität und Landschaft erlauben. Die<br />

Dringlichkeit dieses Anliegens ist im Kontext der Energiestrategie 2050<br />

zu verstehen, die einen deutlichen Ausbau der erneuerbaren Energien<br />

beinhaltet, darunter auch der Produktion von Strom aus Wasserkraft.<br />

Das Trift-Projekt ist sinnvoll für die Stromproduktion<br />

und es erfüllt die Ansprüche<br />

an den Landschafts- und Umweltschutz.<br />

Es ist an der Kraftwerke Oberhasli AG und<br />

dem Kanton, dies noch besser aufzuzeigen.<br />

Daneben braucht es auch in der Bevölkerung<br />

das Verständnis, dass wir die Versorgungssicherheit<br />

nur dann stärken, wenn<br />

wir aufeinander zugehen. Dass wirtschaftliche<br />

Interessen und der Klima- und Umweltschutz<br />

vereinbar sind, zeigt der Ausbau<br />

des Wasserkraftwerks Nant de Drance.<br />

Dort wurde der Eingriff in die Natur mit<br />

Massnahmen zugunsten der Umwelt ausgeglichen,<br />

etwa mit einem breiteren Flussbett<br />

und neuen Waldflächen. Auch die<br />

KWO hat Ausgleichsmassnahmen für die<br />

Natur umgesetzt.<br />

15 AUSGEWÄHLTE PROJEKTE<br />

Mitte Dezember 2021 präsentierte Bundesrätin Simonetta Sommaruga<br />

eine gemeinsame Erklärung der Vertreterinnen und Vertreter des Runden<br />

Tischs Wasserkraft. Darin schlägt das Gremium 15 Wasserkraft-Ausbauprojekte<br />

vor, die als besonders vielversprechend gelten. Gleichzeitig, so<br />

ist sich eine grosse Mehrheit der Akteure einig, wären die Auswirkungen<br />

auf Biodiversität und Landschaft zu verkraften, beziehungsweise müssten<br />

diese Einflüsse mit entsprechenden Ausgleichsmassnahmen kompensiert<br />

werden. Untersucht wurden insgesamt 33 Vorhaben. Würden<br />

die 15 identifizierten und vorgeschlagenen Projekte umgesetzt, so hält<br />

der Runde Tisch fest, wäre es möglich, bis ins Jahr 2040 eine zusätzliche<br />

saisonale Speicherproduktion im Umfang von zwei Terawattstunden zu<br />

erreichen. Nun sollen für die ausgewählten Projekte vertiefte energiewirtschaftliche<br />

und ökologische Abklärungen vorgenommen werden.<br />

Die identifizierten Projekte<br />

Chummensee VS, 165 GWh; Curnera-Nalps GR, 99 GWh; Gorner VS,<br />

650 GWh; Gougra VS, 120 GWh; Griessee VS, 46 GWh; Grimselsee BE,<br />

240 GWh; Lac d’Emosson VS, 58 GWh; Lac de Toules VS, 53 GWh; Lago<br />

del Sambuco TI, 46 GWh; Lai da Marmorera GR, 55 GWh; Mattmarksee<br />

VS, 65 GWh; Oberaarsee BE, 65 GWh; Oberaletsch klein VS, 50 GWh;<br />

Reusskaskade UR 96 GWh; Trift BE, 215 GWh.<br />

weiter auf der nächsten Seite...<br />

ZUR PERSON<br />

Simonetta Sommaruga ist die<br />

Vorsteherin des Eidgenössischen<br />

Departementes für Umwelt, Verkehr,<br />

Energie und Kommunikation<br />

(UVEK). Die 62-jährige gebürtige<br />

Aargauerin ist seit dem Jahr<br />

2010 Mitglied des Bundesrats. Die ausgebildete<br />

Pianistin verfolgte zunächst ihre Konzerttätigkeit<br />

und pädagogische Arbeit am Konservatorium<br />

Fribourg, danach arbeitete sie als Geschäftsführerin<br />

der Stiftung Konsumentenschutz. Ihre<br />

politische Karriere begann als Gemeinderätin<br />

von Köniz. Von 1999 bis 2003 war sie Nationalrätin,<br />

von 2003 bis 2010 vertrat sie den Kanton<br />

Bern im Ständerat. Acht Jahre stand die Bundesrätin<br />

dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement<br />

(EJPD) vor. Das Interview mit der<br />

Bundesrätin wurde schriftlich geführt.


18 grimselwelt18<br />

· im gespräch<br />

grimselweltgrimselwelt · im gespräch 19<br />

ENERGIESTRATEGIE 2050<br />

Die Energiestrategie 2050 legt dar, wie der Ausstieg aus der Atomenergie<br />

gelingen kann. Die Strategie zielt darauf ab, den Gesamtenergieverbrauch<br />

zu senken und die erneuerbaren Energien deutlich auszubauen.<br />

Konkret ist der Bundesrat daran, verbindliche Zielwerte im Ausbau der<br />

Wasserkraft und anderer erneuerbaren Energien festzulegen. Bis ins Jahr<br />

2040 sollen zudem 2 Terawattstunden klimaneutrale Stromproduktion<br />

zugebaut werden, die im Winter sicher abrufbar sind. Dies betrifft in<br />

erster Linie grosse Speicherkraftwerke. Die Knappheit im Winter, die<br />

bisher stets mit Importen überbrückt werden konnte, verschärft sich insofern,<br />

als auch andere europäische Länder den Ausstieg aus Atomenergie<br />

und Kohlekraft versuchen. Im Juni 2017 hat das Schweizer Stimmvolk<br />

in einer Abstimmung «Ja» gesagt zur Energiestrategie 2050.<br />

Es gibt unternehmerische Risiken, derzeit<br />

in die Wasserkraft zu investieren, weil es<br />

langfristige Investitionen sind, aus denen<br />

nicht heute und morgen Profit zu schlagen<br />

ist. Sie haben die Idee eines Pflichtlagers<br />

für Winterstrom aufgebracht. Wie würde<br />

dies konkret funktionieren?<br />

BESCHLEUNIGTE VERFAHREN<br />

Der Bundesrat will Verfahren beschleunigen, die für den Bau von<br />

grossen Wasserkraft- und Windanlagen erforderlich sind. Dies hat<br />

Bundesrätin Simonetta Sommaruga Anfang Februar <strong>2022</strong> bekannt gegeben.<br />

Für grosse Projekte verstreichen zwischen Projektierungsbeginn<br />

und Realisierung manchmal über zwanzig Jahre. Dies sei zu lang.<br />

Es soll künftig auf Kantonsebene nur noch ein Plangenehmigungsverfahren<br />

für die Bau-, Rodungs- und Gewässerschutzbewilligung geben.<br />

Bisher lief dies in unterschiedlichen Etappen und jede einzelne konnte<br />

bis vor Bundesgericht angefochten werden. Der Bundesrat will die<br />

Verfahren so beschleunigen, ohne dass deshalb Abstriche bei Natur-,<br />

Umwelt- oder Denkmalschutz erfolgen.<br />

Diese Idee einer Wasserkraftreserve ist im<br />

Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung<br />

mit erneuerbaren Energien enthalten,<br />

das derzeit im Parlament beraten<br />

wird. Die Behandlung dauert aber. Damit<br />

keine Zeit verloren geht, habe ich dem<br />

Bundesrat vorgeschlagen, die Wasserkraftreserve<br />

per Verordnung vorzuziehen, und<br />

so hätten wir bereits nächsten Winter eine<br />

Versicherung für den Notfall – eine Reserve,<br />

auf die wir schnell zurückgreifen können.<br />

Die Versorger müssen eine bestimmte<br />

Menge Wasser in den Speicherseen zurückhalten<br />

und werden dafür entschädigt. So<br />

haben wir den Strom auf sicher, falls wir<br />

ihn brauchen.<br />

Die Versorgungssicherheit hängt zu einem<br />

Teil davon ab, in welchem Umfang die<br />

Schweiz in den nächsten Jahren in der Lage<br />

ist, eigenen Strom zu produzieren. Wenn<br />

es nicht gelingt, schnellere Verfahren in den<br />

einzelnen Kantonen anzustossen, kann es<br />

dann ein nationales Interesse geben, das<br />

über den spezifischen Interessen steht?<br />

Es wäre falsch, den Schutz der Natur gegen<br />

wirtschaftliche Interessen auszuspielen.<br />

Damit es nicht soweit kommt, setze ich auf<br />

folgende Strategie: Erstens wollen wir die<br />

einheimischen erneuerbaren Energien –<br />

also Wasserkraft, Solarenergie, Biomasse,<br />

Wind und Geothermie – rasch und konsequent<br />

ausbauen. Damit stärken wir unsere<br />

Unabhängigkeit. Zweitens gilt es die Verfahren<br />

zu beschleunigen, damit grosse<br />

Wind- und Wasserkraftanlagen schneller<br />

gebaut werden können. Drittens wollen<br />

wir die Versorgungssicherheit im Winter<br />

mit zusätzlichen Stauseen gewährleisten.<br />

Viertens mit der Wasserkraftreserve rasch<br />

eine Versicherung für Notfälle schaffen<br />

und fünftens Gaskraftwerke als Rückversicherung<br />

für ausserordentliche Engpässe<br />

vorsehen. Was es nun braucht, ist das Bekenntnis<br />

und das Engagement der Bevölkerung,<br />

der Politik und der Wirtschaft,<br />

diese Strategie für eine sichere, klima- und<br />

landschaftsschonende Energieversorgung<br />

umzusetzen. Gute Lösungen sind möglich,<br />

wenn man aufeinander zugeht. Das hat der<br />

Runde Tisch Wasserkraft gezeigt.<br />

PFLICHTLAGER WASSERKRAFT<br />

Im Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung<br />

mit erneuerbaren Energien, das der<br />

Bundesart im Juni 2021 verabschiedet hat, ist<br />

eine strategische Energiereserve enthalten.<br />

Dabei geht es um ein Pflichtlager für Strom<br />

im Winter. Vorgesehen ist, dass die Speicherkraftwerke<br />

Wasser für die Stromproduktion<br />

im Winter zurückbehalten und dafür eine Entschädigung<br />

erhalten. Vor Winterbeginn wird<br />

diese Reserve vom Markt genommen und<br />

darf nur bei Versagen der Marktmechanismen<br />

eingesetzt werden.<br />

DIE DEBATTE NIMMT FAHRT AUF<br />

SOMMER 2020<br />

JUNI 2020 MAI 2021 JUNI 2021 JUNI 2021 OKTOBER 2021 OKTOBER 2021 DEZEMBER 2021 FEBRUAR <strong>2022</strong> FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

START<br />

Runder Tisch<br />

WASSERKRAFT<br />

Einberufen von<br />

Energieministerin<br />

Simonetta<br />

Sommaruga<br />

ENDE<br />

MAI<br />

MITTE JUNI<br />

A N F A N G<br />

OKTOBER 21<br />

FEBRUAR 22<br />

Netzbetreiberin<br />

GESETZ<br />

2021<br />

BUNDESRAT<br />

bricht die Verhandlungen<br />

zu den bilateralen<br />

Verträgen mit der EU ab.<br />

Damit wird auch das<br />

Stromabkommen auf<br />

EIS gelegt.<br />

ANFANG JUNI 2021<br />

Elektrizitätskommission<br />

ELCOM<br />

warnt zum wiederholten<br />

Male vor Versorgungsengpässen<br />

im<br />

WINTER<br />

ERNEUERBARE<br />

ENERGIEN<br />

wird vom Parlament<br />

genehmigt und im<br />

Bundesrat verabschiedet<br />

STUDIE<br />

Departement<br />

OKTOBER 21<br />

Umwelt, Verkehr,<br />

Energie und Kommunikation<br />

UVEK<br />

Das Resultat ernsthafte<br />

Knappheit ab 2025<br />

SWISSGRID<br />

warnt zum wiederholten<br />

Male vor<br />

Versorgungsengpässen<br />

im Winter.<br />

DEZEMBER 2021<br />

RESULTATE<br />

Runder Tisch<br />

WASSERKRAFT<br />

Einigung auf<br />

15 PROJEKTE,<br />

um das festgelegte<br />

Ziel in der Energiestrategie<br />

zu erreichen.<br />

Medienkonferenz<br />

Energieministerin<br />

SOMMARUGA<br />

Verfahren sollen<br />

beschleunigt werden,<br />

um den Ausbau der<br />

erneuerbaren<br />

Energien schneller<br />

vorwärts zu treiben.<br />

24. FEBRUAR <strong>2022</strong><br />

AUSBRUCH<br />

Ukraine-Krieg<br />

Gas und Rohöl<br />

aus Russland?<br />

VERSORGUNGSSICHERHEIT<br />

WAS BISHER GESCHAH<br />

Die Diskussion um die Versorgungssicherheit in der Schweiz hat<br />

sich seit dem Sommer 2021 grundlegend verändert. Zwar gilt eine<br />

anhaltende Strommangellage schon länger als eine der grössten<br />

Bedrohungen für die Schweiz. Die Stromnetzbetreiberin Swissgrid<br />

wie auch die Eidgenössische Elektrizitätskommission Elcom<br />

warnten wiederholt vor Versorgungsengpässen. Dennoch schien<br />

die Frage nach einer sicheren Stromversorgung weder die breite<br />

Öffentlichkeit noch die Politik stark zu beschäftigen. Seit einigen<br />

Monaten wird intensiv über das Thema debattiert.<br />

Die Stauseen in den Alpen sind ein sehr<br />

taugliches Mittel, um Schwankungen in<br />

der Stromversorgung auszugleichen. Sie<br />

dienen als Speicher, die besonders dann<br />

unersetzlich sind, wenn Energie aus anderen<br />

erneuerbaren Quellen stocken: Bei längeren<br />

Wind-Flauten oder in düsteren Perioden<br />

ohne viel Sonnenlicht. Diese wichtige<br />

Funktion der Wasserkraft gerade in den<br />

Wintermonaten ist mit der aktuellen Debatte<br />

in den Fokus geraten (siehe Grafik).<br />

Als Systemdienstleisterin steht die KWO<br />

mittendrin, wenn das Stromnetz in der<br />

Schweiz ausser Takt zu geraten droht. Sie muss dann entweder ihre<br />

Maschinen anwerfen, um sofort Strom zu produzieren oder überschüssigen<br />

Strom vernichten, indem die Pumpspeicherung hinaufgefahren<br />

wird. Beides kann das Netz lahmlegen: Zu wenig Strom<br />

oder zu viel Strom. Die KWO weiss, wie sehr sich die kritischen<br />

Situationen häufen. Sie weist deshalb seit Jahren auf die Limiten<br />

des Systems hin. Ohne zusätzliches Speichervolumen in den Seen<br />

sind die Kapazitäten der KWO als «Troubleshooterin» limitiert.<br />

Nach dem Nothalt in Sachen bilateraler Beziehungen im Sommer<br />

2021 ist ein Stromabkommen mit der EU in weite Ferne gerückt.<br />

Ohne dies kann die Schweiz weder bei den Marktregeln mitreden,<br />

noch in den wichtigen Gremien Einsitz nehmen. Des Weiteren<br />

dürften je länger je mehr Importbeschränkungen auftreten, so<br />

verlangt die EU zum Beispiel, dass 70 Prozent der grenzüberschreitenden<br />

Stromkapazitäten für den Handel zwischen EU-Mitgliedstaaten<br />

frei bleiben. So wird die Schweiz nicht nur Probleme haben,<br />

in knappen Zeiten Strom zu importieren, sie muss ebenso mit ungeplanten<br />

Stromflüssen durch die Schweiz klarkommen, was zusätzlichen<br />

Stress für das Stromsystem bedeutet.<br />

Unterdessen sind nicht nur zahlreiche Medien, sondern auch Politikerinnen<br />

und Politiker hellhörig geworden. Die Einigung am<br />

Runden Tisch Wasserkraft im Dezember 2021 war bis dahin in<br />

ihrer Art undenkbar. Russlands Invasion in der Ukraine verleiht<br />

dem Thema Energieversorgung im März <strong>2022</strong> eine weitere Dimension:<br />

Wollen die westeuropäischen<br />

Länder tatsächlich von Erdöl- und Gasimporten<br />

aus einem Land wie Russland abhängig<br />

sein? Diese Frage dürfte auch die<br />

Diskussion um mögliche Gaskraftwerke<br />

als Notnagel in der Stromversorgung wesentlich<br />

beeinflussen. Die Wasserkraft ist<br />

ein wichtiges Puzzle-Stück in der Umsetzung<br />

der Energiestrategie 2050. Die KWO<br />

mit ihren acht Speicherseen und den 13<br />

Kraftwerken ist eines der grössten Wasserkraftwerke<br />

der Schweiz. Das Einzugsgebiet<br />

liegt im Herzen der Schweiz und<br />

drängt der Unternehmung ihre Rolle als<br />

Systemdienstleisterin auch deswegen auf.<br />

Was die Produktion von Winterstrom angeht,<br />

sind die Kapazitäten derzeit aber beschränkt.<br />

Nur gerade 25 Prozent der anfallenden<br />

Wassermenge können zwischengespeichert<br />

werden. Ein Teil der Lösung<br />

liegt im Ausbau der Speicherkapazitäten.<br />

Die drei vom Runden Tisch hervorgehobenen<br />

Ausbauvorhaben Trift, Grimselsee<br />

und Oberaarsee liessen sich ideal ins bereits<br />

bestehende System der KWO einbinden.


20 grimselwelt · ecocapsule<br />

grimselweltgrimselwelt · ecocapsule 21<br />

Für die meisten Gäste sei dies kein Problem. Auch mit dem im<br />

Tank gesammelten und aufbereiteten Regenwasser kommen die<br />

Gäste klar. In regenarmen Zeiten wird es mit Wasser aus dem nahen<br />

Brunnen ergänzt. «Viele Gäste sagen mir, es sei interessant,<br />

die Zusammenhänge zu sehen», so Zuberbühler. Zum Glück ist<br />

der Föhn ein häufiger Begleiter in Guttannen und bringt mit seiner<br />

Energie das Windrad auf Touren, auch wenn die Sonne mal<br />

nicht scheint.<br />

Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />

Wie ein freundliches Alien steht die Ecocapsule mitten<br />

in Guttannen – das futuristische Mini-Häuschen ist ein<br />

ganz besonderer Übernachtungsort. Die Ecocapsule<br />

versorgt sich selber mit Energie und verbraucht nur ein<br />

Minimum an Platz.<br />

Die Besucherinnen und Besucher sind rundum begeistert vom<br />

Leben im Mini-Häuschen, das unterdessen in vielen Social-Media-Beiträgen<br />

sowie anderen Medienberichten erschienen ist. Urs<br />

Zuberbühler, Lehrer an der Dorfschule und Initiant der Ecocapsule,<br />

erhoffte sich genau dies. Er hatte die kleine Wohnkapsel mit<br />

ihrem Hightech-Innenleben auf einer Webseite entdeckt und steht<br />

mit den Entwicklern aus der Slowakei schon länger in Kontakt.<br />

Weltweit gibt es etwa 50 der Design-Wohn-Eier, dasjenige in Guttannen<br />

ist eines der einzigen, das der Öffentlichkeit zugänglich ist.<br />

«Ich war von Anfang an begeistert und bin überzeugt, Guttannen<br />

hat nun ein aussergewöhnliches Angebot», so Zuberbühler. Er hat<br />

die Kapsel erworben und stellt sie als Darlehen dem Verein «Guttannen<br />

bewegt» zur Verfügung. Den Sommer über amtet er als<br />

eine Art Hüttenwart und kann von den Gästen bei Problemen<br />

herbeigerufen werden. In den Wintermonaten sorgt er dafür, dass<br />

die Ecocapsule einen anderen Standort findet – im Winter 2021/22<br />

Das Häuschen erinnert ein bisschen an eine Figur aus einem<br />

animierten Kinderfilm. Es hat ein ovales Gesicht mit grossen,<br />

dunklen Augen, die freundlich in die Welt hinausblicken,<br />

eine etwas grosse Nase und kurze Beinchen, die den Rest<br />

des Körpers ersetzen. Vielleicht ist es ein Wesen von einem anderen<br />

Stern, das zufällig mitten in Guttannen abgestellt worden ist,<br />

oder sonst ein Tierchen, das sich hierhin verirrt hat. Was immer<br />

es ist – es fühlt sich im Bergdorf wohl. Es macht neugierig und<br />

das ist genau das, was die Guttanner wollten. «Die Ecocapsule, unser<br />

Wohn-Ei, soll die Gäste einladen, innezuhalten und einzukehren.<br />

Wir möchten Aufmerksamkeit für unser Dorf erzielen», erklärt<br />

Gemeindepräsident Werner Schläppi. Er sehe die Ecocapsule<br />

auch als Symbol für Themen wie Klima, Energie und Wasser. Diese<br />

Themen seien für das Dorf Guttannen von zentraler Bedeutung.<br />

Die Kapsel, oder das «Wohn-Ei», wie es auch liebevoll genannt<br />

wird, steht auf einer idyllischen Parzelle mitten im Dorf und kann<br />

für Übernachtungen gebucht werden. Es ist ein energieautarkes<br />

Mini-Haus, das zwei Personen Platz bietet und sowohl ein kleines<br />

Badezimmer wie eine Kochnische enthält. Mithilfe eines Solarpanels<br />

und eines kleinen Windgenerators auf dem Dach erzeugt die<br />

Ecocapsule so viel Energie, wie für den Verbrauch nötig ist. Daraus<br />

werden Heizung, Lüftung, Wasseraufbereitung, Dusche,<br />

Kochherd und Beleuchtung betrieben. Unbeschränkte Energie<br />

steht nicht zur Verfügung, obschon im Notfall ein Kabel an die<br />

externe Stromversorgung angeschlossen werden kann. «Das ist<br />

nicht der Sinn, aber manchmal geht es nicht anders», erklärt Urs<br />

Zuberbühler, der so etwas wie der Vater der Ecocapsule ist. «Es<br />

ist interessant zu sehen, wie sich unsere Gäste verhalten. Auf dem<br />

Display im Haus sieht man zu jeder Zeit, was wieviel Strom verbraucht<br />

und wieviel überhaupt zur Verfügung steht», führt er aus.<br />

Urs Zuberbühler (links), Erika und Werner Schläppi sehen das<br />

Wohn-Ei als eines von verschiedenen Projekten, um Aufmerksamkeit<br />

für Guttannen zu erzielen.<br />

stand sie am Hafen von Genf. Für den Verein ist das Häuschen<br />

ein Glücksfall. «Guttannen bewegt» engagiert sich mit verschiedenen<br />

Projekten für die Dorfentwicklung, mit Veranstaltungen<br />

oder Projekten wie einem Themenweg und einer Eis-Stupa im<br />

Winter. «Wir wollen das Dorf lebendig halten und den Dialog mit<br />

den Gästen pflegen», sagt Vorstandsmitglied Erika Schläppi.<br />

«Auch wenn Klimawandel oder Naturereignisse schwierige Themen<br />

sind, wir wollen zeigen, dass man sich anpassen kann.»<br />

Unterdessen hat die Dämmerung eingesetzt und eine riesige<br />

Blumenkohl-Wolke türmt sich im goldenen Abendlicht über den<br />

Bergen auf. Aus dem Wohn-Ei strömt warmes Licht. Gemütlich<br />

und zufrieden wirkt dieses futuristische Ding. Hat es etwas gesagt?<br />

Das Häuschen? Hat es sich bewegt? Man könnte sich gut<br />

vorstellen, dass es unter Umständen sprechen kann oder auch ein<br />

paar Schritte hinter dem Strauch hervor machen kann, um besser<br />

zu sehen, was abgeht. Sein Interesse am Lauf der Welt in Guttannen<br />

ist offensichtlich.<br />

www.ig-ecocapsule.ch


22 grimselwelt22<br />

· langlaufen in gadmen<br />

grimselweltgrimselwelt · trift-projekt 23<br />

Für eine Loipe braucht es mehr als Schnee, ein Pistenfahrzeug<br />

und den dazugehörigen Fahrer. Im November hat der Nordische<br />

Skiclub Oberhasli NSCO in Gadmen seine Heinzelmännchen<br />

entsandt, um Vorbereitungen zu treffen.<br />

Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />

In manchen Situationen im Leben würde<br />

man sich so eine Handvoll Heinzelmännchen<br />

wünschen, die – schwupps –<br />

auf der Matte stehen, alles erledigen und<br />

– schwupps – wieder weg sind. Genau so<br />

funktioniert der Bautrupp des Nordischen<br />

Skiclubs Oberhasli NSCO. Der Club der<br />

Langläuferinnen und Langläufer im Haslital<br />

ist für den Betrieb der Loipe in Gadmen<br />

zuständig und damit auch für bestimmte<br />

Unterhaltsarbeiten. Bevor die<br />

Saison losgeht, versammeln sich einige<br />

Freiwillige für einen Arbeitseinsatz, den<br />

sogenannten Loipentag. Es ist ein klirrend<br />

Die Kurssetzer: Sven Reber, Marc Wyss, Karl Kühner und<br />

Didi Scheib (vlnr).


24 grimselwelt · langlaufen in gadmen<br />

grimselwelt · langlaufen in gadmen 25<br />

Langlaufen in Gadmen<br />

Die Hausloipe des NSCO in Gadmen ist seit Jahren ein Geheimtipp. Die<br />

abwechslungsreiche Strecke verläuft in verschiedenen Schlaufen, insgesamt<br />

sind normalerweise 15 Kilometer Skating und Klassisch gespurt.<br />

Die Loipe weist einfachere und anstrengendere Abschnitte auf, sodass<br />

Neulinge wie Profis und alle dazwischen auf ihre Rechnung kommen.<br />

Der grosse Trumpf der Gadmer Loipe ist die hochalpine Szenerie – die<br />

Strecke führt mitten durch die wilde Natur des Gadmentals. Während<br />

im Sommer im Tal viel Betrieb herrscht, sind die Wintertage von grosser<br />

Ruhe geprägt und bieten ein fantastisches Ambiente für Outdoorsport.<br />

Abends steht eine 7 Kilometer lange, beleuchtete Nachtloipe zur Verfügung.<br />

Loipenbericht: www.loipe-gadmen.ch / 033 975 14 26<br />

nicht nur den Streckenverlauf, sondern erinnern die Pistenbully-<br />

Fahrer an bestimmte Hindernisse wie grosse Steine, die nahe an<br />

der Loipe liegen. Deshalb sind in dieser Gruppe die beiden Pistenfahrzeugfahrer<br />

Didi Scheib und Kari Kühner mit dabei, die im<br />

Winter die Loipe präparieren. Sie kennen das Terrain wie ihre Hosentasche.<br />

«Gute Vorbereitung ist alles», sagt Alex Heimann, der die Arbeiten<br />

koordiniert und das Material bereitstellt. Besonders wichtig<br />

war dies für das Grossprojekt des Tages: Den Neubau einer<br />

Brücke, die in ihrer früheren Form einen Flaschenhals der Loipe<br />

darstellte. Der Bautrupp kommt zügig voran. Mit Hilfe des Gadmer<br />

Bauern Andi Luchs und seinem Bagger sind die Stahlträger<br />

bald einmal über dem Bachlauf platziert. Holzbretter werden herbeigetragen,<br />

zugesägt und verankert, Nahtstellen verschweisst.<br />

Die meisten Clubmitglieder, die hier zupacken, sind versierte<br />

Handwerker. So sitzen denn auch die Handgriffe und es geht ruckzuck<br />

vorwärts. Schon bald ist die neue Brücke im Rohbau erstellt.<br />

nahmen aus dem Verkauf von Loipenpässen.<br />

Ein grosses Thema ist stets, wie der<br />

Vorstand Projekte für die Zukunft realisieren<br />

kann. Die Vorstandsmitglieder haben<br />

sich auch schon mit einer möglichen künstlichen<br />

Beschneiung befasst und klären derzeit<br />

die Finanzierung für den Ersatz des<br />

heutigen Pistenfahrzeugs. Um dieses grosse<br />

Projekt zu stemmen, braucht es wohl neben<br />

den eigenen Mitteln des Clubs finanzielle<br />

Unterstützung in Form von Spenden oder<br />

Beiträgen der öffentlichen Hand. Auch ein<br />

Crowdfunding für Privatpersonen ist angedacht.<br />

«Irgendeine Lösung werden wir<br />

finden», sagt der Präsident und blickt zur<br />

neuen Brücke. Die frisch eingebauten<br />

Holzbretter leuchten fast heller als der<br />

Schnee. In Freiwilligenarbeit wird sich ein<br />

Die Holzer- und Rasenmäher-Truppe: Lars Marti, Kilian Marty,<br />

Daniel Kienholz, Hanspeter Bodmer und Fabian Mentzner (vlnr).<br />

Die Brückenbauer: Alex Heimann, Markus Fuchs, Reto Wyss, Kaspar Kunz,<br />

Werner Schläppi Engel, Christian Locher und Andi Luchs (vlnr).<br />

kalter Novembertag, bereits ist in Gadmen<br />

Schnee gefallen – wenn das kein gutes<br />

Omen ist für die Langlaufsaison! Die Sonne<br />

lässt die Felswände hoch über dem Tal<br />

aufleuchten, das Tal liegt vorerst noch im<br />

Schatten. Die Helfer sind in drei Gruppen<br />

aufgeteilt worden. Die «Rasenmäher»<br />

marschieren die Loipe ab mit Motorsäge<br />

und Handmäher ausgerüstet. Sie entfernen<br />

Unterholz, säubern und mähen die Strecke.<br />

Die «Kurssetzer» haben sich einen fahrbaren<br />

Untersatz zu Hilfe genommen. Zuerst<br />

sind sie mit einem alten Brügiwagen unterwegs,<br />

der irgendwann streikt, danach mit<br />

einem geländegängigen Aebi samt Anhänger.<br />

Es gilt, auf dem gesamten Loipennetz<br />

an den richtigen Stellen die Markierungspfosten<br />

einzuschlagen und die Wegweiser<br />

anzubringen. Die hellblauen Pfosten zeigen<br />

Sie ist viel breiter als ihre Vorgängerin und fügt sich gut ins Gelände<br />

ein. Nur die Übergänge müssen noch verfeinert werden, sodass<br />

sich auch hier mit dem Pistenfahrzeug ein perfekter Loipenteppich<br />

präparieren lässt.<br />

NSCO-Präsident Markus Fuchs freut sich: «Ich bin selbst<br />

nicht vom Bau, aber mit diesen Leuten hier habe ich lauter Profis<br />

rund um mich. So geht es einfach!» Fuchs ist überhaupt glücklich,<br />

dass sich begeisterte Sportlerinnen und Sportler in «seinem» Club<br />

engagieren. Wie in vielen Vereinen gab es in der 50-jährigen Geschichte<br />

des NSCO auch einige Auf und Abs. Derzeit befindet sich<br />

der Club im Aufwind. Langlauf erfreut sich zunehmender Beliebtheit<br />

und im Vorstand zetteln initiative junge Leute Projekte an.<br />

Das Herzstück des Vereins, so sagt Fuchs mit einigem Stolz, ist<br />

der Nachwuchs. Die JO verzeichnete in den letzten Jahren ein<br />

starkes Wachstum. JO-Chef Reto Wyss, der ebenfalls tatkräftig<br />

im Bautrupp mitwirkt, und sein Leiterteam geben dabei die eigene<br />

Begeisterung für den Sport an die nächste Generation weiter.<br />

Die Kosten für den Loipenunterhalt berappt der Club mit den Ein-<br />

Pistenfahrzeug auf alle Fälle nicht zusammenbauen<br />

lassen – Zuversicht vermitteln<br />

die Taten der fleissigen Loipen-Heinzelmännchen<br />

trotzdem.<br />

50 Jahre NSCO Oberhasli<br />

Im Jahr 2021 hat der Nordische Skiclub Oberhasli NSCO seinen 50. Geburtstag<br />

gefeiert. Leider konnten viele Ideen für die Jubiläumsaktivitäten<br />

aufgrund der Pandemie nicht umgesetzt werden. Wer sich für die Anfänge<br />

des Langlaufsports im Oberhasli interessiert, kann auf der Webseite<br />

des Clubs die Jubiläumsschrift einsehen (www.loipe-gadmen.ch). Darin<br />

ist etwa zu lesen, wie die «manuelle» Loipenpräparation vor 50 Jahren<br />

funktionierte, was die Motivation der Gründer Peter Eggler, Werner Krump<br />

und Hans Streich war oder welche Rolle die Langlauf-Familie Mühlematter<br />

in der Vereinsgeschichte spielte. Schon früh organisierte der Club zudem<br />

verschiedene Rennen, wobei sich die Organisatoren stets kreativ<br />

zeigten: Einmal, bei zu wenig Schnee, wurde ein BOSV-Rennen auf die<br />

Engstlenalp verlegt (1988), ein anderes Mal, im gegenteiligen Fall, bei<br />

zu grosser Lawinengefahr, mitten auf die Hauptstrasse in Meiringen<br />

(Nachtsprint Interbancario, 2005). Ein ebenfalls seit Jahren beliebter<br />

Anlass des NSCO ist der Langlauf Schnuppertag vom 2. Januar.


26 grimselwelt26<br />

· spitallamm baustelle<br />

grimselweltgrimselwelt · erlebnis natur 27<br />

Seit Juni 2021 prägen zwei riesige rote<br />

Kräne die Baustelle an der Staumauer Spitallamm.<br />

Ohne die beiden Giganten wäre Funkstille<br />

am Fusse der neuen Staumauer. Im Sommer geben<br />

die Kräne einen hohen Takt an beim Betonieren, im<br />

Winter vollführen die zwei Giganten täglich eine Kür,<br />

um im Winterschlaf nicht steif zu werden.<br />

Text: Annette Marti, Fotos: David Birri<br />

Während an der Olympiade in Peking die Eiskunstläuferinnen ihre<br />

Kür zeigen, vollführen zwei rote Riesen andernorts still und unbeachtet<br />

ein Synchron-Ballett der besonderen Art: Immer morgens um 4 Uhr und<br />

mittags ungefähr um 13 Uhr drehen sich die roten Wolff-Kräne auf der<br />

Baustelle an der Staumauer Spitallamm am Grimselpass um ihre eigene<br />

Achse. Nicht nur im Olympiade-Februar, sondern den ganzen Winter<br />

über vollführen die Kräne ihre Nummer. Es dreht jeweils der oberste Teil<br />

mit Kabine und Ausleger. Der Grund für diese stumme Kran-Kür, die<br />

höchstens vom Pfeifen des Winds begleitet wird, ist natürlich nicht ein<br />

Wettkampf, sondern die regelmässige Bewegung gewährleistet, dass die<br />

Kräne nicht vereisen und somit unbeschadet über den Winter kommen.<br />

Die Konstruktion der zwei 90 Meter hohen, freistehenden Kräne hat den<br />

Planungsingenieuren von Wolffkran alles abverlangt. Vieles musste von<br />

Grund auf neu berechnet und geprüft werden. Windgeschwindigkeiten<br />

von bis zu 200 Kilometern pro Stunde oder der Druck von Schnee und<br />

Eis machten es unmöglich, auf die üblichen Komponenten zurückzugreifen.<br />

So entwickelte die Firma neue, speziell robuste und grosse Turmstücke<br />

für die Basis der beiden Kräne. Auch die Kranfundamente<br />

waren aussergewöhnlich stark betoniert und verankert<br />

worden. «Wir bewegen uns am Grimselpass<br />

in ganz anderen<br />

Dimensionen als bei einer Standardbaustelle», fasst es Rolf<br />

Mathys, Managing Director Wolffkran Schweiz, zusammen.<br />

Gearbeitet wird auf der Baustelle den Winter über nicht. Dennoch<br />

sah man davon ab, wie bei anderen Baustellen üblich, die Kräne zu demontieren<br />

und im Frühjahr wieder neu aufzubauen. Das Auseinandernehmen<br />

der Teile, der Abtransport und die Lagerung wären zu aufwendig<br />

und nicht wirtschaftlich gewesen, erklärt Mathys. Immerhin werden die<br />

beiden 90 Meter hohen Wippkräne vom Typ 1250 B bis zur Fertigstellung<br />

der Mauer im Jahr 2024 im Einsatz bleiben. Man hätte sie also<br />

mehrmals auseinandernehmen und wieder aufbauen müssen. Anlieferung<br />

und Aufbau der Kräne im Juni 2021 war ein logistisches Meisterwerk.<br />

Allein für den Transport standen insgesamt 70 Lastwagen im Einsatz.<br />

Mithilfe eines gigantisch grossen 500-Tonnen-Mobilkrans der Emil<br />

Egger AG und eines zweiten 150-Tonnen-Mobilkrans wurden die verschiedenen<br />

Teile auf der engen Baustelle zusammengesetzt. Dabei schien<br />

es fast unwirklich, wie die Kräne Stück für Stück in die Höhe wuchsen<br />

und wie es die im Vergleich zu den grossen Stahlteilen winzig kleinen<br />

Menschen schafften, Hand und Kopf so einzusetzen, dass zum Schluss<br />

alles stimmte. Es brauchte Präzision und Teamarbeit, um voranzukommen,<br />

einerseits bei Mobilkran-Profi Jonas Bösch, andererseits beim Team<br />

der Kranmonteure. «Wenn man gut zusammenarbeitet, ist es schon einfacher.<br />

Trotzdem muss man den Kopf beieinanderhaben», sagt Kranmonteur<br />

Robert Bürgi, der mit seinen Kollegen in höchster Höhe auf den<br />

Kranelementen herumtanzt, als wäre nichts dabei. «Da oben vergisst du<br />

die Höhe», schmunzelt er. Das sei nicht für alle. Aber wer mal dabei ist<br />

und die strenge Arbeit bewältigt, wird so wie es aussieht von einer Art<br />

Kran-Virus erfasst. Am meisten Angst habe er anfänglich gehabt, etwas<br />

fallen zu lassen, so Bürgi, der praktisch täglich irgendwo in der Schweiz<br />

einen Kran aufstellt oder wieder abbaut. «Aber das passiert nicht, da<br />

lässt du nichts fallen», sagt er. «Diejenigen, die da<br />

oben sind, wissen, was sie tun.»


28 grimselwelt · erlebnis<br />

grimselwelt · spitallamm baustelle 29<br />

Der Kran muss auch im Winter erreichbar sein: Ein Arbeiter<br />

testet die Tyrolienne für den Zugang.<br />

Zuhause auf dem Kran: Das Team von Wolffkran mit Robert Bürgi,<br />

Jannik Haller, Tomor Hyseni und Pascal Joho (von links).<br />

Nach dem Aufbau im Frühsommer galt es für die zwei Kräne den Sommer über ernst: Sie sind<br />

Dreh- und Angelpunkt der Baustelle. In hoher Kadenz befördern sie die grossen Betonkübel zu<br />

den jeweiligen Blöcken der Mauer, die Schritt für Schritt in die Höhe wachsen. Die täglichen Arbeiten<br />

müssen so ausgelegt sein, dass die Kräne stets ungehindert arbeiten können und auch nicht<br />

stillstehen. Die zwei roten Riesen heissen nicht etwa Max und Moritz, sondern die Spitallamm-<br />

Crew verpasste ihnen die Bezeichnung Juchlikran und Nollenkran (näher beim Nollen). Beide<br />

leisten Akkordarbeit. Laut Plan dürfen sie nicht mehr als sieben Minuten haben, um den Kübel<br />

mit Beton zu füllen, ihn zur Mauer zu fahren,<br />

dort die sieben Kubikmeter auszugiessen und<br />

wieder zurückzuschwenken. Um den Prozess<br />

zu optimieren, ist ein sogenanntes Beton-Taxi<br />

in Betrieb gegangen, das den Betonkübel bei<br />

der Betonanlage füllen lässt und ihn einige Meter<br />

von der Betonanlage wegkarrt. Im freien<br />

Gelände kann der Kranführer den Kübel leichter<br />

aufgreifen und absetzen als in unmittelbarer<br />

Nähe der Anlage.<br />

am grimselpass<br />

bewegen wir uns<br />

in ganz anderen<br />

dimensionen<br />

Die roten Riesen wurden im Frühsommer in Einzelteilen<br />

angeliefert – schon dies war eine logistische Meisterleistung.<br />

Nichts für schwache Nerven: die Montage der beiden Kräne,<br />

die höchsten der Schweiz.<br />

Zweimal am Tag drehen<br />

sich die Kräne während<br />

der Winterpause<br />

automatisch um ihre<br />

eigene Achse, damit sie<br />

nicht vereisen.<br />

Die Mauer wird in Etappen betoniert, ganz<br />

unten begann man mit drei Blöcken, Ende der<br />

Saison 2021 waren es bereits sieben. Oben werden<br />

es zum Schluss 15 Blöcke sein, die im Mittel<br />

13 bis 14 Meter breit sind. Dabei gibt es die<br />

sogenannten Vorläufer, die wie Türme vorausgehen,<br />

wobei darauf geachtet werden muss,<br />

dass der Unterschied zwischen den verschiedenen<br />

«Stockwerken» weder zu gross noch zu<br />

klein ist. Die Schalungen klettern mit den Blöcken<br />

empor, das heisst, sie werden an einer unteren<br />

Etappe fixiert und später weiter hochgezogen.<br />

Pascal Reber, einer der<br />

Bauleiter der KWO, erklärt: «Die<br />

Planung ist recht knifflig, es wird<br />

immer irgendwo geschalt und irgendwo<br />

betoniert. Die Abfolge<br />

muss stimmen, so dass alle stets<br />

vorwärtsmachen können.» Es sei<br />

wie eine Art Tetris-Spiel für Baufachleute.<br />

In die Planung fliesst<br />

auch die Festigkeitsentwicklung<br />

des Betons ein, so muss eine untere Etappe fest<br />

genug sein, damit die Schalung angebracht werden<br />

kann. Anspruchsvoll ist auch die stets nach<br />

zwei Seiten leicht gekrümmte Form der Staumauer,<br />

sie schwingt sich erst leicht nach hinten<br />

und wird gegen oben hin schlanker (siehe Interview).<br />

Kommt hinzu, dass ein Teil der Blöcke<br />

nicht kompakte Klötze sind, sondern ein<br />

Innenleben aufweisen, was die Betonarbeiten<br />

verkompliziert. So gibt es etwa mehrere horizontale<br />

Kontrollgänge sowie schräge Verbindungsgänge,<br />

die sich durch die Staumauer hindurchziehen<br />

und die entsprechend ausgespart<br />

werden müssen.<br />

Auch sämtliche Kabel der Kräne müssen<br />

so eingepackt werden, damit sie den<br />

Winter gut überstehen.<br />

Gegen Ende der Bausaison hin mussten verschiedene<br />

Massnahmen getroffen werden, um<br />

die Bauwerke für die Wintermonate zu schützen.<br />

Im engen Einschnitt der Spitallamm-Sperre<br />

liegen im Winter schnell einmal zehn Meter<br />

Schnee, auf dem sich oft noch zusätzliche<br />

Schneemassen auftürmen, die von den steilen<br />

Bergflanken und Felswänden abrutschen. So<br />

mussten beispielsweise die obersten Etappen<br />

der bereits betonierten Blöcke der Staumauer<br />

mit Isoliermatten abgedeckt und Kühlleitungen<br />

winterfest verlegt werden, da der Beton<br />

über Monate und auch im Winter gekühlt wird.<br />

Ebenfalls platzierte man Sonden im Beton der<br />

obersten Türme, um überprüfen zu können,<br />

welche Einwirkungen der Frost auf die Temperatur<br />

des Betons hat. Viel Aufwand bewältigten<br />

im November wiederum die Kranmonteure.<br />

Bestimmte Teile wurden winterfest verpackt,<br />

etwa das Drehwerksgetriebe und die Schwenkmotoren,<br />

die zusätzlich mit Heizmatten bestückt<br />

wurden. Schaltschränke für die Steuerung und die Kabinen weisen ebenfalls eine Heizung<br />

auf. Kranelektriker Pascal Joho weiss: Das Drehkreuz des Krans darf auf keinen Fall vereisen, deshalb<br />

die automatischen Rotationen. «Wenn der Kran in einem Sturm nicht aus dem Wind drehen<br />

kann, dann wird es problematisch wegen der Angriffsfläche», so Joho. Eine Überwachungskamera<br />

zeigt auf, ob das Rotationsprogramm tatsächlich ausgeführt wird oder ob sonst irgendein Problem<br />

erkennbar ist. Um auch mitten im Winter notfalls Zugang zu den Kränen zu haben, ist eine<br />

Tyrolienne installiert worden. Dabei erhielten die Kranmonteure Unterstützung durch die auf Seile<br />

spezialisierten Firma Jakob. «Im Ernstfall müssten wir uns also von der Krone der alten Staumauer<br />

aus zum Nollenkran seilen oder noch weiter zum Juchlikran», erklärt Joho. Sollte dies nötig<br />

werden, würden sich ein Kranmonteur und ein Begleiter der Seilspezialisten gemeinsam auf den<br />

abenteuerlichen Weg machen. «Das wäre bestimmt lustig», meint Pascal Joho und schmunzelt,<br />

während sein Blick zu dem Männchen schwenkt, das weit oben zwischen den Kränen am Seil<br />

hängt, um den Zugang zu testen.


30 grimselwelt · erlebnis<br />

grimselwelt · spitallamm baustelle 31<br />

EIN BAUWERK<br />

WIE DIESES IST<br />

IMMER EIN<br />

PROTOTYP<br />

Baustelle, andererseits werden Prüfkörper auch in einem externen Labor getestet. Dort wird unter<br />

anderem die Druckfestigkeit unter die Lupe genommen, aber auch die verschiedenen Zutaten des<br />

Betons wie Flugasche, Zement und Zusatzmittel werden geprüft. Diese Prüfungen sind nicht nur<br />

wichtig, um Abweichungen festzustellen, sondern wir müssen diese genaue Dokumentation auch<br />

dem Bundesamt für Energie, dem BFE, vorlegen. Das BFE ist letztlich die Bewilligungsbehörde,<br />

dort wird entschieden, ob wir tatsächlich einstauen dürfen oder nicht.<br />

Grosser Kran – grosse Maschine: ein 500-Tonnen-Mobilkran<br />

hilft beim Aufbau.<br />

In Etappen wachsen die einzelnen Betonblöcke<br />

der neuen Staumauer empor.<br />

Vorausgesetzt, Sie haben Ihren Job sorgfältig gemacht und die Mauer wird abgenommen, wann können<br />

Sie einstauen?<br />

Wenn alles nach Plan geht, können wir im Sommer 2025 mit dem Füllen beginnen. Durch<br />

den neu gebauten Ausgleichsstollen kann das Grimselwasser durch die verbleibende alte<br />

Mauer hindurchfliessen und den Zwischenraum füllen. Der See wird voraussichtlich in 4 Etappen<br />

gefüllt. Dazwischen sind Messungen nötig. Ab Herbst 2025 sollte die neue Mauer definitiv in Betrieb<br />

gehen.<br />

Mobilkranführer Jonas Boesch (Mitte) und die Monteure von<br />

Wolffkran müssen gut zusammenarbeiten, sonst klappt´s nicht.<br />

Andres Fankhauser, Abteilungsleiter<br />

Bau und Ökologie der KWO,<br />

über die Kunst des Betonierens<br />

Annette Marti: Sie haben im Sommer 2020 umfangreiche<br />

Versuche gemacht, um den richtigen<br />

Beton für die neue Spitallamm-Mauer zu finden.<br />

Bewähren sich die Mischungen?<br />

Andres Fankhauser: Die Herausforderung<br />

für unsere neue Mauer liegt darin, dass wir<br />

mit dem Beton arbeiten müssen, der die richtigen<br />

Eigenschaften aufweist. Eine solche Betonmischung<br />

findet man nicht auf den üblichen Bestell-Listen, aus diesem Grund mussten wir die<br />

eigene Betonrezeptur finden. Deshalb auch die umfangreichen Versuche im 2020. Die Grundrezepturen<br />

stimmen, dennoch gibt es kleine Anpassungen. Daneben versuchen wir natürlich, Abläufe<br />

zu optimieren. Man darf nicht vergessen, ein Bauwerk wie diese Staumauer ist immer ein<br />

Prototyp, da taugen Standardlösungen nicht.<br />

Das eigentliche Betonieren ist eine Kunst, weil die Form der Mauer ja auch nicht gerade ist.<br />

Tatsächlich, diese Form der doppelt gekrümmten Bogenstaumauer bringt es mit sich, dass wir<br />

zwar ohne Armierungen arbeiten können, jedoch ist kein Stück gerade, alles krümmt sich leicht –<br />

wie der Name besagt. Das heisst, die Mauer hängt leicht nach vorne, darf aber keineswegs nach<br />

vorne kippen, sonst gibt es Risse und man muss die Mauer im schlimmsten Fall stützen. Was die<br />

Teams hier leisten, ist absolute Massarbeit!<br />

Welche Faktoren spielen bei der Betonqualität eine Rolle?<br />

Druckfestigkeit und Frostempfindlichkeit sind hier oben am Grimselpass wichtige Stichworte<br />

wie auch die Geologie des verwendeten Materials, das bei uns ja vom Ausbruch der Fundamente<br />

stammt. Weiter müssen wir auf den Wassergehalt und die Temperaturen achten. Wenn beispielsweise<br />

das Temperaturgefälle von aussen nach innen bei einem Betonblock zu gross ist, dann<br />

können Risse entstehen. Darum ist es wichtig, den Beton auch im Winter zu kühlen, was man<br />

vielleicht nicht denken würde. Aufgrund des Erhärtungsprozesses ist die Innentemperatur des Betons<br />

Ende Bausaison immer noch erhöht. Mit der Kühlung können wir die Temperatur im Blockinnern<br />

verringern und innerhalb dem erlaubten Temperaturgefälle halten.<br />

Das tönt nach einer sehr heiklen Angelegenheit. Wie stellen Sie die Qualität sicher?<br />

Während der Jahre, in denen die Staumauer langsam nach oben wächst, dokumentieren wir<br />

alles und machen regelmässige Prüfungen. Dies geschieht einerseits im Prüflabor auf der<br />

Was muss bis dahin alles noch geschehen, abgesehen<br />

von den laufenden Betonarbeiten?<br />

Eine Herausforderung wird der Injektionsschirm<br />

sein, damit müssen wir Klüfte<br />

und Hohlstellen gegen den Felsen hin abdichten<br />

indem Zement eingepresst wird. Unten am<br />

tiefsten Punkt der Mauer zum Beispiel werden<br />

wir Injektionen bis 50 Meter in den Fels hinein<br />

ausführen. Heikel ist auch die Verfüllung der<br />

Fugen zwischen den einzelnen Blöcken. Da<br />

werden wir nochmals sehr sorgfältig vorgehen<br />

müssen, der Beton muss erst noch «atmen», beziehunsgweise<br />

vollständig auskühlen. Die Fugen<br />

werden erst in der vorletzten Bausaison abgedichtet.<br />

was die teams<br />

hier leisten,<br />

ist absolute<br />

massarbeit<br />

Staumauerbau hautnah!<br />

Samstag, 20. August <strong>2022</strong><br />

Wir öffnen für Sie die imposante Hochgebirgsbaustelle<br />

auf knapp 2000 m ü. M. Besuchen Sie<br />

uns und schauen Sie sich das Jahrhundertprojekt<br />

vor Ort an. Wir empfehlen Ihnen die Anreise mit<br />

dem öffentlichen Verkehr bis nach Innertkirchen,<br />

KWO. Vom Hauptsitz der KWO bieten wir einen<br />

Bustransport zur Baustelle an.<br />

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Die Personenzahl<br />

ist beschränkt.<br />

Plant bereits die nächsten Bausaisons:<br />

Andres Fankhauser, Abteilungsleiter Bau<br />

und Ökologie der KWO.<br />

Baustellenführung<br />

Spitallamm<br />

Möchten Sie zwischen Juni und Oktober die Bau-<br />

stelle vor Ort besichtigen? Begleitet von einem<br />

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empfehlen die Anreise zu den Ausgangspunkten mit dem ÖV.

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