Korrespondenz - Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung
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Paartherapie im Alter<br />
Seite 5<br />
Trauma - (k)ein Thema im Alter<br />
Seite 12<br />
Foto: Nora von der Decken<br />
Lebensrückblick als Therapie bei älteren Menschen<br />
Seite 17<br />
Schuld und Vergebung am Lebensende<br />
Seite 18<br />
1<br />
<strong>Korrespondenz</strong><br />
Themenheft<br />
Lebensberatung im Alter<br />
24 Herbst 2009 ISSN 0724-3995
2<br />
Inhalt<br />
Editorial<br />
Astrid Riehl-Emde<br />
Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare: Wenn alte Liebe doch mal rostet ….<br />
Silke Birgitta Gahleitner<br />
Trauma – (k)ein Thema im Alter: Überlegungen zur aktuellen Situation Hochbetagter und<br />
zu den Konsequenzen <strong>für</strong> helfende Professionen<br />
Verena Kast<br />
Lebensrückblick als Therapie bei älteren Menschen<br />
Michael Klessmann<br />
Schuld und Vergebung am Lebensende<br />
Anmerkungen zu einer verschwiegenen Thematik<br />
Meinolf Peters<br />
Beratung älterer Menschen – Versuch einer Bestandsaufnahme<br />
Rezension: Meinolf Peters<br />
„Die gewonnenen Jahre“ - Von der Aneignung des Alters<br />
Martin Koschorke<br />
Den anderen nicht mehr ändern wollen. Von der Kunst gemeinsam alt zu werden<br />
Shirley Jaeger<br />
Stufen des Erwachsenenlebens und Indikatoren <strong>für</strong> Glück im Alter<br />
Dieter Hildebrandt<br />
„Hallo Alter“<br />
Aktuelles aus dem EZI<br />
Christel Riemann-Hanewinckel (MdB)<br />
Späte Schwangerschaftsabbrüche in der Diskussion:<br />
Aktuelle Entwicklungen im Deutschen Bundestag<br />
Claudia Heinkel<br />
Fachinformationsdienst des Diakonischen Werkes der EKD<br />
Arbeitsfeld <strong>Familienberatung</strong> und Familienpolitik<br />
Impressum<br />
Veranstaltungskalender<br />
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Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
unsere EZI-<strong>Korrespondenz</strong> kommt in diesem Jahr in verän-<br />
derter Form zu Ihnen.<br />
Das Medium Internet macht es möglich, ohne Verbrauch<br />
natürlicher Ressourcen, ohne Druck- und Versandkosten<br />
viele Freunde und Förderer des EZI an den Themen, die uns<br />
gerade beschäftigen, zu beteiligen.<br />
Die EZI-<strong>Korrespondenz</strong> 24 ist ein Themenheft zu „Lebensbe-<br />
ratung im Alter“.<br />
Wir hören aus den Beratungsstellen von zunehmenden Anmeldezahlen<br />
in Ehe-, Paar- und Lebensberatung, besonders<br />
auch von älteren Menschen. Diese Beratungsangebote gehören<br />
weitgehend nicht zu den refinanzierten Leistungen. Die<br />
Träger müssen sich <strong>für</strong> den Erhalt und Ausbau stark machen.<br />
Hier ist von den Beratungsstellen selbst, vom Fachverband,<br />
aber auch von uns noch viel politische Arbeit zu leisten,<br />
damit dieser Bereich psychologischer Beratungen in unserer<br />
Kirche erhalten bleibt. Wir wollen die wachsende Bedeutung<br />
dieses Themas <strong>für</strong> die Beratungslandschaft aufgreifen und<br />
unseren Beitrag leisten durch konzeptionelle und qualitative<br />
Weiterentwicklung der Beratungskonzepte <strong>für</strong> ältere Menschen.<br />
Unsere Gastdozentinnen und Gastdozenten haben<br />
uns freundlicherweise mit ihren Beiträgen dabei unterstützt.<br />
Da<strong>für</strong> herzlichen Dank!<br />
Zum Thema: „Bis dass der Tod euch scheidet“ - bedeutet<br />
heute eine viel längere Zeit als früher, mit all den Höhen<br />
und Tiefen einer Partnerschaft. Und es ist bekannt, dass<br />
die seelische und körperliche Gesundheit mit der Qualität<br />
der Paarbeziehung zu tun hat. Das beschreibt überzeugend<br />
Astrid Riehl-Emde, die auch im nächsten Jahr wieder als<br />
Gastdozentin das Thema „Vergessen - Vergeben - Verletzt<br />
- zusammen weiterleben? - Zum Umgang mit Verletzungen<br />
aus paartherapeutischer Perspektive“ am EZI vertritt. Ihr Beitrag<br />
zur Paartherapie im Alter zeigt, wie in der Beratung alter<br />
Menschen keine neuen Therapie- oder Beratungsmethoden<br />
nötig sind, aber viel Wissen über das Altern, ein zeitgeschichtliches<br />
Denken und die Reflektion eigener Voreinstellungen.<br />
Die Lebensqualität älterer Menschen wird bestimmt durch<br />
das Verhältnis von Anforderungen an die jeweilige Person<br />
und ihre persönlichen Möglichkeiten, diese Anforderungen<br />
zu bewältigen. Nicht nur körperliche Veränderungen und<br />
Krankheiten sind zu bewältigen, auch psychosoziale Problemlagen<br />
nehmen im Alter zu, trotz des großen Spektrums<br />
an Lebenserfahrung. Es sind aber gerade <strong>für</strong> die aktuelle<br />
Generation hoch betagter Menschen außerordentliche traumaträchtige<br />
Erlebnisse, wie die Zeit des Nationalsozialismus,<br />
die bewältigt werden müssen.<br />
Silke Birgitta Gahleitner hat über die Verarbeitung komplexer<br />
traumatisierender Lebenserfahrungen von alten Menschen<br />
geforscht, stellt die Ergebnisse vor und zeigt die Möglichkeiten<br />
professioneller Hilfe und Begleitung in der Beratung alter<br />
Menschen.<br />
Wir freuen uns, dass wir Verena Kast <strong>für</strong> ein Seminar zum<br />
Thema „Beratung älterer Menschen“ gewinnen konnten, das<br />
auch 2010 wiederholt wird. Lebensrückblick in der Form von<br />
Erzählung ist ein Zugang zur eigenen Biografie, der in der Beratung<br />
heilend und lösend wirken kann. Über die Imagination<br />
der Erinnerungen ist oft ein besseres Verständnis <strong>für</strong> sich<br />
selbst und eine Versöhnung mit sich selbst möglich.<br />
Erfahrungen aus dem EZI-Seminar „Schuld und Vergebung“<br />
berichtet Michael Klessmann. Er spricht damit eine oft<br />
verschwiegene Thematik an, die nicht nur am Lebensende<br />
berühren und quälen kann. Die religiöse Dimension ist oft zu<br />
erahnen und wird manchmal in der Beratung und Seelsorge<br />
klar angesprochen. Sie fordert in jedem Fall die beratende<br />
Person zur Selbstreflexion heraus und dazu, Sprache und<br />
Verhaltensmuster zur Verfügung zu stellen. Das hilft, Abschiede<br />
im und vom Leben zu erleichtern und durch Rituale<br />
würdig zu gestalten.<br />
Meinolf Peters will in seiner Bestandsaufnahme zur „Psycho-<br />
sozialen Beratung älterer Menschen“ den von verschiedenen<br />
Faktoren bestimmten Strukturwandel in der Lebenssituation<br />
älterer Menschen und seine Auswirkung auf Beratung deutlich<br />
machen. Entberuflichung, Feminisierung mit steigendem<br />
Alter, Singularisierung und Hochaltrigkeit bringen erhöhten<br />
Beratungsbedarf und spezifische Beratungserfordernisse<br />
hervor. Peters zeigt auf, dass traditionelle Beratungsformen<br />
3
4<br />
<strong>für</strong> ältere Menschen in umfassenden integrativen Konzepten<br />
aufgehen müssen, bei denen den psychotherapeutischen<br />
Methoden weiterhin eine größere Rolle zufallen wird.<br />
Martin Koschorke, langjähriger Dozent am EZI, teilt uns aus<br />
seinen reichen Erfahrungen aus der Paarberatung etwas<br />
von der „Kunst gemeinsam alt zu werden“ mit. Und aus dem<br />
Amerikanischen vermittelt er uns Indikatoren <strong>für</strong> das „Glück<br />
im Alter“ (von Shirley Jaeger).<br />
„Aktuelles aus dem EZI“ beschäftigt sich mit der Diskussion<br />
um die Neufassung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes<br />
(SchwG). Christel Riemann-Hanewinckel MdB und Mitglied<br />
im EZI-Aufsichtsrat gibt aus ihrer Perspektive die kontroverse<br />
Diskussion im Bundestag wider insbesondere im Blick auf die<br />
Bedeutung der Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik.<br />
Claudia Heinkel (DW-EKD) fasst <strong>für</strong> uns die Kernpunkte der<br />
nunmehr beschlossenen Neuregelung zusammen.<br />
<strong>Korrespondenz</strong> lebt von der Antwort auf die Veröffentlichung<br />
und Vermittlung anregender Gedanken. Wir erwarten gerne<br />
Ihre Reaktion, sei es in Form einer Anmeldung zu einem thematischen<br />
Kursangebot oder auch schriftlich, per E-Mail, mit<br />
Meinungen, Wünschen und Vorschlägen (ezi@ezi-berlin.de).<br />
Viel Anregungen und Freude beim Lesen wünscht Ihnen<br />
im Namen des Dozententeams<br />
und der Mitarbeiterinnen im EZI<br />
Ihr<br />
Dieter Wentzek<br />
EZI-Seminare zum Thema „Lebensberatung im Alter“<br />
• Lebensrückblick als Therapie *<br />
10. - 11.05.2010, Prof. Dr. Verena Kast<br />
• Altern - Mehr als Abschied und Verlust? *<br />
15. - 17.10.2010, Dr. Peters<br />
• „Mein Selbstbewusststein? - Also da ist gar nichts mehr …“<br />
Körperlich Kranke in der Beratung<br />
15. - 17.07.2010, Dr. Singer, Dr. Merbach<br />
• „Fremd(e) in der Beratung“ - Interkulturelle Aspekte in der Beratungsarbeit<br />
11. - 13.11.2010, Dr. Merbach<br />
• Schwierige Paare in der Paarberatung *<br />
05. - 09.07.2010, Koschorke<br />
• Vergessen - Vergeben - Verletzt zusammen weiterleben? *<br />
Zum Umgang mit Verletzungen aus paartherapeutischer Perspektive<br />
11. - 13.11.2010, Prof. Dr. Riehl-Emde<br />
• „Beratung und Rituale beim Thema Schuld, Schuldgefühl und Vergebung“ *<br />
06. - 09.07.2010, Hufendiek, Prof. Dr. Klessmann<br />
Nähere Informationen unter: www.ezi-berlin.de
Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare:<br />
Wenn alte Liebe doch mal rostet ….<br />
Astrid Riehl-Emde<br />
Einleitung<br />
Mein erstes Interesse an der Paartherapie mit älteren Men-<br />
schen entstand vor über 20 Jahren. Damals erhielt ich die<br />
Anmeldung eines Paares – sie 72, er 74 Jahre alt, beide in<br />
erster Ehe verwitwet –, das sich drei Jahre zuvor über eine<br />
Kontaktanzeige kennen gelernt hatte. Das Paar war in enorme<br />
Beziehungskonflikte geraten, nachdem er bei ihr eingezogen<br />
war; in ein Haus, in dem sie auch mit ihrem ersten Mann gelebt<br />
hatte. Vermutlich kam das Paar mit recht zwiespältigen<br />
Gedanken und Gefühlen zu mir: kann Paartherapie in unserem<br />
Alter überhaupt noch helfen? Und wie geht es weiter,<br />
wenn nicht? Können wir in unserem Alter nochmals von vorn<br />
anfangen? Was kann ich alles sagen? Was verschweige ich<br />
lieber? Wird uns eine Therapeutin, die viel jünger ist als wir,<br />
überhaupt verstehen können?<br />
Stellen Sie sich vor, es käme ein Paar, das bereits seit 30,<br />
40 oder 50 Jahren verheiratet ist. Es wäre nicht erstaunlich,<br />
wenn beide noch skeptischer wären: Kann Paartherapie lang<br />
eingefahrene Beziehungsmuster noch beeinflussen? Ist es<br />
überhaupt nötig, nach 40 Ehejahren, nachdem viele Konflikte<br />
und Krisen überstanden sind, eine dritte Person in die<br />
Paarbeziehung einzuweihen? Gerade bei Männern besteht<br />
viel Scham und auch die Sorge, das Gespräch über Ehekonflikte<br />
könnte eine schwierige Situation noch verschlimmern.<br />
Frauen, die seit Jahren mehr Austausch wünschen und die<br />
Therapie initiiert haben, bekommen plötzlich Angst vor der<br />
eigenen Courage.<br />
Seit damals ist mein Interesse an älteren Paaren wach<br />
geblieben: Ich forsche über Beziehungen älterer Paare, bin<br />
Mitherausgeberin der Zeitschrift „Psychotherapie im Alter“<br />
(www.psychotherapie-im-alter.de) und führe eine Spezialsprechstunde<br />
<strong>für</strong> ältere Paare (60+) am Institut <strong>für</strong> Psychosomatische<br />
Kooperationsforschung und Familientherapie<br />
der Universität Heidelberg (Riehl-Emde 2008; Riehl-Emde &<br />
Cierpka 2006).<br />
Der folgende Beitrag besteht aus vier Teilen:<br />
• Fallbeispiel aus der Sprechstunde <strong>für</strong> ältere Paare 1<br />
• Gemeinsam alt werden, ein historisch relativ neues<br />
Phänomen<br />
• Was führt ältere Paare in die Paartherapie?<br />
• Indikation zur Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare<br />
Ein Fallbeispiel aus der Paartherapie<br />
Vor einiger Zeit stand an einem Montagmorgen um 8 Uhr ein<br />
Paar ohne Voranmeldung in unserer Ambulanz: Herr Müller,<br />
77 Jahre alt, Frau Müller, 74 Jahre alt, beide braungebrannt<br />
und sportlich gekleidet. Sie waren am Vortag etwa 500<br />
km von Norddeutschland nach Heidelberg gereist – zuerst<br />
per Auto, dann weiter mit der Bahn – und stritten jetzt im<br />
Treppenhaus unseres Instituts. Die Ehefrau hatte über Dritte<br />
von unserer Einrichtung gehört und nahm an, man erhalte<br />
wie in einer Notfallstation rund um die Uhr Hilfe, was leider<br />
nicht (oder noch nicht) der Fall ist. Sie hatte ihren Mann im<br />
Glauben gelassen, sie wolle nach Heidelberg in eine Spezialabteilung<br />
<strong>für</strong> Orthopädie, um ihr bereits seit langem schmerzendes<br />
Knie untersuchen zu lassen. Sie dorthin zu begleiten<br />
war er durchaus einverstanden gewesen. Er hatte sich nicht<br />
genauer nach dem Ziel der Reise erkundigt und empörte sich<br />
jetzt lauthals, unter falschen Tatsachen hergelotst worden<br />
zu sein. Sie konterte: da er sie nie freiwillig begleiten würde<br />
zu einem Paargespräch, sei sie ja gezwungen, eine solche<br />
List anzuwenden; er warf ihr im Gegenzug vor, dies sei ein<br />
erneuter Beweis da<strong>für</strong>, dass ihre ungeplanten Hals-über-<br />
Kopf-Aktionen – und seit Jahrzehnten neige sie dazu! – schief<br />
gehen müssen.<br />
Das Paar erhielt zwar nicht unmittelbar am Morgen, aber<br />
doch am gleichen Nachmittag einen Termin; die beiden<br />
übernachteten in einem kleinen Hotel in Heidelberg und<br />
fuhren am nächsten Tag mit dem Zug wieder zurück nach<br />
Norddeutschland.<br />
1 Weitere Informationen zur Spezialambulanz <strong>für</strong> ältere Paare am Institut <strong>für</strong> Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie:<br />
Riehl-Emde 2008; Riehl-Emde & Cierpka 2006 (Artikel im PDF-Format erhältlich unter: www.riehl-emde.de<br />
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6<br />
Ich erfuhr, dass er unmittelbar vor unserem Gespräch drei<br />
Wochen zur Kur gewesen war; sie hatte während seiner Abwesenheit<br />
einer Freundin ihre Eheschwierigkeiten anvertraut<br />
und von dieser den Tipp erhalten, nach Heidelberg zu fahren.<br />
Auslösend <strong>für</strong> ihren Entschluss zu einem Paargespräch<br />
war ihr Gedanke: jetzt oder nie, die Lebensperspektive ist<br />
begrenzt und eine Scheidung lohnt eigentlich nicht mehr!<br />
Sie habe sich in 50 Ehejahren von ihm meist unverstanden<br />
gefühlt und sei oft deprimiert gewesen. Aktuell zugespitzt<br />
habe sich ihr Paarkonflikt, nachdem er der Tochter einen<br />
hohen Geldbetrag geliehen hatte, den diese jedoch <strong>für</strong> einen<br />
anderen als den vereinbarten Zweck ausgab. Jetzt drohte<br />
das Projekt der Tochter zu scheitern und Herr Müller – als<br />
ehemaliger Kaufmann immer wieder fassungslos über den<br />
vermeintlich mangelnden kaufmännischen Sachverstand<br />
der Kinder – übernahm in dieser Situation sehr viel Verantwortung.<br />
Er fühlte sich jedoch selbst überfordert in der<br />
Angelegenheit der Tochter, zerstritt sich darüber mit allen<br />
drei Kindern und mit der Ehefrau. Frau Müller hatte ganz<br />
andere Ansichten über die Art, wie der Tochter zu helfen<br />
sei und be<strong>für</strong>chtete, der Kontakt zu den Kindern könne in<br />
die Brüche gehen. Er meint, ihre Sorgen und Ängste seien<br />
„mütterlich übertrieben“. Beide waren in einem Teufelskreis<br />
gegenseitiger Entwertungen und Machtdemonstrationen<br />
gefangen. Eigentlich fühlten sich beide einsam, sehnten sich<br />
nach mehr Anerkennung, Verständnis und Zuneigung.<br />
Die Atmosphäre entspannte sich deutlich, als ich beiden die<br />
ihnen zustehende Anerkennung <strong>für</strong> ihre jeweilige „Lebensleistung‘‘<br />
im Einsatz <strong>für</strong> die Familie zollte (er mehr materiell,<br />
sie mehr emotional). Am Ende des Gesprächs hatte es ihm<br />
gut getan, mal frei zu sprechen. Er erinnerte sich an die<br />
Hochzeitsreise nach Heidelberg und war bereit, wiederzukommen.<br />
Kommentar: Ungewöhnlich an dieser kurzen Szene ist, dass<br />
ein Paar im hohen Alter und ohne jegliche psychotherapeu-<br />
tische Erfahrung zu einem Paargespräch kommt. Die Idee,<br />
sich mit einem Eheproblem an Dritte zu wenden, geht meist<br />
von den Frauen aus. Männer dieses Alters erleben es oft als<br />
kränkend und beschämend, nach 40 oder mehr Ehejahren,<br />
eine dritte Person um Hilfe zu bitten. Viele haben gelernt,<br />
dass man über persönliche oder familiäre Probleme nicht<br />
spricht, zumindest nicht mit Außenstehenden.<br />
Weshalb kamen Herr und Frau Müller gerade jetzt und nicht<br />
bereits vor 10, 20 oder 30 Jahren? Wieso war die Ehefrau<br />
unter einen derartigen Handlungsdruck geraten? Es handelte<br />
sich um eine jahrzehntelang bestehende Thematik („seit<br />
50 Jahren unverstanden“), die aktuell durch hinzukommen-<br />
de Altersthemen akzentuiert wurde. Vermutlich war der<br />
drohende Kontaktabbruch der Kinder ausschlaggebend <strong>für</strong><br />
Frau Müllers Be<strong>für</strong>chtung, in ihren emotionalen Bedürfnissen<br />
noch stärker vom Ehemann abhängig zu werden. Denn<br />
bisher fand sie im Kontakt mit ihrer Tochter ausreichend<br />
Möglichkeiten, das Sich-Unverstanden-Fühlen in der Ehe zu<br />
kompensieren.<br />
Was hier vordergründig als ehelicher Machtkampf mit gegenseitigen,<br />
auch altersspezifischen Entwertungen gestaltet<br />
wird, korrespondiert auf einer tieferen Ebene häufig mit<br />
der Angst vor Abhängigkeit und mit der Sehnsucht nach<br />
Anerkennung und Liebe im Alter. Ängste und Sehnsüchte<br />
können durch die noch zur Verfügung stehende begrenzte<br />
Lebenszeit verstärkt werden.<br />
Am Ende des Gesprächs war die Ehefrau hoffnungsloser geworden<br />
in Bezug auf seine Veränderungsmöglichkeiten, was<br />
im positiven Fall – ganz unabhängig vom Alter der Betroffenen<br />
– <strong>für</strong> Realitätsbezug sprechen und ein erster Anstoß <strong>für</strong><br />
kleinere Ziele oder Situationsveränderungen sein könnte.<br />
Gemeinsam alt werden,<br />
ein historisch relativ neues Phänomen<br />
Die langjährige Beziehung stellt den statistischen Normalfall<br />
der Ehe im höheren Erwachsenenalter dar. Die „nachelterliche<br />
Gefährtenschaft“, wie die Zeit zwischen dem Weggang<br />
des letzten Kindes und der Verwitwung genannt wird, beginnt<br />
zwischen dem 45. und 60. Lebensjahr, sie kann heute<br />
bis gegen das 80. Lebensjahr andauern 2 .<br />
Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung haben Eheleute<br />
die Chance, als Paar hoch betagt zu werden, ein historisch<br />
neues Phänomen, <strong>für</strong> das es kaum Vorbilder gibt. „Bis dass<br />
der Tod Euch scheidet“ bedeutet also heutzutage eine viel<br />
längere Zeit als früher.<br />
Die Chance, gemeinsam hoch betagt zu werden, stellt eine<br />
ziemliche Herausforderung dar: Laut Scheidungsstatistik<br />
gibt es eine Zunahme an Scheidungen bei Paaren, die 20 bis<br />
25 Jahre verheiratet sind. Dies ist in der Regel die Zeit, in der<br />
Bilanz gezogen wird („Soll das alles gewesen sein?“) und die<br />
Frage aufkommt, ob eine Person mit diesem Partner oder<br />
mit dieser Partnerin alt werden möchte („Will you still need<br />
me, will you still feed me, when I am 64 …?“) oder sich doch<br />
lieber <strong>für</strong> ein Leben allein bzw. mit einem anderen Partner<br />
entscheidet.<br />
Heute wissen wir, dass die interindividuelle Variabilität mit<br />
steigendem Lebensalter zunimmt, d.h. die körperlichen,<br />
psychischen und sozialen Fertigkeiten älterer und alter<br />
2 Die „nachelterliche Gefährtenschaft betrug vor 100 Jahren etwa 1 bis 2% der Lebensdauer; diese Zeit ist auf 30% angestiegen!
Menschen streuen breiter als in jüngeren Jahren. Einerseits<br />
nehmen Plastizität und Gestaltungsmöglichkeiten zu, andererseits<br />
wächst auch die Gefahr von Erstarrung und Stagnation.<br />
Daher beinhaltet die steigende Lebenserwartung<br />
sowohl die Chance, die Lust am Leben und Lieben weiter zu<br />
entwickeln, als auch das Risiko eines zunehmenden Rückzugs<br />
bis hin zur Asexualität. Auch die Sexualität in höherem<br />
Lebensalter kann Erfahrungen von Gewinn und Verlust mit<br />
sich bringen. Eine Frau wird die Wechseljahre als Befreiung<br />
von Verhütungsdruck erleben, eine andere leidet unter dem<br />
Verlust der Gebärfähigkeit; einem Mann kann die instabilere<br />
physiologische Erregung im Sinne einer Entlastung von Triebdruck<br />
willkommen sein, bei einem anderen löst sie vor allem<br />
Ängste vor Potenzverlust aus.<br />
Wie sich die Liebe im Laufe lang dauernder Paarbeziehungen<br />
verändert, darüber wissen wir noch relativ wenig. Bekannt ist<br />
jedoch, dass die Qualität der Paarbeziehung mit seelischer<br />
Gesundheit zu tun hat: Die Einbindung des Menschen in eine<br />
funktionale Paarbeziehung gilt als wesentlicher Prädiktor<br />
<strong>für</strong> Gesundheit und Wohlbefinden, und die Paarbeziehung<br />
ist sehr bedeutsam als Ressource <strong>für</strong> die Bewältigung von<br />
Krisensituationen. Natürlich reicht es <strong>für</strong> ein gutes Wohlbefinden<br />
nicht aus, verheiratet zu sein – die Ehe kann auch<br />
krank machen –, wichtig ist die Qualität dieser Beziehung.<br />
Diese ist auch davon abhängig, ob und wie die folgenden<br />
psychologischen Aufgaben von Paaren im Ruhestand gemeistert<br />
werden (Wallerstein & Blakeslee 1996):<br />
• Zweisamkeit ergibt sich; Unabhängige/getrennte Aktivi-<br />
tät ist ein freiwilliger Entschluss<br />
• Gegenseitige Fürsorge; dauerhaftes Bedürfnis nach<br />
Unterstützung und Ermutigung<br />
• Zunehmende emotionale Abhängigkeit<br />
• Wunsch nach größerer Nähe und Angst davor<br />
• Verlust an Privatsphäre<br />
• Interessen ausbauen, Kontakt zur Außenwelt erhalten<br />
• Speziell bei älteren Paaren wird die Paarbeziehung noch<br />
einmal besonders wichtig, nachdem die Familien und<br />
Berufsphase in den Hintergrund getreten sind.<br />
Was führt ältere Paare in die Therapie?<br />
Einige der wichtigsten Gründe, die ältere Menschen zur<br />
Therapie oder Beratung führen:<br />
• Nähe-Distanz-Probleme nach der Pensionierung (heftige<br />
Streitigkeiten)<br />
• Belastung durch Krankheit und Rollenumkehr<br />
• Zunehmende Bedeutung von Erinnerungen<br />
• Eheliches Burnout und Unauflösbarkeit der Bindung<br />
• Unbefriedigende Situationen in der partnerschaftlichen<br />
Sexualität.<br />
• Probleme mit Kindern, in Folge: Kontaktabbruch zu den<br />
Enkeln<br />
Nähe-Distanz-Probleme nach der Pensionierung<br />
Der Übergang in den Ruhestand gilt als eine kritische Phase:<br />
Im Ruhestand verbringen die meisten Paare mehr Zeit miteinander<br />
als je zuvor. Wenn der Beruf als Regulator <strong>für</strong> Nähe und<br />
Distanz wegfällt, müssen/können Paare selbst entscheiden,<br />
wie viel Zeit jeder <strong>für</strong> sich und wie viel Zeit beide gemeinsam<br />
verbringen. Viele Paare finden spontan eine neue Balance,<br />
sogar die meisten kommen gut mit dem Ruhestand zurecht,<br />
auch bereits zu Beginn (Seibert 1995).<br />
Wenn die Arbeit als Hauptverbindung zur Außenwelt entfällt<br />
und man sich nicht mehr über die Arbeit definiert, ergeben<br />
sich neue Möglichkeiten, aber auch neue Gefahren <strong>für</strong> die<br />
Ehe:<br />
Von den Möglichkeiten her: Im Ruhestand kann sich das<br />
Paar wieder vermehrt einander zuwenden, beide haben<br />
mehr Zeit <strong>für</strong> sich selbst und gemeinsame Unternehmungen.<br />
Rollen und Ziele werden neu definiert, und Veränderungen<br />
in Bezug auf Intimität stehen an. Die emotionalen Qualitäten<br />
und die individuellen Eigenheiten der Partnerin bzw. des<br />
Partners werden wieder wichtiger, besonders wichtig auch<br />
die gegenseitige Unterstützung und das wechselseitige<br />
Geben und Nehmen.<br />
Gefahren liegen in Langeweile und sozialer Isolation. Oftmals<br />
haben Männer und Frauen auch unterschiedliche Visionen<br />
von der Altersehe. So können Männer aus traditionellen<br />
Ehen be<strong>für</strong>chten, von der Frau nicht mehr geliebt/geachtet<br />
zu werden, wenn sie nicht mehr den Lebensunterhalt verdienen;<br />
sie suchen eine neue Rolle zu Hause und richten<br />
damit oftmals ein Durcheinander an. Viele Frauen, die in<br />
den Jahren der Berufstätigkeit den Mann geschont haben,<br />
legen neue Maßstäbe an und erwarten, im Ruhestand des<br />
Mannes <strong>für</strong> ihren früheren Einsatz entschädigt zu werden.<br />
Wenn dann kein Ausgleich erfolgt, wenn z.B. die gewünschte<br />
Gemeinsamkeit nicht entsteht, reagieren sie häufig mit Groll<br />
und versuchen zu ihren vermeintlichen Rechten zu kommen.<br />
Männer verstehen diesen Wandel ihrer Frauen in der Regel<br />
gar nicht. Übrigens wächst bereits in den mittleren Jahren<br />
die Neigung, mit dem Partner unzufrieden zu werden, ihn als<br />
Sündenbock <strong>für</strong> die eigene Langeweile oder Enttäuschung<br />
zu sehen, wie (Wallerstein & Blakeslee 1996). Wenn Enttäuschungen<br />
und Versäumnisse bewusst werden (meist in den<br />
mittleren Jahren), werden diese oft zu Unrecht dem Anderen<br />
angelastet. Die Ehe wird dann nicht selten zum Schauplatz<br />
des Kampfes um Selbstbehauptung und Selbsterhaltung, es<br />
7
8<br />
kommt zu destruktiven gegenseitigen Entwertungen, zu Ver-<br />
weigerung, in anderen Fällen auch zu Flucht in die Krankheit<br />
oder Ausbruchsversuchen mit Dritten.<br />
Belastung durch Krankheit und Rollenumkehr (Ungleich-<br />
zeitiges Altern als Paar, Unterschiede in der Vitalität)<br />
Krankheit und Gebrechlichkeit können zu einer Rollenumkehr<br />
in der Beziehung führen: Zum Beispiel kommt der<br />
ehemals dominante Partner in die Rolle des Abhängigen<br />
und die ehemals sich unterordnende Partnerin hat nun<br />
die Aufgabe, Entscheidungen zu treffen oder dem Partner<br />
Grenzen zu setzen. Zumindest im Übergang zu der neuen<br />
Rollenverteilung kommt es hier typischerweise zu heftigen<br />
Machtkämpfen. Dahinter steht in der Regel die Angst vor<br />
Abhängigkeit des ehemals dominanten Partners: Auf die<br />
Hilfe der Partnerin angewiesen zu sein, kann Gefühle von<br />
Versagen und Wertlosigkeit auslösen oder die Be<strong>für</strong>chtung,<br />
ihr zur Last zu fallen. Aber auch die Partnerin kann zutiefst<br />
verunsichert sein, weil die Veränderung des Mannes von<br />
ihr verlangt, neue Rollen und Funktionen zu übernehmen,<br />
die sie bisher kaum kannte. Sie will diese vielleicht auch gar<br />
nicht übernehmen und beginnt erst einmal da<strong>für</strong> zu kämpfen,<br />
dass der Mann in seiner alten Rolle bleibt – zumindest<br />
ist eine Übergangszeit nötig, um wahrzunehmen, dass er<br />
es beim besten Willen gar nicht mehr kann. Machtgerangel<br />
kann die Sicht auf Bedürfnisse nach Anerkennung und<br />
Wertschätzung verstellen. Alternden Paaren steht in diesen<br />
Kämpfen übrigens eine neue Waffengattung zur Verfügung:<br />
die Entwertung des anderen als dement oder das Spiel mit<br />
anderen möglichen Abbauerscheinungen, von denen die<br />
Vergesslichkeit noch die mildeste ist. Diese Entwertungen<br />
können dann besonders verunsichern und verletzen, wenn<br />
sie mit eigenen Ängsten korrespondieren: Ängsten in Bezug<br />
auf das eigene Altern; vor Krankheit und Tod; unattraktiv<br />
zu sein oder vom Partner verlassen zu werden. Tatsächlich<br />
belasten sich verschlechternde Gedächtnisleistungen eines<br />
Partners die Paarbeziehung in der Regel erheblich und können<br />
bereits im frühen Stadium eines demenziellen Prozesses<br />
die Paardynamik stark beeinflussen.<br />
Zunehmende Bedeutung von Erinnerungen.<br />
Es kommt im Alter weitaus häufiger vor als in jüngeren Jahren,<br />
dass noch unverarbeitete Ereignisse aus der Vergangenheit<br />
wieder hochkommen: dies nicht nur, aber auch als Begleitsymptom<br />
einer Depression. Erinnerungen an schwierige und<br />
traumatische Situationen und längst vergangene Konflikte in<br />
Paar und Familienbeziehungen, die früher vielleicht etwas<br />
beiseite geschoben wurden, werden wieder belebt. Ältere<br />
Menschen be<strong>für</strong>chten häufig, die Paartherapie trage dazu<br />
bei, alte Verletzungen und Enttäuschungen neu zu beleben<br />
und eine bereits schwierige Situation noch zu verschlimmern.<br />
Oft ist es aber umgekehrt: Zuerst tritt die Erinnerung stärker<br />
ins Bewußtsein, dann folgt die Paartherapie. Ganz allgemein<br />
ist nicht das Alter die Bürde, sondern das Verdrängte bzw.<br />
Aufgeschobene von früher.<br />
In der Paartherapie sollte das Thema der Auseinandersetzung<br />
nicht in die Vergangenheit verlegt, sondern in<br />
seiner Bedeutung <strong>für</strong> die Gegenwart und Zukunft behandelt<br />
werden. Die belastende Erinnerung kann als Zeichen einer<br />
aktuellen Notsituation verstanden und die Wiederbelebung<br />
eines Konflikts im Interesse des Beziehungserhalts gesehen<br />
werden, weil sie die Chance birgt, sich einem noch unerledigten<br />
Thema zu stellen – mit der Möglichkeit einer Lösung.<br />
Dass Konflikte wieder belebt werden, ist letztlich weniger<br />
entscheidend als die Bedeutung, welche diese und vor allem<br />
die damit einhergehenden Enttäuschungen und Verletzungen<br />
im aktuellen Kontext haben und welche Möglichkeiten<br />
bestehen, damit umzugehen.<br />
Eheliches Burnout und Unauflösbarkeit der Bindung<br />
„Eheliches Burnout“ meint, die positiven Gefühle <strong>für</strong>einander<br />
wie Zärtlichkeit, Geduld und liebevolle Zuwendung sind<br />
erschöpft, die so dringend gebrauchte Anerkennung bleibt<br />
aus. Stattdessen verbreiten sich Gleichgültigkeit und Kälte,<br />
in manchen Beziehungen sogar Härte und Zynismus. Das<br />
Ausgebranntsein, die Ausweglosigkeit hat wesentlich mit<br />
dem Gefühl und Wissen zu tun, der Beziehung nicht mehr<br />
entrinnen zu können. Paare in dieser Situation vermitteln<br />
den Eindruck, sie seien in gegenseitigen Schuldzuweisungen<br />
und Feindseligkeiten erstarrt. Oftmals sind beide Partner<br />
überfordert; einerseits spüren sie, nichts mehr ertragen<br />
und auch kein weiteres Verständnis <strong>für</strong>einander aufbringen<br />
zu können, andererseits wissen sie aber auch, dass sie der<br />
Beziehung nicht mehr entrinnen können (Riehl-Emde 2005).<br />
Unbefriedigende Situationen in der partnerschaftlichen<br />
Sexualität<br />
Die Vorstellung von der Asexualität im Alter ist inzwischen als<br />
ein Mythos entlarvt. Sexualität bleibt zumindest als Möglichkeit<br />
bis ins hohe Alter erhalten. Mit dem Altern sinken zwar die<br />
sexuelle Appetenz und die sexuelle Reaktionsfähigkeit, doch<br />
die Erregungs- und Orgasmusfähigkeit bleiben grundsätzlich<br />
erhalten. Ab dem 60. Lebensjahr kommt es allmählich, spätestens<br />
jedoch nach dem 70. zu einer deutlichen Reduktion<br />
sexueller Kontakte. Sexuelle Aktivitäten und Phantasien dauern<br />
dennoch oft bis in die hohen 80er Jahre und verschwinden<br />
auch danach nicht immer ganz; allerdings verändern<br />
sich Intensität, Formen und Inhalte. Bei der Mehrzahl älterer
Männer und Frauen ist das sexuelle Interesse größer als die<br />
sexuelle Aktivität („interest-activity-gap“; Fooken 2005). Gerade<br />
in Langzeitehen besteht die Tendenz, die paarbezogene<br />
Sexualität zu beenden, bevor die sexuellen Möglichkeiten<br />
erschöpft sind. Menschen, die auch in jüngeren Jahren<br />
nicht besonders an Sexualität interessiert sind, fühlen sich<br />
mit zunehmendem Alter weniger verpflichtet, Interesse an<br />
Sexualität zu zeigen. Dann ist es nur konsequent bzw. ein<br />
emanzipatorischer Akt, zu sagen: „Wissen Sie, wir ziehen<br />
heute ein Glas Wein vor“ (Bucher 2005).<br />
Übrigens wurde der Einfluss des Alters auf die sexuelle<br />
Aktivität in der empirischen Forschung lange Zeit erheblich<br />
überschätzt. Eine umfangreiche Erhebung in Großbritannien<br />
(Johnson et al. 1994) zeigt, dass die Sexualität eines Paares<br />
mindestens bis zum Alter von 50 Jahren – vermutlich aber<br />
deutlich länger – durch die Dauer der Beziehung sehr viel<br />
stärker gedämpft wird als durch das Lebensalter. Die sexuelle<br />
Aktivität hängt also weniger davon ab, ob jemand 25, 40<br />
oder 60 Jahre alt ist, sondern mehr davon, ob die Beziehung<br />
seit einem, fünf oder zehn Jahren besteht (Schmidt 1998, S.<br />
353).<br />
Wird über eine auffällige Reduktion der Sexualität geklagt,<br />
– auffällig in Bezug auf die sexuell-erotische Beziehungsgeschichte,<br />
nicht in Hinblick auf statistische Durchschnittswerte!<br />
–, spielen neben den im Altern veränderten Reaktionsmustern<br />
beider Geschlechter und neben dem Gesundheitszustand<br />
beider Partner meist auch paardynamische Gründe<br />
eine Rolle (Jellouschek 1997), vor allem:<br />
• Die Angst des Mannes vor seiner nachlassenden Potenz<br />
kann sich mit der Angst der Frau vor ihrer nachlassenden<br />
Attraktivität zu einem Vermeidungsmuster verbinden;<br />
• die emotionale Zerrüttung der Beziehung, obwohl beide<br />
Partner sexuell interessiert sind;<br />
• zu viele Verletzungen und Kränkungen, so dass die körperliche<br />
Nähe nicht mehr zugelassen werden kann;<br />
• Probleme, sexuelle Wünsche auszudrücken bzw. eine<br />
schweigende Erwartungshaltung;<br />
• der Gesundheitszustand bzw. die Erkrankungen eines<br />
oder beider Partner.<br />
Hinzukommen natürlich auch Themen wie Schuld, Scham,<br />
Angst, Dominanz, Unterwerfung, Aggressivität und Bemächtigung,<br />
Kontrollverlust, aber auch das mehr oder weniger<br />
komplizierte Verhältnis zum Körper. Die Sexualität kann<br />
einen negativen Beigeschmack aufgrund religiöser Gebote<br />
und Verbote haben. Alle diese Themen stehen meist in<br />
Wechselwirkung mit dem Erleben sexueller Lust und können<br />
sich hemmend auswirken bzw. im Altern besondere Herausforderungen<br />
<strong>für</strong> die sexuelle Entwicklung sein.<br />
Die Sexualität im Alter ist aber nicht nur eine Art Echo der bis<br />
dahin gelebten Sexualität, sondern steht auch offen <strong>für</strong> neue<br />
Erfahrungen. Dazu gehören auch sanfte, ruhige Formen<br />
des Zusammenlebens, in denen Zärtlichkeit dominiert; im<br />
Fachjargon: Prägenitales wird wichtiger als Genitales. Butler<br />
und Lewis (1996) prägten den Begriff der „zweiten Sprache<br />
der Sexualität“ im Alter, die nicht nur körperliche, sondern<br />
vor allem emotionale und kommunikative Aspekte kennt<br />
und Einfühlungsvermögen erfordert. Die Sexualität behält im<br />
Altern ihre zentrale Bedeutung zur Regulierung des Selbstwertgefühls,<br />
<strong>für</strong> das Erleben von Geborgenheit, Nähe und<br />
Bindung.<br />
Eine kürzlich veröffentlichte Fallgeschichte zeigt eindrucks-<br />
voll, wie mutig, klar und authentisch ältere Paare in einer<br />
sexualmedizinischen Sprechstunde über ihre Sexualität<br />
sprechen können (Brandenburg 2008). Für Menschen aller<br />
Altersstufen ist der Mut entscheidend, eigene Wünsche<br />
und Abneigungen zu zeigen und es auszuhalten, dass das<br />
Gegenüber darauf möglicherweise nicht positiv reagiert.<br />
Ohne diesen Mut schläft die Sexualität häufig ein. Meine<br />
Erfahrungen zeigen, dass viele ältere Paare diesen Mut nicht<br />
aufbringen, zumal der Verzicht auf gemeinsame Sexualität<br />
dem Paar ermöglicht, dem der Sexualität immanenten Konfliktpotential<br />
auszuweichen (Riehl-Emde & Bruder 2009).<br />
Probleme mit Kindern, drohender Kontaktabbruch zu den<br />
Enkeln<br />
Viele ältere Paare unterstützen ihre Kinder und Enkelkinder:<br />
sie übernehmen Betreuungs- und Erziehungsaufgaben, die<br />
Übernahme der Großelternfunktion wird in der Regel als<br />
positive Erfahrung und sinnstiftende Aufgabe erlebt. Oftmals<br />
steht aber auch eine Umgestaltung der Beziehung zu den<br />
eigenen Kindern und Schwiegerkindern an, die Akzeptanz<br />
von deren Problemen und Lebensweisen usw. Wenn in der<br />
Beziehung zu den Kindern gravierende Konflikte auftreten,<br />
ist häufig der Kontakt zu den Enkeln mitbetroffen. Bisweilen<br />
ist der drohende Kontaktabbruch zu den Enkeln dann ein<br />
Auslöser <strong>für</strong> Paargespräche, die mit dem Ziel der Versöhnung<br />
bzw. der Bewältigung des Konflikts begonnen werden.<br />
Indikation zur Paartherapie im Alter<br />
Dass Psychotherapie mit älteren Menschen möglich, sinnvoll,<br />
notwendig und langfristig erfolgreich ist, gilt als erwiesen<br />
(Heuft & Marschner 1994). Dabei scheinen sich therapeutische<br />
Ansätze, die von den aktuellen Konflikten ausgehen,<br />
besonders zu bewähren, weil es bei der Behandlung älterer<br />
Menschen oft um Situationen geht, die sehr belastend sind<br />
und eine Veränderung dringend nötig machen. Da ältere<br />
9
10<br />
Menschen in ihrem Leben meist schon viele Krisen erlebt<br />
und bewältigt haben, gilt es in der Regel, an früheren Bewältigungsformen<br />
anzuknüpfen und diese als Ressourcen<br />
zu nutzen. Die Paar- und Familientherapie versucht, solche<br />
„schlummernden“ Potentiale aufzuspüren und zu (re)aktivieren.<br />
In der Paartherapie arbeiten ein Paar und ein Therapeut bzw.<br />
ein Therapeutenpaar zusammen. Paartherapie hat zum Ziel,<br />
die Interaktionen bzw. die Beziehungsdynamik zwischen<br />
den Partnern so zu verändern, dass die Probleme der Einzelnen,<br />
des Paares und manchmal auch der Familie gemildert<br />
werden. Sie ist zur Behandlung von Störungen, aber auch<br />
zur Ressourcenmobilisierung und Bewältigungshilfe bei<br />
psychischen und körperlichen Krankheiten indiziert. Anlass<br />
können darüber hinaus auch allgemeine Lebensprobleme<br />
oder Beziehungskrisen sein.<br />
Es geht um begrenzte Ziele, die – vereinfacht ausgedrückt<br />
– darin bestehen, zunächst einmal die Situation, nicht den<br />
Menschen zu ändern (Weakland & Herr 1984; Johannsen<br />
1994). Wichtiger als das Lebensalter der Patienten sind die<br />
Flexibilität und die Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen.<br />
Durch die erfolgreiche Bewältigung von situationsbedingten<br />
Problemen kann oftmals auch die Sichtweisen der Betroffenen<br />
und damit die Auswirkung einer Pathologie gemildert<br />
werden. Psychotherapeutische Kurzformen dominieren in<br />
der Arbeit mit älteren Menschen.<br />
Die klinische Erfahrung spricht da<strong>für</strong>, dass Paartherapie mit<br />
älteren Paaren sich kaum von der mit jüngeren unterscheidet.<br />
„Im wesentlichen werden <strong>für</strong> ältere Patienten keine neuen<br />
oder anderen Psychotherapieverfahren und Behandlungstechniken<br />
benötigt“, stellt Maercker (2003, S.146) in einer<br />
Übersichtsarbeit zur Alterspsychotherapie fest. Spezifisch in<br />
der Arbeit mit älteren Menschen ist jedoch, dass die Therapeuten<br />
Wissen über das Altern benötigen, dass sie zeitgeschichtlich<br />
denken, dass sie ihre eigenen Voreinstellungen<br />
kennen und fruchtbar damit umgehen können, und dass das<br />
Netz der Behandler oftmals breiter ist als in der Arbeit mit<br />
Jüngeren; z.B. finden zumeist medizinische Behandlungen<br />
parallel statt oder sind anzuregen und soziale Angebote<br />
<strong>für</strong> Ältere können sinnvoll in das Behandlungskonzept einbezogen<br />
werden. Themen von Glauben und Sinnfindung<br />
haben einen höheren Stellenwert als bei jüngeren Paaren. In<br />
unserer Spezialambulanz, in der ältere Paare aus Langzeitehen<br />
überwiegen – etwa zwei Drittel sind mehr als 30 Jahre<br />
verheiratet – stelle ich immer wieder fest, dass ältere Paare<br />
eher die Paartherapie beenden, bevor sie einen endgültigen<br />
Bruch ihrer Ehe riskieren. Dies ist ein entscheidender Unterschied<br />
im Vergleich zur Therapie mit jüngeren Paaren.<br />
Speziell bei älteren Menschen ist ein paartherapeutisches<br />
Vorgehen indiziert,<br />
• weil der Anteil von psychischen und zwischenmenschlichen<br />
Problemen an den möglichen Krisen im Alter<br />
hoch ist und weil diese sich in der Regel gerade in den<br />
Beziehungen zu den nächsten, also den Ehepartnern<br />
oder Kindern, ausdrücken;<br />
• weil im Alter oftmals in sehr kurzer Zeit gravierende<br />
Veränderungen auftreten (in den Paar- und Familienbeziehungen<br />
und in deren Umwelt), die Neuorientierungen<br />
erforderlich machen und überfordern können.<br />
Darüber hinaus ist das Zustandekommen therapeutischer<br />
Gespräche von der Kooperationsbereitschaft der Beteiligten<br />
abhängig. Dies ist eine allgemeine Voraussetzung, die natürlich<br />
<strong>für</strong> jede Art der Behandlung unabhängig vom Alter der<br />
Betroffenen gilt.<br />
Und eine weitere Voraussetzung <strong>für</strong> die Indikation stellt die<br />
Voreinstellung des Psychotherapeuten dar, d.h. seine Bereitschaft,<br />
mit Alten zusammenzuarbeiten.<br />
Kontraindiziert sind paartherapeutische Settings,<br />
• wenn es über längere Zeit nicht gelingt, die Beteiligten<br />
vor Entwertung und Demütigung zu schützen oder<br />
wenn die Therapie die Feindseligkeit zwischen diesen<br />
verstärkt,<br />
• wenn die Gespräche vor allem dazu dienen, der anderen<br />
Person zu beweisen, dass die letzten 30, 40 Jahre<br />
schlecht waren oder dass er/sie schon immer irgendetwas<br />
falsch gemacht oder versagt hat.<br />
Bisher liegen keine spezifischen Effizienz- und Effektivitätsstudien<br />
zur Paartherapie mit älteren Paaren vor. Da jedoch<br />
die Wirksamkeit von Paartherapie im Allgemeinen belegt<br />
ist und sich Psychotherapie mit älteren Menschen als erfolgreich<br />
erwiesen hat, können wir aufgrund der klinischen<br />
Erfahrung bis zum Vorliegen spezifischer Ergebnisstudien<br />
davon ausgehen, dass Paartherapie auch bei älteren Paaren<br />
erfolgreich eingesetzt werden kann (Riehl-Emde 2006). Effizienz-<br />
und Ergebnisstudien eigens <strong>für</strong> ältere Paare stehen<br />
nicht zuletzt deswegen noch aus, weil ältere Paare im paartherapeutischen<br />
Setting bisher unterrepräsentiert sind.
Literatur<br />
Brandenburg, Ulrike (2008) Die sexuelle Welt älterer Menschen. Psychotherapie<br />
im Dialog 9(1): 59-62<br />
Bucher T (2005) Sexualität nach der Lebensmitte. Wünsche, Wirklichkeit und<br />
Wege. Psychotherapie im Alter (PiA), 2(3), 79-94<br />
Butler RN, Lewis MJ (1996) Alte Liebe rostet nicht. Über den Umgang mit<br />
Sexualität im Alter. Huber, Bern<br />
Fooken I (2005) Eros und Sexualität im mittleren und höheren Erwachsenenalter.<br />
In: Filipp SH, Staudinger UM: Entwicklungspsychologie des mittleren<br />
und höheren Erwachsenenalters. Hogrefe, Göttingen, S. 715-238<br />
Heuft G, Marschner C (1994) Psychotherapeutische Behandlung im Alter.<br />
State of the Art. Psychotherapeut 39: 205-219<br />
Jellouschek H (1997) „Warum hast du mir das angetan?“ Untreue als Chance.<br />
Piper, München<br />
Johnson AM, Wadsworth J, Wellings K, Field J (1994) Sexual attitudes<br />
and lifestyles. Blackwell, Oxford<br />
Johannsen J (1994) Systemische Therapie. In: Radebold H, Hirsch RD (Hrsg)<br />
Altern und Psychotherapie. Huber, Bern, S. 125-132<br />
Maercker A (2003) Alterspsychotherapie. Aktuelle Konzepte und Therapieaspekte.<br />
Psychotherapeut 48:132-149<br />
Riehl-Emde A (2005) Eheliches Burn-out - wo sind Lust und Liebe geblieben?<br />
Psychotherapie im Alter 2(3): 49-64<br />
11<br />
Riehl-Emde A (2006) Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare. State of the Art. Psychotherapie<br />
im Alter (PiA) 3(4): 49-66<br />
Riehl-Emde A (2008) Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare. Konzept einer Spezialsprechstunde<br />
und Einblick in die Praxis. Psychotherapie im Dialog (PiD) 9(1):<br />
38-42<br />
Riehl-Emde A, Bruder A (2009) Paartherapie mit älteren Paaren: Das<br />
schwierige Thema Sexualität. In: Brähler E, Berberich HJ (Hrsg) Sexualität und<br />
Partnerschaft im Alter. Psychosozial-Verlag, Giessen, S.177-200<br />
Riehl-Emde A, Cierpka M (2006) Spezialambulanz <strong>für</strong> ältere Paare am<br />
Institut <strong>für</strong> Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie.<br />
Psychotherapie im Alter 3(4): 99-106<br />
Schmidt G (1998) „Wir sehen immer mehr Lustlose!“ Zum Wandel sexueller<br />
Klagen. Familiendynamik 23: 348-365<br />
Seibert H (1995) Die Mythen und die Theologie des Alters. Soziale Arbeit<br />
44 (3): 85-91<br />
Weakland, JH, Herr JJ (1984) Beratung älterer Menschen und ihrer Familien.<br />
Die Praxis der angewandten Gerontologie. Huber, Bern<br />
Wallerstein, JS, Blakeslee S (1996) Gute Ehen. Wie und warum die Liebe<br />
dauert. Quadriga, Weinheim, Berlin
12<br />
Trauma – (k)ein Thema im Alter:<br />
Überlegungen zur aktuellen Situation Hochbetagter<br />
und zu den Konsequenzen <strong>für</strong> helfende Professionen<br />
Silke Birgitta Gahleitner<br />
Im Zuge des demographischen Wandels rückt die Lebenspha-<br />
se des Alters immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses.<br />
Stück <strong>für</strong> Stück hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass<br />
Altwerden und Altsein nicht nur eine individuelle Aufgabe,<br />
sondern auch eine soziale und gesellschaftliche Herausforderung<br />
und Verantwortung darstellen. In den immer unüberblickbaren<br />
Verhältnissen der Postmoderne sein Leben<br />
möglichst optimal entsprechend eigener Vorstellungen zu<br />
gestalten, bringt nicht nur alte Menschen an die Grenzen<br />
ihrer Leistungsfähigkeit. Nie zuvor war die Phase des Alterns<br />
individuell so gestaltbar, aber auch so gestaltungsbedürftig.<br />
Fragen rund um diesen Lebensabschnitt scheinen derzeit zu<br />
explodieren: Fragen nach neuen Formen von Generationsbeziehungen,<br />
nach Wohnformen, nach sozialen Angeboten<br />
und Versorgungsstrukturen. Daraus erwachsen Aufgaben<br />
<strong>für</strong> helfende Berufe wie z. B. Entwicklungsaufgaben zu unterstützen,<br />
die Selbständigkeit und die Teilhabe am sozialen<br />
Leben zu ermöglichen sowie aktiv bei der Bearbeitung und<br />
Bewältigung von alterstypischen Problemen zu unterstützen,<br />
um jeweils nur einige wenige zu nennen (Dech et. al., 2007).<br />
Die Lebensqualität älterer Menschen wird bestimmt durch<br />
das Verhältnis von Anforderungen an die jeweilige Person<br />
und ihre persönliche Möglichkeit, diese Anforderungen<br />
zu bewältigen. Durch Krankheiten treten im Alter häufig<br />
innerhalb kürzester Zeit gravierende psychische, körperliche<br />
und geistige Funktionsstörungen auf. Dabei stehen vorzugsweise<br />
körperliche Krankheiten im Fokus des professionellen<br />
Interesses. Psychosoziale Problemlagen im Alter als unterstützungswürdige<br />
Bedarfslagen anzuerkennen und Interventionsnotwendigkeiten<br />
als auch Interventionschancen<br />
anzusehen, ist eher eine neue Tendenz in der Gerontologie.<br />
Dies ist umso erstaunlicher, als die aktuelle Generation<br />
hochbetagter Menschen nicht nur über ein großes Spektrum<br />
an Lebenserfahrung verfügt, sondern insbesondere<br />
außerordentlich traumaträchtige Erlebnisse wie die Zeit des<br />
Nationalsozialismus mit seinen höchst komplexen und weitreichenden<br />
Auswirkungen erleben und bewältigen musste.<br />
Welche Herausforderungen die Bewältigung der Erfahrun-<br />
gen des letzten Jahrhunderts an inzwischen hochbetagte<br />
Menschen gestellt hat und noch stellt, welche Formen des<br />
Umgangs sie damit entwickelt haben und inwiefern dies ihre<br />
aktuelle Situation und Befindlichkeit im Alter beeinträchtigt,<br />
wird jedoch in den zuständigen Fachdisziplinen trotz eines<br />
starken Literaturzuwachses in den letzten Jahren (vgl.<br />
insbesondere die Fachzeitschrift: Psychotherapie im Alter)<br />
bisher immer noch zu wenig thematisiert. Am Beispiel einer<br />
80jährigen Dame, die an einem Forschungsprojekt zur Verarbeitung<br />
komplexer Traumata teilgenommen hat, wird die<br />
Situation alter Menschen mit traumatischen Lebenserfahrungen<br />
verdeutlicht und aufgezeigt, dass ein biografischer<br />
und klinisch-sozialarbeiterischer Blickwinkel sich als hilfreich<br />
erweist, um bedarfsgerechte interdisziplinär abgestimmte<br />
Interventionen helfender Berufe zur Unterstützung <strong>für</strong> diese<br />
Klientel zu entwickeln.<br />
„Man muss sich selber durchbeißen, nicht?“ –<br />
späte Reflexionen über früh erfahrene Traumata<br />
Frau Ohnstedt 1 ist 82 Jahre alt und in zweiter Ehe verwitwet.<br />
Sie war neben der Tätigkeit als alleinerziehende Mutter<br />
langjährig im kaufmännischen Bereich angestellt und lebt<br />
heute von einer knappen Rente. Mit ihrem Sohn und ihren<br />
EnkelInnen steht sie in regem Kontakt. Frau Ohnstedt wurde<br />
als Kind vielfach von ihrem acht Jahre älteren Cousin vergewaltigt.<br />
Im Interview spricht sie das erste Mal über ihre<br />
sexuellen Gewalterfahrungen: „Er hat mich vergewaltigt. Er<br />
war ein richtiger Sadist. Aber fragen Sie mich nicht, ich hab‘<br />
das vollkommen verdrängt.“ Über die Gewalterfahrung zu<br />
sprechen, war zu ihrer Zeit so angstbesetzt und tabuisiert,<br />
dass es <strong>für</strong> Frau Ohnstedt bis heute unmöglich ist, das Erlebte<br />
mit ihr Nahestehenden zu teilen: „Ich hätte es nicht<br />
über die Lippen bekommen“. Die immer wiederkehrenden<br />
existentiellen Bedrohungen in ihrem Leben, die Ablehnung<br />
durch die eigene Mutter, Krieg, Hunger, Zerstörung und später<br />
das Leben als erwerbstätige und alleinerziehende Mutter<br />
1<br />
Die Daten der Interviewpartnerin wurden anonymisiert, der Name wurde im Forschungsprozess vergeben. (Für einen Ergebnisüberblick vgl. Gahleitner, 2005;<br />
zur Forschungsmethodik vgl. Gahleitner, 2007)
ließen sie auch gar nicht zu einer Beschäftigung mit ihren<br />
Traumata kommen.<br />
„Ich möchte nicht sagen, dass ich es ganz vergessen habe,<br />
aber dadurch, dass immer wieder neue Tragödien oder<br />
Situationen eingetreten sind, die das Alte verdeckt haben,<br />
musste ich unheimlich viel verarbeiten. Es gab immer noch<br />
schlimmere Situationen.“ Frau Ohnstedt erlebte, was viele<br />
Frauen vor dem Krieg, im Krieg und in der Nachkriegszeit<br />
erlebt haben. „Wir sind geflüchtet, das war die reinste Odyssee<br />
… nachts dann durch‘n Wald über die Grenze“. In den<br />
Wirren des Kriegsendes gerät sie in Gefangenschaft in einem<br />
kahlen Kellerverließ: „Ich konnte mich nicht orientieren, ich<br />
wusste nicht ob da ne Toilette ist oder was, war auch kein<br />
Fenster kein Licht, nichts“. Bei den Bombenangriffen war sie<br />
eine ganze Nacht verschüttet. Sie verliert eine gute Freundin<br />
und den ersten und einzigen Mann, dem sie je vertraut hat:<br />
„Da hab ich lange lange Zeit nicht sprechen können. Ich hab<br />
nichts … nichts mehr sagen können“. Nach dem Krieg wird<br />
sie beinahe erneut vergewaltigt – durch einen ‚hilfreichen<br />
Fremden‘ – ein Schicksal, welches sie mit zahlreichen anderen<br />
Frauen teilt. Wie sie es geschafft hat, weiß sie selbst<br />
nicht: „Nochmal Krieg nein. Möcht ich nicht erleben“.<br />
Auf die Frage, wie sie ihr Leben gemeistert hat, sagt Frau<br />
Ohnstedt spontan: „Wissen Sie was, das weiß ich selber<br />
nicht so genau. ... Aber ich wusste, du hast ein Kind, und<br />
du musst <strong>für</strong> ihn da sein.“ Diese Ambivalenz zwischen<br />
dem Gefühl, viel auf dem Herzen, aber keinen inneren und<br />
äußeren Raum da<strong>für</strong> zu haben, taucht im Interview immer<br />
wieder auf. An professionelle Hilfe hat sie nie zu denken<br />
gewagt: „Ich habe noch nie einen Therapeuten benutzt.“<br />
Das Gefühl, „alleine damit fertig werden zu müssen“ zieht<br />
sich durch Frau Ohnstedts Leben wie ein roter Faden, der<br />
fast ein wenig an nationalsozialistische Durchhalteparolen<br />
erinnert. „Das Leben ist nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen,<br />
das Leben ist Kampf“ sagt sie im Interview. Alles, ob widrige<br />
äußere Umstände oder individuelles psychisches Leiden, ist<br />
<strong>für</strong> Frau Ohnstedt eine Frage der Selbstdisziplin: „Du musst<br />
dich erziehen, an dir arbeiten, nicht wahr … der menschliche<br />
Wille ist stark und vermag vieles.“<br />
Heute jedoch ist alles – <strong>für</strong> sie unerwartet – wieder ganz<br />
präsent: „Richtig aufgewühlt bin ich jetzt erst, wo ich mein<br />
ganzes Leben rotieren lasse. Da habe ich mich beschäftigt,<br />
mit meiner Jugend. Und seitdem bin ich penetrant traurig,<br />
unglücklich und wütend – alles auf einmal … ich mach‘ mir<br />
eben zu viele Gedanken ... und ich träume, ich träume jede<br />
Nacht. Und ich weiß nicht ... durch diese Träume baue ich<br />
irgendetwas ab“. In der Rückschau jedoch hat es auch in<br />
ihrem Leben nicht an Situationen gefehlt, die auf Auswirkungen<br />
der sexuellen Gewalterlebnisse hinweisen. Bereits als Ju-<br />
13<br />
gendliche unmittelbar im Anschluss an die Gewalterfahrung<br />
hatte sie Suizidgedanken: „Ich bin manchmal in den Wald<br />
gegangen und habe die Bäume angeguckt, habe gedacht:<br />
‚Ach, da raufklettern und einfach runterfallen?‘ ... das war<br />
grausam, das Gefühl. Das kann man gar nicht wiedergeben.“<br />
Im jungen Erwachsenenalter begeht sie einen Suizidversuch<br />
mit Alkohol und Tabletten, den sie nur knapp überlebt.<br />
Trotz einer guten sozialen Einbettung, die sich Frau Ohnstedt<br />
vor allem durch ihr immerwährendes Engagement <strong>für</strong> andere,<br />
sei es <strong>für</strong> ihren Sohn oder ihre Enkel, jedoch auch <strong>für</strong> gute<br />
Freundinnen, erworben hat, bleibt auch heute ein Gefühl von<br />
Entfremdung und Isolation bestehen. Das Vertrauen, auch<br />
ohne Leistung <strong>für</strong> andere liebens- und unterstützungswert<br />
zu sein, stellt sich trotz zahlreicher Alternativerfahrungen nur<br />
schwer ein. Das tiefe Misstrauen führt Frau Ohnstedt selbst<br />
auf ihr zerstörtes Selbstwertgefühl zurück: „Ich wusste immer,<br />
dass ich ein böser Mensch bin. Ich hab‘ mich einfach nur<br />
schlecht gefühlt.“ Im Verlauf des mehrstündigen Gesprächs<br />
fasst Frau Ohnstedt langsam Vertrauen in ihr Gegenüber und<br />
kann das Angebot von Zuhörerschaft, aufrichtigem Interesse<br />
und Entlastung entgegennehmen: „Ich denke, Sie könnten<br />
öfter mal kommen, ich könnte noch tagelang erzählen“, resümiert<br />
sie am Ende das Interview, „ich bin erstaunt ... dann<br />
hat das ja einen Sinn, was ich hier mache.“<br />
Trauma und Altern –<br />
zwei interagierende Prozesse<br />
2 (vgl. u. a. Kellermann, 2001 sowie den Herausgeberband von Heldt, Kettnaker, Rebentisch, Schlegl & Sonntag, 2006)<br />
Trotz der zunehmenden Beschäftigung der Psychotraumatologie<br />
mit den psychophysischen Folgen traumatischer Erfahrungen<br />
im Lebensverlauf wird die Situation alter Menschen<br />
dabei weitgehend vernachlässigt. Im Zuge der persönlichen<br />
Zeugenschaft oder gar Opferschaft vieler hochbetagter<br />
Menschen bei zwei Weltkriegen, bei Flucht und Vertreibung<br />
mit all den sie begleitenden (sexuellen) Gewaltübergriffen<br />
– gar nicht zu sprechen vom Holocaust, der nochmals eine<br />
ganz besondere Rolle der Opferschaft und Folgeerscheinungen<br />
einnimmt 2 − mindestens jedoch in Form existentiell<br />
bedrohlicher materieller Notzeiten, sollte man dies eigentlich<br />
anders erwarten. In den letzten Jahren ist die öffentliche<br />
Aufmerksamkeit <strong>für</strong> psychische Phänomene des Alterns<br />
jedoch gestiegen: „Alte Menschen sind besonders suizidgefährdet…“<br />
(Etzold, 2006 S. 67).<br />
Nach aktuellen Erkenntnissen der Psychotraumatologie<br />
können − wie bei Frau Ohnstedt − posttraumatische Belastungen<br />
noch Jahrzehnte später aufbrechen – in der Fachliteratur<br />
als‚PTSD with delayed onset’ (Somer, 2000) bezeichnet.<br />
„Auch denjenigen, denen eine jahre-, ja jahrzehntelange
14<br />
passable Anpassung gelungen ist, kann ... noch ein später<br />
Ausbruch oder eine Verschlimmerung der posttraumatischen<br />
Symptomatik während oder nach Durchschreiten der<br />
Lebensmitte zustoßen“ (Aarts & op den Velde, 2000, S. 305).<br />
Traumatische Erfahrungen liegen jedoch – gerade wegen des<br />
großen Abstandes zum Ursprungsereignis − <strong>für</strong> alternde Menschen<br />
häufig jenseits der Möglichkeit der Kommunizierbarkeit.<br />
Für sexuelle Gewalt gilt dies aufgrund des gesellschaftlichen<br />
Umgangs mit Sexualität, dem Inzesttabu und den daraus resultierenden<br />
Scham- und Schulddynamiken in besonderem Maße<br />
(Summit, 1983). Jedoch auch Kriegstraumatisierungen waren<br />
aufgrund der komplexen Dynamik von Schuldverstrickung und<br />
anderen Tabuisierungsmomenten lange Zeit ein vernachlässigtes<br />
Thema (vgl. von Radebold, Heuft & Fooken, 2006; Spranger,<br />
2007; Janus, 2006).<br />
Wenn jedoch über einen langen Zeitraum hinweg keine Möglichkeit<br />
besteht, traumatische Belastungen zu verarbeiten,<br />
erhöht sich das Risiko langfristiger Folgeerscheinungen (vgl.<br />
u.a. Cole & Putnam, 1992; Mullen, 1998). Wie zahlreiche ältere<br />
Menschen, so berichtet auch Frau Ohnstedt, dass sie die<br />
Symptome der sexuellen Traumatisierung über viele Jahre<br />
hinweg durch eine Reihe ausgeklügelter Bewältigungsstrategien<br />
unterdrücken konnte. Insbesondere im Übergang vom<br />
mittleren zum hohen Lebensalter erfährt die posttraumatische<br />
Belastung dann jedoch häufig eine neue Dimension,<br />
in der sich alternde Menschen plötzlich – wie auch Frau<br />
Ohnstedt beschreibt – ‚aufgewühlt‘ und nach all den Jahren<br />
des Durchhaltens überfordert fühlen.<br />
Gemäß dem gesellschaftlich vorherrschenden Defizitverständnis<br />
wird der späte Ausbruch posttraumatischer Belastungen<br />
zumeist auf den Abbau der geistigen und körperlichen<br />
Konstitution, eine Schwächung der Bewältigungsfähigkeiten<br />
und eine Zunahme an negativen Lebensereignissen zurückgeführt:<br />
Der Alterungsprozess führe zu einem Verlust an<br />
Selbstidentität und einem geringeren Organisationsgrad des<br />
Organismus bei wachsenden äußeren Anforderungen und<br />
sinkenden sozialen Ressourcen. Eine Kombination aus allgemeinem<br />
Mangel an geistiger Beweglichkeit und wachsenden<br />
belastenden Lebensereignissen führe zwangsläufig zu Dekompensationen<br />
(vgl. u.a. Gagnon & Hersen, 2000; Schulz,<br />
1982). Frau Ohnstedt selbst bringt diese Vorgänge jedoch<br />
keineswegs in Zusammenhang mit einem psychophysischen<br />
Verfallsprozess des Alterns, sondern eher mit Prozessen der<br />
Selbstreflexion: „Warum wühl‘ ich jetzt alles auf. Vielleicht<br />
hätte ich das lieber nicht machen sollen?“<br />
Auch nach modernen Erkenntnissen geht der Prozess des<br />
Alterns keineswegs nur mit einem Abbau einher, sondern<br />
auch mit weiterem Wachstum und zunehmender Reifung.<br />
Bereits in den achtziger Jahren kristallisierte sich in der<br />
Gerontologie das sogenannte ‚Kompetenz-Modell‘ (Kruse,<br />
1992, S. 333 f.) heraus, in dem – ergänzt um ökologische<br />
Modelle – deutlich eine Ressourcenorientierung formuliert<br />
wird (Lehr, 1991). Dies bedeutet selbstverständlich nicht,<br />
dass altersbedingte Belastungen keine Rolle bei einer spät<br />
ausbrechenden posttraumatischen Belastung spielen; sie<br />
stellen jedoch <strong>für</strong> sich genommen noch keine hinreichende<br />
Bedingung da<strong>für</strong> dar.<br />
Nach dem Konzept der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne<br />
(Faltermaier, Mayring, Saup & Strehmel, 1992)<br />
bietet die Lebensphase Alter wie jede andere entwicklungspsychologische<br />
Phase im Lebenszyklus neben spezifischen<br />
Herausforderungen zahlreiche Chancen (Coleman, 1986;<br />
Saup, 1991), z.B. die Möglichkeit, sein gelebtes Leben zu<br />
reflektieren und über die eigene Existenz tiefergehend<br />
nachzudenken. Die Herausforderungen dieser Lebensphase<br />
bestehen darin, alte Wunden und zunehmend auch reale aktuelle<br />
Verluste zu überwinden, neue körperliche Herausforderungen<br />
zu meistern und zu einer reiferen Ich-Integrität zu<br />
gelangen. Alte Menschen vollbringen in all diesen Bereichen<br />
beachtliche Entwicklungsleistungen.<br />
Auch Frau Ohnstedt wirkt zunächst keineswegs vom Alter<br />
gezeichnet. Für ihre 77 Jahre zum Interviewzeitpunkt macht<br />
sie einen rüstigen Eindruck, treibt nach wie vor Sport, blieb<br />
bisher von schwerwiegenden Einbußen durch Krankheit<br />
verschont und ist sozial hoch kompetent. Sie benennt die<br />
Sollbruchstelle, an der die Erinnerungen an das Trauma sie<br />
erneut ‚heimgesucht haben‘, gleich zu Beginn des Interviews<br />
und ohne danach gefragt worden zu sein: Als sie sich mit<br />
ihrer Biografie beschäftigt und ‚ihr Leben nochmals rotieren<br />
lässt‘, gerät sie in Konflikt mit der Jahrzehnte zurückliegenden<br />
sexuellen Gewalterfahrung.<br />
Auch bei Frau Ohnstedt sind also weniger individuelle Defizite<br />
<strong>für</strong> die Schwierigkeiten mit der Aufarbeitung des sexuellen<br />
Traumas verantwortlich zu machen als das Zusammentreffen<br />
spezifischer Entwicklungsaufgaben des Älterwerdens<br />
mit den Anforderungen der posttraumatischen Bewältigung.<br />
Bei dem normalerweise einsetzenden Rückblick auf ihr<br />
Leben stößt Frau Ohnstedt auf bisher nicht integrierte Erinnerungen,<br />
die angesichts der damaligen Lebensumstände<br />
nicht angemessen verarbeitet werden konnten. Nach Aarts<br />
& op den Velde (2000, S. 304) machen „Analogien zwischen<br />
Entwicklungskonflikten im fortgeschrittenen Alter und Reaktionen<br />
auf Traumata ... die Dekompensationen älterer Traumaüberlebender<br />
verständlicher, auch wenn die betreffende<br />
traumatische Erfahrung vor vielen Jahrzehnten geschehen<br />
ist“.<br />
Für alternde Menschen ist daher die Annahme und Integration<br />
der eigenen Vergangenheit und die Herstellung von<br />
Kohärenz und Selbstkontinuität eine zentrale Entwicklungsaufgabe<br />
(Coleman, 1986; Antonovsky, 1997). Dabei stehen<br />
Erinnerungsprozesse im Zentrum der Integration. Erinnerungen<br />
helfen alternden Menschen, Erfahrungen und Zu-
ständen der Vergangenheit Bedeutung zu verleihen und sie<br />
anzunehmen. Dieser Prozess ähnelt in einem hohen Maße<br />
den Bemühungen, traumatische Ereignisse zu integrieren<br />
(Horowitz, 1976). Die Angst erregenden Erinnerungen an die<br />
traumatische Vergangenheit können diesen Prozess jedoch<br />
stark behindern (van der Kolk, 2000). Bei einer destruktiven<br />
Interaktion der beiden Prozesse kommt es leicht zu der von<br />
Frau Ohnstedt beschriebenen Vermeidungsdynamik. Traumatisierte<br />
Menschen begegnen folglich auf dem Weg des<br />
Alterns zusätzlichen Anforderungen und haben damit eine<br />
„doppelte Aufgabe“ (Aarts & op den Velde, 2000, S. 304) zu<br />
erfüllen. Aus dieser Tatsache lässt sich schlussfolgern, dass<br />
eine frühe Traumatisierung ein Entwicklungsrisiko im Alter<br />
darstellt, welches nicht aus Defiziten erwächst, sondern mit<br />
der Kumulation von Aufgabenstellungen im Alter zusammenhängt.<br />
Implikationen <strong>für</strong> die Praxis helfender Berufe<br />
Am Beispiel von Frau Ohnstedts Biografie wird deutlich, dass<br />
traumatische Belastungen lebenslang Risiken bergen, wenn<br />
sie unverarbeitet bleiben. Eine hohe Belastungsfähigkeit im<br />
Verlauf des Lebens geht daher häufig einher mit dem Aufbrechen<br />
der Erfahrungen im hohen Alter und nur geringen<br />
Möglichkeiten an dieser Stelle, professionelle Hilfe zu Rate<br />
zu ziehen. Die individuelle Scheu, das professionelle Netz<br />
zu nutzen, ist dabei umrahmt von gesellschaftlichen Bildern<br />
über Traumata als Zeichen von Schwäche einerseits und<br />
Vorurteilen gegenüber dem Hilfesystem andererseits. Die<br />
individuelle Scheu wird jedoch auch unterstützt von einer<br />
gesellschaftlichen Grundhaltung gegenüber der Lebensphase<br />
des Alters, die von Wertlosigkeit und Verfall geprägt ist.<br />
Die Annahme, dass ältere Traumabetroffene eine ‚verstärkte<br />
Empfindlichkeit‘ <strong>für</strong> die Belastungen zeigen, die mit dem<br />
‚psychophysischen Verfall des Organismus‘ einhergehen,<br />
zeichnet ein verzerrtes Bild alternder Menschen, welches<br />
den Möglichkeiten und Ressourcen, die dieser Lebensphase<br />
innewohnen, nicht gerecht wird. Werden diese Phänomene<br />
als Teil des degenerativen Prozesses missdeutet, so stärkt<br />
dies die Haltung, alte Menschen zum ‚alten Eisen‘ zu zählen,<br />
<strong>für</strong> die es sich nicht mehr lohnt, das Sozialversicherungssystem<br />
um Ausgaben zu bemühen. Eine Fixierung auf das<br />
Alters-Defizienz-Modell führt damit auch zu einem unangemessenen<br />
Pessimismus hinsichtlich der Prognose der<br />
Psychotherapie und Beratung älterer Menschen.<br />
Im Kontrast zu dieser Betrachtungsweise verfügt Frau<br />
Ohnstedt über zahlreiche dynamische, ressourcenstarke<br />
und lebensfrohe Seiten, an denen es sich lohnen würde,<br />
anzusetzen. Dass sie mit der sexuellen Gewalterfahrung bis<br />
ins hohe Alter so gut zurechtgekommen ist, ist bereits ein<br />
15<br />
Zeugnis <strong>für</strong> ihre hohe Belastbarkeit und ihre Fähigkeit, sich<br />
anzupassen und einen Weg durch die Anforderungen eines<br />
bewegten Lebens zu finden. Auch ist fortgeschrittenes Alter<br />
keine Kontraindikation <strong>für</strong> professionelle Hilfsangebote. Für<br />
eine angemessene Behandlung älterer Traumaopfer ist es<br />
jedoch wichtig, verstärkt Aufmerksamkeit auf diejenigen<br />
Prozesse zu richten, die tatsächlich zu ihrer Dekompensation<br />
beitragen, um an der richtigen Stelle intervenieren zu können<br />
und angemessene Behandlungskonzepte zu entwickeln. Mit<br />
Einschränkungen, die sich durch das Altern ergeben, kann<br />
gearbeitet werden, ohne zu versäumen, die breiten und<br />
erfahrungsreichen Horizonte der KlientInnen zu würdigen<br />
(Müller & Petzold, 2002).<br />
Ältere Menschen sind jedoch zuweilen, wie auch Frau<br />
Ohnstedt anmerkt, wenig mit dem psychosozialen Wortschatz<br />
vertraut, haben daher weniger Ausdrucksmöglichkeiten <strong>für</strong><br />
ihr Leiden und folglich auch nicht die Anspruchshaltung auf<br />
Hilfe von professioneller Seite. Die Möglichkeiten eines alten<br />
Menschen, der wie Frau Ohnstedt Krieg, Nachkriegszeit und<br />
absolute Tabuisierung bzgl. sexueller Gewalt und nicht auch<br />
die Frauenbewegung und Therapeutisierung der Gesellschaft<br />
erlebt hat, sind mit den heutigen Chancen der Bearbeitung<br />
und Behandlung nicht zu vergleichen. Einen Raum <strong>für</strong> die<br />
dunklen und entwürdigenden Seiten ihrer Lebensrealität zu<br />
öffnen, sie darin ernst zu nehmen und sie bei der Bearbeitung<br />
zu unterstützen, könnte die Spirale der Marginalisierung<br />
durchbrechen helfen.<br />
PTSD im Alter verdient also eine spezielle klinische Beachtung,<br />
eine auf Gerontologie spezialisierte psychosoziale<br />
Traumatologie. Soziale Arbeit als eine komplexe und angewandte<br />
Disziplin mit dem doppelten Mandat, psychosoziale<br />
Lebensweisen und Lebenslagen mittels professioneller<br />
Methoden zu verstehen und verändern einerseits sowie in<br />
ihrer unmittelbaren Bezogenheit auf Grund- und Menschenrechte<br />
andererseits, hat hier nochmals einen besonderen<br />
Auftrag. In der Klinischen Sozialarbeit, der beratenden<br />
und behandelnden Sozialarbeit, stehen daher neben den<br />
klassischen medizinischen und psychologischen Fragen vor<br />
allem auch Fragen der Benachteiligung, der Überforderung,<br />
des gesellschaftlichen Ausschlusses, der Isolation und von<br />
Konflikten, Gewalt als Gegenstand von Behandlungskonzepten<br />
- kurz ‚Krankwerden durch Kränkung’- im Zentrum des<br />
Interesses (Dech et. al., 2007). Klinisch-sozialarbeiterische<br />
Konzepte vereinen da<strong>für</strong> in einer psychosozialen Perspektive<br />
den Blick auf die individuellen Gefährdungen, Erkrankungen<br />
und Beeinträchtigungen mit einem Blick auf die Ressourcen,<br />
stets unter besonderer Berücksichtigung der Biographie,<br />
Lebenslage und Lebenswelt (Pauls, 2004).<br />
Verschiedene Formen des Aufbrechens von Traumata im<br />
Alterungsprozess können so in Betracht gezogen, einer<br />
Unterscheidung unterzogen und in einen interdisziplinären
16<br />
Behandlungskontext überführt werden, vorzugsweise in ge-<br />
meindenah angelegten Konzepten. „An PTSD leidende ältere<br />
Menschen sind gerne bereit, beeinträchtigende Denk- und<br />
Verhaltensmuster zu verändern. Selbst kleine Veränderungen<br />
können zu großen Verbesserungen der Lebensqualität<br />
führen. Ja mehr noch, die Würde und der Einfallsreichtum,<br />
Literatur:<br />
Aarts, Petra G. H., op den Velde, Wybrand (2000). Eine früh erfolgte Traumatisierung<br />
und der Prozeß des Alterns. Theorie und klinische Implikationen.<br />
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Paderborn: Junfermann.<br />
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13 vom 23. März 2006, S. 67.<br />
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Gahleitner, S. B. (2005). Sexuelle Gewalt und Geschlecht. Hilfen zur Traumabewältigung<br />
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Gahleitner, S. B. (2007). »Ich denke, Sie könnten öfter mal kommen« – Trauma<br />
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W. Fischer, M. Goblirsch & G. Riemann (Hrsg.), Fallverstehen und Fallstudien.<br />
Interdisziplinäre Beiträge zur rekonstruktiven Sozialarbeitsforschung (S. 189-<br />
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Arbeit. 1.)<br />
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Heldt, Thomas, Kettnaker, Barbara, Rebentisch, Jost, Schlegl, Sonja<br />
& Sonntag, Bernd (Hrsg.) (2006). Kein Ort der Zuflucht <strong>für</strong> hilfsbedürftige<br />
alte NS-Verfolgte? Frankfurt a. M.: Mabuse.<br />
die Ältere oft zeigen, ist oft ein beachtliches Zeugnis <strong>für</strong> die<br />
Widerstandskraft des menschlichen Geistes“ (Hankin, 1997,<br />
S. 358). Eine solche Grundeinstellung im Hilfesystem könnte<br />
den pessimistischen Kommentar des Autors in der ZEIT<br />
eventuell verändern helfen : „Alte Menschen sind besonders<br />
suizidgefährdet, aber <strong>für</strong> Helfer schwer zu erreichen“ (Etzold,<br />
S. 67, 2006).<br />
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Behandlungsansätze. Theorie, Praxis und Forschung zu posttraumatischem<br />
Streß sowie Traumatherapie (S. 169-194). Paderborn: Junfermann.
Lebensrückblick als Therapie bei älteren Menschen<br />
Verena Kast<br />
Ältere Menschen erzählen gern aus ihrem Leben, besonders<br />
dann, wenn man ihnen interessiert zuhört. Erzählend versichern<br />
sie sich ihres Lebens, bewerten auch ihr Leben, als interessant,<br />
als schwierig, sie sind stolz, das Leben gemeistert<br />
zu haben. Aus dem eigenen Leben zu erzählen heisst, alles,<br />
was man schon einmal war, alle unsere Identitäten, immer<br />
einmal wieder zu bedenken. Dadurch wird aus unserem Leben<br />
ein Ganzes, verbunden mit dem Gefühl, ein zusammenhängendes,<br />
sinnvolles Leben gehabt zu haben und immer<br />
noch zu haben. Wir sind dann zwar alt, haben aber noch alle<br />
Lebensalter in der Erinnerung, können darüber erzählen. Ein<br />
Lebensrückblick in der Form von Erzählungen geht schon<br />
davon aus, dass andere Menschen zuhören. Und man spricht<br />
nie nur von sich selbst, sondern von Mitmenschen, die Teil<br />
des eigenen Lebens und der Vergangenheit waren. Und die,<br />
die zuhören, können diese Erzählungen auch wieder als<br />
Anlass nehmen, über das eigene Leben nachzudenken, sich<br />
zu fragen, was sie denn so erzählen würden, würde ihnen<br />
jemand wirklich zuhören.<br />
Wie erzählen wir?<br />
Erzählungen sind deshalb so wichtig, weil wir, indem wir<br />
erzählen, unsere Vorstellungskraft einsetzen. „Stell dir vor,<br />
was mir passiert ist...“ sagen wir. Damit holen wir uns die<br />
Sprecherlaubnis vom zuhörenden Menschen, laden ihn<br />
oder sie aber auch dazu ein, in die Welt der Vorstellungen<br />
mit einzutauchen. In gut erzählten Geschichten ist unsere<br />
Vorstellungskraft am Werk und damit sind auch unsere<br />
Gefühle, auch unsere Körpererinnerungen, angesprochen.<br />
Erzählen Menschen aus ihrem Leben, dann ist die Kognition,<br />
die Emotion, die Vorstellungskraft, das Körpergefühl beteiligt.<br />
Erzählend ist man ganzheitlich präsent – und das belebt<br />
bekanntlich. Auch rufen Erinnerungen nach immer neuen<br />
Erinnerungen: Erfahrungen, die uns nicht mehr präsent waren,<br />
kommen uns plötzlich ins Gedächtnis zurück, dies ganz<br />
besonders dann, wenn mehrere Menschen einander etwas<br />
erzählen dürfen.<br />
Was erzählen wir?<br />
17<br />
Die meisten Menschen erzählen gerne aus ihrer Kindheit und<br />
Jugend, aber auch aus dem jungen Erwachsenenalter, aus<br />
den Zeiten des Aufbruchs, Zeiten, die schwierig waren oder<br />
besonders glückhaft. Lebensrückblick bedeutet nicht, dass<br />
wir unsere Biografie möglichst lückenlos aufschreiben. Wir<br />
erzählen, was uns im Zusammenhang mit dem Menschen,<br />
der uns zuhört, wichtig erscheint. So ist der Mitmensch<br />
auch ein Mitverfasser, eine Mitverfasserin von dem, was<br />
wir erinnern. Das mag den einen oder die andere stören,<br />
aber unsere Erinnerungen sind niemals so akkurat, wie wir<br />
es gerne hätten: Unsere Geschichten können immer wieder<br />
neu erzählt werden, sie verändern sich, werden freundlicher,<br />
komplexer, interessanter. Wir erzählen auch uns selber<br />
unser Leben: Das alles und viel mehr hat sich ereignet und<br />
ist erzählenswert. Auch kleine Begebenheiten, wie etwa<br />
das Ausrutschen auf einem Kuhfladen auf einer Bergtour,<br />
bekommen im grösseren Kontext eine Bedeutung.<br />
Lebensrückblick als Therapie<br />
Es gibt immer wieder alte Menschen, die ihr Leben gut gemeistert<br />
haben, die im höheren Alter aber davon sprechen,<br />
dass sie über eine bestimmte Erfahrung in ihrem Leben nicht<br />
„hinwegkommen“, sie „nicht vergessen können“, einfach<br />
nicht damit „fertig werden“. Es sind meistens schwierige<br />
Erfahrungen, die mit Schuld- und Schamgefühlen verbunden<br />
sein können. Es scheint so, als ob alte Menschen das Leben<br />
„in Ordnung“ bringen wollen, solche schwierige „Knoten und<br />
Nester“ noch bearbeiten möchten. Eine lange Psychotherapie<br />
wünschen sie nicht, brauchen sie nicht. In dieser Situation<br />
bietet sich Lebensrückblick als eine Form der Fokaltherapie<br />
an.<br />
Techniken aus der Erzählforschung, der Tiefenpsychologie,<br />
aber auch Erkenntnisse aus der Gedächtnisforschung können<br />
dabei eingesetzt werden. Was uns beschämt, erinnern<br />
wir nicht besonders gut, oder aber wir werden die Erinne-
18<br />
rung nicht los. Aus der Gedächtnisforschung wissen wir,<br />
dass wir entsprechend unserer emotionalen Gestimmtheit<br />
Erinnerungen abrufen: Sind wir traurig, erinnern wir Trauriges,<br />
sind wir bitter, Bitteres. Nun kann man Menschen auf<br />
eine andere Emotion, etwa freudigen Stolz, einstimmen<br />
– und dann Geschichten aus dem Leben im Umkreis der<br />
schwierigen Erfahrung erinnern lassen. So werden auch<br />
Erinnerungen, die freudigen Stolz ausgelöst haben, erinnert.<br />
Mit einem dadurch besseren Selbstwertgefühl können dann<br />
Erfahrungen, die noch immer Scham auslösen, auch emotio-<br />
nal differenziert erinnert und verstanden werden. Stellt man<br />
sich diese Situationen – samt ihrem Umfeld – imaginativ vor,<br />
beurteilt man das damalige Verhalten nicht aus der Jetztsituation,<br />
sondern aus der Situation, in der es sich zugetragen<br />
hat, ist oft Verständnis <strong>für</strong> sich selbst und Versöhnung mit<br />
sich selbst möglich.<br />
Wenn es immer mehr ältere Menschen gibt, brauchen wir<br />
Therapieformen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Lebensrückblick<br />
als Therapie könnte eine solche Form sein.<br />
Schuld und Vergebung am Lebensende<br />
Anmerkungen zu einer verschwiegenen Thematik<br />
Michael Klessmann<br />
Wer Sterbende begleitet weiß, wie häufig am Lebensende<br />
noch einmal die Thematik von Schuld und Vergebung auftaucht.<br />
Konflikte, die lange von den Betroffenen unterdrückt<br />
wurden, brechen noch einmal auf und verlangen nach einer<br />
Klärung. In der Sprache der Gestaltpsychologie: Eine Gestalt,<br />
d.h. eine zurück liegende, auf irgendeine Weise schuldhafte<br />
Begegnung, konnte aus welchen Gründen auch immer nicht<br />
geschlossen werden; wegen dieser Unabgeschlossenheit<br />
fühlen sich die Sterbenden beunruhigt und gequält; ihr Sterben<br />
wird dadurch erschwert. Drei kurze Geschichten mögen<br />
das verdeutlichen:<br />
• Der Pfarrer einer dörflichen Gemeinde wird zu einem<br />
Hausbesuch gebeten, der Vater (ein aktives Gemeindeglied)<br />
liege im Sterben, er quäle sich sehr und er<br />
habe nach dem Pfarrer gerufen, heißt es von Seiten der<br />
Familie. Im Gespräch stellt sich heraus, dass ein alter<br />
und mit großer Feindseligkeit geführter Grenzstreit mit<br />
einem Nachbarn den Mann umtreibt und plagt. Er weiß,<br />
wie groß sein Anteil an diesem Streit ist, wie viel Unrecht<br />
er selber da getan hat, das lässt ihn jetzt nicht zur Ruhe<br />
kommen. Das Gespräch mit dem Pfarrer wird zu einem<br />
Beichtgespräch, in dem der Mann seine Verfehlungen<br />
klar beim Namen nennt, und der Pfarrer ihm daraufhin<br />
Gottes Vergebung zuspricht. Anschließend bittet der<br />
Kranke darum, das Abendmahl zu empfangen – und<br />
den an dem Streit beteiligten Nachbarn dazu einzuladen.<br />
Der Nachbar kommt, beide feiern gemeinsam das<br />
Abendmahl, der Mann stirbt kurz darauf. 1<br />
• Ein sterbender 64jähriger Unternehmer klagt dem ihn<br />
im Krankenhaus besuchenden Pastor, dass er das Gesicht<br />
seines bereits verstorbenen älteren Bruders nicht<br />
los wird. Der Pastor ermutigt ihn, sich das Gesicht noch<br />
einmal zu vergegenwärtigen: Als ein weinendes und<br />
zugleich drohendes Gesicht erscheint es ihm. Der Sterbende<br />
erzählt, wie er vor vielen Jahren den Bruder aus<br />
dem gemeinsamen Geschäft geworfen und dabei übervorteilt<br />
habe. Der Kontakt zwischen beiden ist seither<br />
abgebrochen. Nun weint der Mann über die verlorenen<br />
Jahre mit seinem Bruder, spürt gleichzeitig Wut darüber,<br />
dass und wie er als der Kleinere unter dem Größeren<br />
viele Jahre gelitten hat – und entdeckt in all dem auch<br />
seine Zuneigung zu ihm. Der Pastor lädt dem Mann ein,<br />
all dies dem imaginierten Bruder zu sagen. Es kommt zu<br />
einem fiktiven Zwiegespräch. Am Ende sagt der Mann:<br />
„Ich habe es nicht <strong>für</strong> möglich gehalten, dass ich mich<br />
mit meinem Bruder noch einmal aussöhnen könnte.<br />
Jetzt geschieht’s posthum und ante mortem. Ich glaube,<br />
jetzt kann ich die Augen getroster schließen…“ 2<br />
• Das Pflegeteam einer Station informiert die Musiktherapeutin,<br />
dass Herr Dober offenbar nicht sterben könne,<br />
1<br />
Zusammengefasst aus Günter Löschmann, Grenzerfahrungen. Ein seelsorgerisches Begleitthema. In: Michael Klessmann / Klaus Winkler (Hg.),<br />
Spielarten der Seelsorge. Bethel 1991, 114 - 129.<br />
2 Aus: Kurt Lückel, Begegnung mit Sterbenden. „Gestaltseelsorge“ in der Begleitung sterbender Menschen (1981). Gütersloh 5 2001, 58f
sie hätten das Gefühl, dass zwischen ihm und seiner<br />
Frau etwas nicht stimme. Die Musiktherapeutin spricht<br />
im Beisein der Frau das Thema direkt an, woraufhin Herr<br />
Dober erzählt, dass er eine Freundin gehabt habe. Er<br />
möchte, dass diese Freundin nach seinem Tod auch eine<br />
Todesanzeige und ein Erinnerungsstück von ihm erhalten<br />
solle. Mit ihr habe er seine Sexualität leben können,<br />
während das mit seiner Frau nicht möglich gewesen sei.<br />
Aber jetzt wünsche er sich Versöhnung mit seiner Frau.<br />
Seine Frau verweist zunächst auf seinen Betrug, sagt<br />
dann aber auch unter Tränen, es tue ihr leid, dass sie<br />
sich ihm verweigert habe. Er kann daraufhin sagen, dass<br />
er ihr nach seinem Tod noch ein gutes Leben wünscht.<br />
Herr Dober ist einverstanden, dass ein Priester ihm die<br />
Krankensalbung spendet; er nimmt selber von dem<br />
geweihten Öl und berührt damit zärtlich, wie in einer<br />
Segensgeste, seine Frau, sie küsst ihn zum Abschied.<br />
Herr Dober bedankt sich bei allen, fällt kurz darauf in<br />
einen tiefen Schlaf, aus dem er nicht mehr aufwacht. 3<br />
Schuld wird in allen drei Beispielen zunächst diffus wahrgenommen<br />
als Unstimmigkeit, Unruhe, Qual, als Nicht-sterbenkönnen.<br />
Außenstehende nehmen die Spannung wahr,<br />
die Betroffenen ahnen, um was es geht, brauchen aber<br />
offenbar Hilfe und Anregung von außen, um dem undeutlich<br />
Gefühlten Sprache geben und damit klären zu können. Das<br />
Aussprechen objektiviert den Vorgang, stellt ihn aus der<br />
diffus gefühlten Dunkelheit ins Licht, so dass eine Auseinandersetzung<br />
möglich wird. Das Aussprechen dessen, was<br />
man getan oder gelassen hat, was man schuldig geblieben<br />
ist, gilt als der erste und vielleicht wichtigste Schritt.<br />
Zur Auseinandersetzung mit der Schuld gehört, die Vielfalt<br />
der Faktoren und damit unterschiedliche Schuldanteile<br />
zu erkennen. Selten liegt ein klares und einfaches Schema<br />
von Ursache und Wirkung vor, in den meisten Fällen greifen<br />
mehrere Handlungsstränge und Motivationen ineinander.<br />
Auch wenn sich dies Knäuel nicht mehr entwirren lässt, ist<br />
es wichtig, dass die Betroffenen wenigstens <strong>für</strong> einen Teil<br />
des Geschehens Verantwortung übernehmen. Sie antworten<br />
damit auf die Herausforderung der sie quälenden Unruhe.<br />
Zugleich ist die Verantwortungsübernahme Voraussetzung<br />
da<strong>für</strong>, dass sie Reue empfinden über das, was sie getan oder<br />
3 Aus: Monika Renz, Grenzerfahrung Gott. Spirituelle Erfahrungen in Leid und Krankheit. Freiburg ³2003, 94 – 97.<br />
19<br />
gelassen haben, dass es ihnen leid tut, sie darüber Schmerz<br />
empfinden. Erst dieser Schmerz ermöglicht es dem Gegenüber,<br />
Worte und Zeichen der Vergebung, der Versöhnung zu<br />
finden.<br />
Eine religiöse Dimension von Schuld und Vergebung ist<br />
manchmal klar auszumachen, manchmal eher zu ahnen. Im<br />
ersten Beispiel ermöglicht der Zuspruch der Vergebung von<br />
Gott her, dass sich die beteiligten Personen untereinander<br />
vergeben und sich versöhnen. Im dritten Beispiel läuft es eher<br />
umgekehrt: Die gegenseitige Vergebung und Versöhnung<br />
eröffnet die Möglichkeit, diese zwischenmenschlichen Akte<br />
gewissermaßen göttlich zu bestätigen und zu bekräftigen.<br />
Vergebung bedeutet, jemandem eine Schuld, eine von ihm<br />
oder ihr erlittene Verletzung nicht mehr entgegen zu halten,<br />
sie nicht mehr anzurechnen. Dadurch erfährt jemand Entlastung,<br />
innere Befreiung. Schon das klare Aussprechen des<br />
Sachverhalts kann Entlastung bewirken, weil das Geschehen<br />
damit aus dem bisher gehüteten, aber hintergründig um so<br />
wirkmächtigeren Tabu-Bereich herausgeholt wird. In der<br />
Reue und der anschließenden Versöhnung vollzieht sich Vergebung<br />
– auch wenn sie verbal vielleicht als solche gar nicht<br />
benannt wird. Dass sie statt gefunden hat, lässt sich ablesen<br />
an der Entspannung, die einkehrt, die schließlich auch den<br />
Betroffenen leichter sterben lässt.<br />
Seelsorge verfügt im Umgang mit dem Thema Schuld<br />
und Vergebung – nicht nur am Ende des Lebens – über<br />
besondere Möglichkeiten, das verdeutlichen die Beispiele:<br />
Schon die geistliche Rolle des Pfarrers / der Pfarrerin verweist<br />
auf den Aspekt des Unbedingten, Letztgültigen, der<br />
im Sterben in besonderem Maß im Vordergrund steht: Im<br />
Prozess des Abschieds vom Leben geht es um das Leben<br />
als Ganzes. Darüber hinaus kann Seelsorge mit Beichte und<br />
Abendmahl, Gebet und Segen auf Rituale zurückgreifen, die<br />
in einer Grenzsituation, die mit den alltäglichen Kommunikationsmitteln<br />
kaum zu bewältigen ist, Sprache und Verhaltensmuster<br />
zur Verfügung stellen. In einer Beratung ist es<br />
eher ungewöhnlich, solche Mittel einzusetzen. Gleichwohl<br />
sollten auch Beratende prüfen (und sich entsprechend<br />
darauf vorbereiten), welche Rituale – religiöse und nichtreligiöse<br />
– ihnen zur Verfügung stehen, um Sterbenden und<br />
ihren Angehörigen den Abschied vom Leben zu erleichtern<br />
und ihn würdig zu gestalten.
20<br />
Beratung älterer Menschen –<br />
Versuch einer Bestandsaufnahme<br />
Meinolf Peters<br />
1. Auf dem Weg in die Beratungsgesellschaft<br />
Die gesellschaftliche Entwicklung ist durch eine tiefgreifende<br />
Individualisierung einerseits und eine explosive Pluralisierung<br />
andererseits gekennzeichnet (Keupp 2004). Das Forum<br />
Beratung (2002) versucht in seiner Frankfurter Erklärung<br />
die Konsequenzen dieser Entwicklung im Hinblick auf Beratung<br />
aufzuzeigen: „Eine Welt im Wandel braucht Beratung,<br />
aber eine Beratung, die diesem Wandel Rechnung trägt!<br />
Die Lebens- und Arbeitswelten der Menschen verändern<br />
sich gegenwärtig in dramatischer Form. Bisher tragfähige<br />
Normalitäten und Identitäten verlieren im globalisierten<br />
Kapitalismus ihre Passform und wir all sehen uns mit der Erwartung<br />
konfrontiert, uns flexibel und offen auf veränderte<br />
Bedingungen einzulassen. Unsere Alltage werden riskanter<br />
und unvorhersehbarer. Gemeinsamkeiten scheinen weniger<br />
selbstverständlich. Identitäten und Zukunftsentwürfe<br />
werden brüchig, müssen immer wieder erarbeitet und neu<br />
ausgerichtet werden. Persönliche Lebenspläne, Vorstellungen<br />
von sich selbst und der eigenen Lebenswelt verlangen<br />
kontinuierliche Reflexion und Autonomie“ (Forum Beratung<br />
2002, S.335).<br />
Damit ist der Horizont umrissen, vor dem sich heutige Beratungsbedürfnisse<br />
und-erfordernisse abzeichnen. Dass auch<br />
Ältere zunehmend in die Prozesse einbezogen sind, und ihr<br />
Leben in stärkerem Maße postmoderne Züge aufweist, lässt<br />
sich an einem Befund aus dem letzten Alterssurvey ablesen:<br />
Dort wird hervor gehoben, dass der Anteil von Einpersonenhaushalten<br />
in dem vergleichsweise kurzen Zeitraum zwischen<br />
1996 und 2002 von 7 auf 13% fast verdoppelt hat. Die<br />
Distanzen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern<br />
haben sich in dem gleichen Zeitraum vergrößert. Nicht mehr<br />
23% wie noch 1996, sondern bereits 28% leben nun in einem<br />
anderen Ort. Auch ein Rückgang der täglichen Kontakte war<br />
zu beobachten (Hoff et al. 2006). Der Individualisierungs- und<br />
Pluralisierungsprozess hat also auch die Älteren erfasst, mit<br />
der Konsequenz, dass auch sie die Reflexivität aufbringen<br />
müssen, um die Identitätsarbeit, die eine ‚fließende Gesellschaft’<br />
verlangt, leisten zu können. Identitätsarbeit zu befördern<br />
gilt nach Keupp (2004) als fundamentale Anforderung<br />
an Beratung in einer postmodernen Gesellschaft. Doch wird<br />
die heutige Beratung älterer Menschen diesem Erfordernis<br />
gerecht, erhalten ältere Menschen die notwendigen Hilfen,<br />
um mit den Widersprüchen, Unsicherheiten und Brüchen<br />
in ihrem Leben fertig zu werden und äußere Passung und<br />
innere Kohärenz herstellen zu können? Im Folgenden sollen<br />
einige Überlegungen und Befunde zu dieser Fragestellung<br />
vorgelegt und diskutiert werden.<br />
2. Was ist psychosoziale Beratung?<br />
Kaum ein Begriff ist so schillernd und vielfältig wie der der<br />
Beratung. Wir haben es nicht nur mit einem alltagssprachlichen<br />
Begriff zu tun, sondern auch mit einer Fülle von<br />
unterschiedlichen Professionen geprägten Beratungsbegriffen<br />
und -konzepten, die nur schwer auf einen Nenner zu<br />
bringen sind (Nestmann et al. 2004). Als Wesensmerkmal<br />
psychosozialer Beratung hebt Schnoor (2006) hervor, dass<br />
diese darauf abzielt, einem belasteten oder desorientierten<br />
Klienten Orientierungs-, Planungs-, Entscheidungs- und Bewältigungshilfe<br />
zu geben. Im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe<br />
soll die Handlungssicherheit des Klienten zur Bewältigung<br />
eines aktuellen Problems erhöht werden. Neben Informationsvermittlung<br />
ist damit auch eine Reflexion der Ursachen<br />
der aktuellen Problemlage sowie eine Neustrukturierung<br />
und Neubewertung der Situation verbunden, vor diesem<br />
Hintergrund sollen neue Problemlösungen ermöglicht werden.<br />
Dabei geht es wesentlich darum, die Eigenbemühungen<br />
des Ratsuchenden zu unterstützen und seine Kompetenzen<br />
zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben zu erhöhen. Der<br />
Form nach ist Beratung dabei als zwischenmenschliche Hilfe<br />
zu verstehen, die auf einem helfenden Beziehungsangebot<br />
beruht und sich als sozialer Interaktions- und Kommunikationsprozess<br />
darstellt. Indem die psychosoziale Beratung<br />
dabei auf psychotherapeutische Elemente zurückgreift, hebt<br />
sie sich von anderen Beratungskonzeptionen ab (Peters<br />
2006). Wie in der Psychotherapie wird der Ratsuchende nicht
vornehmlich als Hilfeempfänger gesehen, dem Objektstatus<br />
zugeschrieben wird. Vielmehr besteht das Ziel darin, dem<br />
Subjekt mehr Möglichkeiten zu verschaffen und das i.d.R.<br />
eingangs vorgetragene konkrete Beratungsanliegen auf<br />
seine ‚Türöffnerfunktion’ hin zu prüfen.<br />
Worin aber liegen die Unterschiede zwischen psychosozialer<br />
Beratung und Psychotherapie? Man könnte formal Kriterien<br />
wie Finanzierung oder Dauer nennen, die jedoch sehr relativ<br />
sind, obwohl es sich um objektive Kriterien handelt; so kann<br />
eine Beratung unter Umständen sich über längere Zeit erstrecken,<br />
während eine psychotherapeutische Behandlung<br />
in einer Klinik sehr kurz sein kann. Aussagekräftiger scheinen<br />
die Ausführungen von Großmaß (2005), die darauf hinweist,<br />
dass Beratung und Therapie ihre Klientel auf unterschiedlichen<br />
Problemebenen ansprechen. Wer Beratung aufsucht,<br />
hat häufig Probleme und Schwierigkeiten, die zwar auch in<br />
psychotherapeutischen Behandlungen vorkommen können.<br />
Der Ratsuchende definiert sich i.d.R. aber nicht als krank. Er<br />
fühlt sich eher von bestimmten Anforderungen, die sich ihm<br />
stellen, überfordert, er steht vor Problemen, häufig Entscheidungsproblemen,<br />
die er nicht mehr mithilfe der ihm im Alltag<br />
zur Verfügung stehenden Ressourcen zu bewältigen vermag.<br />
Beratung kennzeichnet also die Nähe zu alltäglichen Problemlagen,<br />
d.h. sie fokussiert von Beginn an auf ein Thema<br />
aus dem sozialen Umfeld (Erziehung, Schule….). Selbst da,<br />
wo Beratung mit klinischen Problemen zu tun hat, bezieht<br />
sie sich stärker auf die Lebenswelt der Patienten, während<br />
Therapie mehr auf die innere Konfliktdynamik zentriert.<br />
Daraus nun lassen sich auch Überlegungen zur differenziellen<br />
Indikation ableiten. Bei der Frage, wann psychosoziale<br />
Beratung indiziert ist, wurde in der Vergangenheit häufig auf<br />
den Begriff der psychosozialen Krise verwiesen. Eine Krise<br />
lässt sich als eine Periode psychischen Ungleichgewichts<br />
verstehen, das aus einer Unausgewogenheit von Anforderung<br />
und Bewältigungsmöglichkeit resultiert. Bauriedl (1985)<br />
versteht unter Krise einen unausgetragenen Konflikt, dem<br />
grundsätzlich eine Gegenläufigkeit innewohnt, und der danach<br />
drängt, ausgetragen zu werden, wobei es sich zumeist<br />
um eine Entscheidungssituation handele. Allerdings ist der<br />
Krisenbegriff durch seine extensive Verwendung in der<br />
populärwissenschaftlichen Literatur im Sinne einer emotionalen<br />
Labilisierung, die recht einseitig in den Kontext persönlichen<br />
Wachstums gestellt wird, <strong>für</strong> den wissenschaftlichen<br />
Gebrauch fraglich geworden. In neuerer Zeit hat der Begriff<br />
der Ambivalenz, also einer nicht ohne weiteres auflösbaren<br />
Gegensätzlichkeit und des Hin- und Hergerissenseins zwischen<br />
einander polar entgegen gesetzten Kräften, stärkere<br />
Aufmerksamkeit erfahren, der möglicherweise eher geeignet<br />
ist, Indikation und Inhalt von Beratung zu präzisieren (Heuft<br />
u. Lüscher 2007, Peters 2008).<br />
3. Grundlagen psychosozialer Beratung<br />
21<br />
Wenn Psychotherapie der Behandlung von Krankheit dient,<br />
und insofern Krankheitslehre und ätiopathogenetische Modelle<br />
zugrunde gelegt werden können, fragt sich, auf welche<br />
wissenschaftliche Basis sich Beratung beziehen kann? Wenn<br />
psychosoziale Beratung das Zusammenspiel von sozialen Lebensverhältnissen<br />
und psychischen Kapazitäten im Blick hat,<br />
dann liegt es auf der Hand, wissenschaftliche Bezugssysteme<br />
heranzuziehen, die diese beiden Ebenen untersuchen. Zum<br />
einen ist damit die Entwicklungspsychologie des Alterns angesprochen,<br />
zum anderen die soziale Gerontologie, also der<br />
sozialwissenschaftliche Teil der Gerontologie.<br />
Die Entwicklungspsychologie des Alters befasst sich mit<br />
den Veränderungen und Anforderungen, die sich älteren<br />
Menschen in dieser Zeit stellen. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben<br />
etwa bietet eine deskriptive Orientierung<br />
im Hinblick auf die zu bewältigenden Aufgaben in einem<br />
bestimmten Lebensabschnitt. Mit jeder neuen Entwicklungsphase<br />
hat der Mensch neue Anpassungsleistungen<br />
zu vollziehen und seine innere Welt umzustrukturieren. Ein<br />
solcher Umstrukturierungsprozess impliziert aber mögliche<br />
Krisen, die bei ungünstigem Ausgang zu psychischer Dekompensation<br />
führen können, die sich aus psychoanalytischer<br />
Sicht als Regression zu pathologischen Strukturanteilen<br />
und Lebensbewältigungsmustern, die in früheren Phasen<br />
funktional waren, darstellen (Peters 2004). Ein verwandtes<br />
Konzept ist das des Übergangs, also des Wechsels von einem<br />
Lebensabschnitt in den nächsten, der in der Regel mit<br />
einem Wechsel der Entwicklungsdynamik verbunden ist. Der<br />
Eintritt in eine neue Altersstufe wird vielfach auch als ‚innere<br />
Wende’ oder gar als ‚Neugeburt’ erlebt (Lehr 1978). Mit<br />
Blick auf das höhere Alter können drei Übergänge markiert<br />
werden, die jeweils mit einem spezifischen Beratungsbedarf<br />
verbunden sind:<br />
• Der Übergang ins Alter, wie er mit dem Austritt aus dem<br />
Berufsleben verbunden ist und eine Überarbeitung der<br />
Identität und Umgestaltung des sozialen und alltäglichen<br />
Lebens erfordert.<br />
• Der Übergang vom selbstständigen ins abhängige Alter,<br />
respektive vom dritten ins vierte Alter mit seinem i.d.R.<br />
erhöhten Hilfe- und Unterstützungsbedarf sowie der<br />
virulent werdenden Abhängigkeits- und Endlichkeitsthematik.<br />
• Der Übergang, der mit dem Sterbeprozess und dem<br />
bevorstehenden Tod verbunden ist.<br />
Während die Entwicklungspsychologie gewissermaßen auf<br />
die Binnenperspektive fokussiert, betont die soziale Gerontologie<br />
in besonderer Weise die lebensweltlichen Bezüge und<br />
die damit verbundenen sozialen Problemlagen. Zwei der in
22<br />
der jüngsten Vergangenheit am meisten diskutierten Theo-<br />
reme sollen kurz umrissen werden. Zum einen ist dies das<br />
Theorem von der Pluralität des Alters, dass die zunehmende<br />
Binnendifferenzierung der Lebensphase Alter vor dem<br />
Hintergrund gesellschaftlicher Modernisierung beschreibt<br />
(Backes u. Clemens 1998). Vor diesem Hintergrund rücken<br />
beispielsweise Themen wie die Gender-Perspektive, soziale<br />
Ungleichheit oder Migration ins Blickfeld, mithin Themen,<br />
die eng mit einem spezifischen Beratungsbedarf verknüpft<br />
sind. Als weiteres Theorem soll auf den Strukturwandel des<br />
Alters (Tews 1993) hingewiesen werden, der ebenfalls die<br />
Konsequenzen der Ausdifferenzierung und Ausdehnung des<br />
Alters thematisiert. Folgende Merkmale des Strukturwandels<br />
werden dabei hervorgehoben:<br />
• Verjüngung, d.h. das Alter beginnt früher,<br />
• Entberuflichung, d.h. immer weniger Ältere gehen einer<br />
Erwerbstätigkeit nach,<br />
• Feminisierung, d.h. der Anstieg des Frauenanteils mit<br />
steigendem Alter,<br />
• Singularisierung, d.h. immer mehr Ältere leben allein,<br />
• Hochaltrigkeit, d.h. der Anteil betagter Älterer steigt<br />
immer weiter an.<br />
Während die ersten beiden Merkmale nicht vornehmlich<br />
soziale Problemlagen schaffen, gleichwohl eine Herausforderung<br />
an die Identitätsarbeit darstellen und damit einen<br />
Beratungsbedarf hervorbringen können, beschreiben die<br />
letzten drei Merkmale eine problematische Lebenslage, die<br />
vielfach einen erhöhten Beratungsbedarf und spezifische<br />
Beratungserfordernisse hervor bringen.<br />
4. Beratungsbedarf, Inanspruchnahme und Beratungspraxis<br />
Wie weit die gesetzlich formuliert Vorgabe, die Beratung als<br />
Pflichtaufgabe der Kommunen definiert, eingelöst wird, lässt<br />
sich bis heute nicht eindeutig beantworten. Die Forschungsdefizite<br />
werden bereits bei dem Versuch einer genaueren<br />
Beschreibung des Beratungsbedarfs sichtbar. Weder der gesundheitliche<br />
Zustand älterer Menschen, noch der Hilfs- und<br />
Pflegebedarf – 7,6% der über 65jährigen und 16,4% der über<br />
80jährigen in Privathaushalten lebenden Älteren sind pflegebedürftig<br />
– oder das erhebliche Ausmaß an Mängeln, die<br />
Wohnungen älterer Menschen aufweisen – in den alten Bundesländern<br />
15%, in den neuen 35% – lassen sich ohne weiteres<br />
in einen Beratungsbedarf hochrechnen. Ein indirekter<br />
Hinweis lässt sich aber der Berliner Altersstudie entnehmen,<br />
die bei den untersuchten über 70jährigen einen Anteil von<br />
33% mit einer subdiagnostischen psychischen Symptomatik<br />
ermittelt hat (Helmchen et al. 1996), wobei depressive und<br />
Angstsymptome im Vordergrund standen. Dabei handelt es<br />
sich um eindeutig identifizierbare Symptome, die aber in der<br />
Anzahl und der Zeitdauer nicht den Kriterien <strong>für</strong> eine diagnostische<br />
Verschlüsselung entsprechen. Man kann davon<br />
ausgehen, dass sich in dieser hohen Zahl ein krisenhafter<br />
Verlauf der Anpassung an die Erfordernisse des Älterwerdens<br />
widerspiegelt, welcher rasch in einen krankhaften<br />
Prozess umschlagen kann. Der Umfang dieser Gruppe lässt<br />
auf einen möglichen Beratungsbedarf schließen.<br />
Von dem vermuteten großen Beratungsbedarf weicht jedoch<br />
die tatsächliche Inanspruchnahme von Beratungsangeboten<br />
in ähnlich eklatanter Weise ab, wie es <strong>für</strong> den Bereich der<br />
Psychotherapie seit langem durch zahlreiche Erhebungen<br />
nachgewiesen ist (Heuft et al. 2006); der Anteil über 65jähriger<br />
psychotherapeutisch Behandelter liegt kaum höher als<br />
1%. Im Hinblick auf Beratungs- und Unterstützungsangebote<br />
<strong>für</strong> Demenzkranke beispielsweise fanden Vetter et al. (1997),<br />
dass 60% der Angehörigen der Betroffenen keine Kenntnisse<br />
über entsprechende Hilfsangebote hatten. Und Schneekloth<br />
und Wahl (2006) berichten, dass nur 16% der Hauptpflegepersonen<br />
regelmäßig auf Hilfsangebote zurückgreifen.<br />
Weitere 37% gaben an, dies gelegentlich zu tun, aber fast<br />
die Hälfte der pflegenden Angehörigen ist überhaupt nicht in<br />
vorhandene Hilfestrukturen eingebunden.<br />
Neben der Frage, in welchem Umfang Beratung älterer Menschen<br />
überhaupt stattfindet, ist die Frage nach den Inhalten<br />
und der Qualität der Beratung von Bedeutung. Es ist zu prüfen,<br />
ob die heutige Beratungspraxis den eingangs skizzierten<br />
heutigen Lebensanforderungen älterer Menschen gerecht<br />
wird. Die wenigen vorliegenden Untersuchungen lassen ein<br />
eher defizitäres Bild erkennen. So fällt der niedrige Grad an<br />
Spezialisierung auf, d.h. nur ein geringer Teil der Beratungseinrichtungen<br />
richtet sich explizit an alte Menschen. Meist<br />
handelt es sich um Einrichtungen, die sich vornehmlich<br />
um Ratsuchende anderer Altersgruppen bemühen oder in<br />
denen der Beratung eine untergeordnete Bedeutung neben<br />
anderen Methoden zukommt. Die neuere Untersuchung der<br />
Alters- und Seniorenberatung von Heinemann-Koch und<br />
Korte (1999) lässt erkennen, dass eine Beratung i.d.R. nicht<br />
durch eine psychosoziale Fragestellung, sondern durch ein<br />
konkretes Beratungsanliegen eingeleitet wird. Folgende<br />
Themen standen dabei im Vordergrund:<br />
• Einkommens- und Finanzberatung: 17,1%<br />
• Wohnberatung (z.B. Wohngeld, Heimunterbringung):<br />
10,9%<br />
• Ernährungs- und Gesundheitsberatung (z.B. mobile<br />
Dienste): 10,0%<br />
• Verbraucher -und Sicherheitsberatung: 1,1%<br />
• Rechtsberatung (z.B.Erbe): 5,9%<br />
• Freizeit- und Bildungsberatung: 21,3%<br />
• Lebensberatung: 10,2%
Bemerkenswert ist der Befund, dass durchschnittlich 6<br />
verschiedene beteiligte Helfer koordiniert werden mussten,<br />
um ein Versorgungsnetz zu knüpfen. Dies wirft nicht nur ein<br />
Licht auf die komplexe Problemlage Älterer, sondern auch<br />
auf ein diversifiziertes Beratungs- und Hilfesystem, d.h. auf<br />
das Fehlen integrierter bzw. vernetzter Angebote. Eine tragfähige<br />
Helferbeziehung kann somit nur schwer entwickelt<br />
werden.<br />
Neben diesen strukturellen Mängeln lassen sich aber auch<br />
Defizite in der Beratungspraxis aufzeigen. Die schon ältere<br />
Kasseler Studie (Bracker 1982) sowie die neuere Studie von<br />
Heinemann-Koch und Korte (1999), in der Beratungsstellen<br />
<strong>für</strong> Senioren in NRW untersucht wurden, zeigen übereinstimmend,<br />
dass nur 10% der Kontakte eine Stunde oder länger<br />
dauerten, und 50% der Beratungen nach weniger als 10 Minuten<br />
abgeschlossen waren. Schon diese enge Zeitstruktur<br />
verdeutlicht, dass Beratung hier allenfalls als Information und<br />
Vermittlung verstanden wird. Auf der anderen Seite vermuteten<br />
die BeraterInnen bei einem erheblichen Teil der Ratsuchenden<br />
Einsamkeitsgefühle bzw. familiäre Konflikte, häufig<br />
im Zusammenhang mit der Pflege. Diese Konfliktthematik<br />
wurde jedoch in den wenigsten Fällen zum Beratungsgegenstand,<br />
eine Diskrepanz, die die Mängel der Altenberatung<br />
und das Verhaftetsein in einem Fürsorgedenken.<br />
5. Beratungsthemen und -erfordernisse<br />
Die Beratung im Pflegekontext, die im Pflegeversicherungsgesetz<br />
zur Pflichtaufgabe gemacht worden ist, dürfte heute<br />
in der Altenberatung gegenüber anderen Beratungsthemen<br />
dominieren, wobei die Beratung der pflegenden Angehörigen<br />
meist im Vordergrund steht (Gräsel 2001, Koch-Straube<br />
2001). 60% der pflegenden Angehörigen sind über 55 Jahren<br />
alt, d.h. befinden sich selbst bereits in fortgeschrittenem Alter.<br />
Die Menschen im dritten Lebensalter scheinen demnach<br />
die betagten Pflegebedürftigen im vierten Lebensalter zu betreuen<br />
und zu versorgen. Alle Untersuchungen weisen nach,<br />
dass die Pflegenden eine ‚Hochrisikogruppe’ im Hinblick auf<br />
die Entwicklung von psychischen oder körperlichen Symptomen<br />
bilden, wobei das Risiko bei der Pflege Demenzkranker<br />
deutlich höher ist als bei anderen Pflegebe-dürftigen. Das<br />
Pflegeversicherungsgesetz hat zwar die Rahmenbedingungen<br />
verbessert, gleichzeitig trägt es gesellschaftlichen<br />
Modernisierungstendenzen insofern Rechnung, als es keine<br />
Vollversorgung, sondern einen Pflegemix von professioneller<br />
und privater Pflege vorsieht. Damit aber spitzt sich die Ambivalenz<br />
dieser Situation weiter zu und es produziert potentiell<br />
konfliktträchtige Entscheidungsprozesse, die einen zusätzlichen<br />
psychosozialen Beratungsbedarf hervorbringen (Lettke<br />
2002).<br />
23<br />
Doch die demografische Entwicklung, der Strukturwandel<br />
des Alters und zunehmende Individualisierungstendenzen<br />
verschärfen nicht nur die Pflegeproblematik, sondern erhöhen<br />
auch die Konfliktträchtigkeit anderer Beratungsthemen,<br />
die einen psychosozialen Beratungsansatz erfordern. Folgende<br />
Themen zählen zu den wichtigsten:<br />
• Wohnberatung.<br />
• Übersiedlung ins Heim (Baumann et al. 2002).<br />
• Beratung Älterer in Heimen (Koch-Straube 2008).<br />
• Beratung in Erbschaftsangelegenheiten (Lüscher 2003).<br />
• Gesundheitsberatung (Sting u. Zurhorst 2000).<br />
• Trauerberatung (Aner, Boothe u. Ugolini).<br />
• Paar- und Sexualberatung (Riehl-Emde, Schrader).<br />
Nicht nur bei offensichtlich psychosozialen Beratungsthemen<br />
wie Paar- oder Trauerberatung, sondern auch bei klassischen<br />
Beratungsthemen wie Wohnberatung oder Beratung bei Erbschaftsfragen<br />
sind mehr und mehr psychosoziale Aspekte<br />
zu berücksichtigen. Wohnberatung kann sich häufig nicht auf<br />
Informationen über altengerechte Wohnraumanpassung und<br />
Wohnmöglichkeiten im Alter beschränken, sondern hat der<br />
wachsenden subjektiven, oftmals aber höchst ambivalenten<br />
Bedeutung Rechnung zu tragen, mit der Ältere ihre Wohnumfeld<br />
erleben (Peters 2004). Beratung in Erbschaftsfragen wird<br />
vermutlich in nächster Zeit wegen der ungeheuren Vermögenswerte,<br />
die in den nächsten Jahren vererbt werden, an<br />
Bedeutung zunehmen. Dass damit ebenfalls brisante, höchst<br />
ambivalente Konstellationen verbunden sein können, macht<br />
Lüscher (2003) deutlich, wenn er in diesem Zusammenhang<br />
vom ‚letzten großen Familiengeheimnis’ spricht.<br />
Psychosoziale Beratungsansätze werden somit an Bedeutung<br />
gewinnen, wozu auch der Kohortenwechsel beitragen<br />
wird (Brückner et al. 2006). Psychosoziale und psychotherapeutische<br />
Angebote wurden auch deshalb in der Vergangenheit<br />
häufig nicht in Anspruch genommen, weil die Älteren<br />
selbst vielfach wenig Bereitschaft zeigten, sich mit ihrer<br />
psychosozialen Konfliktlage auseinanderzusetzen (Peters et<br />
al. 2000). Verantwortlich hier<strong>für</strong> war ein Wertekorsett, wie es<br />
den Subjekten in einer traditionellen Gehorsams- und Verzichtsgesellschaft<br />
aufgezwungen wurde, in der die heutigen<br />
Älteren aufwuchsen. Die dadurch bewirkte ‚verinnerlichte<br />
Disziplinierung’ hat zweifellos die Inanspruchnahme von<br />
Hilfen erschwert. Die jetzt nachrückenden Kohorten werden<br />
andere Einstellungen und Erwartungen an den Tag legen.<br />
Sie sind geprägt durch die Aufbruchstimmung und die sich<br />
verändernden Umgangs- und Kommunikationsformen der<br />
sechziger Jahre. Durch die neuen Kohorten wird sich das<br />
Inanspruchnahmeverhalten ändern und zusätzlicher Innovationsdruck<br />
entstehen. Dies zeigt sich bereits jetzt in einer<br />
stärkeren Inanspruchnahme der mehr an psychosozialen<br />
Konzepten orientierten Ehe- und Lebensberatungsstellen<br />
(Vogt 2004, Fooken 2006) und der Beratungsstellen von Pro
24<br />
Familia durch Ältere im dritten Lebensalter. Eine wachsende<br />
Bedeutung kommt auch den Psychosomatischen Kliniken mit<br />
spezifischen Abteilungen zur Behandlung älterer Patienten<br />
zu, in denen ärztliche und psychotherapeutische mit zahlreichen<br />
anderen Beratungsangeboten kombiniert werden (Peters<br />
et al. 2006). Aber auch die Seniorenberatung im engeren<br />
Sinne wird sich verändern. Jene Beratungsstellen, die sich<br />
einem psychosozialen Beratungsansatz verpflichtet fühlen,<br />
haben sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Angehörigen-<br />
und Altenberatungsstellen zusammengeschlossen<br />
(BAGA). Beides ist vorbildlich in der Beratungsstelle <strong>für</strong> ältere<br />
Menschen und deren Angehörige in Tübingen realisiert<br />
(Braun u. Schmidt 2006).<br />
Literatur:<br />
Backes G; Clemens W (1998). Lebensphase Alter. Eine Einführung in die<br />
sozialwissenschaftliche Alternsforschung. Weinheim: Juventa.<br />
Baumann, U./ Mitmansgruber, H./ Thiele, C./ Feichtinger L (2002):<br />
Übergang ins Seniorenheim: eine Herausforderung <strong>für</strong> Senioren und <strong>für</strong><br />
Psychologen. In Maerker, A. (Hrsg.) Alterspsychotherapie und klinische<br />
Gerontopsychologie. Berlin: Springer 283-319.<br />
Bauriedl, T. (1985): Psychoanalyse ohne Couch. München: Urban & Schwarzenberg.<br />
Bracker, M. (1982): Empirische Ergebnisse der Untersuchung über Altenberatung<br />
<strong>für</strong> die Praxis. In: Bracker, M./ Hackewitz, W./ von, Pressel I./ Radebold,<br />
H. (Hrsg.): Aspekte heutiger Altenberatung. Hannover: Vinczent, 3-31.<br />
Braun, C./ Schmidt, M. (2006). ‚Drei unter einem Dach’ – ganzheitlich und<br />
dennoch spezialisierte Altenberatung am Beispiel der Beratungsstelle <strong>für</strong><br />
Ältere in Tübingen. Psychotherapie im Alter, 2, 111-119.<br />
Brückner B, Al Akel S, Klein U (Hrsg.). (2006). Verstehende Beratung alter<br />
Menschen. Regensubrg: Roderer-Verlag.<br />
Forum Beratung der DGVT (2002). Frankfurter Erklärung zur Beratung. Aufruf<br />
zu einem Neuen Diskurs. In: F Nestmann; F Engel (Hrsg.). Die Zukunft der<br />
Beratung. Tübingen: DGVT-Verlag, 335-338.<br />
Gräsel, E. (1998): Häusliche Pflege demenziell und nicht demenziell Erkrankter.<br />
Teil II: Gesundheit und Belastung der Pflegenden. Zeitschrift <strong>für</strong><br />
Gerontologie und Geriatrie, 31, 57-63.<br />
Gräsel, E. (2001): Angehörigenberatung bei Demenz: Bedarf, Ausgestaltung,<br />
Auswirkungen. Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, 6, 215-220.<br />
Großmaß, R (2005).Welchen Beitrag leistet Beratung zur psychosozialen<br />
Versorgung? Psychotherapie im Dialog, 6, 184-188.<br />
Heinemann-Koch, M./ Korte, E. (1999): Seniorenberatung in Nordrhein-<br />
Westfalen. Teil I Organisationsformen, Leistungsbilanz, Erfahrungen. Berlin<br />
1999.<br />
6. Zur weiteren Entwicklung<br />
Nachdem sich Beratung insgesamt aus einem autoritären<br />
Fürsorgesystem gelöst hatte, hatte sie sich in den 60er und<br />
70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an psychotherapeutische<br />
Verfahren angelehnt, um sich erst in neuerer<br />
Zeit wieder um mehr Eigenständigkeit zu bemühen (Schnoor<br />
2006). Doch die Beratung älterer und alter Menschen<br />
beginnt sich erst in neuerer Zeit von einem traditionellen<br />
Verständnis, das dem Ratsuchenden den Objektstatus als<br />
Hilfeempfänger zuweist, zu lösen. Die Beratungspraxis bei<br />
dieser Klientel sollte sich den in anderen Bereichen längst<br />
etablierten Beratungsgrundsätzen stärker annähern. Damit<br />
werden bisherige, mehr traditionelle Formen der Beratung<br />
keineswegs überflüssig, sie werden günstigstenfalls in umfassenderen,<br />
integrativen Konzepten aufgehen, bei denen<br />
den psychotherapeutischen Methoden jedoch weiterhin<br />
eine nicht unerhebliche Rolle zufallen wird.<br />
Helmchen, H./ Baltes, M.M./ Geiselmann, B./ Kanowski, S./ Linden,<br />
M./ Reischies, F.M./ Wagner, M./ Wilms, K.U. (1996): Psychische Erkrankungen<br />
im Alter. In: Mayer, K.U.; Baltes, P.B. (Hg.): Die Berliner Altersstudie.<br />
Berlin: Akademie-Verlag, 185-221.<br />
Heuft G, Lüscher K (2007). Ambivalenz – Belastung – Trauma. Psyche 61,<br />
218-252.<br />
Hoff, A. (2006): Intergenerationelle Familienbeziehungen im Wandel. In<br />
Tesch-Römer, C./ Engstler, H./ Wurm, S. (Hrsg.): Altwerden in Deutschland.<br />
Sozialer Wandel und individuelle Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte.<br />
Wiesbaden: VS-Verlag, 231-287.<br />
Keupp, H (2004): Beratung als Förderung von Identitätsarbeit in der Spätmoderne.<br />
In: Nestmann, F./ Engel, F./ Siekendiek, U. (Hrsg.): Das Handbuch der<br />
Beratung. Band I, Tübingen, 469-485.<br />
Koch-Straube, U. (2008): Beratung in der Pflege. Bern: Huber (2. Auflage).<br />
Lehr, U (1978). Das mittlere Lebensalter – ein vernachlässigtes Gebiet der<br />
Entwicklungspsychologie. In: Oerter R (Hrsg.), Entwicklung als lebenslanger<br />
Prozess. Hamburg: Hoffmann & Campe, 147-177.<br />
Lettke, F (2002): Pflegen wollen, sollen, müssen oder dürfen? Zur Ambivalenz<br />
von Generationenbeziehungen im Alter. In: Motel-Klingebiel A./<br />
Kontratowitz von H.-J./ Tesch-Römer, C. (Hrsg.). Lebensqualität im Alter. Generationenbeziehungen<br />
und öffentliche Servicesysteme im sozialen Wandel.<br />
Opladen: Leske + Budrich, 71-95.<br />
Lüscher, K. (2003): Erben und Vererben. Ein Schlüsselthema der Generationenforschung.<br />
In: Lettke, F. (Hrsg.): Erben und Vererben. Gestaltung und<br />
Regulation von Generationenbeziehungen. Konstanz: Universitätsverlag<br />
Konstanz, 125-142.<br />
Nestmann F, Engel F, Sickendiek, U (2004). Das Handbuch der Beratung.<br />
Band 1: Disziplinen und Zugänge. Tügingen: DGVT-Verlag.<br />
Peters, M. (2004): Klinische Entwicklungspsychologie des Alters. Grundlagen<br />
der psychosozialen Beratung und Psychotherapie. Göttingen: Vandenhoeck<br />
& Ruprecht.
Peters, M. (2006): Psychosoziale Beratung und Psychotherapie älterer<br />
Menschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.<br />
Peters, M (2008). Beratung Älterer und ihrer pflegenden Angeörigen. In…..<br />
Peters, M./ Lange, C./ Radebold, H. (2000). Psychotherapiemotivation älterer<br />
Patienten in der Rehabilitationsklinik. Zeitschrift <strong>für</strong> Psychosomatische<br />
Medizin und Psychotherapie, 46, 259-273.<br />
Peters, M./ Gehle, B./ Lindner, J. (2006).Identitätskonflikte im Alter – Aufgabe<br />
<strong>für</strong> die gerontopsychosomatische Rehabilitation. Psychotherapie im Alter, 3,<br />
97-111.<br />
Riehl-Emde A, Schneekloth, U./ Wahl, H.-W. (Hrsg.) (2006): Selbständigkeit<br />
und Hilfebedarf bei älteren Menschen in Privathaushalten. Stuttgart:<br />
Kohlhammer.<br />
Rezension:<br />
Meinolf Peters<br />
„Die gewonnenen Jahre“<br />
Von der Aneignung des Alters Göttingen 2008<br />
Vor mir liegt ein Homerbildnis, eine Skulptur aus dem 5.<br />
Jahrhundert v. Chr. Man sieht den greisen blinden Dichter,<br />
der nach innen blickt, in sich hinein zu hören scheint. Archäologen<br />
vertreten die Auffassung, dass sich im Bildnis<br />
des Homer, eines kalos geron, eines schönen Greises, eine<br />
neue Einstellung zum Alter abzeichne. Ein erstaunliches<br />
Phänomen. Ein Griechentum, das Schönheit und körperliche<br />
Kraft der Jugend verherrlicht hat, findet in der Gestalt eines<br />
uralten Greises mit körperlichen Schwächen Bildung und<br />
Wissen, geistige Autorität und die Quelle der Religion.<br />
Galt Alter als Last und etwas Verachtenswertes, so kommt<br />
im Homerbildnis exemplarisch Weisheit und Vornehmheit<br />
zur öffentlichen Darstellung in Tempeln, Lehrhallen und<br />
Häusern. Eine denkwürdige Wende in einer Kultur, in der<br />
traditionell Alter und Hässlichkeit zusammengehörten.<br />
Bei der Buchlektüre des Buches von Meinolf Peters „Die<br />
gewonnenen Jahre“ ist dies mein Haupteindruck: Der Autor<br />
verhilft zu einer neuen Einstellung gegenüber dem Alter,<br />
arbeitet kräftig mit an einem homerischen Altersbild. Eine<br />
bewußte, auch kritisch bedachte und vollzogene Aneignung<br />
der jeweiligen Altersphasen ist das Ziel des gut lesbaren,<br />
sehr informativen Werkes. An einer Stelle weist der Autor<br />
auf den späten Ernst Bloch, den im hohen Alter erblindeten<br />
Tübinger Philosophen. Nach seinem Bekenntnis lebte er in<br />
dieser Zeit sehr stark von seinen inneren Bildern. Bilder mit<br />
Symbolkraft sind eine entscheidende Hilfe zum Verstehen<br />
des menschlichen Lebens in der Zeit, im Prozess von Wer-<br />
25<br />
Schnoor, H. (2006): Psychosoziale Beratung in der Sozial- und Rehabilitationspädagogik.<br />
Eine Einführung. In Schnoor, H. (Hrsg.): Psychosoziale Beratung<br />
in der Sozial- und Rehabilitationspädagogik. Stuttgart: Kohlhammer, 14-23.<br />
Schrader Ch.<br />
Sting, St./ Zurhorst, G. (Hrsg.) (2000): Gesundheit und Soziale Arbeit.<br />
Weinheim: Juventa.<br />
Tews, HP (1993). Neue und alte Aspekte des Strukturwandels des Alters.<br />
In Naegele G, Tews HP (Hrsg.), Lebenslagen im Strukturwandel des Alters.<br />
Opladen: Westdeutscher Verlag, 13-42.<br />
Vetter, P./ Steiner, O./ Kraus, S./ Kropp, P./ Möller, W.D. (1997). Belastung<br />
von Angehörigen und Inanspruchnahme von Hilfen bei Alzheimer<br />
Krankheit. Zeitschrift <strong>für</strong> Gerontopsychologie und –psychiatrie, 10, 175-185.<br />
den und Vergehen. Ein vertieftes<br />
Verständnis vom Leben hängt<br />
davon ab, betont der Autor. Auf<br />
dem Buchumschlag hätte mir sein Bild besser gefallen als<br />
das eines agilen Ehepaares mittleren Alters an irgendeinem<br />
Strand.<br />
Ich wurde beim Lesen erinnert an einen Aufsatz des Schriftstellers<br />
Martin Gregor Dellin: „Das Privileg des Alters“. Darin<br />
bietet er eine Fülle von Beispielen aus der abendländischen<br />
Kulturgeschichte, die bedeutende Lebensleistungen im Alter<br />
aufweisen. Wieviel Feuer, wieviel schöpferische Kraft kann<br />
man hinter Altersmasken erkennen, schreibt Gregor Dellin.<br />
Er weist u.a. auf Theodor Fontane. Was der über seinen alten<br />
Vater gesagt hat, trifft auf ihn selber zu: „Wie er ganz zuletzt<br />
war, so war er eigentlich.“ Bei der Behandlung des Themas<br />
Alter ergeben sich Schwierigkeiten. Das 44. Römerberggespräch<br />
in Frankfurt a.M. über das Thema „Jugendwahn<br />
und Altersangst“ hat dies beispielhaft vor Augen geführt.<br />
Teilnehmende und KritikerInnen beklagten den Drang mancher<br />
Referierender vom „Hundertsten bis in Tausendste“<br />
abzulenken, die weiten Horizonte nicht angemessen zu umgrenzen,<br />
in allgemeine Unverbindlichkeit zu verfallen. Jeder<br />
Teilnehmer kommt mit viel Vorwissen, oft mit stark fixierten<br />
Vorurteilen. Das macht die Arbeit mühsam.<br />
Im vorliegenden Buch wird diese Schwierigkeit so gelöst, wie<br />
das auf jener Tagung eine Referentin offenbar geschafft hat:<br />
durch umfragegehärtete Zahlen und Schlüsse das Thema so
26<br />
zu strukturieren, dass man zu einem konkreten, enggeführ-<br />
ten Gespräch angeleitet wird. Der Gang der Darstellung ist<br />
reich gestützt durch Forschungsergebnisse. Sie ermüden die<br />
Leser nicht. Man nehme das 861 Seiten starke Mammutwerk<br />
von Betty Friedan, „Mythos Alter“, Ergebnis einer zehn Jahre<br />
dauernden Forschung. Es steht <strong>für</strong> ein vergleichbares Ziel<br />
(hier im Hinblick auf Frauen): Klischees von Senilität und<br />
Verfall zu widerlegen, zu einer neuen Sicht, besonders der<br />
dritten Altersphase beizutragen.<br />
Vieles wird mit leichter Schriftstellerhand verarbeitet. Was<br />
man nicht kennt – wie etwa in meinem Fall die wichtigen<br />
Arbeiten von H. Radebold, „Der mühselige Aufbruch. Eine<br />
Psychoanalyse des Alters“ – wird so dargestellt, dass man<br />
Lust bekommt, hier weiter zu arbeiten. Das Buch bietet eine<br />
Fülle von Beispielen aus Literatur und Filmen: Milan Kundera,<br />
Tanja Blixen, Sten Nadolny, Bert Brecht u.a.<br />
Eine große Hilfe, jene anfangs zitierte Welt der Symbole und<br />
inneren Bilder reich zu machen und die Leselust zu erhöhen.<br />
Wir folgen dem guten Vademecum von Meinolf Peters ins<br />
weite Feld der Anthropologie, den Grunderfahrungen jedes<br />
Menschen, älter zu werden, schließlich alt zu sein, auch Gebrechlichkeit<br />
und Pflegebedürftigkeit zu erleben. Jeder kann<br />
es sehen und die Statistiken belegen es: In unseren Breiten<br />
steigt die Lebenserwartung. Der mittelalterliche Cantus „Mitten<br />
wir im Leben sind mit dem Tod umfangen...“ verstummt.<br />
Sterbeerfahrungen, früher allgegenwärtig, geraten an den<br />
Rand der Gesellschaft. Die maximale Lebenserwartung kann<br />
bis auf 100 Jahre gesteigert werden. Gesundheitsprogramme<br />
und Fitnessangebote tragen dazu bei, werden auf Märkten<br />
nicht selten überhöht. Wie geht man sinnvoll mit gewonnenen<br />
Jahren um, wie kommt man zu einer veränderten reifen<br />
Aneignung des Alters?<br />
Wichtig ist, das macht dieses Buch überdeutlich, welches<br />
Bild jeweils vom Alter gemalt wird, welche Denkschemata<br />
uns beherrschen. Wir haben großen Einfluss auf das WIE des<br />
Alterns. Es gibt Buchtitel und Schlagwörter, die von einer<br />
Kunst des Alterns sprechen. Der Autor hat auf allen Seiten<br />
ein mir sympathisches Bewußtsein der Ambivalenzen. Es<br />
gibt schließlich am Ende aller Kunst ein Reich der Zwänge,<br />
des geduldigen Annehmens von Nichtveränderbarem.<br />
Der Blick wird zunächst auf die alte Generation gelenkt, die<br />
Krieg, Flucht und Vertreibung erlebt, unter schweren traumatischen<br />
Erfahrungen gelitten hat und noch leidet. Männliche<br />
Charakterstrukturen kennen wir, mehr als uns lieb ist: Härte,<br />
Rücksichtslosigkeit, Untertanenmentalität, Disziplin. Klaglos<br />
ist oft gelitten worden. Jede LeserIn kann dem Autor mit einer<br />
Fülle von eigenen Erfahrungen beipflichten. Auch, wenn<br />
er den Aufbruch in die Postmoderne schildert, was oft zu<br />
einseitig mit der 68iger Generation verknüpft wird, kann er<br />
sagen: Ja, auf dem Boden der wirtschaftlichen Entwicklung<br />
kommt es auf breiter Ebene zum Aufbrechen der Alterssche-<br />
mata, gibt es so etwas wie einen Bildersturm des Altarbildes<br />
der Kriegsgeneration.<br />
In das neue Bild gehören nicht nur Habitus und veränderte<br />
Kleidung, Reiselust und Mobilität, sondern eine offensivere<br />
Teilhabe am bewegten Leben der Zeit. Vor allem im Denken<br />
und Sprechen. Das Erlebnis der Jugend kann ausgeweitet<br />
werden, ohne den Beigeschmack von Krampf und Lächerlichkeit<br />
zu bekommen. Beispiel: der greise Geck!<br />
Im Buch finde ich auf weiten Strecken einen weisheitlichen<br />
Strang, an dem ich mich gerne entlang führen lasse. Dazu<br />
gehört folgende Einsicht: Ewige Jugend kann man träumen,<br />
in Bildern der Kunst belachen. Zu einem reifen Alterungsprozess<br />
gehört das Wissen um Abschied und Trauer. Was man<br />
verleugnet, holt einen ein, führt ein Eigenleben. Die Dialektik<br />
von Annehmen und Verändern kommt so zur Sprache,<br />
wie ich dies aus einem der bekanntesten amerikanischen<br />
Gebete kenne, „The serenity prayer“ von Reinhold Niebuhr.<br />
Darin geht es um Gelassenheit und eine Annahme dessen,<br />
was unveränderbar ist und um die Courage, zu verändern,<br />
was veränderbar ist. Schließlich um die Weisheit, zwischen<br />
beiden zu unterscheiden.<br />
Das gilt etwa <strong>für</strong> den befreiten Umgang mit Alterssexualität.<br />
Wer den Film „Wolke 9“ gesehen hat, findet in diesem Buch<br />
einen Text, der Freiräume aufzuweisen imstande ist, Wege<br />
zu einem vertieften Erleben der Alterssexualität zeigen kann,<br />
aber auch daran interessiert ist, wie libidinöse Energien<br />
schöpferisch umgewandelt werden können im Sinne von<br />
neuen, anderen Erfahrungen.<br />
Zum weisheitlichen Strang im Buch über die gewonnenen<br />
Jahre gehört <strong>für</strong> mich als Leser das homerische Bild. Vielleicht<br />
auch das berühmte Bild der Mutter Albrecht Dürers, gewiss<br />
die Photographie vom uralten Ernst Bloch. Nun erfahre ich<br />
bei Peters, dass 500 000 operative Verschönerungsmaßnahmen<br />
jährlich in Deutschland erfolgen, davon 70% kosmetische<br />
Eingriffe im Gesicht. Zu offenkundig der ästhetische<br />
Irrweg, wo das Kind Schönheit mit dem Bad ewiger Jugend<br />
ausgekippt wird.<br />
In einem Altersgebet des großen Michelangelo lese ich:<br />
„Bitter, o Herr, ist das Brot des Alters... träge rinnen die Stunden<br />
meiner schlaflosen Nächte dahin, wann wird die Nacht<br />
enden und der lichte Tag aufgehen?...“<br />
Denkwürdig in M. Peters Studie die Schlaferfahrungen, die<br />
sattsam bekannte Schlaflosigkeit, die grosse Bedeutung des<br />
Königswegs der Träume. Mögliche Schlaftherapien in Kliniken<br />
werden aufgeführt. Kohelet grüßt von ferne In uralten<br />
Zeiten konnte ein alter Mensch beklagen, dass bereits Vogelgezwitscher<br />
den Schlaf rauben kann (Prediger 12,4). Auch<br />
Peters Hinweis auf zunehmende Langsamkeit finde ich in<br />
alten biblischen Zeugnissen. In der Metapher von einer sich<br />
schleppenden Heuschrecke wird im Prediger Salomos müh-
samer Altersgang vorgeführt. Im Zeitalter der Globalisierung,<br />
der Beschleunigung, muss Zeiterfahrung stärker ins kritische<br />
Bewußtsein gehoben werden, gilt es mit dem zu gewinnenden<br />
Maß auch die Würde des Alters neu zu entdecken.<br />
Der Autor möchte <strong>für</strong> den Lebensrahmen der alten Menschen<br />
die zyklischen Zeiterfahrungen stärker geltend machen. Die<br />
teleologische, d.h. die zweck- und zielgerichtete, lineare, verortet<br />
er primär im Kapitalismus. Hier würde ich im Gespräch<br />
Fragen stellen: Jüdisch-christliches, auch abendländisches<br />
Geschichtsdenken ist fundamental zielgerichtet, lebt vom<br />
Prinzip Hoffnung, vom Licht der Erlösung, von der Erwartung<br />
des neuen Jerusalem, kommt nicht erst im Kapitalismus<br />
zum Zuge. Die „Wiederholung“ ist ein zentraler Begriff im<br />
Werk Sören Kierkegaards, der in Peters Arbeit kurz gestreift<br />
wird. Zu kurz, wie ich finde. Eine Auseinandersetzung mit<br />
der <strong>für</strong> griechisches Denken fundamentalen Kategorie des<br />
Erinnerns und der Hegelsche Begriff des „Aufhebens“ hätte<br />
gut in den Zusammenhang gepasst. Dazu gehören auch<br />
Hiob und Abraham, die schönsten und tiefsten Auslegungen<br />
bei Kierkegaard, die ich in der Weltliteratur kenne. Statt des<br />
Postulats, zyklisches Denken zurückzugewinnen, würde ich<br />
mich eher Kierkegaard anschließen. Er nennt die Wiederholung<br />
die „Doppelbewegung der Unendlichkeit“.<br />
Wer sich wie der Autor so eindrucksvoll mit der Bedeutung<br />
der Erzählung <strong>für</strong> alte Menschen beschäftigt, könnte gerade<br />
hier reiche Ernte machen. Ereignisse bekommen kraft der<br />
Erzählung in der narrativen Wiederholung „eine ewige Wichtigkeit“,<br />
schreibt der Autor mit Recht.<br />
Mit diesem Buch in der Hand werde ich mich in Zukunft bemühen,<br />
wenn über das Thema „Erosion der Familie“ gesprochen<br />
wird, in Ambivalenzen zu denken. Für Mehrdeutigkeit<br />
ist das Auge geschärft.<br />
Die These „Aus einem Befehlshaushalt ist ein Verhandlungshaushalt<br />
geworden“ eröffnet ein weites Gesprächsfeld.<br />
Ebenso der Begriff der „Generativität“, das wechselseitige<br />
voneinander Lernen. Mit einer Zukunftsvision, einer eindrucksvollen<br />
Generativität entlässt schließlich das Alte Testament<br />
seine Leser mit dem Schlussatz, dass sich am Ende<br />
„das Herz der Väter zu den Söhnen und das Herz der Söhne<br />
27<br />
zu den Vätern bekehre“. Ein <strong>für</strong>wahr bedeutsamer Schlusspunkt<br />
und eine Eröffnung der möglichen hoffnungsvollen<br />
Zukunft.<br />
Der reiche Themenkanon des Buches mit dem Ziel einer vom<br />
Geist der Weisheit geprägten Aneignung hält viele Wege<br />
offen zu Dialogen und Ergänzungen.<br />
Wer auf Begriffe wie „Entfremdung“, „Durcharbeiten“ gar<br />
auf das schöne klassische Wanderschaftsmodell stößt, wird<br />
auch kritisch gegenüber einer Machbarkeitsideologie unserer<br />
Zeit, nimmt Abschied von vielen negativen Konnotationen<br />
des Alters, bekommt Lust, hier mehr homerische Bilder zu<br />
modellieren.<br />
Wenn es um ein schöpferisches Aneignen des Alters, der<br />
Zeitlichkeit allen Daseins geht, darf das Großreich der Kunst<br />
nicht fehlen. Jeder, der ein Leben lang mit alten Menschen<br />
gelebt und gearbeitet hat, weiß, dass in einem erfüllten,<br />
reichen Leben, zu dem die inneren Bilder und Texturen gehören,<br />
die Kunst eine elementare Rolle spielt.<br />
Seien es Verse, Lieder, Gesänge, Bilder. Der Autor spricht<br />
von Alterswerken, die eine besondere Tiefe haben, nennt als<br />
Beispiele Bach und Beethoven. Die Hauptwerke von Bach,<br />
die <strong>für</strong> Millionen von alten Menschen Trost und inneren<br />
Reichtum bedeuten, sind die Arbeiten eines 30 bzw. 40<br />
jährigen Künstlers. Richtig ist, dass es wie bei Fontane, Thomas<br />
Mann, Picasso, G.B. Shaw, vor allem bei dem Musiker<br />
Heinrich Schütz, große Alterswerke gibt.<br />
Die Erfahrung, die hier angesprochen wird, meint wohl, dass<br />
mit der Erfahrung des Altwerdens, gar des hohen Lebensalters,<br />
der Sinn und Geschmack <strong>für</strong> die Angebote und das<br />
Erleben von Kunst sich vertieft. Von Theodor Fontane sagt<br />
Thomas Mann: „Er hatte es eilig alt zu werden.“<br />
Das vorliegende Buch drängt gewiss nicht dazu, aber es<br />
leistet einen wichtigen Beitrag, an den Bildern des Alters, der<br />
gewonnenen Jahre, auch des hohen und vielleicht gebrechlichen<br />
Alters in der Dialektik von Annahme und Veränderung<br />
schöpferisch und kritisch zu arbeiten. Das Homerbild grüßt<br />
von ferne.<br />
Dr. Friedrich Hufendiek
28<br />
Den anderen nicht mehr ändern wollen<br />
Von der Kunst gemeinsam alt zu werden<br />
Martin Koschorke<br />
Alles ging gut zwischen Karl und Karin, bis Karl in Rente ging.<br />
Seine Arbeit hatte ihn schon immer ausgefüllt. Gegen Ende<br />
seines beruflichen Weges hatte er noch einmal sehr viel zu<br />
tun. Aber es gab auch viel zu erzählen. Karin hörte gerne zu.<br />
Oder berichtete von dem, was sie den Tag über beschäftigt<br />
hatte. Sie hatte ein paar Jahre früher mit ihrem Job aufgehört<br />
als er. Die Kinder waren schon lange aus dem Haus, auch<br />
die Enkel waren einigermaßen vernünftig. So hatte sie unter<br />
der Woche Zeit <strong>für</strong> sich. In den letzten Jahren hatte sie sich<br />
ihr eigenes Leben eingerichtet mit vielfältigen Kontakten:<br />
ausführlichem Telefonieren, Kursen an der Volkshochschule,<br />
Gymnastik, Treffen mit Freundinnen und anderen Aktivitäten,<br />
die ihr Spaß machten. Sie hatte die Erfahrung schon hinter<br />
sich, dass der Ruhestand viele zusätzliche Wünsche bringt,<br />
aber nicht mehr Zeit.<br />
Träumen von der Freiheit<br />
Karl hatte ganz genaue Vorstellungen gehabt, was er alles<br />
tun wollte in der neuen Freiheit, nach dem Ende des Berufs.<br />
Endlich die Dinge machen, <strong>für</strong> die bisher keine Zeit gewesen<br />
war. Natürlich Reisen und Kultur, mal wieder selber kochen,<br />
lange vernachlässigte Hobbys pflegen, alte Freunde treffen.<br />
Vor allem aber Zusammensein mit Karin nachholen: ganz viel<br />
Zeit mit ihr verbringen, vielleicht auch gemeinsam wieder<br />
Spaß an Sex entwickeln. Der neue Lebensabschnitt hatte vor<br />
ihm gelegen wie ein Paradies: Beide waren – da<strong>für</strong> waren<br />
sie dankbar – noch einigermaßen gesund, sie hatten ein<br />
beschränktes, aber sicheres Einkommen, sie brauchten sich<br />
um niemand zu kümmern, die Kinder waren aus dem Haus,<br />
sie konnten über ihre Zeit frei verfügen.<br />
Karin hatte wohl von Karls Träumen gewusst. Sie hatte sie<br />
jedoch bei Seite geschoben. Jetzt fühlte sie sich von seinen<br />
Erwartungen bedrängt. Sie hatte sich ihr eigenes Leben<br />
eingerichtet. In den letzten Jahren hatte sie tagsüber frei<br />
über ihre Zeit verfügen können, konnte tun und lassen, was<br />
sie wollte, sich verabreden ohne rückfragen oder Rücksicht<br />
nehmen zu müssen. Jetzt war er auf einmal immer da, den<br />
ganzen Tag, nicht nur von abends bis morgens, sondern<br />
auch von morgens bis abends. Gut, er hatte auch seine Aktivitäten.<br />
Aber es war auf einmal nicht mehr vorhersehbar,<br />
wann er mit ihr zusammen sein wollte und wann sie frei war.<br />
Sie war es leid, sich ständig nach ihm richten zu sollen.<br />
Früher, zu Beginn ihrer Ehe, da hatte sie sich eher unsicher<br />
gefühlt. Es hatte ihr nicht soviel ausgemacht, sich auf ihn einzustellen,<br />
eigene Interessen hintan zu stellen, ein Stück auf<br />
sich selbst zu verzichten. Dazu war sie jetzt nicht mehr bereit.<br />
„Ich bin kein junges Pflänzchen mehr, das sich an anderen<br />
empor rankt. Ich habe mich zu einem Baum entwickelt, der<br />
seinen eigenen Charakter hat,“ sagte sie, nicht ohne Stolz,<br />
zu sich selbst, und auch zu ihm. „Ich bin nicht mehr 25. Ich<br />
habe auch etwas geleistet in meinem Leben. Ich habe das<br />
gleiche Recht, meinen Interessen nachzugehen, mein Leben<br />
zu leben, wie du.“<br />
Karl hatte kein Problem damit, ihr dieses Recht zuzugestehen.<br />
Aber er hatte Mühe die Konsequenzen zu akzeptieren.<br />
„Endlich habe ich Zeit,“ sagte er. „Endlich könnten wir ganz<br />
viel gemeinsam machen. Und jetzt willst du nicht. Liebst du<br />
mich denn nicht mehr?“<br />
Ältere Paare streiten sich häufig, weil sie nichts mehr miteinander<br />
anzufangen wissen, weil Leere zwischen ihnen eingetreten<br />
ist. Bei Karin und Karl war es umgekehrt. Beide hatten<br />
zu viele Ideen, zu viele Wünsche und Vorstellungen, wie sie<br />
die kostbare restliche Zeit ihres Lebens füllen könnten.<br />
Hören und Reden, Reden und Hören<br />
Wie sie dann doch noch die Kurve bekommen haben? „Das<br />
lässt sich nicht mehr so genau sagen,“ meint Karl nachdenklich.<br />
„Es war nicht einfach. Ich glaube, was uns geholfen hat, ist,<br />
dass wir nie aufgehört haben, miteinander zu reden. Wir haben<br />
gewusst: Kommunikation ist nicht nur Reden. Kommunikation<br />
ist zuerst einmal Hören, dem anderen Zuhören. Und wenn man<br />
redet, dann so reden, dass der andere zuhören kann. So wussten<br />
wir eigentlich immer, was den anderen beschäftigt.“<br />
„Karl hat gelernt,“ sagt Karin anerkennend, „auch über Alltägliches<br />
zu reden – oder zumindest zuzuhören, wenn ich<br />
über Alltägliches rede. Früher hat ihn das oft genervt. Er kam
dann gleich mit einem Lösungsvorschlag: Mach doch das!<br />
Damit war die Sache <strong>für</strong> ihn erledigt. Das wiederum hat mich<br />
tierisch geärgert. Ich wollte keinen Rat von ihm. Ich wollte<br />
einfach nur mitteilen, was mich innerlich beschäftigt. Jetzt<br />
geht es besser, er hört einfach zu. Außerdem, wenn es ihm<br />
zuviel wird, habe ich immer noch meine Freundinnen,“ fügt<br />
sie lachend hinzu.<br />
„Deine beste Freundin ist letztes Jahr an Krebs gestorben,“<br />
sagt Karl. „Ich glaube, was uns sehr zum Nachdenken gebracht<br />
hat, ist das Schicksal von Freunden und Verwandten.<br />
‚Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen’,“ zitiert Karl ein<br />
altes Kirchenlied. „Da ruft eine Kusine an und sagt: ‚Leider<br />
können wir im Sommer nicht mit zum Wandern auf dem Jakobsweg.<br />
Mein Mann hatte einen Herzinfarkt. Er hat ihn – Gott<br />
sei Dank – überstanden. Aber jetzt muss er sich erst einmal<br />
schonen.’ Oder wir hören von einem Klassenkameraden, der<br />
nach einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt. Das Haus, das<br />
das Paar sich gebaut hatte, ist gerade fertig geworden. Nun<br />
müssen sie alles umbauen, weil die Türen zu eng sind und er<br />
mit dem Rollstuhl nicht durchkommt. Für die Frau ist es auch<br />
nicht lustig. Sie ist wieder angebunden, an ihren Mann, an ihr<br />
Haus. Sie muss schauen, dass sie sich einen eigenen Bereich<br />
bewahrt. Sie muss ihm zumuten, dass sie auch einmal Dinge<br />
macht, die er nicht mehr machen kann. Denn sie will sich ja<br />
nicht lebendig begraben.“<br />
Neue Perspektive<br />
„Wir merken, wie wichtig Gesundheit ist und geistige Frische.<br />
Irgendwie wussten wir das schon immer. Aber jetzt spüren<br />
wir es jeden Tag.“ Dadurch werden andere Dinge wichtig im<br />
Leben, das verändert die Perspektive. Mit zwanzig hat man<br />
das Leben vor sich, alles scheint möglich zu sein, ungezählte<br />
Chancen liegen vor einem. Das ist heute anders. Inzwischen<br />
gibt es viele Ereignisse, auf die wir zurückschauen. Vermutlich<br />
mehr als vor uns liegen. Auf manches sind wir stolz, zum<br />
Beispiel auf unsere Kinder oder die Enkel. Mit vielem sind wir<br />
zufrieden, anderes haben wir nicht geschafft.<br />
Wir wissen nicht, wie viele Jahre wir noch haben, wir beide<br />
zusammen, jeder allein. Wenn wir zu den Gräbern unserer<br />
Eltern gehen, reden wir bisweilen darüber. Vermutlich wird<br />
einer von uns beiden zuerst sterben, der andere wird zurückbleiben.<br />
Wir können uns das gar nicht vorstellen, aber<br />
es wird wohl so sein. Wenn man sich das einmal bewusst<br />
macht, dann verändert das das Bewusstsein. Vieles, was<br />
uns bisher beschäftigte und wichtig zu sein schien, tritt in<br />
den Hintergrund. Anderes gewinnt an Bedeutung, z.B. dass<br />
wir noch zusammen sind und einigermaßen gesund. Jeder<br />
Tag wird kostbar, jeder Moment. Wir versuchen jeden Tag,<br />
jede Mahlzeit als ein kleines Fest zu begehen.“<br />
Gut leben heißt weglassen<br />
29<br />
„Es ist schon lustig,“ meint Karin. „Heute ist es ja modern,<br />
keine Zeit zu haben. Dabei ist Zeit eine der ganz wenigen<br />
Sachen, wo Gott die Welt demokratisch geschaffen hat. Alle<br />
Menschen haben gleich viel Zeit, nämlich ziemlich genau 24<br />
Stunden pro Tag. Entscheidend ist, was sie mit dieser Zeit<br />
anfangen.“<br />
„Das habe ich mühsam lernen müssen,“ bekennt Karl.<br />
„Leben heißt weglassen. Ich bin eher so ein Machertyp. Ich<br />
fühle mich wohl, wenn ich etwas zu tun habe. Aber ich habe<br />
gemerkt: Entweder ich versuche alles zu tun, was ich im Kopf<br />
habe. Dann lebe ich nicht, weil immer noch etwas zu tun<br />
bleibt. Oder ich lebe. Dann werde ich nicht fertig. Dann muss<br />
ich weglassen, mit Gelassenheit durchs Leben gehen, auch<br />
mal nichts tun.“<br />
„Das fällt mir nicht schwer,“ wirft Karin ein. „Da sind wir total<br />
verschieden. Wir sind überhaupt sehr unterschiedlich. Das<br />
führt immer wieder zu Konflikten. Was uns unheimlich geholfen<br />
hat, ist, uns klar zu machen, wie wir als Paar funktionieren,<br />
wie jeder von uns funktioniert. Ich habe mal gehört, dass Tiere,<br />
wenn sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen, drei ganz typische<br />
Reaktionsweisen haben: Entweder sie greifen an, oder<br />
sie fliehen und verkriechen sich, oder sie stellen sich tot.<br />
Tiger, Reh, Schildkröte bzw. Igel. Wenn wir uns streiten, dann<br />
greift Karl an. Ich ziehe mich zurück. Das macht ihn rasend.<br />
Es ist wie ein Teufelskreis: Je mehr ich mich zurückziehe,<br />
desto mehr kommt er hinter mir her. Je mehr er angreift,<br />
desto mehr ziehe ich mich zurück.“<br />
„Ja,“ entgegnet Karl, „wenn du dich zurückziehst, fühle ich<br />
mich richtig ohnmächtig. Du bist dann sehr mächtig. Ich<br />
habe den Eindruck, du lässt mich auflaufen. Es bringt doch<br />
nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Dadurch löst sich<br />
kein Problem. Es bringt nur, dass wir uns beide schlecht<br />
fühlen.“<br />
„Ich finde es nicht so schlimm,“ fügt er hinzu, „wenn wir mal<br />
streiten. Streiten heißt doch, dass wir uns nicht gleichgültig<br />
sind. Streiten heißt, dass wir unterschiedlich sind. Du und ich,<br />
wir sind verschieden. Wir sind unterschiedlicher Meinung,<br />
haben unterschiedliche Interessen, sind unterschiedliche<br />
Persönlichkeiten, haben unterschiedliche Weisen, an Probleme<br />
heranzugehen. Da ist es doch normal, dass wir uns mal<br />
streiten. Steht nicht im Vaterunser: ‚Unseren täglichen Streit<br />
gib uns heute’?<br />
Was mir nicht gefällt, ist, wenn wir anfangen zu kämpfen.<br />
Beim Kämpfen geht es ums Gewinnen. Einer siegt, der andere<br />
verliert. Aber in Wirklichkeit fühlen wir uns beide schlecht.<br />
Denn – das ist meine Erfahrung – im Grunde haben beide<br />
Recht, jeder aus seiner Sicht.“
30<br />
Eine voll gepackte Tiefkühltruhe<br />
„Es war eine harte Schule: Angemessen, erwachsen strei-<br />
ten zu lernen. Ich musste lernen, mich nicht wegen jeder<br />
Kleinigkeit aufzuregen. Sie musste lernen, nicht vor jeder<br />
Auseinandersetzung fortzulaufen. Was wir inzwischen immer<br />
besser können, ist, Streit beenden. Wir haben eine feste<br />
Regel, an die wir uns beide strikt halten. Wenn einer sagt:<br />
‚Ich will jetzt nicht streiten!’, dann hören wir auf. Das klappt<br />
aber nur, wenn der andere fragen kann: ‚Wann können wir<br />
weiter reden?’ und eine Antwort erhält, zum Beispiel: ‚Nach<br />
dem Abendessen, <strong>für</strong> 20 Minuten.’<br />
Ein Paarberater hat uns einmal ein paar Tipps gegeben (er<br />
nannte das ‚erwachsenes Streit- und Ärgermanagement’):<br />
Nie nach 21 Uhr über Beziehungskonflikte reden. Nie länger<br />
als 20 Minuten über Differenzen sprechen. (Damit die Zeit<br />
eingehalten wird, sollen wir eine Eieruhr auf den Tisch<br />
stellen.) Nie über Probleme in der Partnerschaft diskutieren,<br />
ohne den anderen gefragt zu haben, ob auch er jetzt dazu<br />
bereit ist. Kritik und Ärger als Wunsch oder Bitte äußern, und<br />
nicht als Erwartung oder Befehl.“<br />
„Es ist nicht immer leicht, sich an diese Regeln zu halten,“<br />
stöhnt Karin. „Wir sind ja kein junges Paar mehr, das leicht<br />
lernt und Schmerzliches schnell vergisst. Jeder von uns<br />
hat eine Tiefkühltruhe, in der er Enttäuschungen und Verletzungen,<br />
die der andere ihm zufügt, eingefroren hat und<br />
säuberlich aufbewahrt. Jeder hat auch eine Mikrowelle und<br />
kann Vorwürfe und sogar lange zurückliegenden Ärger blitzschnell<br />
auftauen und dem anderen unter die Nase reiben.<br />
Wenn man so zu zweit auf engem Raum zusammenlebt,<br />
bietet der Alltag jede Menge Gelegenheit, sich über den<br />
anderen zu ärgern. Jeder von uns hat auch seine kleinen<br />
Eigenheiten und Macken. Ich bin nicht so pünktlich, wie Karl<br />
das gerne hätte. Für mich ist Karl ziemlich unordentlich und<br />
lässt immer irgendetwas liegen. Und das nun schon 40 Jahre!<br />
Das macht mich manchmal rasend!<br />
Was ich überhaupt nicht ertragen kann, ist, wenn er in einem<br />
bestimmten Tonfall anfängt, mir zu erklären, was ich anders<br />
machen soll. Ich habe dann das Gefühl, er behandelt mich<br />
wie ein kleines Mädchen. Ich muss mich dann ganz fest zusammennehmen,<br />
einmal tief durchatmen und schnell ‚Stop!’<br />
sagen: Stop! Ich kann dir jetzt nicht zuhören!’ Manchmal<br />
muss ich auch aus dem Zimmer gehen. Aber ich mache das<br />
nicht mehr, ohne es anzukündigen, sonst kommt er hinterher.<br />
Ich sage dann: ‚Ich gehe mal raus und komme gleich<br />
wieder.’ Ein paar Minuten reichen meistens. Dann habe ich<br />
mich beruhigt, und er hat auch gemerkt, dass er so mit mir<br />
nicht reden kann.“<br />
Freiheit und Respekt<br />
Karl fügt hinzu: „Das gelingt aber nur, weil wir am Tage und<br />
in der Woche feste Zeiten haben, wo jeder weiß: Da sind<br />
wir zusammen. Ich nenne das gerne ‚Rituale der Gemeinsamkeit’:<br />
Bestimmte Mahlzeiten, Spaziergänge, abends<br />
vor dem Schlafengehen mache ich uns immer noch einen<br />
Kräutertee.<br />
Ansonsten führt jeder auch sein eigenes Leben, hat seine<br />
eigenen Aktivitäten und Vorlieben, seine eigenen Freunde<br />
und Kontakte. Wenn das nicht wäre, würden wir ersticken.<br />
Natürlich laden wir uns gegenseitig immer wieder ein, am<br />
Leben des anderen teilzunehmen. Aber wir respektieren,<br />
wenn der andere nicht will oder etwas anderes vorhat. Jeder<br />
hat sein eigenes Leben und seinen eigenen Bereich. Auch in<br />
der Wohnung. Inzwischen kennen wir das ‚Territorium’ des<br />
anderen ziemlich gut. Wir wissen, wo der andere empfindlich<br />
ist, welche Grenzen ihm wichtig sind, und versuchen, das zu<br />
respektieren.“<br />
„Es ist schon paradox,“ meint Karin, „je weniger jeder von<br />
uns vom anderen erwartet, desto mehr Spaß bringt es, wenn<br />
wir etwas gemeinsam machen.“
Stufen des Erwachsenenlebens<br />
und Indikatoren <strong>für</strong> Glück im Alter<br />
Shirley Jaeger<br />
Leben verläuft in einer Abfolge von Stufen. Ob wir es bewusst<br />
wahrnehmen oder nicht: Unterschwellige Veränderungsimpulse<br />
sorgen da<strong>für</strong>, dass wir seelisch und sozial wachsen.<br />
Oftmals, aber nicht immer, markiert ein bestimmtes Ereignis<br />
den Übergang von einem Stadium zum darauf folgenden.<br />
Nicht selten wird dieser Übergang dann als Krise erlebt.<br />
Die Ziffer 8 am Ende des Lebensalters<br />
Es gibt Forscher, die meinen, alle sieben Jahre beginne solch<br />
ein neuer Jahreszyklus (so z.B. Gail Sheehy in ihrem Buch: In<br />
der Mitte des Lebens. Die Bewältigung vorhersehbarer Krisen).<br />
Ich neige eher zu der Ansicht, dass ein volles Lebensstadium<br />
zehn Jahre umfasst, wobei das kritische Lebensjahr<br />
mit der Zahl 8 endet.<br />
Vor fünfzehn Jahren fiel mir zum ersten Mal auf, dass mich<br />
mehr Klienten aufsuchten, die 28 Jahre alt waren (oder nahe<br />
an diesem Alter), die 38 Jahre alt waren (oder nahe an diesem<br />
Alter), und entsprechend 48, 58, 68 und 78. Ich begann, mir<br />
Notizen darüber zu machen, warum die Leute in Beratung<br />
oder Therapie kommen. Aufgrund dieser Aufzeichnungen<br />
habe ich eine Übersicht erstellt, die ich Jahre lang anhand<br />
meiner Klienten überprüft habe. Auffallend häufig stimmt,<br />
was die Klienten beschäftigt, genau mit der folgenden Liste<br />
überein. Die Leute fühlen sich verstört, haben den Eindruck:<br />
„Irgendetwas ist nicht in Ordnung mit mir“, oder sie haben<br />
körperliche Reaktionen, die sie nicht verstehen. Wenn das<br />
Lebensalter von dem „Normalter“ erheblich abweicht, dann,<br />
so habe ich inzwischen gelernt, liegt das meist daran, dass<br />
die Klienten zu lange gewartet haben, bevor sie Hilfe suchten.<br />
Wird die Krise nicht zum richtigen Zeitpunkt gelöst, dann<br />
ist es offensichtlich schwieriger, es in den folgenden Jahren<br />
zu tun.<br />
Die Lebensstufe von 18 Jahren:<br />
Typische Überlegungen und Fragen aus der Zeit dieser<br />
ersten Lebenskrise sind: „Was will ich machen? Was will<br />
31<br />
ich werden? Was denken meine Eltern, was ich machen<br />
soll (auch wenn sie das nicht sagen)? Ich muss mich <strong>für</strong><br />
eine bestimmte Ausbildung, einen bestimmten Beruf,<br />
einen bestimmten Lebensweg entscheiden.“ „Ich weiß<br />
nicht, ob ich will, was meine Eltern von mir erwarten.“<br />
„Ich bin jetzt erwachsen, es gibt so viele verschiedene<br />
Wahlmöglichkeiten; ich habe Angst, mein Leben zu vermasseln,<br />
wenn ich jetzt das Falsche mache.“<br />
Das Thema der ersten Lebenskrise hat zu tun mit: Sich Lösen,<br />
Kindheit loslassen, vor allem deren problematische Seiten,<br />
Selbstbewusstsein, einen eigenen Stand, innere Sicherheit<br />
und ein eigenes Gleichgewicht gewinnen.<br />
Die Lebensstufe von 28 Jahren:<br />
„Mein Leben ist nicht so, wie es sein sollte; ich muss etwas<br />
ändern.“ „Mit 18 habe ich Entscheidungen getroffen,<br />
jetzt bin ich zehn Jahre erwachsen, blicke zurück und vergleiche:<br />
mit meinen Freunden, mit meinen Geschwistern,<br />
mit meinen Eltern, als sie so alt waren, wie ich jetzt bin,<br />
mit dem was sie von mir erwarteten.“ „Vielleicht sollte<br />
ich noch mal eine andere Ausbildung beginnen.“ „Ich<br />
habe mich ganz in Ausbildung und Beruf gestürzt – wie<br />
ist es mit Familie?“ „Ich habe mich lange genug in mich<br />
zurückgezogen und möchte diese Art zu leben hinter mir<br />
lassen.“<br />
Die zweite Lebenskrise ist oft sehr schmerzlich, wenn der junge<br />
Erwachsene feststellt, dass einige der früheren Entscheidungen<br />
nicht befriedigend waren. Bisweilen entschließen<br />
sich Menschen in diesem Alter zu großen Veränderungen,<br />
um die Weichen <strong>für</strong> den Rest ihres Erwachsenenlebens zu<br />
stellen. Die Personen, die kinderlos sind, denken zumindest<br />
über Kinder nach. Diejenigen, die Kinder haben, sprechen<br />
oft von ihren Wünschen nach Beruf und Ausbildung. Was in<br />
dieser Phase nicht gelöst wird, meldet sich spätestens im<br />
Alter von 37 Jahren wieder.
32<br />
Die Lebensstufe von 38 Jahren:<br />
„Ich bin unzufrieden in meiner Partnerschaft, in meinem<br />
Job, an meiner Arbeitsstelle, in meiner Familie usw. Ich<br />
muss jetzt etwas ändern.“ „Egal wie ich mich auch anstrenge,<br />
ich finde nicht heraus, was ich tun sollte. Wenn<br />
ich nicht bald etwas mache, dann ist es zu spät.“ „Ich<br />
bin so unglücklich, ich bin ein Versager, das beweist mir<br />
mein ganzes bisheriges Leben. Es hat ja doch keinen<br />
Sinn, irgendetwas zu unternehmen.“<br />
In dieser Lebensphase stellt sich zum ersten Mal deutlich die<br />
Frage nach dem Sinn des Lebens. Den meisten Klienten ist<br />
bekannt, dass es in diesem Alter so etwas wie eine „Midlife-<br />
Crisis“ gibt und dass sie mehr oder weniger jeden trifft. Wer<br />
mit seinem Leben insgesamt zufrieden ist, bewältigt diesen<br />
Lebensabschnitt natürlich leichter. Wer sich unglücklich fühlt,<br />
versucht vielleicht, mit Hilfe eines neuen Ehepartners, eines<br />
neuen Autos, einer großen Reise, einer Therapie oder mit<br />
was auch immer seine Unzufriedenheit zu bewältigen. Oder<br />
gibt sich auf. Den Wenigsten ist klar, dass sie in einem ganz<br />
normalen, gewissermaßen vorprogrammierten Entwicklungsstadium<br />
stecken. Äußere Faktoren können die inneren<br />
Probleme verstärken: Die Eltern werden alt, Kinder verlassen<br />
das Haus, das leere Nest oder drohende Arbeitslosigkeit<br />
erschweren Veränderungen.<br />
Wenn sich etwas bewegt, dann werden in diesem Stadium<br />
bisweilen größere Veränderungsschritte unternommen.<br />
Die Lebensstufe von 48 Jahren:<br />
„Was mich in meinem bisherigen Leben zufrieden und<br />
glücklich gemacht hat, erfüllt mich nicht mehr.“ „Was<br />
macht überhaupt Sinn im Leben?“ „Wenn ich mich beruflich<br />
verändern will, dann ist es höchste Zeit.“ „Welche<br />
Chancen habe ich noch auf dem Arbeitsmarkt? Wer<br />
nimmt mich noch – oder gehöre ich schon zum alten<br />
Eisen?“<br />
Diese Lebensphase kann wunderbar sein, ist aber auch die<br />
Zeit der Menopause <strong>für</strong> Frauen und Männer. Es ist nicht<br />
mehr so dringend wie in der „Midlife-Crisis“, grundlegende<br />
Veränderungen vorzunehmen. Die Suche nach innerer Ausgeglichenheit<br />
gewinnt an Bedeutung und wird tiefer. Aber<br />
es gibt auch einen Druck, keine ernsthaften Fehler mehr zu<br />
machen. Um innere Befriedigung sicherzustellen, ist man<br />
eher zu Kompromissen bereit.<br />
Die Lebensstufe von 58 Jahren<br />
„Alle reden vom Ruhestand – ich fühle mich eigentlich<br />
noch ganz fit. Mein Job macht mir Spaß. Warum sollte<br />
ich schon aufhören?“ „Alle reden von Ruhestand – ich<br />
wünschte, ich hätte die Wahl. Ich bin arbeitslos. Meine<br />
Frage ist eher: Wie kann ich die Zeit bis zur Rente überbrücken<br />
– und was erwartet mich dann?“<br />
Die Krise in dieser Phase ist häufig der Schritt von der Berufsarbeit<br />
in den Ruhestand oder in das Rentenalter. Wer<br />
finanziell abgesichert ist und einigermaßen gesund, beschäftigt<br />
sich mit der Frage: Wie will ich meine Zukunft gestalten?<br />
Paare beginnen, einen Traum-Ruhestand zu planen, sich<br />
nach außerberuflichen Tätigkeiten oder Engagements umzusehen<br />
und zu überlegen: Wie können wir uns das Leben<br />
so angenehm und altersgerecht wie möglich einrichten?<br />
Wer finanziell nicht abgesichert ist, beschäftigt sich mit der<br />
Frage: Wie wird sich meine Zukunft gestalten? Was bleibt mir<br />
von meinen Träumen?<br />
Die Lebensstufe von 68 Jahren<br />
„Dies ist die beste Zeit in meinem Leben“ (wenn ich<br />
finanziell abgesichert und einigermaßen gesund bin).<br />
„Jetzt spüre ich die Benachteiligungen besonders“ (wenn<br />
ich finanziell nicht ausreichend abgesichert und vielleicht<br />
auch noch gesundheitlich beeinträchtigt bin).<br />
Zufriedene Menschen in diesem Alter fühlen sich dankbar<br />
<strong>für</strong> das, was das Leben ihnen gebracht hat, und überlegen,<br />
wie sie ihrer Dankbarkeit Ausdruck verleihen können. Sie<br />
machen Pläne, wem sie – innerhalb oder außerhalb der<br />
Familie – etwas in Form von materieller oder geistiger Hinterlassenschaft<br />
zurückgeben können. Bei benachteiligten<br />
oder unzufriedenen Menschen verstärkt sich nicht selten ein<br />
Gefühl von Unzufriedenheit, Unbehagen und Unerfüllt-Sein.<br />
Zunehmend stellen sich körperliche Gebrechen ein bis hin zu<br />
lebensbedrohlichen Krankheiten. Gedanken und Gespräche<br />
kreisen mehr und mehr um das körperliche Wohl- oder Übelbefinden,<br />
manche Personen reagieren dann wie Kinder.<br />
Die Lebensstufe von 78 Jahren<br />
Grundthema in dieser Phase wird das körperliche Wohlbefinden<br />
und die nachlassenden Kräfte. In diesem Alter ist man<br />
mit der Erfahrung konfrontiert, dass viele Freunde und gleichaltrige<br />
Bekannte gestorben oder krank und behindert sind.<br />
Fragen der körperlichen und geistigen Gesundheit rücken ins
Zentrum der Aufmerksamkeit. Wer unter Krankheiten leidet,<br />
sucht Antworten: Hilfe bei Ärzten, Ratschläge in Büchern<br />
oder anderswo. Wer gesund ist, versucht die Gebrechen<br />
des Alltags zu überwinden, tritt einem Senioren-Sportclub,<br />
einem Wanderverein usw. bei. Fragen der Gesundheitsversorgung<br />
und Betreuung, Gesundheitstipps (gesundes Essen,<br />
ausreichend Trinken, Vitamine, wie kann ich reduzieren, um<br />
gesund zu bleiben?) treten in den Vordergrund. Spätestens<br />
jetzt stellt sich die Frage nach der Übersiedlung in ein Altersheim.<br />
Familienkontakte werden wichtig, bzw. allgemeiner<br />
die Frage: Habe ich überhaupt noch Kontakte oder werde ich<br />
zunehmend einsam?<br />
Die Lebensstufe von 88 Jahren<br />
Wer so lange lebt und einigermaßen zufrieden und gesund<br />
ist, sehnt sich nach einem Tod in Würde. Menschen in diesem<br />
Alter werden sich ihres Körpers und seiner Funktionen,<br />
die sie früher <strong>für</strong> selbstverständlich hielten, bewusst. Oft<br />
machen sie Pläne oder Verfügungen, wie ihre Beerdigung<br />
verlaufen und damit ihr Leben gewürdigt werden soll. In<br />
jüngster Zeit organisieren beruflich und gesellschaftlich<br />
Erfolgreiche zunehmend eigene Vor-Beerdigungsfeiern, weil<br />
sie erfahren wollen, was andere von dem Leben, das sie<br />
gelebt haben, denken.<br />
Die Lebensstufe von 98 Jahren<br />
Wer dieses Lebensalter bei klarem Bewusstsein erreicht,<br />
bedauert, nicht mehr alles zu können und in vielem abhängig<br />
zu sein. Er oder sie freut sich über jeden Moment oder<br />
jede Stunde voller Lebensenergie (auch wenn man da<strong>für</strong><br />
dann vielleicht mit tagelanger Erschöpfung oder Regeneration<br />
bezahlen muss) und weiß gute und respektvolle Pflege,<br />
freundliche und geduldige Kontakte und jedes Lachen zu<br />
schätzen.<br />
Indikatoren <strong>für</strong> ein glückliches Leben<br />
Je älter ein Mensch wird, desto mehr verändert sich die<br />
Lebensperspektive. Wer jung ist, hat das Leben vor sich. Im<br />
Alter blickt man zurück auf sein Leben und sein Schicksal.<br />
Häufig wird Bilanz gezogen: Man sitzt gewissermaßen über<br />
sich selber zu Gericht. Je nachdem wie das Urteil ausfällt,<br />
stellen sich Befriedigung oder Unzufriedenheit und Trübsal<br />
ein bis hin zu Depression. Fünf Kriterien scheinen bei diesem<br />
Rückblick im Alter auf das eigene Leben von besonderem<br />
Gewicht zu sein.<br />
33<br />
1. Bildung und Ausbildung:<br />
Habe ich die richtige Ausbildung genossen? Hatte ich<br />
die Chancen, die ich mir gewünscht hätte, die andere<br />
hatten? Habe ich die Gelegenheiten voran zu kommen,<br />
die sich mir boten, ergriffen? Habe ich mir ausreichend<br />
Gelegenheiten erkämpft, mich weiter zu entwickeln?<br />
Oder bedaure ich heute, dass ich aus meinem Leben<br />
nicht das gemacht habe, was ich daraus hätte machen<br />
können?<br />
2. Liebe, die ich empfangen und die ich gegeben<br />
habe:<br />
Habe ich mich in meinem Leben ausreichend geliebt<br />
gefühlt? War ich glücklich mit meinem Lebenspartner,<br />
meinen Lebenspartnern? Kann ich auf Zeiten voller Liebe<br />
und Leidenschaft zurückblicken? Oder fühle ich mich<br />
in dieser Hinsicht eher unbefriedigt?<br />
3. Familie und Kinder:<br />
Hatte ich – und habe vielleicht noch - eine Familie, in<br />
der ich mich wohlfühle? Habe ich meine Vorstellung von<br />
Familie so verwirklichen können, wie ich mir das ersehnt<br />
habe? Hatte ich genug Zeit <strong>für</strong> meine Familie, meine<br />
Kinder – oder bedaure ich heute, dass ich mir diese Zeit<br />
nicht genommen habe? Hatte und habe ich befriedigende<br />
Kontakte zu meinen Familienangehörigen – oder fehlt<br />
mir da etwas? Bedaure ich heute möglicherweise, dass<br />
ich mich <strong>für</strong> ein Leben ohne eigene Kinder entschieden<br />
habe? Habe ich mich mit der Tatsache versöhnt, dass<br />
ich (aus welchen Gründen auch immer) keine eigenen<br />
Kinder bekommen habe?<br />
4. Erfolg:<br />
Habe ich das Gefühl, dass ich beruflich erfolgreich war?<br />
Hat mein Beruf mich befriedigt? Habe ich den Beruf ausgeübt,<br />
den ich mir gewünscht habe? Habe ich mich an<br />
meiner Arbeitsstelle wohlgefühlt? Oder habe ich mich<br />
in beruflicher Hinsicht nicht so verwirklichen können,<br />
wie ich mir das im Laufe meines Lebens vorgestellt<br />
habe – habe ich im Blick auf meine beruflichen Wünsche<br />
ein Stück aufgeben müssen (sei es auf Grund äußerer<br />
Einflüsse wie etwa Arbeitslosigkeit, sei es aus Gründen,<br />
die mit mir selbst zu tun haben)?<br />
5. Mobilität:<br />
War ich beruflich so mobil, wie ich mir das einmal<br />
vorgestellt habe? Habe ich die Reisen gemacht, die<br />
Gegenden, Orte oder Länder gesehen, die ich immer<br />
sehen wollte? Oder stelle ich im Nachhinein fest: Ich<br />
habe nicht gemacht, wonach ich mich sehnte, und bin<br />
unzufrieden damit?
34<br />
Mit Hilfe dieser fünf Indikatoren lässt sich ziemlich verlässlich<br />
feststellen, ob jemand mit seinem Leben insgesamt zufrieden<br />
ist oder nicht. Je mehr Punkte als unbefriedigend erlebt<br />
werden, je mehr das Bedauern überwiegt, desto höher ist<br />
die Wahrscheinlichkeit einer grundlegenden Unzufriedenheit,<br />
Vortrag auf einem Forschungsseminar der USATAA (Gesellschaft <strong>für</strong> Transaktionsanalyse der USA) in Jamaika im Februar 2008,<br />
aufgeschrieben und ins Deutsche übertragen von Martin Koschorke<br />
Die Glosse<br />
Dieter Hildebrandt<br />
„Hallo Alter“<br />
desto größer ist auch die Gefahr von Depression. Wer bei<br />
keinem oder nur bei einem der genannten Punkte Bedauern<br />
äußert, ist erfahrungsgemäß zufrieden und glücklich mit<br />
seinem Leben.<br />
Alter ist der kurze Übergang zum Tod. Das Alter tritt ein. Unhöflich, ungezogen,<br />
ohne anzuklopfen. Plötzlich steht es im Raum. Man schaut es<br />
an, ist überrascht, sagt: „Ach da bist Du ja. Kommst Du nicht etwas zu<br />
früh?“ Es sagt: „Hast Du mich nicht kommen sehen?“ „Nein“, sage ich,<br />
„ich hatte keine Zeit, ich war zu sehr mit der Jugend beschäftigt.“ Es nickt und murmelt mürrisch: „Sie sind alle nicht vorbereitet.<br />
Altern muss man üben. Manche beherrschen es schon in sehr jungen Jahren.“ „Ich werde es lernen. Ich liebe das Alter.“<br />
Das Alter mustert mich verächtlich. „Wenn Du mir jetzt noch diesen dümmsten Satz, der zu diesem Thema je gesagt wurde,<br />
nämlich, dass man immer so alt wäre, wie man sich fühle, während doch die Mehrzahl immer nur spielt, dass sie sich so fühle,<br />
als wäre sie jünger als ihr Alter, zumutest, dann bist Du bereits zur Hälfte in der Gruft.“ Ich war so empört darüber, dass mich<br />
das Alter duzt, dass ich die Gruft glatt überhörte. „Verlassen Sie sofort mein Haus!“ schrie ich. Das Alter lächelte überlegen<br />
und verließ das Haus. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, saß es an meinem Bett, grinste und sagte: „Hallo Alter.“<br />
Es wohnt jetzt bei mir. Ich hasse es. Aber es hilft nichts. Es ist nicht umzubringen. Unverwüstlich.<br />
Ach so, und dieser immer wieder einschlagende Satz, den mein Alter so zynisch kommentierte. Ich weiß jetzt, wie er lauten<br />
muss: So wie man sich fühlt, so alt ist man auch.<br />
Tagesspiegel, 18. März 2000<br />
Foto: Wikipedia
Aktuelles aus dem EZI<br />
Christel Riemann-Hanewinckel<br />
Mitglied des Deutschen Bundestags, Parlamentarische Staatssekretärin a.D.<br />
Späte Schwangerschaftsabbrüche in der Diskussion:<br />
Aktuelle Entwicklungen im Deutschen Bundestag<br />
Im geeinten Deutschland gab es 1990 zwei rechtlich gegensätzliche<br />
Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Im<br />
Osten galt seit 1972 die Fristenregelung: Innerhalb der ersten<br />
12 Wochen entschied die Frau über die Schwangerschaft. Es<br />
gab weder Beratungspflicht noch Indikationen oder Strafandrohung.<br />
Über einen Abbruch nach der 12. Woche entschied<br />
eine Ärztekommission.<br />
In der BRD „alt“ galt seit 1979 die Indikationslösung: In den<br />
ersten 12 Wochen war ein straffreier Abbruch möglich aus<br />
psychosozialen Gründen. Darüber hinaus gab es eine kriminologische<br />
und die embryopathische Indikation, die vor<br />
allem auf späte Abbrüche zutraf.<br />
Im Bundestag lagen 1992 fünf Gesetzentwürfe <strong>für</strong> eine Neuregelung<br />
vor. Keiner davon bekam die notwendige Anzahl an<br />
Stimmen.<br />
Ein Gruppenantrag, der vor allem von Frauen aus SPD und<br />
FDP erarbeitet worden war, erhielt schließlich die Mehrheit.<br />
Das Konzept basierte vor allem auf der freiwilligen Beratung<br />
der Frauen und dem sozialpolitischen Begleitgesetz, das<br />
Hilfen in schwierigen Situationen, Kindergartenplätze und<br />
anderes vorsah. Im Mittelpunkt standen <strong>für</strong> uns die Frauen<br />
als verantwortliche Menschen, die nicht leichtfertig einen<br />
Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Wir waren<br />
und sind davon überzeugt, dass das werdende Kind nur mit<br />
der Mutter und nicht gegen sie geschützt werden kann.<br />
Das Bundesverfassungsgericht verwarf 1993 Teile des Gesetzes<br />
und forderte vor allem die Beratungspflicht <strong>für</strong> die<br />
Frauen. Nur dann sollte ein Schwangerschaftsabbruch bis<br />
zur 12. Woche straffrei sein.<br />
Nach langen, intensiven Debatten fanden wir dann 1995<br />
einen Kompromiss. Es wurde das „Gesetz zur Vermeidung<br />
und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten“ (Schwangerschaftskonfliktgesetz)<br />
verabschiedet und die § 218 und<br />
§ 219 des Strafgesetzbuches geändert bzw. erweitert.<br />
Schwangerschaftsabbrüche bleiben nun in den ersten 12<br />
Schwangerschaftswochen straffrei, wenn die Frau eine psychosoziale<br />
Beratung in Anspruch nimmt.<br />
35<br />
Abbrüche nach der 12. Schwangerschaftswoche bleiben seit<br />
1995 nach § 218a dann straffrei, wenn Ärztin oder Arzt eine<br />
medizinische Indikation stellen. Eine medizinische Indikation<br />
liegt dann vor, wenn eine Fortsetzung der Schwangerschaft<br />
die physische oder psychische Gesundheit bzw. das Leben<br />
der schwangeren Frau gefährdet.<br />
Ein wichtiger Teil des Schwangerschaftskonfliktgesetzes von<br />
1995 ist der Auftrag an den Gesetzgeber, die Entwicklung der<br />
Beratung und der Abbrüche über eine Statistik zu dokumentieren<br />
und eventuell gesetzgeberisch zu reagieren, wenn<br />
zum Beispiel die Zahl der Abbrüche stetig steigend wäre<br />
oder sich andere Defizite der gesetzlichen Regelung zeigen.<br />
Wenn ich mir die vergangenen10 Jahre anschaue, fallen mir<br />
drei „Bewegungen“ auf, die die aktuelle Diskussion beeinflussen.<br />
Erste Bewegung:<br />
Die Gesamtzahl der Schwangerschaftsabbrüche ist nicht<br />
gestiegen, sondern gesunken. Besonders deutlich ist dies<br />
bei den Abbrüchen nach der 12. Schwangerschaftswoche.<br />
Von 1996 bis 2007 sind diese um 36 %, von 4818 auf 3072<br />
gesunken. Auch der Anteil der späten Abbrüche an der<br />
Gesamtzahl an Schwangerschaftsabbrüchen ist von 3,7% im<br />
Jahr 1996 auf 2,6% im Jahr 2007 gesunken.<br />
Zweite Bewegung:<br />
Seit Ende der 90er Jahre gibt es intensive Bemühungen seitens<br />
der CDU/CSU, gesetzliche Reglungen zu erarbeiten, um<br />
späte Abbrüche grundsätzlich zu verhindern. Immer wieder<br />
gab es im Bundestag Gespräche zwischen der SPD und<br />
der CDU/CSU, die aber zu keinem gemeinsamen Ergebnis<br />
kamen. Dabei stand vonseiten der CDU/CSU die Forderung<br />
nach einer gesetzlichen Pflichtberatung <strong>für</strong> die Frauen im<br />
Zentrum.
36<br />
Für die SPD war und ist wichtig, den Frauen ihren Rechts-<br />
anspruch auf jede Art von Beratung und Unterstützung vor,<br />
während und nach einer Schwangerschaft bekannt zu machen.<br />
Wir wollen die Lücke zwischen der Beratung vor und<br />
nach der Pränataldiagnostik durch Ärztinnen und Ärzte und<br />
den Angeboten psychosozialer Beratungsstellen schließen.<br />
Ein Appell an den Gemeinsamen Bundesausschuss der<br />
Ärzte und Krankenkassen, den Mutterpass zu einem Informationsdokument<br />
<strong>für</strong> die Schwangeren umzugestalten, war<br />
nicht erfolgreich.<br />
Dritte Bewegung:<br />
Seit 1995 hat sich die medizinische Betreuung, vor allem die<br />
Pränataldiagnostik rasant entwickelt. Eine Diagnostik, die<br />
vor mehr als 30 Jahren <strong>für</strong> wenige Risikoschwangerschaften<br />
genutzt wurde, steht nun jeder Schwangeren zur Verfügung.<br />
Sie verschafft vielen werdenden Müttern Gewissheit und ein<br />
erstes „Foto“ von dem, was sie „unter dem Herzen“ tragen.<br />
Vielen Frauen aber bringt sie Ängste, Zweifel und Ungewissheit,<br />
wenn es keinen eindeutigen „Befund“ gibt. Aus der Kontrolle<br />
wird dann oft die gezielte Suche nach Auffälligkeiten,<br />
Fehlbildungen und Erkrankungen. Werdende Mütter werden<br />
nicht immer vorher informiert, welchen Zweck bestimmte<br />
Untersuchungen haben, darüber, dass sie ein Risiko <strong>für</strong> die<br />
Schwangerschaft bedeuten können, dass sie mit Befunden<br />
konfrontiert werden können, die Entscheidungen fordern.<br />
Ich sehe es als dringend an, dass Frauen ergebnisoffen auf<br />
Pränataldiagnostik hingewiesen werden. Dazu gehört auch,<br />
pränatale Diagnostik ablehnen zu können, anders gesagt,<br />
das Recht auf Nichtwissen zu bekommen. Schwangerschaft<br />
ist keine Krankheit, sondern ein normaler und doch eben<br />
„anderer Umstand“. Dem muss die Medizin Rechnung tragen.<br />
Der Gesetzgeber tut es durch die geplante Regelung im<br />
Gendiagnostikgesetz. Im Entwurf ist die Beratungspflicht<br />
durch Ärztin bzw. Arzt vor und nach allen vorgeburtlichen<br />
genetischen Untersuchungen vorgesehen. Außerdem werden<br />
Ärztin bzw. Arzt verpflichtet, auf den Rechtsanspruch<br />
der Schwangeren auf psychosoziale Beratung hinzuweisen,<br />
den sie nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz hat.<br />
Die aktuelle Situation im Deutschen Bundestag<br />
Nach 14 Jahren Praxis mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz,<br />
einer guten Praxis der Beratungsstellen, und der<br />
Vorstellung des Entwurfs <strong>für</strong> ein Gendiagnostikgesetz, gibt<br />
es eine Reihe von Abgeordneten aus CDU/CSU, SPD, FDP<br />
und Grünen, <strong>für</strong> die die bisherigen Regelungen nicht ausreichend<br />
sind. Sie setzen sich <strong>für</strong> eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes<br />
ein. In einer Debatte1 wurden<br />
im Dezember 2008 drei Gesetzesentwürfe 2 3 4 und zwei<br />
Anträge 5 6 in die parlamentarische Beratung eingebracht.<br />
Ich unterstütze den Antrag „Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen<br />
während der Schwangerschaft ausbauen – Volle<br />
Teilhabe <strong>für</strong> Menschen mit Behinderungen sicherstellen“. Ich<br />
bin der Überzeugung, dass es innerhalb der bestehenden<br />
gesetzlichen Regelungen möglich ist, die Beratung und die<br />
Betreuung der schwangeren Frauen zu verändern und zu<br />
verbessern.<br />
Die drei Gesetzentwürfe sind sich in ihren Hauptforderungen<br />
einig, auch wenn sie sich darüber hinaus in einigen Details<br />
unterscheiden. Ich möchte sie hier zusammenfassend vorstellen:<br />
Die Ärztin oder der Arzt werden verpflichtet, im Hinblick auf<br />
die medizinischen und psychosozialen Aspekte der Diagnose<br />
ausführlich zu beraten. Dabei soll im Gespräch oder durch<br />
geeignete Materialien über das Leben mit einem behinderten<br />
Kind informiert und der Kontakt zu Selbsthilfegruppen und<br />
Behindertenverbänden hergestellt werden. Ärztin oder Arzt<br />
sollen auf psychosozialen Beratungsstellen hinweisen und<br />
dorthin vermitteln. Im Entwurf der FDP-Fraktion ist darüber<br />
hinaus vorgesehen, dass Ärztin oder Arzt darauf hinwirken<br />
sollen, dass die Schwangere das psychosoziale Beratungsangebot<br />
auch tatsächlich wahrnimmt.<br />
In jedem Fall soll die Schwangere die stattgefundene ärztli-<br />
che Beratung bzw. ihren Verzicht auf eine Beratung schrift-<br />
lich bestätigen. Der Inhalt der Beratung soll dokumentiert<br />
werden.<br />
Nach der Beratung muss eine Frist von drei Tage eingehalten<br />
werden, ehe durch Ärztin oder Arzt die Indikation <strong>für</strong> einen<br />
Schwangerschaftsabbruch ausgestellt werden darf (außer in<br />
1 Plenarprotokoll 16/196<br />
2 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“ (Bundestagsdrucksache 16/11106), initiiert von CDU/CSU-Fraktion<br />
3 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten“ (Bundestagsdrucksache 16/11347)<br />
initiiert von Teilen der SPD-Fraktion und Teilen der Fraktion Bündnis 90/Grüne<br />
4 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“ (Bundestagsdrucksache 16/11330), initiiert von der FDP-Fraktion<br />
5 Antrag an die Bundesregierung „Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen während der Schwangerschaft ausbauen – Volle Teilhabe <strong>für</strong> Menschen mit Behinderungen<br />
sicherstellen“ (Bundestagsdrucksache 16/11342) Initiiert von Teilen der SPD-Fraktion und Abgeordneten der Fraktion Bündnis90/Grüne<br />
6 Weiterhin in den Bundestag eingebracht wurde der Antrag „Späte Schwangerschaftsabbrüche – Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken“ (Bundestagsdrucksache<br />
16/11377), initiiert von der Fraktion Die Linke. Dieser Antrag konzentriert sich vor allem auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Da er inhaltliche<br />
Mängel aufweist und sich auch mit seinen Forderungen das Ziel eher verfehlt, halte ich ihn <strong>für</strong> einen wenig wertvollen Beitrag zur Diskussion.
lebensbedrohlichen Situationen). Damit soll der Schwange-<br />
ren eine Bedenkzeit eingeräumt werden.<br />
CDU/CSU und FDP fordern in ihren Entwürfen außerdem,<br />
dass Informationen wie die diagnostizierte Fehlbildung bzw.<br />
die genetische Auffälligkeit und die Schwangerschaftswoche<br />
statistisch erfasst werden.<br />
Die Gesetzentwürfe konzentrieren sich auf die Beratung der<br />
Frauen hin zu einem Leben mit einem behinderten Kind.<br />
Dies, sowie die gewünschte Einführung einer dreitägigen<br />
Bedenkfrist, erweckt den Eindruck, dass die Schwangeren<br />
darüber entscheiden können, ob der vorliegende Befund<br />
einen Abbruch rechtfertigt. Tatsächlich aber sind es Ärztin<br />
oder Arzt, die feststellen, dass es eine medizinische Indikation<br />
<strong>für</strong> einen Abbruch gibt. Die Schwangeren selbst müssen<br />
dann entscheiden, ob sie der medizinischen Indikation folgen,<br />
oder ob sie einen Abbruch ablehnen. Sie können und<br />
dürfen nicht entscheiden, ob Gründe <strong>für</strong> eine medizinische<br />
Indikation vorliegen. Es geht nicht darum, sich wie in den<br />
ersten zwölf Schwangerschaftswochen <strong>für</strong> oder gegen eine<br />
Schwangerschaft an sich zu entscheiden.<br />
Die Initiatorinnen und Initiatoren der vorliegenden Gesetz-<br />
entwürfe erwarten eine Verringerung der Spätabtreibungen.<br />
Durch die vorgesehenen Regelungen drücken sie aus meiner<br />
Sicht ein großes Misstrauen gegenüber den Frauen, aber<br />
auch gegenüber den Ärztinnen und Ärzten aus. Sie bauen<br />
Hürden und erhöhen den Druck auf die Betroffenen.<br />
Sie wollen über das Leben mit einem eventuell behinderten<br />
Kind informieren und unterstellen damit, dass die Eltern ein<br />
Kind leichtfertig abtreiben würden. Dabei lassen sie außer<br />
Acht, dass es <strong>für</strong> einen großen Teil der Schwangeren nicht<br />
darum geht, sich <strong>für</strong> oder gegen das Leben mit einem behinderten<br />
Kind zu entscheiden. Ärztin oder Arzt stellen oft dann<br />
eine medizinische Indikation <strong>für</strong> einen Abbruch, wenn eine<br />
so schwere Schädigung des erwarteten Kindes vorliegt, dass<br />
es außerhalb des Mutterleibs nicht lebensfähig ist.<br />
Die geforderte dreitägige Bedenkzeit unterstellt, dass die Frau-<br />
en sich ohne Bedenken von ihrem gewünschten Kind trennen<br />
und rückt außerdem den späten Abbruch in die Nähe des §218.<br />
Die vorgesehene statistische Erhebung der Diagnosen, die<br />
zum Abbruch geführt haben, verletzt das Vertrauensverhältnis<br />
zwischen Ärztin bzw. Arzt und Patientinnen. Sie ist auch<br />
aus Datenschutzgründen sehr bedenklich.<br />
Ich bin davon überzeugt, dass die seit 1995 bestehenden<br />
gesetzlichen Regelungen <strong>für</strong> Schwangerschaftsabbrüche<br />
jenseits der zwölften Woche nach wie vor ausreichend sind.<br />
37<br />
Medizinische Beratung durch Ärztinnen und Ärzte ist eine<br />
Selbstverständlichkeit. Sie ist verpflichtend im Standesrecht<br />
geregelt. Im Hinblick auf Pränataldiagnostik hat die Bundesärztekammer<br />
1998 und 2003 ein Beratungskonzept entwickelt,<br />
das aber kaum Anwendung findet.<br />
Patientinnen und Patienten haben bei pränataldiagnosti-<br />
schen Untersuchungen wie bei jeder anderen medizinischen<br />
Untersuchung oder Behandlung das Recht darauf, von ihrer<br />
behandelnden Ärztin bzw. dem Arzt umfassend aufgeklärt<br />
zu werden. Dabei muss auch thematisiert werden, ob und<br />
in welchem Umfang eine pränataldiagnostische Abklärung<br />
überhaupt gewünscht wird, welche Konsequenzen eine<br />
Diagnose <strong>für</strong> die Schwangere nach sich ziehen kann. Dies<br />
beinhaltet nicht zuletzt das Recht auf Nichtwissen, auf den<br />
Verzicht auf Pränataldiagnostik. Im Hinblick auf genetische<br />
pränataldiagnostische Untersuchungen ist dies im Gendiagnostikgesetz<br />
bereits geregelt. Wünschenswert ist ein<br />
solches Vorgehen <strong>für</strong> alle pränatalen Untersuchungen, dies<br />
könnte in den Mutterschaftsrichtlinien geregelt werden.<br />
Das Recht auf psychosoziale Beratung ist <strong>für</strong> werdende Eltern<br />
bereits gesetzlich garantiert. Dieses Recht, wie auch die bestehenden<br />
Rechte als Patientin auf medizinische Aufklärung<br />
und Beratung, müssen in erster Linie bekannter gemacht<br />
werden. Da<strong>für</strong> bietet es sich beispielsweise an, den Mutterpass<br />
zu einem Informationsdokument <strong>für</strong> die Schwangeren<br />
umzugestalten, in dem auf psychosoziale Beratungsstellen<br />
hingewiesen wird.<br />
Psychosoziale Begleitung und Beratung ist ein Angebot <strong>für</strong><br />
alle Phasen einer Schwangerschaft. Ambivalenzen, Sorgen,<br />
Ängste, die durch eine – auch gewollte – Schwangerschaft<br />
ausgelöst werden, machen Gesprächspartnerinnen auch<br />
außerhalb der Partnerschaft bzw. der Familie nötig.<br />
Im Falle eines auffälligen pränataldiagnostischen Befundes<br />
braucht die schwangere Frau Angebote, Zeit und Raum <strong>für</strong><br />
Trauer und Abschied. Ihre Hoffnungen und Vorstellungen<br />
werden gänzlich in Frage gestellt. Unabhängig von einer<br />
Indikationsstellung durch Ärztin bzw. Arzt sind Verarbeitungsangebote<br />
sinnvoll. Da<strong>für</strong> aber Zeiträume festzulegen<br />
oder diese verpflichtend zu machen, widerspricht aller<br />
Beratungserfahrung und -praxis.<br />
Es ist notwendig, dass psychosoziale Beratungsstellen und<br />
pränataldiagnostische Zentren in der Beratung und Betreuung<br />
der Schwangeren enger zusammenarbeiten.<br />
Für die medizinische wie <strong>für</strong> die psychosoziale Beratung im<br />
Zusammenhang mit Spätabbrüchen müssen alle Beteiligten<br />
besonders qualifiziert sein.
38<br />
Der Abschlussbericht eines Modellprojektes 7 , das vom<br />
Bundesministerium <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />
gefördert wurde, macht die Notwendigkeit der Kooperation<br />
der verschiedenen Professionen und ihre Qualifizierung bzw.<br />
ständige Weiterbildung deutlich<br />
Den Mut, sich auf das Leben mit einem eventuell schwer<br />
behinderten Kind einzustellen, werden die Eltern sicherlich<br />
nicht in einem Beratungsgespräch oder in einer gesetzlich<br />
auferlegten Bedenkzeit fassen. Nur wenn es gelingt, die<br />
Lebens-, Lern- und Arbeitsbedingungen <strong>für</strong> Menschen mit<br />
Behinderungen und ihre Familien zu verbessern, kann den<br />
werdenden Eltern ein Teil der Angst vor einem eventuell<br />
behinderten Kind genommen werden.<br />
Ein später Schwangerschaftsabbruch ist <strong>für</strong> alle handelnden<br />
Personen eine Grenzüberscheitung: <strong>für</strong> die werdende<br />
Mutter, die Hebammen, die Beraterinnen, die Ärztinnen und<br />
Ärzte. Gesetzliche Regelungen werden daran nichts ändern,<br />
sie werden auch nicht die Zahl der Abbrüche verringern.<br />
Aber sie können da<strong>für</strong> sorgen, dass die Betroffenen Raum<br />
haben, verantwortliche und verantwortbare Entscheidungen<br />
zu treffen. Misstrauen, Überwachungen und Unterstellungen<br />
engen diese Räume ein.<br />
7 Abschlussbericht zum Modellprojekt „Entwicklung, Erprobung und Evaluation eines Curriculums <strong>für</strong> die Beratung im Zusammenhang mit vorgeburtlichen<br />
Untersuchungen (Pränataldiagnostik) und bei zu erwartender Behinderung des Kindes“ 2002 bis 2005<br />
Claudia Heinkel<br />
Fachinformationsdienst des Diakonischen Werkes der EKD<br />
Arbeitsfeld <strong>Familienberatung</strong> und Familienpolitik<br />
Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes<br />
(SchKG) beschlossen<br />
Mit klarer Mehrheit hat der Bundestag am 13. Mai einen<br />
fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Änderung des<br />
SchKG angenommen.<br />
Dem Bundestag lagen am 13. Mai vier Gesetzentwürfe zur<br />
Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes und zwei<br />
Anträge auf untergesetzliche Regelungen zur Abstimmung<br />
vor. Der Ausschuss <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />
des Deutschen Bundestags hat in seiner Beschlussempfehlung<br />
(Drs 16/12970) vom 11. Mai 2009 den Abgeordneten<br />
empfohlen, die drei Gesetzentwürfe der Gruppen um Johannes<br />
Singhammer (Drs 16/11106), Kerstin Griese ( Drs 16/1134)<br />
und Ina Lenke (Drs 16/11330) zusammenzuführen und dazu<br />
einen Beschluss zu fassen. Außerdem hat er empfohlen, zu<br />
Artikel 4 Nr. 1 (Erweiterung der Statistik) dieses Gruppenantrags<br />
eine getrennte Abstimmung durchzuführen, weil dieser<br />
Regelungsvorschlag unter den Gruppen umstritten war.<br />
Die Mehrheit der Abgeordneten ist diesem Vorschlag gefolgt<br />
und hat in 3. Lesung mit 326 zu 234 Stimmen diesem gemeinsamen<br />
Gruppenantrag (ohne Artikel 4 Nr. 1 ) zugestimmt und<br />
eine Änderung des SchKG be<strong>für</strong>wortet. Der Gesetzenwurf<br />
zur Änderung des SchKG der Gruppe um Christel Humme<br />
(Drs 16/12664) war damit abgelehnt. Das Gesetz zur Änderung<br />
des SchKG wird am 1. Januar 2010 in Kraft treten.<br />
Zugleich wurde mit überwältigender Mehrheit (461 zu 62<br />
Stimmen) auch der Antrag auf untergesetzliche Regelungen<br />
der Gruppe um Christel Humme/Irmingard Schewe-Gerigk/<br />
Elke Ferner (Drs 16/11342) angenommen.<br />
Der Gesetzgeber will mit dieser Neuregelung sicherstellen,<br />
dass schwangere Frauen den Zugang zu psychosozialen<br />
Beratungsstellen erhalten und die wichtige Kooperation<br />
zwischen Ärzteschaft und psychosozialer Beratung sowie<br />
die Vernetzung der ärztlichen und psychosozialen Beratung<br />
gefördert wird, so die Beschlussempfehlung des Familienausschusses<br />
. Psychosoziale Beratung kann und sollte sich<br />
„zusammen mit der ärztlichen Versorgung als selbstverständlicher<br />
und integrativer Bestandteil der Betreuung von
Schwangeren im Kontext pränataler Diagnostik nicht nur vor<br />
dem Hintergrund einer medizinischen Indikation etablieren“<br />
(Seite 33). Die Neuregelung verlangt allen Beteiligten erhebliche<br />
Anstrengungen ab, beispielsweise in der (Weiter-)Entwicklung<br />
geeignetere Kooperationsformen von Ärztinnen/<br />
Ärzten und Beratungsstellen oder in der Weiterqualifizierung<br />
der Fachkräfte.<br />
Der Diakonie-Bundesverband hat im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens<br />
mit einer ausführlichen Stellungnahme<br />
<strong>für</strong> eine Änderung des SchKG votiert und zugleich darauf<br />
hingewiesen, dass es bereits vor Pränataldiagnostik der Aufklärung<br />
und Beratung bedarf - und vor allen Dingen besserer<br />
Rahmenbedingungen, die Menschen mit Behinderungen zu<br />
jedem Zeitpunkt ihres Lebens die volle Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben in allen Bereichen ermöglichen. Er hat<br />
die untergesetzlichen Regelungsvorschläge, wie sie die<br />
Gruppe um Christel Humme in ihrem Antrag ( Drs 16/11342)<br />
formuliert hat, ausdrücklich unterstützt.<br />
Der Diakonie-Bundesverband wird die Umsetzung der<br />
Neuregelung sorgfältig beobachten und begleiten und die<br />
erforderliche Fachdiskussion unter den Verantwortlichen<br />
<strong>für</strong> Schwangerschaftsberatung in den Diakonischen Werken<br />
unterstützen.<br />
Kernpunkte der Neuregelung sind:<br />
§ 1a SchKG:<br />
Die Bundeszentrale <strong>für</strong> gesundheitliche Aufklärung wird<br />
beauftragt, Informationsmaterial zum Leben mit einem<br />
geistig oder körperlich behinderten Kind und zum Leben von<br />
Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung<br />
zu erstellen. Das Material soll auch Hinweise auf den<br />
Rechtsanspruch nach § 2 SchKG und auf Kontaktadressen<br />
(Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen etc.) enthalten. Die<br />
Ärzte sollen dieses Informationsmaterial in der Beratung<br />
nach § 2a Abs. 1 SchKG aushändigen.<br />
§ 2 a SchKG Aufklärung und Beratung in besonderen<br />
Fällen<br />
Der neu eingefügte § 2a SchKG normiert eine Aufklärungsund<br />
Beratungspflicht <strong>für</strong> Ärztinnen und Ärzte nach einem<br />
auffälligen Befund nach Pränataldiagnostik (Absatz 1) und<br />
vor der Feststellung einer medizinischen Indikation <strong>für</strong> einen<br />
Schwangerschaftsabbruch (Absatz 2).<br />
§ 2a regelt also nicht nur die Beratung bei einem sogenann-<br />
ten Spätabbruch, sondern grundsätzlich die Beratung bei<br />
medizinischer Indikation - es sei denn bei akuter Gefahr <strong>für</strong><br />
Leib und Leben der Schwangeren.<br />
39<br />
§ 2a Absatz 1:<br />
Absatz 1 regelt die Aufklärungs- und Beratungspflicht des<br />
Arztes/der Ärztin bei der Mitteilung eines auffälligen Befundes<br />
nach PND: Die Ärztin/der Arzt hat über die medizinischen<br />
und psychosozialen Aspekte, die sich aus dem Befund<br />
ergeben unter Hinzuziehung von Ärztinnen oder Ärzten, die<br />
mit dieser Gesundheitsschädigung bei geborenen Kindern<br />
Erfahrung haben, zu beraten.“<br />
Die Begründung der Beschlussempfehlung des Familienaus-<br />
schusses nennt ausdrücklich Pädiater, Neonatologen und<br />
spezialisierte Ärzte, ggf. auch HumangenetikerInnen.<br />
Die Beratung durch die ÄrztInnen hat allgemeinverständlich,<br />
wertneutral und ergebnisoffen zu erfolgen.<br />
Für diese ganzheitliche Beratung ist eine Fortbildung und<br />
Qualifizierung der Ärzteschaft und der Änderung der<br />
geltenden Richtlinien erforderlich, so die Begründung der<br />
Beschlussempfehlung.<br />
Absatz 1 normiert auch eine Vermittlungspflicht der Ärztin/<br />
des Arztes an psychosoziale Beratungsstellen nach § 3 SchKG<br />
sowie an Selbsthilfegruppen und Behindertenverbände: Die<br />
Ärzttinnen und Ärzte müssen über die Möglichkeit einer<br />
vertiefenden psychosozialen Beratung in einer Schwangerschaftsberatungsstelle<br />
informieren und im Einverständnis<br />
mit der Schwangeren dorthin vermitteln, ebenso wie zu<br />
Selbsthilfegruppen oder Behindertenverbänden.<br />
Die Begründung präzisiert diese Vermittlungspflicht: Diese<br />
Vermittlung hat im Einvernehmen mit der Schwangeren zu<br />
erfolgen, die dies auch ablehnen kann. Vermittlung umfasst<br />
die Aufgabe, einen Kontakt zur Beratungsstelle herzustellen<br />
und nicht nur den Hinweis oder die Weitergabe von Kontaktadressen.<br />
In der Begründung der Beschlussempfehlung des Famili-<br />
enausschusses heißt es dazu: „Hierzu soll die Kooperation<br />
zwischen Ärzteschaft und psychosozialer Beratung wobei<br />
die Vernetzung der ärztlichen und psychosozialen Beratung<br />
gefördert werden.“ (Seite 33)<br />
Durch die Informations- und Vermittlungspflicht nach Absatz<br />
1 wird gewährleistet, dass schwangere Frauen den Zugang<br />
zur psychosozialen Beratung erhält, so die Begründung der<br />
Beschlussempfehlung.<br />
§ 2a Absatz 2:<br />
Absatz 2 regelt die Aufklärungs- und Beratungspflicht des<br />
Arztes/der Ärztin vor der Feststellung einer medizinischen<br />
Indikation: Sofern keine akute Gefahr <strong>für</strong> Leib und Leben der<br />
Mutter vorliegt, soll die Schwangere über die medizinischen
40<br />
und psychischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs<br />
beraten werden. Im Einvernehmen mit der Schwangeren ist<br />
ein Kontakt zur Beratungsstelle zu vermitteln – es sei denn,<br />
dies ist bereits aufgrund eines auffälligen Befundes nach<br />
Pränataldiagnostik erfolgt.<br />
Absatz 2 Satz 2 normiert eine mindestens dreitägige Be-<br />
denkzeit zwischen der Mitteilung eines auffälligen Befundes<br />
und der Feststellung einer medizinischen Indikation <strong>für</strong> einen<br />
Schwangerschaftsabbruch. Falls eine ausschließlich mütterliche<br />
Indikation vorliegt, ist diese Bedenkzeit zwischen der<br />
Beratung nach § 2a Absatz 2 und der Feststellung einer<br />
medizinischen Indikation einzuhalten.<br />
Dies soll der Schwangeren ermöglichen, nicht im Schock-<br />
zustand der Befundmitteilung eine Entscheidung treffen zu<br />
müssen sowie den Arzt / die Ärztin in die Lage versetzen,<br />
eine fundierte Einschätzung <strong>für</strong> die Feststellung einer medizinischen<br />
Indikation treffen zu können, so die Begründung in<br />
der Beschlussempfehlung.<br />
§ 2a Absatz 3:<br />
Absatz 3 regelt die Verpflichtung des Arztes / der Ärztin, der<br />
bzw die die Feststellung einer medizinischen Indikation trifft,<br />
eine schriftliche Bestätigung der Schwangeren über die ärzt-<br />
Impressum<br />
liche Beratung und Vermittlung nach Absatz 1 oder Absatz 2<br />
oder über den Verzicht darauf einzuholen.<br />
Die Begründung der Beschlussempfehlung verweist auf<br />
die berufsordnungsrechtliche bzw. krankenhausrechtliche<br />
Pflicht der Ärztinnen und Ärzte zur Dokumentation: Sie<br />
haben die Erfüllung ihrer Pflichten nach den Absätzen 1 bis<br />
3 nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen<br />
Wissenschaft zu dokumentieren.<br />
Die in den verschiedenen Gesetzentwürfen ursprünglich<br />
vorgesehene Verpflichtung <strong>für</strong> die Ärzteschaft, die Dokumentation<br />
der Beratung und Vermittlung nach Absatz 1 und<br />
Absatz 2 an eine Behörde auszuhändigen, ist im Gesetz<br />
nicht mehr enthalten.<br />
§ 14 Absatz 1:<br />
Verstöße gegen die Beratungspflicht nach § 2a Absatz 1 und<br />
2 oder gegen die vorgeschriebene Bedenkzeit nach § 2a<br />
Absatz 2 Satz 2 sind ordnungswidrig und können mit einer<br />
Geldstrafe bis zu 5.000 Euro bestraft werden.<br />
Link zum Plenarprotokoll:<br />
http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp_pdf/16221.pdf<br />
Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsausschusses <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frau-en und Júgend vom 11. Mai 2009<br />
(Drs 16/12970)<br />
Herausgeber<br />
<strong>Evangelisches</strong> <strong>Zentralinstitut</strong> <strong>für</strong> <strong>Familienberatung</strong> gem. GmbH , Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte<br />
Tel.: 030 / 283 95 200, Fax: 030 / 283 95 222, Email ezi@ezi-berlin.de, www.ezi-berlin.de<br />
ISSN 0724-3995<br />
Redaktion<br />
Dieter Wentzek, Sabine Hufendiek, Christine Korth<br />
Bilder<br />
Gestaltung<br />
Reiner Kolodziej, graphic und design, Tel. 030 773 93 288<br />
Druck<br />
mediaray-graphics, druckerei im Kirchenkreis Steglitz<br />
Parallelstraße 29a, 12209 Berlin, Tel. 030 773 93 288<br />
Die EZI-<strong>Korrespondenz</strong> wird auch auf Anfrage zugesandt.<br />
Sie ist im Handel nicht erhältlich.<br />
Die Arbeit des Evangelischen <strong>Zentralinstitut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Familienberatung</strong> gem. GmbH wird aus Mitteln des BMFSFJ gefördert.
<strong>Evangelisches</strong> <strong>Zentralinstitut</strong> <strong>für</strong> <strong>Familienberatung</strong><br />
Veranstaltungskalender 2010<br />
04.01. – 08.01. Schwangerschaftskonfliktberatung / Einführungskurs 18/1 A<br />
11.01. – 15.01. Paarberatung / Aufbaukurs 23/1<br />
15.01. – 18.01. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 10/7<br />
19.01. – 21.01. Vertiefungskurs <strong>für</strong> erfahrene Fachkräfte im Kinderschutz<br />
nach § 8a<br />
27.01. – 29.01. Das neue FamFG und die Herausforderungen <strong>für</strong> die Bera-<br />
tung: Strukturierte Angebote <strong>für</strong> Hochkonflikt-Familien<br />
28.01. – 30.01. „Väter als neue Mütter und andere Männer“ – eine neue<br />
Klientel in den Beratungsstellen?<br />
01.02. – 05.02. Sexualpädagogische Arbeit und Familienplanung mit Ju-<br />
gendlichen und jungen Erwachsenen, Grundlagenkurs<br />
01.02. – 03.02. Traumaberatung Kurs 5<br />
05.02. – 07.02. Psychosoziale Beratung im Kontext pränataler Diagnostik /<br />
Einführungs- und Informationskurs<br />
05.02. – 07.02. „Atempause“ <strong>für</strong> Menschen in beratenden Berufen<br />
08.02. – 10.02 Notfallpsychologische Akutinterventionen (NoPAI), Kurs III<br />
09.02. – 11.02. Rolle und Verantwortungsprofil einer „Erfahrenen Fachkraft<br />
nach § 8a“ im neuen Bundeskinderschutzgesetz<br />
12.02. – 14.02. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 11/2<br />
16.02. – 18.02. Gewalt zwischen den Generationen<br />
19.02. – 20.02. „Wahnsinnskinder und Kinder frühgestörter Eltern<br />
19.02. – 21.02. Untreue als Thema in der Paarberatung – zwischen Schock,<br />
Scheitern und Neubeginn<br />
22.02. – 25.02. SAFE ® - Sichere Ausbildung Für Eltern / Trainingspro<br />
gramm zur Ausbildung als SAFE ® -Mentor/in<br />
23.02. – 25.02. „Auf eigenen Beinen stehen …“ / Ein Präventionsprogramm<br />
<strong>für</strong> Eltern mit 0 bis 3j. Kindern: vertrauen – spielen – lernen<br />
24.02. – 26.02. Kinder im Blick – KiB / Zweiteilige Fortbildung zum/zur<br />
Trainer/in <strong>für</strong> das Elternprogramm „Kinder im Blick“ (KiB) 6/1<br />
01.03. – 12.03. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 50/2<br />
12.03. – 13.03. IFB - Zulassungstagung<br />
17.03. – 19.03. „Schnell, … aber fair?“ / Mediative Techniken in der<br />
gerichtsnahen Trennungs- und Scheidungsberatung:<br />
Entschleunigung statt Beschleunigung! Basiskurs<br />
18.03. Lehrsupervisionstag<br />
19.03. – 21.03. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 10/8<br />
22.02. – 27.03. Therapeutisches Spiel und Beratung mit Kindern und<br />
Jugendlichen<br />
26.03. – 28.03. Zur Psychodynamik von Lern- und Leistungsstörungen bei<br />
Kindern und Jugendlichen – Leserechtschreib- und Rechen<br />
schwächen in der Beratung<br />
12.04. – 23.04. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 49/4<br />
14.04. – 16.04. Coaching <strong>für</strong> Führungs- und Leitungskräfte / Personalfüh-<br />
rung in Krisenzeiten<br />
22.04. – 24.04. Eltern-Kind-Beratung bei frühen Interaktionsstörungen<br />
26.04. – 30.04. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Kurs 11/2<br />
26.04. – 30.04. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Grundkurs<br />
03.05. – 07.05. Psychosoziale Beratung im Kontext pränataler Diagnostik /<br />
Kurs 1<br />
05.05. – 07.05 Erfolgreich coachen – Strategien und Methoden<br />
10.05. – 11.05. Lebensrückblick als Therapie<br />
12.05. – 14.05. Kinder im Blick – KiB / 6/2<br />
14.05. – 16.05. „Hörst Du das kleine Nashorn weinen?“ – ein psychodrama-<br />
tischer Interventionsansatz mit Tierfiguren bei Kindern im<br />
Trennungs-/Scheidungskonflikt<br />
17.05. – 21.05. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Kurs 10/5<br />
18.05. – 20.05. Traumaberatung Kurs 6<br />
21.05. – 22.05. Zwischen Euphorie, Leere und Hass / Borderlineklienten in<br />
der Einzel-, Paar- und Erziehungsberatung<br />
25.05. – 27.05. Rolle und Verantwortung einer „Erfahrenen Fachkraft nach<br />
§ 8a“ im neuen Bundeskinderschutzgesetz<br />
27.05. – 28.05 Problem „Scheidungsfamilie“?<br />
28.05. – 30.05 Sexualität als Thema in der Schwangerschaftskonflikt-<br />
beratung<br />
31.05. – 02.06. Coaching bei Konflikten - Konfliktcoaching<br />
31.05. – 04.06. Schwangerschaftskonfliktberatung / Aufbaukurs 17/3<br />
04.06. – 05.06. IFB - Zulassungstagung<br />
07.06. – 18.06. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 48/6<br />
21.06. – 25.06. Paarberatung / Aufbaukurs 22/4<br />
24.06. – 26.06. Paartherapie mit allen Sinnen – Erlebnisintensivierende<br />
Übungen und Methoden<br />
Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte Tel. 030 / 283 95 200<br />
www.ezi-berlin.de<br />
41<br />
25.06. – 28.06. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 10/9<br />
28.06. – 30.06 Notfallpsychologische Akutinterventionen (NoPAI), Kurs I<br />
30.06. – 03.07. Paarberatung / Aufbaukurs 23/2<br />
02.07. – 05.07. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 11/3<br />
05.07. – 09.07. Schwierige Paare in der Paarberatung<br />
06.07. – 09.07. „Beratung und Rituale beim Thema Schuld, Schuldgefühl und<br />
Vergebung“<br />
14.07. – 16.07. Paarcoaching – Konfliktmanagement <strong>für</strong> turbulente Paare<br />
15.07. – 17.07. „Mein Selbstbewusstsein? – Also da ist gar nichts mehr …“<br />
Körperlich Kranke in der Beratung<br />
19.07. – 21.07. Psychotraumatologie, -beratung und -therapie, Modul 1<br />
19.07. – 22.07. SAFE ® - Sichere Ausbildung Für Eltern / Trainingspro-<br />
gramm zur Ausbildung als SAFE ® -Mentor/in<br />
22.07. – 24.07. „Schnell, … aber fair?“ / Mediative Techniken in der<br />
gerichtsnahen Trennungs- und Scheidungsberatung:<br />
Entschleunigung statt Beschleunigung! Aufbaukurs<br />
16.08. – 20.08. Fortbildung <strong>für</strong> Sekretärinnen, Verwaltungsangestellte in<br />
Beratungsstellen <strong>für</strong> Ehe-, Lebens- und Erziehungsberatung<br />
und Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung<br />
23.08. – 24.08. „Mit einem Netz ohne Löcher fängt man dicke Fische …“<br />
Netzwerkmanagement <strong>für</strong> Frühe Hilfen und effizienten<br />
Kinderschutz<br />
23.08. – 27.08. Schwangerschaftskonfliktberatung / Einführungskurs 18/1 B<br />
30.08. – 10.09. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 51/1<br />
10.09. – 11.09. Arbeit mit Süchtigen in der Beratung<br />
13.09. – 17.09. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Vertiefungskurs<br />
17.09. – 19.09. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 10/10<br />
22.09. – 24.09. Kinder im Blick – KiB / 7/1<br />
23.09. – 24.09. Was wollen Sie eigentlich von mir?<br />
24.09. – 26.09. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 11/4<br />
27.09. – 08.10. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 49/5<br />
11.10. – 15.10. Sexualpädagogische Arbeit und Familienplanung mit Ju-<br />
gendlichen und jungen Erwachsenen, Vertiefungskurs<br />
14.10. – 15.10. Prozesssteuerung in der Paartherapie<br />
Supervisionsseminar mit erlebnisaktivierenden Methoden<br />
15.10. – 17.10. Altern – Mehr als Abschied und Verlust?<br />
18.10. – 29.10. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 50/3<br />
23.10. Informationstag zur Fortbildung in Paarberatung<br />
30.10. Informationstag zur Weiterbildung in Supervision und<br />
Coaching<br />
01.11. – 05.11. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Kurs 11/3<br />
02.11. – 03.11. Fachtagung <strong>für</strong> Mentorinnen und Mentoren<br />
03.11. – 05.11. Zentrale Arbeitstagung der Mentorinnen und Mentoren<br />
05.11. – 06.11 IFB - Zulassungstagung<br />
11.11. – 13.11. Vergessen – Vergeben – Verletzt zusammen weiterleben?<br />
Zum Umgang mit Verletzungen aus paartherapeutischer<br />
Perspektive<br />
11.11. – 13.11. „Fremd(e) in der Beratung“ – Interkulturelle Aspekte in der<br />
Beratungsarbeit<br />
15.11. – 19.11. Schwangerschaftskonfliktberatung / Aufbaukurs 17/4<br />
17.11. – 19.11. Kinder im Blick – KiB / 7/2<br />
19.11. – 21.11. Psychotraumatologie, -beratung und -therapie, Modul 2<br />
19.11. – 21.11. Psychosoziale Beratung im Kontext pränataler Diagnostik /<br />
Workshop 1<br />
22.11. – 26.11. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Kurs 10/6<br />
25.11. – 27.11. Die „unerhörten“ Botschaften der Kinder mit ADHS<br />
29.11. – 03.12. Schwangerschaftskonfliktberatung / Aufbaukurs 18/2<br />
29.11. – 03.12. Führen und Leiten<br />
03.12. – 04.12. „Und bist du nicht willig, so brauch ich ... „Schwierige Fälle in<br />
der Beratung – Praxis- und Supervisionstage 2010<br />
03.12. – 05.12. „Wie lange muss ich noch hierher kommen?“ Supervision<br />
von Beratungsprozessen mit Kindern und Jugendlichen<br />
06.12. – 07.12. Einmalige Beratung – Chance oder Scheitern?<br />
13.12. – 17.12. Paarberatung / Aufbaukurs 22/5