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Korrespondenz - Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung

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Paartherapie im Alter<br />

Seite 5<br />

Trauma - (k)ein Thema im Alter<br />

Seite 12<br />

Foto: Nora von der Decken<br />

Lebensrückblick als Therapie bei älteren Menschen<br />

Seite 17<br />

Schuld und Vergebung am Lebensende<br />

Seite 18<br />

1<br />

<strong>Korrespondenz</strong><br />

Themenheft<br />

Lebensberatung im Alter<br />

24 Herbst 2009 ISSN 0724-3995


2<br />

Inhalt<br />

Editorial<br />

Astrid Riehl-Emde<br />

Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare: Wenn alte Liebe doch mal rostet ….<br />

Silke Birgitta Gahleitner<br />

Trauma – (k)ein Thema im Alter: Überlegungen zur aktuellen Situation Hochbetagter und<br />

zu den Konsequenzen <strong>für</strong> helfende Professionen<br />

Verena Kast<br />

Lebensrückblick als Therapie bei älteren Menschen<br />

Michael Klessmann<br />

Schuld und Vergebung am Lebensende<br />

Anmerkungen zu einer verschwiegenen Thematik<br />

Meinolf Peters<br />

Beratung älterer Menschen – Versuch einer Bestandsaufnahme<br />

Rezension: Meinolf Peters<br />

„Die gewonnenen Jahre“ - Von der Aneignung des Alters<br />

Martin Koschorke<br />

Den anderen nicht mehr ändern wollen. Von der Kunst gemeinsam alt zu werden<br />

Shirley Jaeger<br />

Stufen des Erwachsenenlebens und Indikatoren <strong>für</strong> Glück im Alter<br />

Dieter Hildebrandt<br />

„Hallo Alter“<br />

Aktuelles aus dem EZI<br />

Christel Riemann-Hanewinckel (MdB)<br />

Späte Schwangerschaftsabbrüche in der Diskussion:<br />

Aktuelle Entwicklungen im Deutschen Bundestag<br />

Claudia Heinkel<br />

Fachinformationsdienst des Diakonischen Werkes der EKD<br />

Arbeitsfeld <strong>Familienberatung</strong> und Familienpolitik<br />

Impressum<br />

Veranstaltungskalender<br />

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Editorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

unsere EZI-<strong>Korrespondenz</strong> kommt in diesem Jahr in verän-<br />

derter Form zu Ihnen.<br />

Das Medium Internet macht es möglich, ohne Verbrauch<br />

natürlicher Ressourcen, ohne Druck- und Versandkosten<br />

viele Freunde und Förderer des EZI an den Themen, die uns<br />

gerade beschäftigen, zu beteiligen.<br />

Die EZI-<strong>Korrespondenz</strong> 24 ist ein Themenheft zu „Lebensbe-<br />

ratung im Alter“.<br />

Wir hören aus den Beratungsstellen von zunehmenden Anmeldezahlen<br />

in Ehe-, Paar- und Lebensberatung, besonders<br />

auch von älteren Menschen. Diese Beratungsangebote gehören<br />

weitgehend nicht zu den refinanzierten Leistungen. Die<br />

Träger müssen sich <strong>für</strong> den Erhalt und Ausbau stark machen.<br />

Hier ist von den Beratungsstellen selbst, vom Fachverband,<br />

aber auch von uns noch viel politische Arbeit zu leisten,<br />

damit dieser Bereich psychologischer Beratungen in unserer<br />

Kirche erhalten bleibt. Wir wollen die wachsende Bedeutung<br />

dieses Themas <strong>für</strong> die Beratungslandschaft aufgreifen und<br />

unseren Beitrag leisten durch konzeptionelle und qualitative<br />

Weiterentwicklung der Beratungskonzepte <strong>für</strong> ältere Menschen.<br />

Unsere Gastdozentinnen und Gastdozenten haben<br />

uns freundlicherweise mit ihren Beiträgen dabei unterstützt.<br />

Da<strong>für</strong> herzlichen Dank!<br />

Zum Thema: „Bis dass der Tod euch scheidet“ - bedeutet<br />

heute eine viel längere Zeit als früher, mit all den Höhen<br />

und Tiefen einer Partnerschaft. Und es ist bekannt, dass<br />

die seelische und körperliche Gesundheit mit der Qualität<br />

der Paarbeziehung zu tun hat. Das beschreibt überzeugend<br />

Astrid Riehl-Emde, die auch im nächsten Jahr wieder als<br />

Gastdozentin das Thema „Vergessen - Vergeben - Verletzt<br />

- zusammen weiterleben? - Zum Umgang mit Verletzungen<br />

aus paartherapeutischer Perspektive“ am EZI vertritt. Ihr Beitrag<br />

zur Paartherapie im Alter zeigt, wie in der Beratung alter<br />

Menschen keine neuen Therapie- oder Beratungsmethoden<br />

nötig sind, aber viel Wissen über das Altern, ein zeitgeschichtliches<br />

Denken und die Reflektion eigener Voreinstellungen.<br />

Die Lebensqualität älterer Menschen wird bestimmt durch<br />

das Verhältnis von Anforderungen an die jeweilige Person<br />

und ihre persönlichen Möglichkeiten, diese Anforderungen<br />

zu bewältigen. Nicht nur körperliche Veränderungen und<br />

Krankheiten sind zu bewältigen, auch psychosoziale Problemlagen<br />

nehmen im Alter zu, trotz des großen Spektrums<br />

an Lebenserfahrung. Es sind aber gerade <strong>für</strong> die aktuelle<br />

Generation hoch betagter Menschen außerordentliche traumaträchtige<br />

Erlebnisse, wie die Zeit des Nationalsozialismus,<br />

die bewältigt werden müssen.<br />

Silke Birgitta Gahleitner hat über die Verarbeitung komplexer<br />

traumatisierender Lebenserfahrungen von alten Menschen<br />

geforscht, stellt die Ergebnisse vor und zeigt die Möglichkeiten<br />

professioneller Hilfe und Begleitung in der Beratung alter<br />

Menschen.<br />

Wir freuen uns, dass wir Verena Kast <strong>für</strong> ein Seminar zum<br />

Thema „Beratung älterer Menschen“ gewinnen konnten, das<br />

auch 2010 wiederholt wird. Lebensrückblick in der Form von<br />

Erzählung ist ein Zugang zur eigenen Biografie, der in der Beratung<br />

heilend und lösend wirken kann. Über die Imagination<br />

der Erinnerungen ist oft ein besseres Verständnis <strong>für</strong> sich<br />

selbst und eine Versöhnung mit sich selbst möglich.<br />

Erfahrungen aus dem EZI-Seminar „Schuld und Vergebung“<br />

berichtet Michael Klessmann. Er spricht damit eine oft<br />

verschwiegene Thematik an, die nicht nur am Lebensende<br />

berühren und quälen kann. Die religiöse Dimension ist oft zu<br />

erahnen und wird manchmal in der Beratung und Seelsorge<br />

klar angesprochen. Sie fordert in jedem Fall die beratende<br />

Person zur Selbstreflexion heraus und dazu, Sprache und<br />

Verhaltensmuster zur Verfügung zu stellen. Das hilft, Abschiede<br />

im und vom Leben zu erleichtern und durch Rituale<br />

würdig zu gestalten.<br />

Meinolf Peters will in seiner Bestandsaufnahme zur „Psycho-<br />

sozialen Beratung älterer Menschen“ den von verschiedenen<br />

Faktoren bestimmten Strukturwandel in der Lebenssituation<br />

älterer Menschen und seine Auswirkung auf Beratung deutlich<br />

machen. Entberuflichung, Feminisierung mit steigendem<br />

Alter, Singularisierung und Hochaltrigkeit bringen erhöhten<br />

Beratungsbedarf und spezifische Beratungserfordernisse<br />

hervor. Peters zeigt auf, dass traditionelle Beratungsformen<br />

3


4<br />

<strong>für</strong> ältere Menschen in umfassenden integrativen Konzepten<br />

aufgehen müssen, bei denen den psychotherapeutischen<br />

Methoden weiterhin eine größere Rolle zufallen wird.<br />

Martin Koschorke, langjähriger Dozent am EZI, teilt uns aus<br />

seinen reichen Erfahrungen aus der Paarberatung etwas<br />

von der „Kunst gemeinsam alt zu werden“ mit. Und aus dem<br />

Amerikanischen vermittelt er uns Indikatoren <strong>für</strong> das „Glück<br />

im Alter“ (von Shirley Jaeger).<br />

„Aktuelles aus dem EZI“ beschäftigt sich mit der Diskussion<br />

um die Neufassung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes<br />

(SchwG). Christel Riemann-Hanewinckel MdB und Mitglied<br />

im EZI-Aufsichtsrat gibt aus ihrer Perspektive die kontroverse<br />

Diskussion im Bundestag wider insbesondere im Blick auf die<br />

Bedeutung der Beratung im Kontext von Pränataldiagnostik.<br />

Claudia Heinkel (DW-EKD) fasst <strong>für</strong> uns die Kernpunkte der<br />

nunmehr beschlossenen Neuregelung zusammen.<br />

<strong>Korrespondenz</strong> lebt von der Antwort auf die Veröffentlichung<br />

und Vermittlung anregender Gedanken. Wir erwarten gerne<br />

Ihre Reaktion, sei es in Form einer Anmeldung zu einem thematischen<br />

Kursangebot oder auch schriftlich, per E-Mail, mit<br />

Meinungen, Wünschen und Vorschlägen (ezi@ezi-berlin.de).<br />

Viel Anregungen und Freude beim Lesen wünscht Ihnen<br />

im Namen des Dozententeams<br />

und der Mitarbeiterinnen im EZI<br />

Ihr<br />

Dieter Wentzek<br />

EZI-Seminare zum Thema „Lebensberatung im Alter“<br />

• Lebensrückblick als Therapie *<br />

10. - 11.05.2010, Prof. Dr. Verena Kast<br />

• Altern - Mehr als Abschied und Verlust? *<br />

15. - 17.10.2010, Dr. Peters<br />

• „Mein Selbstbewusststein? - Also da ist gar nichts mehr …“<br />

Körperlich Kranke in der Beratung<br />

15. - 17.07.2010, Dr. Singer, Dr. Merbach<br />

• „Fremd(e) in der Beratung“ - Interkulturelle Aspekte in der Beratungsarbeit<br />

11. - 13.11.2010, Dr. Merbach<br />

• Schwierige Paare in der Paarberatung *<br />

05. - 09.07.2010, Koschorke<br />

• Vergessen - Vergeben - Verletzt zusammen weiterleben? *<br />

Zum Umgang mit Verletzungen aus paartherapeutischer Perspektive<br />

11. - 13.11.2010, Prof. Dr. Riehl-Emde<br />

• „Beratung und Rituale beim Thema Schuld, Schuldgefühl und Vergebung“ *<br />

06. - 09.07.2010, Hufendiek, Prof. Dr. Klessmann<br />

Nähere Informationen unter: www.ezi-berlin.de


Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare:<br />

Wenn alte Liebe doch mal rostet ….<br />

Astrid Riehl-Emde<br />

Einleitung<br />

Mein erstes Interesse an der Paartherapie mit älteren Men-<br />

schen entstand vor über 20 Jahren. Damals erhielt ich die<br />

Anmeldung eines Paares – sie 72, er 74 Jahre alt, beide in<br />

erster Ehe verwitwet –, das sich drei Jahre zuvor über eine<br />

Kontaktanzeige kennen gelernt hatte. Das Paar war in enorme<br />

Beziehungskonflikte geraten, nachdem er bei ihr eingezogen<br />

war; in ein Haus, in dem sie auch mit ihrem ersten Mann gelebt<br />

hatte. Vermutlich kam das Paar mit recht zwiespältigen<br />

Gedanken und Gefühlen zu mir: kann Paartherapie in unserem<br />

Alter überhaupt noch helfen? Und wie geht es weiter,<br />

wenn nicht? Können wir in unserem Alter nochmals von vorn<br />

anfangen? Was kann ich alles sagen? Was verschweige ich<br />

lieber? Wird uns eine Therapeutin, die viel jünger ist als wir,<br />

überhaupt verstehen können?<br />

Stellen Sie sich vor, es käme ein Paar, das bereits seit 30,<br />

40 oder 50 Jahren verheiratet ist. Es wäre nicht erstaunlich,<br />

wenn beide noch skeptischer wären: Kann Paartherapie lang<br />

eingefahrene Beziehungsmuster noch beeinflussen? Ist es<br />

überhaupt nötig, nach 40 Ehejahren, nachdem viele Konflikte<br />

und Krisen überstanden sind, eine dritte Person in die<br />

Paarbeziehung einzuweihen? Gerade bei Männern besteht<br />

viel Scham und auch die Sorge, das Gespräch über Ehekonflikte<br />

könnte eine schwierige Situation noch verschlimmern.<br />

Frauen, die seit Jahren mehr Austausch wünschen und die<br />

Therapie initiiert haben, bekommen plötzlich Angst vor der<br />

eigenen Courage.<br />

Seit damals ist mein Interesse an älteren Paaren wach<br />

geblieben: Ich forsche über Beziehungen älterer Paare, bin<br />

Mitherausgeberin der Zeitschrift „Psychotherapie im Alter“<br />

(www.psychotherapie-im-alter.de) und führe eine Spezialsprechstunde<br />

<strong>für</strong> ältere Paare (60+) am Institut <strong>für</strong> Psychosomatische<br />

Kooperationsforschung und Familientherapie<br />

der Universität Heidelberg (Riehl-Emde 2008; Riehl-Emde &<br />

Cierpka 2006).<br />

Der folgende Beitrag besteht aus vier Teilen:<br />

• Fallbeispiel aus der Sprechstunde <strong>für</strong> ältere Paare 1<br />

• Gemeinsam alt werden, ein historisch relativ neues<br />

Phänomen<br />

• Was führt ältere Paare in die Paartherapie?<br />

• Indikation zur Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare<br />

Ein Fallbeispiel aus der Paartherapie<br />

Vor einiger Zeit stand an einem Montagmorgen um 8 Uhr ein<br />

Paar ohne Voranmeldung in unserer Ambulanz: Herr Müller,<br />

77 Jahre alt, Frau Müller, 74 Jahre alt, beide braungebrannt<br />

und sportlich gekleidet. Sie waren am Vortag etwa 500<br />

km von Norddeutschland nach Heidelberg gereist – zuerst<br />

per Auto, dann weiter mit der Bahn – und stritten jetzt im<br />

Treppenhaus unseres Instituts. Die Ehefrau hatte über Dritte<br />

von unserer Einrichtung gehört und nahm an, man erhalte<br />

wie in einer Notfallstation rund um die Uhr Hilfe, was leider<br />

nicht (oder noch nicht) der Fall ist. Sie hatte ihren Mann im<br />

Glauben gelassen, sie wolle nach Heidelberg in eine Spezialabteilung<br />

<strong>für</strong> Orthopädie, um ihr bereits seit langem schmerzendes<br />

Knie untersuchen zu lassen. Sie dorthin zu begleiten<br />

war er durchaus einverstanden gewesen. Er hatte sich nicht<br />

genauer nach dem Ziel der Reise erkundigt und empörte sich<br />

jetzt lauthals, unter falschen Tatsachen hergelotst worden<br />

zu sein. Sie konterte: da er sie nie freiwillig begleiten würde<br />

zu einem Paargespräch, sei sie ja gezwungen, eine solche<br />

List anzuwenden; er warf ihr im Gegenzug vor, dies sei ein<br />

erneuter Beweis da<strong>für</strong>, dass ihre ungeplanten Hals-über-<br />

Kopf-Aktionen – und seit Jahrzehnten neige sie dazu! – schief<br />

gehen müssen.<br />

Das Paar erhielt zwar nicht unmittelbar am Morgen, aber<br />

doch am gleichen Nachmittag einen Termin; die beiden<br />

übernachteten in einem kleinen Hotel in Heidelberg und<br />

fuhren am nächsten Tag mit dem Zug wieder zurück nach<br />

Norddeutschland.<br />

1 Weitere Informationen zur Spezialambulanz <strong>für</strong> ältere Paare am Institut <strong>für</strong> Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie:<br />

Riehl-Emde 2008; Riehl-Emde & Cierpka 2006 (Artikel im PDF-Format erhältlich unter: www.riehl-emde.de<br />

5


6<br />

Ich erfuhr, dass er unmittelbar vor unserem Gespräch drei<br />

Wochen zur Kur gewesen war; sie hatte während seiner Abwesenheit<br />

einer Freundin ihre Eheschwierigkeiten anvertraut<br />

und von dieser den Tipp erhalten, nach Heidelberg zu fahren.<br />

Auslösend <strong>für</strong> ihren Entschluss zu einem Paargespräch<br />

war ihr Gedanke: jetzt oder nie, die Lebensperspektive ist<br />

begrenzt und eine Scheidung lohnt eigentlich nicht mehr!<br />

Sie habe sich in 50 Ehejahren von ihm meist unverstanden<br />

gefühlt und sei oft deprimiert gewesen. Aktuell zugespitzt<br />

habe sich ihr Paarkonflikt, nachdem er der Tochter einen<br />

hohen Geldbetrag geliehen hatte, den diese jedoch <strong>für</strong> einen<br />

anderen als den vereinbarten Zweck ausgab. Jetzt drohte<br />

das Projekt der Tochter zu scheitern und Herr Müller – als<br />

ehemaliger Kaufmann immer wieder fassungslos über den<br />

vermeintlich mangelnden kaufmännischen Sachverstand<br />

der Kinder – übernahm in dieser Situation sehr viel Verantwortung.<br />

Er fühlte sich jedoch selbst überfordert in der<br />

Angelegenheit der Tochter, zerstritt sich darüber mit allen<br />

drei Kindern und mit der Ehefrau. Frau Müller hatte ganz<br />

andere Ansichten über die Art, wie der Tochter zu helfen<br />

sei und be<strong>für</strong>chtete, der Kontakt zu den Kindern könne in<br />

die Brüche gehen. Er meint, ihre Sorgen und Ängste seien<br />

„mütterlich übertrieben“. Beide waren in einem Teufelskreis<br />

gegenseitiger Entwertungen und Machtdemonstrationen<br />

gefangen. Eigentlich fühlten sich beide einsam, sehnten sich<br />

nach mehr Anerkennung, Verständnis und Zuneigung.<br />

Die Atmosphäre entspannte sich deutlich, als ich beiden die<br />

ihnen zustehende Anerkennung <strong>für</strong> ihre jeweilige „Lebensleistung‘‘<br />

im Einsatz <strong>für</strong> die Familie zollte (er mehr materiell,<br />

sie mehr emotional). Am Ende des Gesprächs hatte es ihm<br />

gut getan, mal frei zu sprechen. Er erinnerte sich an die<br />

Hochzeitsreise nach Heidelberg und war bereit, wiederzukommen.<br />

Kommentar: Ungewöhnlich an dieser kurzen Szene ist, dass<br />

ein Paar im hohen Alter und ohne jegliche psychotherapeu-<br />

tische Erfahrung zu einem Paargespräch kommt. Die Idee,<br />

sich mit einem Eheproblem an Dritte zu wenden, geht meist<br />

von den Frauen aus. Männer dieses Alters erleben es oft als<br />

kränkend und beschämend, nach 40 oder mehr Ehejahren,<br />

eine dritte Person um Hilfe zu bitten. Viele haben gelernt,<br />

dass man über persönliche oder familiäre Probleme nicht<br />

spricht, zumindest nicht mit Außenstehenden.<br />

Weshalb kamen Herr und Frau Müller gerade jetzt und nicht<br />

bereits vor 10, 20 oder 30 Jahren? Wieso war die Ehefrau<br />

unter einen derartigen Handlungsdruck geraten? Es handelte<br />

sich um eine jahrzehntelang bestehende Thematik („seit<br />

50 Jahren unverstanden“), die aktuell durch hinzukommen-<br />

de Altersthemen akzentuiert wurde. Vermutlich war der<br />

drohende Kontaktabbruch der Kinder ausschlaggebend <strong>für</strong><br />

Frau Müllers Be<strong>für</strong>chtung, in ihren emotionalen Bedürfnissen<br />

noch stärker vom Ehemann abhängig zu werden. Denn<br />

bisher fand sie im Kontakt mit ihrer Tochter ausreichend<br />

Möglichkeiten, das Sich-Unverstanden-Fühlen in der Ehe zu<br />

kompensieren.<br />

Was hier vordergründig als ehelicher Machtkampf mit gegenseitigen,<br />

auch altersspezifischen Entwertungen gestaltet<br />

wird, korrespondiert auf einer tieferen Ebene häufig mit<br />

der Angst vor Abhängigkeit und mit der Sehnsucht nach<br />

Anerkennung und Liebe im Alter. Ängste und Sehnsüchte<br />

können durch die noch zur Verfügung stehende begrenzte<br />

Lebenszeit verstärkt werden.<br />

Am Ende des Gesprächs war die Ehefrau hoffnungsloser geworden<br />

in Bezug auf seine Veränderungsmöglichkeiten, was<br />

im positiven Fall – ganz unabhängig vom Alter der Betroffenen<br />

– <strong>für</strong> Realitätsbezug sprechen und ein erster Anstoß <strong>für</strong><br />

kleinere Ziele oder Situationsveränderungen sein könnte.<br />

Gemeinsam alt werden,<br />

ein historisch relativ neues Phänomen<br />

Die langjährige Beziehung stellt den statistischen Normalfall<br />

der Ehe im höheren Erwachsenenalter dar. Die „nachelterliche<br />

Gefährtenschaft“, wie die Zeit zwischen dem Weggang<br />

des letzten Kindes und der Verwitwung genannt wird, beginnt<br />

zwischen dem 45. und 60. Lebensjahr, sie kann heute<br />

bis gegen das 80. Lebensjahr andauern 2 .<br />

Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung haben Eheleute<br />

die Chance, als Paar hoch betagt zu werden, ein historisch<br />

neues Phänomen, <strong>für</strong> das es kaum Vorbilder gibt. „Bis dass<br />

der Tod Euch scheidet“ bedeutet also heutzutage eine viel<br />

längere Zeit als früher.<br />

Die Chance, gemeinsam hoch betagt zu werden, stellt eine<br />

ziemliche Herausforderung dar: Laut Scheidungsstatistik<br />

gibt es eine Zunahme an Scheidungen bei Paaren, die 20 bis<br />

25 Jahre verheiratet sind. Dies ist in der Regel die Zeit, in der<br />

Bilanz gezogen wird („Soll das alles gewesen sein?“) und die<br />

Frage aufkommt, ob eine Person mit diesem Partner oder<br />

mit dieser Partnerin alt werden möchte („Will you still need<br />

me, will you still feed me, when I am 64 …?“) oder sich doch<br />

lieber <strong>für</strong> ein Leben allein bzw. mit einem anderen Partner<br />

entscheidet.<br />

Heute wissen wir, dass die interindividuelle Variabilität mit<br />

steigendem Lebensalter zunimmt, d.h. die körperlichen,<br />

psychischen und sozialen Fertigkeiten älterer und alter<br />

2 Die „nachelterliche Gefährtenschaft betrug vor 100 Jahren etwa 1 bis 2% der Lebensdauer; diese Zeit ist auf 30% angestiegen!


Menschen streuen breiter als in jüngeren Jahren. Einerseits<br />

nehmen Plastizität und Gestaltungsmöglichkeiten zu, andererseits<br />

wächst auch die Gefahr von Erstarrung und Stagnation.<br />

Daher beinhaltet die steigende Lebenserwartung<br />

sowohl die Chance, die Lust am Leben und Lieben weiter zu<br />

entwickeln, als auch das Risiko eines zunehmenden Rückzugs<br />

bis hin zur Asexualität. Auch die Sexualität in höherem<br />

Lebensalter kann Erfahrungen von Gewinn und Verlust mit<br />

sich bringen. Eine Frau wird die Wechseljahre als Befreiung<br />

von Verhütungsdruck erleben, eine andere leidet unter dem<br />

Verlust der Gebärfähigkeit; einem Mann kann die instabilere<br />

physiologische Erregung im Sinne einer Entlastung von Triebdruck<br />

willkommen sein, bei einem anderen löst sie vor allem<br />

Ängste vor Potenzverlust aus.<br />

Wie sich die Liebe im Laufe lang dauernder Paarbeziehungen<br />

verändert, darüber wissen wir noch relativ wenig. Bekannt ist<br />

jedoch, dass die Qualität der Paarbeziehung mit seelischer<br />

Gesundheit zu tun hat: Die Einbindung des Menschen in eine<br />

funktionale Paarbeziehung gilt als wesentlicher Prädiktor<br />

<strong>für</strong> Gesundheit und Wohlbefinden, und die Paarbeziehung<br />

ist sehr bedeutsam als Ressource <strong>für</strong> die Bewältigung von<br />

Krisensituationen. Natürlich reicht es <strong>für</strong> ein gutes Wohlbefinden<br />

nicht aus, verheiratet zu sein – die Ehe kann auch<br />

krank machen –, wichtig ist die Qualität dieser Beziehung.<br />

Diese ist auch davon abhängig, ob und wie die folgenden<br />

psychologischen Aufgaben von Paaren im Ruhestand gemeistert<br />

werden (Wallerstein & Blakeslee 1996):<br />

• Zweisamkeit ergibt sich; Unabhängige/getrennte Aktivi-<br />

tät ist ein freiwilliger Entschluss<br />

• Gegenseitige Fürsorge; dauerhaftes Bedürfnis nach<br />

Unterstützung und Ermutigung<br />

• Zunehmende emotionale Abhängigkeit<br />

• Wunsch nach größerer Nähe und Angst davor<br />

• Verlust an Privatsphäre<br />

• Interessen ausbauen, Kontakt zur Außenwelt erhalten<br />

• Speziell bei älteren Paaren wird die Paarbeziehung noch<br />

einmal besonders wichtig, nachdem die Familien und<br />

Berufsphase in den Hintergrund getreten sind.<br />

Was führt ältere Paare in die Therapie?<br />

Einige der wichtigsten Gründe, die ältere Menschen zur<br />

Therapie oder Beratung führen:<br />

• Nähe-Distanz-Probleme nach der Pensionierung (heftige<br />

Streitigkeiten)<br />

• Belastung durch Krankheit und Rollenumkehr<br />

• Zunehmende Bedeutung von Erinnerungen<br />

• Eheliches Burnout und Unauflösbarkeit der Bindung<br />

• Unbefriedigende Situationen in der partnerschaftlichen<br />

Sexualität.<br />

• Probleme mit Kindern, in Folge: Kontaktabbruch zu den<br />

Enkeln<br />

Nähe-Distanz-Probleme nach der Pensionierung<br />

Der Übergang in den Ruhestand gilt als eine kritische Phase:<br />

Im Ruhestand verbringen die meisten Paare mehr Zeit miteinander<br />

als je zuvor. Wenn der Beruf als Regulator <strong>für</strong> Nähe und<br />

Distanz wegfällt, müssen/können Paare selbst entscheiden,<br />

wie viel Zeit jeder <strong>für</strong> sich und wie viel Zeit beide gemeinsam<br />

verbringen. Viele Paare finden spontan eine neue Balance,<br />

sogar die meisten kommen gut mit dem Ruhestand zurecht,<br />

auch bereits zu Beginn (Seibert 1995).<br />

Wenn die Arbeit als Hauptverbindung zur Außenwelt entfällt<br />

und man sich nicht mehr über die Arbeit definiert, ergeben<br />

sich neue Möglichkeiten, aber auch neue Gefahren <strong>für</strong> die<br />

Ehe:<br />

Von den Möglichkeiten her: Im Ruhestand kann sich das<br />

Paar wieder vermehrt einander zuwenden, beide haben<br />

mehr Zeit <strong>für</strong> sich selbst und gemeinsame Unternehmungen.<br />

Rollen und Ziele werden neu definiert, und Veränderungen<br />

in Bezug auf Intimität stehen an. Die emotionalen Qualitäten<br />

und die individuellen Eigenheiten der Partnerin bzw. des<br />

Partners werden wieder wichtiger, besonders wichtig auch<br />

die gegenseitige Unterstützung und das wechselseitige<br />

Geben und Nehmen.<br />

Gefahren liegen in Langeweile und sozialer Isolation. Oftmals<br />

haben Männer und Frauen auch unterschiedliche Visionen<br />

von der Altersehe. So können Männer aus traditionellen<br />

Ehen be<strong>für</strong>chten, von der Frau nicht mehr geliebt/geachtet<br />

zu werden, wenn sie nicht mehr den Lebensunterhalt verdienen;<br />

sie suchen eine neue Rolle zu Hause und richten<br />

damit oftmals ein Durcheinander an. Viele Frauen, die in<br />

den Jahren der Berufstätigkeit den Mann geschont haben,<br />

legen neue Maßstäbe an und erwarten, im Ruhestand des<br />

Mannes <strong>für</strong> ihren früheren Einsatz entschädigt zu werden.<br />

Wenn dann kein Ausgleich erfolgt, wenn z.B. die gewünschte<br />

Gemeinsamkeit nicht entsteht, reagieren sie häufig mit Groll<br />

und versuchen zu ihren vermeintlichen Rechten zu kommen.<br />

Männer verstehen diesen Wandel ihrer Frauen in der Regel<br />

gar nicht. Übrigens wächst bereits in den mittleren Jahren<br />

die Neigung, mit dem Partner unzufrieden zu werden, ihn als<br />

Sündenbock <strong>für</strong> die eigene Langeweile oder Enttäuschung<br />

zu sehen, wie (Wallerstein & Blakeslee 1996). Wenn Enttäuschungen<br />

und Versäumnisse bewusst werden (meist in den<br />

mittleren Jahren), werden diese oft zu Unrecht dem Anderen<br />

angelastet. Die Ehe wird dann nicht selten zum Schauplatz<br />

des Kampfes um Selbstbehauptung und Selbsterhaltung, es<br />

7


8<br />

kommt zu destruktiven gegenseitigen Entwertungen, zu Ver-<br />

weigerung, in anderen Fällen auch zu Flucht in die Krankheit<br />

oder Ausbruchsversuchen mit Dritten.<br />

Belastung durch Krankheit und Rollenumkehr (Ungleich-<br />

zeitiges Altern als Paar, Unterschiede in der Vitalität)<br />

Krankheit und Gebrechlichkeit können zu einer Rollenumkehr<br />

in der Beziehung führen: Zum Beispiel kommt der<br />

ehemals dominante Partner in die Rolle des Abhängigen<br />

und die ehemals sich unterordnende Partnerin hat nun<br />

die Aufgabe, Entscheidungen zu treffen oder dem Partner<br />

Grenzen zu setzen. Zumindest im Übergang zu der neuen<br />

Rollenverteilung kommt es hier typischerweise zu heftigen<br />

Machtkämpfen. Dahinter steht in der Regel die Angst vor<br />

Abhängigkeit des ehemals dominanten Partners: Auf die<br />

Hilfe der Partnerin angewiesen zu sein, kann Gefühle von<br />

Versagen und Wertlosigkeit auslösen oder die Be<strong>für</strong>chtung,<br />

ihr zur Last zu fallen. Aber auch die Partnerin kann zutiefst<br />

verunsichert sein, weil die Veränderung des Mannes von<br />

ihr verlangt, neue Rollen und Funktionen zu übernehmen,<br />

die sie bisher kaum kannte. Sie will diese vielleicht auch gar<br />

nicht übernehmen und beginnt erst einmal da<strong>für</strong> zu kämpfen,<br />

dass der Mann in seiner alten Rolle bleibt – zumindest<br />

ist eine Übergangszeit nötig, um wahrzunehmen, dass er<br />

es beim besten Willen gar nicht mehr kann. Machtgerangel<br />

kann die Sicht auf Bedürfnisse nach Anerkennung und<br />

Wertschätzung verstellen. Alternden Paaren steht in diesen<br />

Kämpfen übrigens eine neue Waffengattung zur Verfügung:<br />

die Entwertung des anderen als dement oder das Spiel mit<br />

anderen möglichen Abbauerscheinungen, von denen die<br />

Vergesslichkeit noch die mildeste ist. Diese Entwertungen<br />

können dann besonders verunsichern und verletzen, wenn<br />

sie mit eigenen Ängsten korrespondieren: Ängsten in Bezug<br />

auf das eigene Altern; vor Krankheit und Tod; unattraktiv<br />

zu sein oder vom Partner verlassen zu werden. Tatsächlich<br />

belasten sich verschlechternde Gedächtnisleistungen eines<br />

Partners die Paarbeziehung in der Regel erheblich und können<br />

bereits im frühen Stadium eines demenziellen Prozesses<br />

die Paardynamik stark beeinflussen.<br />

Zunehmende Bedeutung von Erinnerungen.<br />

Es kommt im Alter weitaus häufiger vor als in jüngeren Jahren,<br />

dass noch unverarbeitete Ereignisse aus der Vergangenheit<br />

wieder hochkommen: dies nicht nur, aber auch als Begleitsymptom<br />

einer Depression. Erinnerungen an schwierige und<br />

traumatische Situationen und längst vergangene Konflikte in<br />

Paar und Familienbeziehungen, die früher vielleicht etwas<br />

beiseite geschoben wurden, werden wieder belebt. Ältere<br />

Menschen be<strong>für</strong>chten häufig, die Paartherapie trage dazu<br />

bei, alte Verletzungen und Enttäuschungen neu zu beleben<br />

und eine bereits schwierige Situation noch zu verschlimmern.<br />

Oft ist es aber umgekehrt: Zuerst tritt die Erinnerung stärker<br />

ins Bewußtsein, dann folgt die Paartherapie. Ganz allgemein<br />

ist nicht das Alter die Bürde, sondern das Verdrängte bzw.<br />

Aufgeschobene von früher.<br />

In der Paartherapie sollte das Thema der Auseinandersetzung<br />

nicht in die Vergangenheit verlegt, sondern in<br />

seiner Bedeutung <strong>für</strong> die Gegenwart und Zukunft behandelt<br />

werden. Die belastende Erinnerung kann als Zeichen einer<br />

aktuellen Notsituation verstanden und die Wiederbelebung<br />

eines Konflikts im Interesse des Beziehungserhalts gesehen<br />

werden, weil sie die Chance birgt, sich einem noch unerledigten<br />

Thema zu stellen – mit der Möglichkeit einer Lösung.<br />

Dass Konflikte wieder belebt werden, ist letztlich weniger<br />

entscheidend als die Bedeutung, welche diese und vor allem<br />

die damit einhergehenden Enttäuschungen und Verletzungen<br />

im aktuellen Kontext haben und welche Möglichkeiten<br />

bestehen, damit umzugehen.<br />

Eheliches Burnout und Unauflösbarkeit der Bindung<br />

„Eheliches Burnout“ meint, die positiven Gefühle <strong>für</strong>einander<br />

wie Zärtlichkeit, Geduld und liebevolle Zuwendung sind<br />

erschöpft, die so dringend gebrauchte Anerkennung bleibt<br />

aus. Stattdessen verbreiten sich Gleichgültigkeit und Kälte,<br />

in manchen Beziehungen sogar Härte und Zynismus. Das<br />

Ausgebranntsein, die Ausweglosigkeit hat wesentlich mit<br />

dem Gefühl und Wissen zu tun, der Beziehung nicht mehr<br />

entrinnen zu können. Paare in dieser Situation vermitteln<br />

den Eindruck, sie seien in gegenseitigen Schuldzuweisungen<br />

und Feindseligkeiten erstarrt. Oftmals sind beide Partner<br />

überfordert; einerseits spüren sie, nichts mehr ertragen<br />

und auch kein weiteres Verständnis <strong>für</strong>einander aufbringen<br />

zu können, andererseits wissen sie aber auch, dass sie der<br />

Beziehung nicht mehr entrinnen können (Riehl-Emde 2005).<br />

Unbefriedigende Situationen in der partnerschaftlichen<br />

Sexualität<br />

Die Vorstellung von der Asexualität im Alter ist inzwischen als<br />

ein Mythos entlarvt. Sexualität bleibt zumindest als Möglichkeit<br />

bis ins hohe Alter erhalten. Mit dem Altern sinken zwar die<br />

sexuelle Appetenz und die sexuelle Reaktionsfähigkeit, doch<br />

die Erregungs- und Orgasmusfähigkeit bleiben grundsätzlich<br />

erhalten. Ab dem 60. Lebensjahr kommt es allmählich, spätestens<br />

jedoch nach dem 70. zu einer deutlichen Reduktion<br />

sexueller Kontakte. Sexuelle Aktivitäten und Phantasien dauern<br />

dennoch oft bis in die hohen 80er Jahre und verschwinden<br />

auch danach nicht immer ganz; allerdings verändern<br />

sich Intensität, Formen und Inhalte. Bei der Mehrzahl älterer


Männer und Frauen ist das sexuelle Interesse größer als die<br />

sexuelle Aktivität („interest-activity-gap“; Fooken 2005). Gerade<br />

in Langzeitehen besteht die Tendenz, die paarbezogene<br />

Sexualität zu beenden, bevor die sexuellen Möglichkeiten<br />

erschöpft sind. Menschen, die auch in jüngeren Jahren<br />

nicht besonders an Sexualität interessiert sind, fühlen sich<br />

mit zunehmendem Alter weniger verpflichtet, Interesse an<br />

Sexualität zu zeigen. Dann ist es nur konsequent bzw. ein<br />

emanzipatorischer Akt, zu sagen: „Wissen Sie, wir ziehen<br />

heute ein Glas Wein vor“ (Bucher 2005).<br />

Übrigens wurde der Einfluss des Alters auf die sexuelle<br />

Aktivität in der empirischen Forschung lange Zeit erheblich<br />

überschätzt. Eine umfangreiche Erhebung in Großbritannien<br />

(Johnson et al. 1994) zeigt, dass die Sexualität eines Paares<br />

mindestens bis zum Alter von 50 Jahren – vermutlich aber<br />

deutlich länger – durch die Dauer der Beziehung sehr viel<br />

stärker gedämpft wird als durch das Lebensalter. Die sexuelle<br />

Aktivität hängt also weniger davon ab, ob jemand 25, 40<br />

oder 60 Jahre alt ist, sondern mehr davon, ob die Beziehung<br />

seit einem, fünf oder zehn Jahren besteht (Schmidt 1998, S.<br />

353).<br />

Wird über eine auffällige Reduktion der Sexualität geklagt,<br />

– auffällig in Bezug auf die sexuell-erotische Beziehungsgeschichte,<br />

nicht in Hinblick auf statistische Durchschnittswerte!<br />

–, spielen neben den im Altern veränderten Reaktionsmustern<br />

beider Geschlechter und neben dem Gesundheitszustand<br />

beider Partner meist auch paardynamische Gründe<br />

eine Rolle (Jellouschek 1997), vor allem:<br />

• Die Angst des Mannes vor seiner nachlassenden Potenz<br />

kann sich mit der Angst der Frau vor ihrer nachlassenden<br />

Attraktivität zu einem Vermeidungsmuster verbinden;<br />

• die emotionale Zerrüttung der Beziehung, obwohl beide<br />

Partner sexuell interessiert sind;<br />

• zu viele Verletzungen und Kränkungen, so dass die körperliche<br />

Nähe nicht mehr zugelassen werden kann;<br />

• Probleme, sexuelle Wünsche auszudrücken bzw. eine<br />

schweigende Erwartungshaltung;<br />

• der Gesundheitszustand bzw. die Erkrankungen eines<br />

oder beider Partner.<br />

Hinzukommen natürlich auch Themen wie Schuld, Scham,<br />

Angst, Dominanz, Unterwerfung, Aggressivität und Bemächtigung,<br />

Kontrollverlust, aber auch das mehr oder weniger<br />

komplizierte Verhältnis zum Körper. Die Sexualität kann<br />

einen negativen Beigeschmack aufgrund religiöser Gebote<br />

und Verbote haben. Alle diese Themen stehen meist in<br />

Wechselwirkung mit dem Erleben sexueller Lust und können<br />

sich hemmend auswirken bzw. im Altern besondere Herausforderungen<br />

<strong>für</strong> die sexuelle Entwicklung sein.<br />

Die Sexualität im Alter ist aber nicht nur eine Art Echo der bis<br />

dahin gelebten Sexualität, sondern steht auch offen <strong>für</strong> neue<br />

Erfahrungen. Dazu gehören auch sanfte, ruhige Formen<br />

des Zusammenlebens, in denen Zärtlichkeit dominiert; im<br />

Fachjargon: Prägenitales wird wichtiger als Genitales. Butler<br />

und Lewis (1996) prägten den Begriff der „zweiten Sprache<br />

der Sexualität“ im Alter, die nicht nur körperliche, sondern<br />

vor allem emotionale und kommunikative Aspekte kennt<br />

und Einfühlungsvermögen erfordert. Die Sexualität behält im<br />

Altern ihre zentrale Bedeutung zur Regulierung des Selbstwertgefühls,<br />

<strong>für</strong> das Erleben von Geborgenheit, Nähe und<br />

Bindung.<br />

Eine kürzlich veröffentlichte Fallgeschichte zeigt eindrucks-<br />

voll, wie mutig, klar und authentisch ältere Paare in einer<br />

sexualmedizinischen Sprechstunde über ihre Sexualität<br />

sprechen können (Brandenburg 2008). Für Menschen aller<br />

Altersstufen ist der Mut entscheidend, eigene Wünsche<br />

und Abneigungen zu zeigen und es auszuhalten, dass das<br />

Gegenüber darauf möglicherweise nicht positiv reagiert.<br />

Ohne diesen Mut schläft die Sexualität häufig ein. Meine<br />

Erfahrungen zeigen, dass viele ältere Paare diesen Mut nicht<br />

aufbringen, zumal der Verzicht auf gemeinsame Sexualität<br />

dem Paar ermöglicht, dem der Sexualität immanenten Konfliktpotential<br />

auszuweichen (Riehl-Emde & Bruder 2009).<br />

Probleme mit Kindern, drohender Kontaktabbruch zu den<br />

Enkeln<br />

Viele ältere Paare unterstützen ihre Kinder und Enkelkinder:<br />

sie übernehmen Betreuungs- und Erziehungsaufgaben, die<br />

Übernahme der Großelternfunktion wird in der Regel als<br />

positive Erfahrung und sinnstiftende Aufgabe erlebt. Oftmals<br />

steht aber auch eine Umgestaltung der Beziehung zu den<br />

eigenen Kindern und Schwiegerkindern an, die Akzeptanz<br />

von deren Problemen und Lebensweisen usw. Wenn in der<br />

Beziehung zu den Kindern gravierende Konflikte auftreten,<br />

ist häufig der Kontakt zu den Enkeln mitbetroffen. Bisweilen<br />

ist der drohende Kontaktabbruch zu den Enkeln dann ein<br />

Auslöser <strong>für</strong> Paargespräche, die mit dem Ziel der Versöhnung<br />

bzw. der Bewältigung des Konflikts begonnen werden.<br />

Indikation zur Paartherapie im Alter<br />

Dass Psychotherapie mit älteren Menschen möglich, sinnvoll,<br />

notwendig und langfristig erfolgreich ist, gilt als erwiesen<br />

(Heuft & Marschner 1994). Dabei scheinen sich therapeutische<br />

Ansätze, die von den aktuellen Konflikten ausgehen,<br />

besonders zu bewähren, weil es bei der Behandlung älterer<br />

Menschen oft um Situationen geht, die sehr belastend sind<br />

und eine Veränderung dringend nötig machen. Da ältere<br />

9


10<br />

Menschen in ihrem Leben meist schon viele Krisen erlebt<br />

und bewältigt haben, gilt es in der Regel, an früheren Bewältigungsformen<br />

anzuknüpfen und diese als Ressourcen<br />

zu nutzen. Die Paar- und Familientherapie versucht, solche<br />

„schlummernden“ Potentiale aufzuspüren und zu (re)aktivieren.<br />

In der Paartherapie arbeiten ein Paar und ein Therapeut bzw.<br />

ein Therapeutenpaar zusammen. Paartherapie hat zum Ziel,<br />

die Interaktionen bzw. die Beziehungsdynamik zwischen<br />

den Partnern so zu verändern, dass die Probleme der Einzelnen,<br />

des Paares und manchmal auch der Familie gemildert<br />

werden. Sie ist zur Behandlung von Störungen, aber auch<br />

zur Ressourcenmobilisierung und Bewältigungshilfe bei<br />

psychischen und körperlichen Krankheiten indiziert. Anlass<br />

können darüber hinaus auch allgemeine Lebensprobleme<br />

oder Beziehungskrisen sein.<br />

Es geht um begrenzte Ziele, die – vereinfacht ausgedrückt<br />

– darin bestehen, zunächst einmal die Situation, nicht den<br />

Menschen zu ändern (Weakland & Herr 1984; Johannsen<br />

1994). Wichtiger als das Lebensalter der Patienten sind die<br />

Flexibilität und die Entwicklungsmöglichkeiten der einzelnen.<br />

Durch die erfolgreiche Bewältigung von situationsbedingten<br />

Problemen kann oftmals auch die Sichtweisen der Betroffenen<br />

und damit die Auswirkung einer Pathologie gemildert<br />

werden. Psychotherapeutische Kurzformen dominieren in<br />

der Arbeit mit älteren Menschen.<br />

Die klinische Erfahrung spricht da<strong>für</strong>, dass Paartherapie mit<br />

älteren Paaren sich kaum von der mit jüngeren unterscheidet.<br />

„Im wesentlichen werden <strong>für</strong> ältere Patienten keine neuen<br />

oder anderen Psychotherapieverfahren und Behandlungstechniken<br />

benötigt“, stellt Maercker (2003, S.146) in einer<br />

Übersichtsarbeit zur Alterspsychotherapie fest. Spezifisch in<br />

der Arbeit mit älteren Menschen ist jedoch, dass die Therapeuten<br />

Wissen über das Altern benötigen, dass sie zeitgeschichtlich<br />

denken, dass sie ihre eigenen Voreinstellungen<br />

kennen und fruchtbar damit umgehen können, und dass das<br />

Netz der Behandler oftmals breiter ist als in der Arbeit mit<br />

Jüngeren; z.B. finden zumeist medizinische Behandlungen<br />

parallel statt oder sind anzuregen und soziale Angebote<br />

<strong>für</strong> Ältere können sinnvoll in das Behandlungskonzept einbezogen<br />

werden. Themen von Glauben und Sinnfindung<br />

haben einen höheren Stellenwert als bei jüngeren Paaren. In<br />

unserer Spezialambulanz, in der ältere Paare aus Langzeitehen<br />

überwiegen – etwa zwei Drittel sind mehr als 30 Jahre<br />

verheiratet – stelle ich immer wieder fest, dass ältere Paare<br />

eher die Paartherapie beenden, bevor sie einen endgültigen<br />

Bruch ihrer Ehe riskieren. Dies ist ein entscheidender Unterschied<br />

im Vergleich zur Therapie mit jüngeren Paaren.<br />

Speziell bei älteren Menschen ist ein paartherapeutisches<br />

Vorgehen indiziert,<br />

• weil der Anteil von psychischen und zwischenmenschlichen<br />

Problemen an den möglichen Krisen im Alter<br />

hoch ist und weil diese sich in der Regel gerade in den<br />

Beziehungen zu den nächsten, also den Ehepartnern<br />

oder Kindern, ausdrücken;<br />

• weil im Alter oftmals in sehr kurzer Zeit gravierende<br />

Veränderungen auftreten (in den Paar- und Familienbeziehungen<br />

und in deren Umwelt), die Neuorientierungen<br />

erforderlich machen und überfordern können.<br />

Darüber hinaus ist das Zustandekommen therapeutischer<br />

Gespräche von der Kooperationsbereitschaft der Beteiligten<br />

abhängig. Dies ist eine allgemeine Voraussetzung, die natürlich<br />

<strong>für</strong> jede Art der Behandlung unabhängig vom Alter der<br />

Betroffenen gilt.<br />

Und eine weitere Voraussetzung <strong>für</strong> die Indikation stellt die<br />

Voreinstellung des Psychotherapeuten dar, d.h. seine Bereitschaft,<br />

mit Alten zusammenzuarbeiten.<br />

Kontraindiziert sind paartherapeutische Settings,<br />

• wenn es über längere Zeit nicht gelingt, die Beteiligten<br />

vor Entwertung und Demütigung zu schützen oder<br />

wenn die Therapie die Feindseligkeit zwischen diesen<br />

verstärkt,<br />

• wenn die Gespräche vor allem dazu dienen, der anderen<br />

Person zu beweisen, dass die letzten 30, 40 Jahre<br />

schlecht waren oder dass er/sie schon immer irgendetwas<br />

falsch gemacht oder versagt hat.<br />

Bisher liegen keine spezifischen Effizienz- und Effektivitätsstudien<br />

zur Paartherapie mit älteren Paaren vor. Da jedoch<br />

die Wirksamkeit von Paartherapie im Allgemeinen belegt<br />

ist und sich Psychotherapie mit älteren Menschen als erfolgreich<br />

erwiesen hat, können wir aufgrund der klinischen<br />

Erfahrung bis zum Vorliegen spezifischer Ergebnisstudien<br />

davon ausgehen, dass Paartherapie auch bei älteren Paaren<br />

erfolgreich eingesetzt werden kann (Riehl-Emde 2006). Effizienz-<br />

und Ergebnisstudien eigens <strong>für</strong> ältere Paare stehen<br />

nicht zuletzt deswegen noch aus, weil ältere Paare im paartherapeutischen<br />

Setting bisher unterrepräsentiert sind.


Literatur<br />

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im Dialog 9(1): 59-62<br />

Bucher T (2005) Sexualität nach der Lebensmitte. Wünsche, Wirklichkeit und<br />

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Sexualität im Alter. Huber, Bern<br />

Fooken I (2005) Eros und Sexualität im mittleren und höheren Erwachsenenalter.<br />

In: Filipp SH, Staudinger UM: Entwicklungspsychologie des mittleren<br />

und höheren Erwachsenenalters. Hogrefe, Göttingen, S. 715-238<br />

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Maercker A (2003) Alterspsychotherapie. Aktuelle Konzepte und Therapieaspekte.<br />

Psychotherapeut 48:132-149<br />

Riehl-Emde A (2005) Eheliches Burn-out - wo sind Lust und Liebe geblieben?<br />

Psychotherapie im Alter 2(3): 49-64<br />

11<br />

Riehl-Emde A (2006) Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare. State of the Art. Psychotherapie<br />

im Alter (PiA) 3(4): 49-66<br />

Riehl-Emde A (2008) Paartherapie <strong>für</strong> ältere Paare. Konzept einer Spezialsprechstunde<br />

und Einblick in die Praxis. Psychotherapie im Dialog (PiD) 9(1):<br />

38-42<br />

Riehl-Emde A, Bruder A (2009) Paartherapie mit älteren Paaren: Das<br />

schwierige Thema Sexualität. In: Brähler E, Berberich HJ (Hrsg) Sexualität und<br />

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Riehl-Emde A, Cierpka M (2006) Spezialambulanz <strong>für</strong> ältere Paare am<br />

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Psychotherapie im Alter 3(4): 99-106<br />

Schmidt G (1998) „Wir sehen immer mehr Lustlose!“ Zum Wandel sexueller<br />

Klagen. Familiendynamik 23: 348-365<br />

Seibert H (1995) Die Mythen und die Theologie des Alters. Soziale Arbeit<br />

44 (3): 85-91<br />

Weakland, JH, Herr JJ (1984) Beratung älterer Menschen und ihrer Familien.<br />

Die Praxis der angewandten Gerontologie. Huber, Bern<br />

Wallerstein, JS, Blakeslee S (1996) Gute Ehen. Wie und warum die Liebe<br />

dauert. Quadriga, Weinheim, Berlin


12<br />

Trauma – (k)ein Thema im Alter:<br />

Überlegungen zur aktuellen Situation Hochbetagter<br />

und zu den Konsequenzen <strong>für</strong> helfende Professionen<br />

Silke Birgitta Gahleitner<br />

Im Zuge des demographischen Wandels rückt die Lebenspha-<br />

se des Alters immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses.<br />

Stück <strong>für</strong> Stück hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass<br />

Altwerden und Altsein nicht nur eine individuelle Aufgabe,<br />

sondern auch eine soziale und gesellschaftliche Herausforderung<br />

und Verantwortung darstellen. In den immer unüberblickbaren<br />

Verhältnissen der Postmoderne sein Leben<br />

möglichst optimal entsprechend eigener Vorstellungen zu<br />

gestalten, bringt nicht nur alte Menschen an die Grenzen<br />

ihrer Leistungsfähigkeit. Nie zuvor war die Phase des Alterns<br />

individuell so gestaltbar, aber auch so gestaltungsbedürftig.<br />

Fragen rund um diesen Lebensabschnitt scheinen derzeit zu<br />

explodieren: Fragen nach neuen Formen von Generationsbeziehungen,<br />

nach Wohnformen, nach sozialen Angeboten<br />

und Versorgungsstrukturen. Daraus erwachsen Aufgaben<br />

<strong>für</strong> helfende Berufe wie z. B. Entwicklungsaufgaben zu unterstützen,<br />

die Selbständigkeit und die Teilhabe am sozialen<br />

Leben zu ermöglichen sowie aktiv bei der Bearbeitung und<br />

Bewältigung von alterstypischen Problemen zu unterstützen,<br />

um jeweils nur einige wenige zu nennen (Dech et. al., 2007).<br />

Die Lebensqualität älterer Menschen wird bestimmt durch<br />

das Verhältnis von Anforderungen an die jeweilige Person<br />

und ihre persönliche Möglichkeit, diese Anforderungen<br />

zu bewältigen. Durch Krankheiten treten im Alter häufig<br />

innerhalb kürzester Zeit gravierende psychische, körperliche<br />

und geistige Funktionsstörungen auf. Dabei stehen vorzugsweise<br />

körperliche Krankheiten im Fokus des professionellen<br />

Interesses. Psychosoziale Problemlagen im Alter als unterstützungswürdige<br />

Bedarfslagen anzuerkennen und Interventionsnotwendigkeiten<br />

als auch Interventionschancen<br />

anzusehen, ist eher eine neue Tendenz in der Gerontologie.<br />

Dies ist umso erstaunlicher, als die aktuelle Generation<br />

hochbetagter Menschen nicht nur über ein großes Spektrum<br />

an Lebenserfahrung verfügt, sondern insbesondere<br />

außerordentlich traumaträchtige Erlebnisse wie die Zeit des<br />

Nationalsozialismus mit seinen höchst komplexen und weitreichenden<br />

Auswirkungen erleben und bewältigen musste.<br />

Welche Herausforderungen die Bewältigung der Erfahrun-<br />

gen des letzten Jahrhunderts an inzwischen hochbetagte<br />

Menschen gestellt hat und noch stellt, welche Formen des<br />

Umgangs sie damit entwickelt haben und inwiefern dies ihre<br />

aktuelle Situation und Befindlichkeit im Alter beeinträchtigt,<br />

wird jedoch in den zuständigen Fachdisziplinen trotz eines<br />

starken Literaturzuwachses in den letzten Jahren (vgl.<br />

insbesondere die Fachzeitschrift: Psychotherapie im Alter)<br />

bisher immer noch zu wenig thematisiert. Am Beispiel einer<br />

80jährigen Dame, die an einem Forschungsprojekt zur Verarbeitung<br />

komplexer Traumata teilgenommen hat, wird die<br />

Situation alter Menschen mit traumatischen Lebenserfahrungen<br />

verdeutlicht und aufgezeigt, dass ein biografischer<br />

und klinisch-sozialarbeiterischer Blickwinkel sich als hilfreich<br />

erweist, um bedarfsgerechte interdisziplinär abgestimmte<br />

Interventionen helfender Berufe zur Unterstützung <strong>für</strong> diese<br />

Klientel zu entwickeln.<br />

„Man muss sich selber durchbeißen, nicht?“ –<br />

späte Reflexionen über früh erfahrene Traumata<br />

Frau Ohnstedt 1 ist 82 Jahre alt und in zweiter Ehe verwitwet.<br />

Sie war neben der Tätigkeit als alleinerziehende Mutter<br />

langjährig im kaufmännischen Bereich angestellt und lebt<br />

heute von einer knappen Rente. Mit ihrem Sohn und ihren<br />

EnkelInnen steht sie in regem Kontakt. Frau Ohnstedt wurde<br />

als Kind vielfach von ihrem acht Jahre älteren Cousin vergewaltigt.<br />

Im Interview spricht sie das erste Mal über ihre<br />

sexuellen Gewalterfahrungen: „Er hat mich vergewaltigt. Er<br />

war ein richtiger Sadist. Aber fragen Sie mich nicht, ich hab‘<br />

das vollkommen verdrängt.“ Über die Gewalterfahrung zu<br />

sprechen, war zu ihrer Zeit so angstbesetzt und tabuisiert,<br />

dass es <strong>für</strong> Frau Ohnstedt bis heute unmöglich ist, das Erlebte<br />

mit ihr Nahestehenden zu teilen: „Ich hätte es nicht<br />

über die Lippen bekommen“. Die immer wiederkehrenden<br />

existentiellen Bedrohungen in ihrem Leben, die Ablehnung<br />

durch die eigene Mutter, Krieg, Hunger, Zerstörung und später<br />

das Leben als erwerbstätige und alleinerziehende Mutter<br />

1<br />

Die Daten der Interviewpartnerin wurden anonymisiert, der Name wurde im Forschungsprozess vergeben. (Für einen Ergebnisüberblick vgl. Gahleitner, 2005;<br />

zur Forschungsmethodik vgl. Gahleitner, 2007)


ließen sie auch gar nicht zu einer Beschäftigung mit ihren<br />

Traumata kommen.<br />

„Ich möchte nicht sagen, dass ich es ganz vergessen habe,<br />

aber dadurch, dass immer wieder neue Tragödien oder<br />

Situationen eingetreten sind, die das Alte verdeckt haben,<br />

musste ich unheimlich viel verarbeiten. Es gab immer noch<br />

schlimmere Situationen.“ Frau Ohnstedt erlebte, was viele<br />

Frauen vor dem Krieg, im Krieg und in der Nachkriegszeit<br />

erlebt haben. „Wir sind geflüchtet, das war die reinste Odyssee<br />

… nachts dann durch‘n Wald über die Grenze“. In den<br />

Wirren des Kriegsendes gerät sie in Gefangenschaft in einem<br />

kahlen Kellerverließ: „Ich konnte mich nicht orientieren, ich<br />

wusste nicht ob da ne Toilette ist oder was, war auch kein<br />

Fenster kein Licht, nichts“. Bei den Bombenangriffen war sie<br />

eine ganze Nacht verschüttet. Sie verliert eine gute Freundin<br />

und den ersten und einzigen Mann, dem sie je vertraut hat:<br />

„Da hab ich lange lange Zeit nicht sprechen können. Ich hab<br />

nichts … nichts mehr sagen können“. Nach dem Krieg wird<br />

sie beinahe erneut vergewaltigt – durch einen ‚hilfreichen<br />

Fremden‘ – ein Schicksal, welches sie mit zahlreichen anderen<br />

Frauen teilt. Wie sie es geschafft hat, weiß sie selbst<br />

nicht: „Nochmal Krieg nein. Möcht ich nicht erleben“.<br />

Auf die Frage, wie sie ihr Leben gemeistert hat, sagt Frau<br />

Ohnstedt spontan: „Wissen Sie was, das weiß ich selber<br />

nicht so genau. ... Aber ich wusste, du hast ein Kind, und<br />

du musst <strong>für</strong> ihn da sein.“ Diese Ambivalenz zwischen<br />

dem Gefühl, viel auf dem Herzen, aber keinen inneren und<br />

äußeren Raum da<strong>für</strong> zu haben, taucht im Interview immer<br />

wieder auf. An professionelle Hilfe hat sie nie zu denken<br />

gewagt: „Ich habe noch nie einen Therapeuten benutzt.“<br />

Das Gefühl, „alleine damit fertig werden zu müssen“ zieht<br />

sich durch Frau Ohnstedts Leben wie ein roter Faden, der<br />

fast ein wenig an nationalsozialistische Durchhalteparolen<br />

erinnert. „Das Leben ist nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen,<br />

das Leben ist Kampf“ sagt sie im Interview. Alles, ob widrige<br />

äußere Umstände oder individuelles psychisches Leiden, ist<br />

<strong>für</strong> Frau Ohnstedt eine Frage der Selbstdisziplin: „Du musst<br />

dich erziehen, an dir arbeiten, nicht wahr … der menschliche<br />

Wille ist stark und vermag vieles.“<br />

Heute jedoch ist alles – <strong>für</strong> sie unerwartet – wieder ganz<br />

präsent: „Richtig aufgewühlt bin ich jetzt erst, wo ich mein<br />

ganzes Leben rotieren lasse. Da habe ich mich beschäftigt,<br />

mit meiner Jugend. Und seitdem bin ich penetrant traurig,<br />

unglücklich und wütend – alles auf einmal … ich mach‘ mir<br />

eben zu viele Gedanken ... und ich träume, ich träume jede<br />

Nacht. Und ich weiß nicht ... durch diese Träume baue ich<br />

irgendetwas ab“. In der Rückschau jedoch hat es auch in<br />

ihrem Leben nicht an Situationen gefehlt, die auf Auswirkungen<br />

der sexuellen Gewalterlebnisse hinweisen. Bereits als Ju-<br />

13<br />

gendliche unmittelbar im Anschluss an die Gewalterfahrung<br />

hatte sie Suizidgedanken: „Ich bin manchmal in den Wald<br />

gegangen und habe die Bäume angeguckt, habe gedacht:<br />

‚Ach, da raufklettern und einfach runterfallen?‘ ... das war<br />

grausam, das Gefühl. Das kann man gar nicht wiedergeben.“<br />

Im jungen Erwachsenenalter begeht sie einen Suizidversuch<br />

mit Alkohol und Tabletten, den sie nur knapp überlebt.<br />

Trotz einer guten sozialen Einbettung, die sich Frau Ohnstedt<br />

vor allem durch ihr immerwährendes Engagement <strong>für</strong> andere,<br />

sei es <strong>für</strong> ihren Sohn oder ihre Enkel, jedoch auch <strong>für</strong> gute<br />

Freundinnen, erworben hat, bleibt auch heute ein Gefühl von<br />

Entfremdung und Isolation bestehen. Das Vertrauen, auch<br />

ohne Leistung <strong>für</strong> andere liebens- und unterstützungswert<br />

zu sein, stellt sich trotz zahlreicher Alternativerfahrungen nur<br />

schwer ein. Das tiefe Misstrauen führt Frau Ohnstedt selbst<br />

auf ihr zerstörtes Selbstwertgefühl zurück: „Ich wusste immer,<br />

dass ich ein böser Mensch bin. Ich hab‘ mich einfach nur<br />

schlecht gefühlt.“ Im Verlauf des mehrstündigen Gesprächs<br />

fasst Frau Ohnstedt langsam Vertrauen in ihr Gegenüber und<br />

kann das Angebot von Zuhörerschaft, aufrichtigem Interesse<br />

und Entlastung entgegennehmen: „Ich denke, Sie könnten<br />

öfter mal kommen, ich könnte noch tagelang erzählen“, resümiert<br />

sie am Ende das Interview, „ich bin erstaunt ... dann<br />

hat das ja einen Sinn, was ich hier mache.“<br />

Trauma und Altern –<br />

zwei interagierende Prozesse<br />

2 (vgl. u. a. Kellermann, 2001 sowie den Herausgeberband von Heldt, Kettnaker, Rebentisch, Schlegl & Sonntag, 2006)<br />

Trotz der zunehmenden Beschäftigung der Psychotraumatologie<br />

mit den psychophysischen Folgen traumatischer Erfahrungen<br />

im Lebensverlauf wird die Situation alter Menschen<br />

dabei weitgehend vernachlässigt. Im Zuge der persönlichen<br />

Zeugenschaft oder gar Opferschaft vieler hochbetagter<br />

Menschen bei zwei Weltkriegen, bei Flucht und Vertreibung<br />

mit all den sie begleitenden (sexuellen) Gewaltübergriffen<br />

– gar nicht zu sprechen vom Holocaust, der nochmals eine<br />

ganz besondere Rolle der Opferschaft und Folgeerscheinungen<br />

einnimmt 2 − mindestens jedoch in Form existentiell<br />

bedrohlicher materieller Notzeiten, sollte man dies eigentlich<br />

anders erwarten. In den letzten Jahren ist die öffentliche<br />

Aufmerksamkeit <strong>für</strong> psychische Phänomene des Alterns<br />

jedoch gestiegen: „Alte Menschen sind besonders suizidgefährdet…“<br />

(Etzold, 2006 S. 67).<br />

Nach aktuellen Erkenntnissen der Psychotraumatologie<br />

können − wie bei Frau Ohnstedt − posttraumatische Belastungen<br />

noch Jahrzehnte später aufbrechen – in der Fachliteratur<br />

als‚PTSD with delayed onset’ (Somer, 2000) bezeichnet.<br />

„Auch denjenigen, denen eine jahre-, ja jahrzehntelange


14<br />

passable Anpassung gelungen ist, kann ... noch ein später<br />

Ausbruch oder eine Verschlimmerung der posttraumatischen<br />

Symptomatik während oder nach Durchschreiten der<br />

Lebensmitte zustoßen“ (Aarts & op den Velde, 2000, S. 305).<br />

Traumatische Erfahrungen liegen jedoch – gerade wegen des<br />

großen Abstandes zum Ursprungsereignis − <strong>für</strong> alternde Menschen<br />

häufig jenseits der Möglichkeit der Kommunizierbarkeit.<br />

Für sexuelle Gewalt gilt dies aufgrund des gesellschaftlichen<br />

Umgangs mit Sexualität, dem Inzesttabu und den daraus resultierenden<br />

Scham- und Schulddynamiken in besonderem Maße<br />

(Summit, 1983). Jedoch auch Kriegstraumatisierungen waren<br />

aufgrund der komplexen Dynamik von Schuldverstrickung und<br />

anderen Tabuisierungsmomenten lange Zeit ein vernachlässigtes<br />

Thema (vgl. von Radebold, Heuft & Fooken, 2006; Spranger,<br />

2007; Janus, 2006).<br />

Wenn jedoch über einen langen Zeitraum hinweg keine Möglichkeit<br />

besteht, traumatische Belastungen zu verarbeiten,<br />

erhöht sich das Risiko langfristiger Folgeerscheinungen (vgl.<br />

u.a. Cole & Putnam, 1992; Mullen, 1998). Wie zahlreiche ältere<br />

Menschen, so berichtet auch Frau Ohnstedt, dass sie die<br />

Symptome der sexuellen Traumatisierung über viele Jahre<br />

hinweg durch eine Reihe ausgeklügelter Bewältigungsstrategien<br />

unterdrücken konnte. Insbesondere im Übergang vom<br />

mittleren zum hohen Lebensalter erfährt die posttraumatische<br />

Belastung dann jedoch häufig eine neue Dimension,<br />

in der sich alternde Menschen plötzlich – wie auch Frau<br />

Ohnstedt beschreibt – ‚aufgewühlt‘ und nach all den Jahren<br />

des Durchhaltens überfordert fühlen.<br />

Gemäß dem gesellschaftlich vorherrschenden Defizitverständnis<br />

wird der späte Ausbruch posttraumatischer Belastungen<br />

zumeist auf den Abbau der geistigen und körperlichen<br />

Konstitution, eine Schwächung der Bewältigungsfähigkeiten<br />

und eine Zunahme an negativen Lebensereignissen zurückgeführt:<br />

Der Alterungsprozess führe zu einem Verlust an<br />

Selbstidentität und einem geringeren Organisationsgrad des<br />

Organismus bei wachsenden äußeren Anforderungen und<br />

sinkenden sozialen Ressourcen. Eine Kombination aus allgemeinem<br />

Mangel an geistiger Beweglichkeit und wachsenden<br />

belastenden Lebensereignissen führe zwangsläufig zu Dekompensationen<br />

(vgl. u.a. Gagnon & Hersen, 2000; Schulz,<br />

1982). Frau Ohnstedt selbst bringt diese Vorgänge jedoch<br />

keineswegs in Zusammenhang mit einem psychophysischen<br />

Verfallsprozess des Alterns, sondern eher mit Prozessen der<br />

Selbstreflexion: „Warum wühl‘ ich jetzt alles auf. Vielleicht<br />

hätte ich das lieber nicht machen sollen?“<br />

Auch nach modernen Erkenntnissen geht der Prozess des<br />

Alterns keineswegs nur mit einem Abbau einher, sondern<br />

auch mit weiterem Wachstum und zunehmender Reifung.<br />

Bereits in den achtziger Jahren kristallisierte sich in der<br />

Gerontologie das sogenannte ‚Kompetenz-Modell‘ (Kruse,<br />

1992, S. 333 f.) heraus, in dem – ergänzt um ökologische<br />

Modelle – deutlich eine Ressourcenorientierung formuliert<br />

wird (Lehr, 1991). Dies bedeutet selbstverständlich nicht,<br />

dass altersbedingte Belastungen keine Rolle bei einer spät<br />

ausbrechenden posttraumatischen Belastung spielen; sie<br />

stellen jedoch <strong>für</strong> sich genommen noch keine hinreichende<br />

Bedingung da<strong>für</strong> dar.<br />

Nach dem Konzept der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne<br />

(Faltermaier, Mayring, Saup & Strehmel, 1992)<br />

bietet die Lebensphase Alter wie jede andere entwicklungspsychologische<br />

Phase im Lebenszyklus neben spezifischen<br />

Herausforderungen zahlreiche Chancen (Coleman, 1986;<br />

Saup, 1991), z.B. die Möglichkeit, sein gelebtes Leben zu<br />

reflektieren und über die eigene Existenz tiefergehend<br />

nachzudenken. Die Herausforderungen dieser Lebensphase<br />

bestehen darin, alte Wunden und zunehmend auch reale aktuelle<br />

Verluste zu überwinden, neue körperliche Herausforderungen<br />

zu meistern und zu einer reiferen Ich-Integrität zu<br />

gelangen. Alte Menschen vollbringen in all diesen Bereichen<br />

beachtliche Entwicklungsleistungen.<br />

Auch Frau Ohnstedt wirkt zunächst keineswegs vom Alter<br />

gezeichnet. Für ihre 77 Jahre zum Interviewzeitpunkt macht<br />

sie einen rüstigen Eindruck, treibt nach wie vor Sport, blieb<br />

bisher von schwerwiegenden Einbußen durch Krankheit<br />

verschont und ist sozial hoch kompetent. Sie benennt die<br />

Sollbruchstelle, an der die Erinnerungen an das Trauma sie<br />

erneut ‚heimgesucht haben‘, gleich zu Beginn des Interviews<br />

und ohne danach gefragt worden zu sein: Als sie sich mit<br />

ihrer Biografie beschäftigt und ‚ihr Leben nochmals rotieren<br />

lässt‘, gerät sie in Konflikt mit der Jahrzehnte zurückliegenden<br />

sexuellen Gewalterfahrung.<br />

Auch bei Frau Ohnstedt sind also weniger individuelle Defizite<br />

<strong>für</strong> die Schwierigkeiten mit der Aufarbeitung des sexuellen<br />

Traumas verantwortlich zu machen als das Zusammentreffen<br />

spezifischer Entwicklungsaufgaben des Älterwerdens<br />

mit den Anforderungen der posttraumatischen Bewältigung.<br />

Bei dem normalerweise einsetzenden Rückblick auf ihr<br />

Leben stößt Frau Ohnstedt auf bisher nicht integrierte Erinnerungen,<br />

die angesichts der damaligen Lebensumstände<br />

nicht angemessen verarbeitet werden konnten. Nach Aarts<br />

& op den Velde (2000, S. 304) machen „Analogien zwischen<br />

Entwicklungskonflikten im fortgeschrittenen Alter und Reaktionen<br />

auf Traumata ... die Dekompensationen älterer Traumaüberlebender<br />

verständlicher, auch wenn die betreffende<br />

traumatische Erfahrung vor vielen Jahrzehnten geschehen<br />

ist“.<br />

Für alternde Menschen ist daher die Annahme und Integration<br />

der eigenen Vergangenheit und die Herstellung von<br />

Kohärenz und Selbstkontinuität eine zentrale Entwicklungsaufgabe<br />

(Coleman, 1986; Antonovsky, 1997). Dabei stehen<br />

Erinnerungsprozesse im Zentrum der Integration. Erinnerungen<br />

helfen alternden Menschen, Erfahrungen und Zu-


ständen der Vergangenheit Bedeutung zu verleihen und sie<br />

anzunehmen. Dieser Prozess ähnelt in einem hohen Maße<br />

den Bemühungen, traumatische Ereignisse zu integrieren<br />

(Horowitz, 1976). Die Angst erregenden Erinnerungen an die<br />

traumatische Vergangenheit können diesen Prozess jedoch<br />

stark behindern (van der Kolk, 2000). Bei einer destruktiven<br />

Interaktion der beiden Prozesse kommt es leicht zu der von<br />

Frau Ohnstedt beschriebenen Vermeidungsdynamik. Traumatisierte<br />

Menschen begegnen folglich auf dem Weg des<br />

Alterns zusätzlichen Anforderungen und haben damit eine<br />

„doppelte Aufgabe“ (Aarts & op den Velde, 2000, S. 304) zu<br />

erfüllen. Aus dieser Tatsache lässt sich schlussfolgern, dass<br />

eine frühe Traumatisierung ein Entwicklungsrisiko im Alter<br />

darstellt, welches nicht aus Defiziten erwächst, sondern mit<br />

der Kumulation von Aufgabenstellungen im Alter zusammenhängt.<br />

Implikationen <strong>für</strong> die Praxis helfender Berufe<br />

Am Beispiel von Frau Ohnstedts Biografie wird deutlich, dass<br />

traumatische Belastungen lebenslang Risiken bergen, wenn<br />

sie unverarbeitet bleiben. Eine hohe Belastungsfähigkeit im<br />

Verlauf des Lebens geht daher häufig einher mit dem Aufbrechen<br />

der Erfahrungen im hohen Alter und nur geringen<br />

Möglichkeiten an dieser Stelle, professionelle Hilfe zu Rate<br />

zu ziehen. Die individuelle Scheu, das professionelle Netz<br />

zu nutzen, ist dabei umrahmt von gesellschaftlichen Bildern<br />

über Traumata als Zeichen von Schwäche einerseits und<br />

Vorurteilen gegenüber dem Hilfesystem andererseits. Die<br />

individuelle Scheu wird jedoch auch unterstützt von einer<br />

gesellschaftlichen Grundhaltung gegenüber der Lebensphase<br />

des Alters, die von Wertlosigkeit und Verfall geprägt ist.<br />

Die Annahme, dass ältere Traumabetroffene eine ‚verstärkte<br />

Empfindlichkeit‘ <strong>für</strong> die Belastungen zeigen, die mit dem<br />

‚psychophysischen Verfall des Organismus‘ einhergehen,<br />

zeichnet ein verzerrtes Bild alternder Menschen, welches<br />

den Möglichkeiten und Ressourcen, die dieser Lebensphase<br />

innewohnen, nicht gerecht wird. Werden diese Phänomene<br />

als Teil des degenerativen Prozesses missdeutet, so stärkt<br />

dies die Haltung, alte Menschen zum ‚alten Eisen‘ zu zählen,<br />

<strong>für</strong> die es sich nicht mehr lohnt, das Sozialversicherungssystem<br />

um Ausgaben zu bemühen. Eine Fixierung auf das<br />

Alters-Defizienz-Modell führt damit auch zu einem unangemessenen<br />

Pessimismus hinsichtlich der Prognose der<br />

Psychotherapie und Beratung älterer Menschen.<br />

Im Kontrast zu dieser Betrachtungsweise verfügt Frau<br />

Ohnstedt über zahlreiche dynamische, ressourcenstarke<br />

und lebensfrohe Seiten, an denen es sich lohnen würde,<br />

anzusetzen. Dass sie mit der sexuellen Gewalterfahrung bis<br />

ins hohe Alter so gut zurechtgekommen ist, ist bereits ein<br />

15<br />

Zeugnis <strong>für</strong> ihre hohe Belastbarkeit und ihre Fähigkeit, sich<br />

anzupassen und einen Weg durch die Anforderungen eines<br />

bewegten Lebens zu finden. Auch ist fortgeschrittenes Alter<br />

keine Kontraindikation <strong>für</strong> professionelle Hilfsangebote. Für<br />

eine angemessene Behandlung älterer Traumaopfer ist es<br />

jedoch wichtig, verstärkt Aufmerksamkeit auf diejenigen<br />

Prozesse zu richten, die tatsächlich zu ihrer Dekompensation<br />

beitragen, um an der richtigen Stelle intervenieren zu können<br />

und angemessene Behandlungskonzepte zu entwickeln. Mit<br />

Einschränkungen, die sich durch das Altern ergeben, kann<br />

gearbeitet werden, ohne zu versäumen, die breiten und<br />

erfahrungsreichen Horizonte der KlientInnen zu würdigen<br />

(Müller & Petzold, 2002).<br />

Ältere Menschen sind jedoch zuweilen, wie auch Frau<br />

Ohnstedt anmerkt, wenig mit dem psychosozialen Wortschatz<br />

vertraut, haben daher weniger Ausdrucksmöglichkeiten <strong>für</strong><br />

ihr Leiden und folglich auch nicht die Anspruchshaltung auf<br />

Hilfe von professioneller Seite. Die Möglichkeiten eines alten<br />

Menschen, der wie Frau Ohnstedt Krieg, Nachkriegszeit und<br />

absolute Tabuisierung bzgl. sexueller Gewalt und nicht auch<br />

die Frauenbewegung und Therapeutisierung der Gesellschaft<br />

erlebt hat, sind mit den heutigen Chancen der Bearbeitung<br />

und Behandlung nicht zu vergleichen. Einen Raum <strong>für</strong> die<br />

dunklen und entwürdigenden Seiten ihrer Lebensrealität zu<br />

öffnen, sie darin ernst zu nehmen und sie bei der Bearbeitung<br />

zu unterstützen, könnte die Spirale der Marginalisierung<br />

durchbrechen helfen.<br />

PTSD im Alter verdient also eine spezielle klinische Beachtung,<br />

eine auf Gerontologie spezialisierte psychosoziale<br />

Traumatologie. Soziale Arbeit als eine komplexe und angewandte<br />

Disziplin mit dem doppelten Mandat, psychosoziale<br />

Lebensweisen und Lebenslagen mittels professioneller<br />

Methoden zu verstehen und verändern einerseits sowie in<br />

ihrer unmittelbaren Bezogenheit auf Grund- und Menschenrechte<br />

andererseits, hat hier nochmals einen besonderen<br />

Auftrag. In der Klinischen Sozialarbeit, der beratenden<br />

und behandelnden Sozialarbeit, stehen daher neben den<br />

klassischen medizinischen und psychologischen Fragen vor<br />

allem auch Fragen der Benachteiligung, der Überforderung,<br />

des gesellschaftlichen Ausschlusses, der Isolation und von<br />

Konflikten, Gewalt als Gegenstand von Behandlungskonzepten<br />

- kurz ‚Krankwerden durch Kränkung’- im Zentrum des<br />

Interesses (Dech et. al., 2007). Klinisch-sozialarbeiterische<br />

Konzepte vereinen da<strong>für</strong> in einer psychosozialen Perspektive<br />

den Blick auf die individuellen Gefährdungen, Erkrankungen<br />

und Beeinträchtigungen mit einem Blick auf die Ressourcen,<br />

stets unter besonderer Berücksichtigung der Biographie,<br />

Lebenslage und Lebenswelt (Pauls, 2004).<br />

Verschiedene Formen des Aufbrechens von Traumata im<br />

Alterungsprozess können so in Betracht gezogen, einer<br />

Unterscheidung unterzogen und in einen interdisziplinären


16<br />

Behandlungskontext überführt werden, vorzugsweise in ge-<br />

meindenah angelegten Konzepten. „An PTSD leidende ältere<br />

Menschen sind gerne bereit, beeinträchtigende Denk- und<br />

Verhaltensmuster zu verändern. Selbst kleine Veränderungen<br />

können zu großen Verbesserungen der Lebensqualität<br />

führen. Ja mehr noch, die Würde und der Einfallsreichtum,<br />

Literatur:<br />

Aarts, Petra G. H., op den Velde, Wybrand (2000). Eine früh erfolgte Traumatisierung<br />

und der Prozeß des Alterns. Theorie und klinische Implikationen.<br />

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Paderborn: Junfermann.<br />

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clinical implications. New York: Wiley.<br />

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besonders suizidgefährdet, aber <strong>für</strong> Helfer schwer zu erreichen. DIE ZEIT, Nr.<br />

13 vom 23. März 2006, S. 67.<br />

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Flatten, Guido, Hofman, Arne, Liebermann, Peter, Wöller, Wolfgang,<br />

Siol, Torsten & Petzold, Ernst (2001). Posttraumatische Belastungsstörung.<br />

Leitlinie und Quellentexte. Stuttgart: Schattauer.<br />

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W. Fischer, M. Goblirsch & G. Riemann (Hrsg.), Fallverstehen und Fallstudien.<br />

Interdisziplinäre Beiträge zur rekonstruktiven Sozialarbeitsforschung (S. 189-<br />

200). Opladen: Barbara Budrich. (Rekonstruktive Forschung in der Sozialen<br />

Arbeit. 1.)<br />

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Heldt, Thomas, Kettnaker, Barbara, Rebentisch, Jost, Schlegl, Sonja<br />

& Sonntag, Bernd (Hrsg.) (2006). Kein Ort der Zuflucht <strong>für</strong> hilfsbedürftige<br />

alte NS-Verfolgte? Frankfurt a. M.: Mabuse.<br />

die Ältere oft zeigen, ist oft ein beachtliches Zeugnis <strong>für</strong> die<br />

Widerstandskraft des menschlichen Geistes“ (Hankin, 1997,<br />

S. 358). Eine solche Grundeinstellung im Hilfesystem könnte<br />

den pessimistischen Kommentar des Autors in der ZEIT<br />

eventuell verändern helfen : „Alte Menschen sind besonders<br />

suizidgefährdet, aber <strong>für</strong> Helfer schwer zu erreichen“ (Etzold,<br />

S. 67, 2006).<br />

Horowitz, Mardi J. (1986). Stress response syndromes. (2nd ed.) New York,<br />

Jason Aronson. (Amerikanische Originalausgabe 1976.)<br />

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Kellermann, Nathan (2001). The long term psychological effects and treatment<br />

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Kruse, Andreas (1992). Rehabilitation in der Gerontologie – theoretische<br />

Grundlagen und empirische Forschungsergebnisse. In Albert Mühlum &<br />

Hubert Oppl (Hrsg.), Handbuch der Rehabilitation. Rehabilitation im Lebenslauf<br />

und wissenschaftliche Grundlagen der Rehabilitation. Neuwied:<br />

Luchterhand.<br />

Lehr, Ursula (1991). Psychologie des Alterns (7. Aufl.). Heidelberg: Quelle &<br />

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Mullen, Paul E. (1998). Der Einfluss von sexuellem Kindesmissbrauch auf die<br />

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und seine Bedeutung in der Entstehung psychischer Probleme. In Gabriele<br />

Amann & Rudolf Wipplinger (Hrsg.), Sexueller Missbrauch. Überblick zu Forschung,<br />

Beratung und Therapie. Ein Handbuch (S. 246-259). Tübingen: DGVT.<br />

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Faktoren, Resilienzen. Grundlagen <strong>für</strong> eine Integrative Praxis. Teil 1. Integrative<br />

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im Zweiten Weltkrieg: Kriegserfahrungen und deren Folgen aus psychohistorischer<br />

Perspektive. Weinheim: Juventa.<br />

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Somer, Eli (2000). Effects of incest in aging survivors: Psychopathology and<br />

treatment issues. Journal of Clinical Geropsychology, 6, 53-62.<br />

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Summit, Roland C. (1983). The child sexual abuse accomodation syndrome.<br />

Child Abuse & Neglect, 7, 177-193.<br />

van der Kolk, Bessel A. (2000). Die Vielschichtigkeit der Anpassungsprozesse<br />

nach erfolgter Traumatisierung: Selbstregulation, Reizdiskriminierung<br />

und Entwicklung der Persönlichkeit. In Bessel A. van der Kolk, Alexander C.<br />

McFarlane & Lars Weisaeth (Hrsg.), Traumatic Stress. Grundlagen und<br />

Behandlungsansätze. Theorie, Praxis und Forschung zu posttraumatischem<br />

Streß sowie Traumatherapie (S. 169-194). Paderborn: Junfermann.


Lebensrückblick als Therapie bei älteren Menschen<br />

Verena Kast<br />

Ältere Menschen erzählen gern aus ihrem Leben, besonders<br />

dann, wenn man ihnen interessiert zuhört. Erzählend versichern<br />

sie sich ihres Lebens, bewerten auch ihr Leben, als interessant,<br />

als schwierig, sie sind stolz, das Leben gemeistert<br />

zu haben. Aus dem eigenen Leben zu erzählen heisst, alles,<br />

was man schon einmal war, alle unsere Identitäten, immer<br />

einmal wieder zu bedenken. Dadurch wird aus unserem Leben<br />

ein Ganzes, verbunden mit dem Gefühl, ein zusammenhängendes,<br />

sinnvolles Leben gehabt zu haben und immer<br />

noch zu haben. Wir sind dann zwar alt, haben aber noch alle<br />

Lebensalter in der Erinnerung, können darüber erzählen. Ein<br />

Lebensrückblick in der Form von Erzählungen geht schon<br />

davon aus, dass andere Menschen zuhören. Und man spricht<br />

nie nur von sich selbst, sondern von Mitmenschen, die Teil<br />

des eigenen Lebens und der Vergangenheit waren. Und die,<br />

die zuhören, können diese Erzählungen auch wieder als<br />

Anlass nehmen, über das eigene Leben nachzudenken, sich<br />

zu fragen, was sie denn so erzählen würden, würde ihnen<br />

jemand wirklich zuhören.<br />

Wie erzählen wir?<br />

Erzählungen sind deshalb so wichtig, weil wir, indem wir<br />

erzählen, unsere Vorstellungskraft einsetzen. „Stell dir vor,<br />

was mir passiert ist...“ sagen wir. Damit holen wir uns die<br />

Sprecherlaubnis vom zuhörenden Menschen, laden ihn<br />

oder sie aber auch dazu ein, in die Welt der Vorstellungen<br />

mit einzutauchen. In gut erzählten Geschichten ist unsere<br />

Vorstellungskraft am Werk und damit sind auch unsere<br />

Gefühle, auch unsere Körpererinnerungen, angesprochen.<br />

Erzählen Menschen aus ihrem Leben, dann ist die Kognition,<br />

die Emotion, die Vorstellungskraft, das Körpergefühl beteiligt.<br />

Erzählend ist man ganzheitlich präsent – und das belebt<br />

bekanntlich. Auch rufen Erinnerungen nach immer neuen<br />

Erinnerungen: Erfahrungen, die uns nicht mehr präsent waren,<br />

kommen uns plötzlich ins Gedächtnis zurück, dies ganz<br />

besonders dann, wenn mehrere Menschen einander etwas<br />

erzählen dürfen.<br />

Was erzählen wir?<br />

17<br />

Die meisten Menschen erzählen gerne aus ihrer Kindheit und<br />

Jugend, aber auch aus dem jungen Erwachsenenalter, aus<br />

den Zeiten des Aufbruchs, Zeiten, die schwierig waren oder<br />

besonders glückhaft. Lebensrückblick bedeutet nicht, dass<br />

wir unsere Biografie möglichst lückenlos aufschreiben. Wir<br />

erzählen, was uns im Zusammenhang mit dem Menschen,<br />

der uns zuhört, wichtig erscheint. So ist der Mitmensch<br />

auch ein Mitverfasser, eine Mitverfasserin von dem, was<br />

wir erinnern. Das mag den einen oder die andere stören,<br />

aber unsere Erinnerungen sind niemals so akkurat, wie wir<br />

es gerne hätten: Unsere Geschichten können immer wieder<br />

neu erzählt werden, sie verändern sich, werden freundlicher,<br />

komplexer, interessanter. Wir erzählen auch uns selber<br />

unser Leben: Das alles und viel mehr hat sich ereignet und<br />

ist erzählenswert. Auch kleine Begebenheiten, wie etwa<br />

das Ausrutschen auf einem Kuhfladen auf einer Bergtour,<br />

bekommen im grösseren Kontext eine Bedeutung.<br />

Lebensrückblick als Therapie<br />

Es gibt immer wieder alte Menschen, die ihr Leben gut gemeistert<br />

haben, die im höheren Alter aber davon sprechen,<br />

dass sie über eine bestimmte Erfahrung in ihrem Leben nicht<br />

„hinwegkommen“, sie „nicht vergessen können“, einfach<br />

nicht damit „fertig werden“. Es sind meistens schwierige<br />

Erfahrungen, die mit Schuld- und Schamgefühlen verbunden<br />

sein können. Es scheint so, als ob alte Menschen das Leben<br />

„in Ordnung“ bringen wollen, solche schwierige „Knoten und<br />

Nester“ noch bearbeiten möchten. Eine lange Psychotherapie<br />

wünschen sie nicht, brauchen sie nicht. In dieser Situation<br />

bietet sich Lebensrückblick als eine Form der Fokaltherapie<br />

an.<br />

Techniken aus der Erzählforschung, der Tiefenpsychologie,<br />

aber auch Erkenntnisse aus der Gedächtnisforschung können<br />

dabei eingesetzt werden. Was uns beschämt, erinnern<br />

wir nicht besonders gut, oder aber wir werden die Erinne-


18<br />

rung nicht los. Aus der Gedächtnisforschung wissen wir,<br />

dass wir entsprechend unserer emotionalen Gestimmtheit<br />

Erinnerungen abrufen: Sind wir traurig, erinnern wir Trauriges,<br />

sind wir bitter, Bitteres. Nun kann man Menschen auf<br />

eine andere Emotion, etwa freudigen Stolz, einstimmen<br />

– und dann Geschichten aus dem Leben im Umkreis der<br />

schwierigen Erfahrung erinnern lassen. So werden auch<br />

Erinnerungen, die freudigen Stolz ausgelöst haben, erinnert.<br />

Mit einem dadurch besseren Selbstwertgefühl können dann<br />

Erfahrungen, die noch immer Scham auslösen, auch emotio-<br />

nal differenziert erinnert und verstanden werden. Stellt man<br />

sich diese Situationen – samt ihrem Umfeld – imaginativ vor,<br />

beurteilt man das damalige Verhalten nicht aus der Jetztsituation,<br />

sondern aus der Situation, in der es sich zugetragen<br />

hat, ist oft Verständnis <strong>für</strong> sich selbst und Versöhnung mit<br />

sich selbst möglich.<br />

Wenn es immer mehr ältere Menschen gibt, brauchen wir<br />

Therapieformen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Lebensrückblick<br />

als Therapie könnte eine solche Form sein.<br />

Schuld und Vergebung am Lebensende<br />

Anmerkungen zu einer verschwiegenen Thematik<br />

Michael Klessmann<br />

Wer Sterbende begleitet weiß, wie häufig am Lebensende<br />

noch einmal die Thematik von Schuld und Vergebung auftaucht.<br />

Konflikte, die lange von den Betroffenen unterdrückt<br />

wurden, brechen noch einmal auf und verlangen nach einer<br />

Klärung. In der Sprache der Gestaltpsychologie: Eine Gestalt,<br />

d.h. eine zurück liegende, auf irgendeine Weise schuldhafte<br />

Begegnung, konnte aus welchen Gründen auch immer nicht<br />

geschlossen werden; wegen dieser Unabgeschlossenheit<br />

fühlen sich die Sterbenden beunruhigt und gequält; ihr Sterben<br />

wird dadurch erschwert. Drei kurze Geschichten mögen<br />

das verdeutlichen:<br />

• Der Pfarrer einer dörflichen Gemeinde wird zu einem<br />

Hausbesuch gebeten, der Vater (ein aktives Gemeindeglied)<br />

liege im Sterben, er quäle sich sehr und er<br />

habe nach dem Pfarrer gerufen, heißt es von Seiten der<br />

Familie. Im Gespräch stellt sich heraus, dass ein alter<br />

und mit großer Feindseligkeit geführter Grenzstreit mit<br />

einem Nachbarn den Mann umtreibt und plagt. Er weiß,<br />

wie groß sein Anteil an diesem Streit ist, wie viel Unrecht<br />

er selber da getan hat, das lässt ihn jetzt nicht zur Ruhe<br />

kommen. Das Gespräch mit dem Pfarrer wird zu einem<br />

Beichtgespräch, in dem der Mann seine Verfehlungen<br />

klar beim Namen nennt, und der Pfarrer ihm daraufhin<br />

Gottes Vergebung zuspricht. Anschließend bittet der<br />

Kranke darum, das Abendmahl zu empfangen – und<br />

den an dem Streit beteiligten Nachbarn dazu einzuladen.<br />

Der Nachbar kommt, beide feiern gemeinsam das<br />

Abendmahl, der Mann stirbt kurz darauf. 1<br />

• Ein sterbender 64jähriger Unternehmer klagt dem ihn<br />

im Krankenhaus besuchenden Pastor, dass er das Gesicht<br />

seines bereits verstorbenen älteren Bruders nicht<br />

los wird. Der Pastor ermutigt ihn, sich das Gesicht noch<br />

einmal zu vergegenwärtigen: Als ein weinendes und<br />

zugleich drohendes Gesicht erscheint es ihm. Der Sterbende<br />

erzählt, wie er vor vielen Jahren den Bruder aus<br />

dem gemeinsamen Geschäft geworfen und dabei übervorteilt<br />

habe. Der Kontakt zwischen beiden ist seither<br />

abgebrochen. Nun weint der Mann über die verlorenen<br />

Jahre mit seinem Bruder, spürt gleichzeitig Wut darüber,<br />

dass und wie er als der Kleinere unter dem Größeren<br />

viele Jahre gelitten hat – und entdeckt in all dem auch<br />

seine Zuneigung zu ihm. Der Pastor lädt dem Mann ein,<br />

all dies dem imaginierten Bruder zu sagen. Es kommt zu<br />

einem fiktiven Zwiegespräch. Am Ende sagt der Mann:<br />

„Ich habe es nicht <strong>für</strong> möglich gehalten, dass ich mich<br />

mit meinem Bruder noch einmal aussöhnen könnte.<br />

Jetzt geschieht’s posthum und ante mortem. Ich glaube,<br />

jetzt kann ich die Augen getroster schließen…“ 2<br />

• Das Pflegeteam einer Station informiert die Musiktherapeutin,<br />

dass Herr Dober offenbar nicht sterben könne,<br />

1<br />

Zusammengefasst aus Günter Löschmann, Grenzerfahrungen. Ein seelsorgerisches Begleitthema. In: Michael Klessmann / Klaus Winkler (Hg.),<br />

Spielarten der Seelsorge. Bethel 1991, 114 - 129.<br />

2 Aus: Kurt Lückel, Begegnung mit Sterbenden. „Gestaltseelsorge“ in der Begleitung sterbender Menschen (1981). Gütersloh 5 2001, 58f


sie hätten das Gefühl, dass zwischen ihm und seiner<br />

Frau etwas nicht stimme. Die Musiktherapeutin spricht<br />

im Beisein der Frau das Thema direkt an, woraufhin Herr<br />

Dober erzählt, dass er eine Freundin gehabt habe. Er<br />

möchte, dass diese Freundin nach seinem Tod auch eine<br />

Todesanzeige und ein Erinnerungsstück von ihm erhalten<br />

solle. Mit ihr habe er seine Sexualität leben können,<br />

während das mit seiner Frau nicht möglich gewesen sei.<br />

Aber jetzt wünsche er sich Versöhnung mit seiner Frau.<br />

Seine Frau verweist zunächst auf seinen Betrug, sagt<br />

dann aber auch unter Tränen, es tue ihr leid, dass sie<br />

sich ihm verweigert habe. Er kann daraufhin sagen, dass<br />

er ihr nach seinem Tod noch ein gutes Leben wünscht.<br />

Herr Dober ist einverstanden, dass ein Priester ihm die<br />

Krankensalbung spendet; er nimmt selber von dem<br />

geweihten Öl und berührt damit zärtlich, wie in einer<br />

Segensgeste, seine Frau, sie küsst ihn zum Abschied.<br />

Herr Dober bedankt sich bei allen, fällt kurz darauf in<br />

einen tiefen Schlaf, aus dem er nicht mehr aufwacht. 3<br />

Schuld wird in allen drei Beispielen zunächst diffus wahrgenommen<br />

als Unstimmigkeit, Unruhe, Qual, als Nicht-sterbenkönnen.<br />

Außenstehende nehmen die Spannung wahr,<br />

die Betroffenen ahnen, um was es geht, brauchen aber<br />

offenbar Hilfe und Anregung von außen, um dem undeutlich<br />

Gefühlten Sprache geben und damit klären zu können. Das<br />

Aussprechen objektiviert den Vorgang, stellt ihn aus der<br />

diffus gefühlten Dunkelheit ins Licht, so dass eine Auseinandersetzung<br />

möglich wird. Das Aussprechen dessen, was<br />

man getan oder gelassen hat, was man schuldig geblieben<br />

ist, gilt als der erste und vielleicht wichtigste Schritt.<br />

Zur Auseinandersetzung mit der Schuld gehört, die Vielfalt<br />

der Faktoren und damit unterschiedliche Schuldanteile<br />

zu erkennen. Selten liegt ein klares und einfaches Schema<br />

von Ursache und Wirkung vor, in den meisten Fällen greifen<br />

mehrere Handlungsstränge und Motivationen ineinander.<br />

Auch wenn sich dies Knäuel nicht mehr entwirren lässt, ist<br />

es wichtig, dass die Betroffenen wenigstens <strong>für</strong> einen Teil<br />

des Geschehens Verantwortung übernehmen. Sie antworten<br />

damit auf die Herausforderung der sie quälenden Unruhe.<br />

Zugleich ist die Verantwortungsübernahme Voraussetzung<br />

da<strong>für</strong>, dass sie Reue empfinden über das, was sie getan oder<br />

3 Aus: Monika Renz, Grenzerfahrung Gott. Spirituelle Erfahrungen in Leid und Krankheit. Freiburg ³2003, 94 – 97.<br />

19<br />

gelassen haben, dass es ihnen leid tut, sie darüber Schmerz<br />

empfinden. Erst dieser Schmerz ermöglicht es dem Gegenüber,<br />

Worte und Zeichen der Vergebung, der Versöhnung zu<br />

finden.<br />

Eine religiöse Dimension von Schuld und Vergebung ist<br />

manchmal klar auszumachen, manchmal eher zu ahnen. Im<br />

ersten Beispiel ermöglicht der Zuspruch der Vergebung von<br />

Gott her, dass sich die beteiligten Personen untereinander<br />

vergeben und sich versöhnen. Im dritten Beispiel läuft es eher<br />

umgekehrt: Die gegenseitige Vergebung und Versöhnung<br />

eröffnet die Möglichkeit, diese zwischenmenschlichen Akte<br />

gewissermaßen göttlich zu bestätigen und zu bekräftigen.<br />

Vergebung bedeutet, jemandem eine Schuld, eine von ihm<br />

oder ihr erlittene Verletzung nicht mehr entgegen zu halten,<br />

sie nicht mehr anzurechnen. Dadurch erfährt jemand Entlastung,<br />

innere Befreiung. Schon das klare Aussprechen des<br />

Sachverhalts kann Entlastung bewirken, weil das Geschehen<br />

damit aus dem bisher gehüteten, aber hintergründig um so<br />

wirkmächtigeren Tabu-Bereich herausgeholt wird. In der<br />

Reue und der anschließenden Versöhnung vollzieht sich Vergebung<br />

– auch wenn sie verbal vielleicht als solche gar nicht<br />

benannt wird. Dass sie statt gefunden hat, lässt sich ablesen<br />

an der Entspannung, die einkehrt, die schließlich auch den<br />

Betroffenen leichter sterben lässt.<br />

Seelsorge verfügt im Umgang mit dem Thema Schuld<br />

und Vergebung – nicht nur am Ende des Lebens – über<br />

besondere Möglichkeiten, das verdeutlichen die Beispiele:<br />

Schon die geistliche Rolle des Pfarrers / der Pfarrerin verweist<br />

auf den Aspekt des Unbedingten, Letztgültigen, der<br />

im Sterben in besonderem Maß im Vordergrund steht: Im<br />

Prozess des Abschieds vom Leben geht es um das Leben<br />

als Ganzes. Darüber hinaus kann Seelsorge mit Beichte und<br />

Abendmahl, Gebet und Segen auf Rituale zurückgreifen, die<br />

in einer Grenzsituation, die mit den alltäglichen Kommunikationsmitteln<br />

kaum zu bewältigen ist, Sprache und Verhaltensmuster<br />

zur Verfügung stellen. In einer Beratung ist es<br />

eher ungewöhnlich, solche Mittel einzusetzen. Gleichwohl<br />

sollten auch Beratende prüfen (und sich entsprechend<br />

darauf vorbereiten), welche Rituale – religiöse und nichtreligiöse<br />

– ihnen zur Verfügung stehen, um Sterbenden und<br />

ihren Angehörigen den Abschied vom Leben zu erleichtern<br />

und ihn würdig zu gestalten.


20<br />

Beratung älterer Menschen –<br />

Versuch einer Bestandsaufnahme<br />

Meinolf Peters<br />

1. Auf dem Weg in die Beratungsgesellschaft<br />

Die gesellschaftliche Entwicklung ist durch eine tiefgreifende<br />

Individualisierung einerseits und eine explosive Pluralisierung<br />

andererseits gekennzeichnet (Keupp 2004). Das Forum<br />

Beratung (2002) versucht in seiner Frankfurter Erklärung<br />

die Konsequenzen dieser Entwicklung im Hinblick auf Beratung<br />

aufzuzeigen: „Eine Welt im Wandel braucht Beratung,<br />

aber eine Beratung, die diesem Wandel Rechnung trägt!<br />

Die Lebens- und Arbeitswelten der Menschen verändern<br />

sich gegenwärtig in dramatischer Form. Bisher tragfähige<br />

Normalitäten und Identitäten verlieren im globalisierten<br />

Kapitalismus ihre Passform und wir all sehen uns mit der Erwartung<br />

konfrontiert, uns flexibel und offen auf veränderte<br />

Bedingungen einzulassen. Unsere Alltage werden riskanter<br />

und unvorhersehbarer. Gemeinsamkeiten scheinen weniger<br />

selbstverständlich. Identitäten und Zukunftsentwürfe<br />

werden brüchig, müssen immer wieder erarbeitet und neu<br />

ausgerichtet werden. Persönliche Lebenspläne, Vorstellungen<br />

von sich selbst und der eigenen Lebenswelt verlangen<br />

kontinuierliche Reflexion und Autonomie“ (Forum Beratung<br />

2002, S.335).<br />

Damit ist der Horizont umrissen, vor dem sich heutige Beratungsbedürfnisse<br />

und-erfordernisse abzeichnen. Dass auch<br />

Ältere zunehmend in die Prozesse einbezogen sind, und ihr<br />

Leben in stärkerem Maße postmoderne Züge aufweist, lässt<br />

sich an einem Befund aus dem letzten Alterssurvey ablesen:<br />

Dort wird hervor gehoben, dass der Anteil von Einpersonenhaushalten<br />

in dem vergleichsweise kurzen Zeitraum zwischen<br />

1996 und 2002 von 7 auf 13% fast verdoppelt hat. Die<br />

Distanzen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern<br />

haben sich in dem gleichen Zeitraum vergrößert. Nicht mehr<br />

23% wie noch 1996, sondern bereits 28% leben nun in einem<br />

anderen Ort. Auch ein Rückgang der täglichen Kontakte war<br />

zu beobachten (Hoff et al. 2006). Der Individualisierungs- und<br />

Pluralisierungsprozess hat also auch die Älteren erfasst, mit<br />

der Konsequenz, dass auch sie die Reflexivität aufbringen<br />

müssen, um die Identitätsarbeit, die eine ‚fließende Gesellschaft’<br />

verlangt, leisten zu können. Identitätsarbeit zu befördern<br />

gilt nach Keupp (2004) als fundamentale Anforderung<br />

an Beratung in einer postmodernen Gesellschaft. Doch wird<br />

die heutige Beratung älterer Menschen diesem Erfordernis<br />

gerecht, erhalten ältere Menschen die notwendigen Hilfen,<br />

um mit den Widersprüchen, Unsicherheiten und Brüchen<br />

in ihrem Leben fertig zu werden und äußere Passung und<br />

innere Kohärenz herstellen zu können? Im Folgenden sollen<br />

einige Überlegungen und Befunde zu dieser Fragestellung<br />

vorgelegt und diskutiert werden.<br />

2. Was ist psychosoziale Beratung?<br />

Kaum ein Begriff ist so schillernd und vielfältig wie der der<br />

Beratung. Wir haben es nicht nur mit einem alltagssprachlichen<br />

Begriff zu tun, sondern auch mit einer Fülle von<br />

unterschiedlichen Professionen geprägten Beratungsbegriffen<br />

und -konzepten, die nur schwer auf einen Nenner zu<br />

bringen sind (Nestmann et al. 2004). Als Wesensmerkmal<br />

psychosozialer Beratung hebt Schnoor (2006) hervor, dass<br />

diese darauf abzielt, einem belasteten oder desorientierten<br />

Klienten Orientierungs-, Planungs-, Entscheidungs- und Bewältigungshilfe<br />

zu geben. Im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe<br />

soll die Handlungssicherheit des Klienten zur Bewältigung<br />

eines aktuellen Problems erhöht werden. Neben Informationsvermittlung<br />

ist damit auch eine Reflexion der Ursachen<br />

der aktuellen Problemlage sowie eine Neustrukturierung<br />

und Neubewertung der Situation verbunden, vor diesem<br />

Hintergrund sollen neue Problemlösungen ermöglicht werden.<br />

Dabei geht es wesentlich darum, die Eigenbemühungen<br />

des Ratsuchenden zu unterstützen und seine Kompetenzen<br />

zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben zu erhöhen. Der<br />

Form nach ist Beratung dabei als zwischenmenschliche Hilfe<br />

zu verstehen, die auf einem helfenden Beziehungsangebot<br />

beruht und sich als sozialer Interaktions- und Kommunikationsprozess<br />

darstellt. Indem die psychosoziale Beratung<br />

dabei auf psychotherapeutische Elemente zurückgreift, hebt<br />

sie sich von anderen Beratungskonzeptionen ab (Peters<br />

2006). Wie in der Psychotherapie wird der Ratsuchende nicht


vornehmlich als Hilfeempfänger gesehen, dem Objektstatus<br />

zugeschrieben wird. Vielmehr besteht das Ziel darin, dem<br />

Subjekt mehr Möglichkeiten zu verschaffen und das i.d.R.<br />

eingangs vorgetragene konkrete Beratungsanliegen auf<br />

seine ‚Türöffnerfunktion’ hin zu prüfen.<br />

Worin aber liegen die Unterschiede zwischen psychosozialer<br />

Beratung und Psychotherapie? Man könnte formal Kriterien<br />

wie Finanzierung oder Dauer nennen, die jedoch sehr relativ<br />

sind, obwohl es sich um objektive Kriterien handelt; so kann<br />

eine Beratung unter Umständen sich über längere Zeit erstrecken,<br />

während eine psychotherapeutische Behandlung<br />

in einer Klinik sehr kurz sein kann. Aussagekräftiger scheinen<br />

die Ausführungen von Großmaß (2005), die darauf hinweist,<br />

dass Beratung und Therapie ihre Klientel auf unterschiedlichen<br />

Problemebenen ansprechen. Wer Beratung aufsucht,<br />

hat häufig Probleme und Schwierigkeiten, die zwar auch in<br />

psychotherapeutischen Behandlungen vorkommen können.<br />

Der Ratsuchende definiert sich i.d.R. aber nicht als krank. Er<br />

fühlt sich eher von bestimmten Anforderungen, die sich ihm<br />

stellen, überfordert, er steht vor Problemen, häufig Entscheidungsproblemen,<br />

die er nicht mehr mithilfe der ihm im Alltag<br />

zur Verfügung stehenden Ressourcen zu bewältigen vermag.<br />

Beratung kennzeichnet also die Nähe zu alltäglichen Problemlagen,<br />

d.h. sie fokussiert von Beginn an auf ein Thema<br />

aus dem sozialen Umfeld (Erziehung, Schule….). Selbst da,<br />

wo Beratung mit klinischen Problemen zu tun hat, bezieht<br />

sie sich stärker auf die Lebenswelt der Patienten, während<br />

Therapie mehr auf die innere Konfliktdynamik zentriert.<br />

Daraus nun lassen sich auch Überlegungen zur differenziellen<br />

Indikation ableiten. Bei der Frage, wann psychosoziale<br />

Beratung indiziert ist, wurde in der Vergangenheit häufig auf<br />

den Begriff der psychosozialen Krise verwiesen. Eine Krise<br />

lässt sich als eine Periode psychischen Ungleichgewichts<br />

verstehen, das aus einer Unausgewogenheit von Anforderung<br />

und Bewältigungsmöglichkeit resultiert. Bauriedl (1985)<br />

versteht unter Krise einen unausgetragenen Konflikt, dem<br />

grundsätzlich eine Gegenläufigkeit innewohnt, und der danach<br />

drängt, ausgetragen zu werden, wobei es sich zumeist<br />

um eine Entscheidungssituation handele. Allerdings ist der<br />

Krisenbegriff durch seine extensive Verwendung in der<br />

populärwissenschaftlichen Literatur im Sinne einer emotionalen<br />

Labilisierung, die recht einseitig in den Kontext persönlichen<br />

Wachstums gestellt wird, <strong>für</strong> den wissenschaftlichen<br />

Gebrauch fraglich geworden. In neuerer Zeit hat der Begriff<br />

der Ambivalenz, also einer nicht ohne weiteres auflösbaren<br />

Gegensätzlichkeit und des Hin- und Hergerissenseins zwischen<br />

einander polar entgegen gesetzten Kräften, stärkere<br />

Aufmerksamkeit erfahren, der möglicherweise eher geeignet<br />

ist, Indikation und Inhalt von Beratung zu präzisieren (Heuft<br />

u. Lüscher 2007, Peters 2008).<br />

3. Grundlagen psychosozialer Beratung<br />

21<br />

Wenn Psychotherapie der Behandlung von Krankheit dient,<br />

und insofern Krankheitslehre und ätiopathogenetische Modelle<br />

zugrunde gelegt werden können, fragt sich, auf welche<br />

wissenschaftliche Basis sich Beratung beziehen kann? Wenn<br />

psychosoziale Beratung das Zusammenspiel von sozialen Lebensverhältnissen<br />

und psychischen Kapazitäten im Blick hat,<br />

dann liegt es auf der Hand, wissenschaftliche Bezugssysteme<br />

heranzuziehen, die diese beiden Ebenen untersuchen. Zum<br />

einen ist damit die Entwicklungspsychologie des Alterns angesprochen,<br />

zum anderen die soziale Gerontologie, also der<br />

sozialwissenschaftliche Teil der Gerontologie.<br />

Die Entwicklungspsychologie des Alters befasst sich mit<br />

den Veränderungen und Anforderungen, die sich älteren<br />

Menschen in dieser Zeit stellen. Das Konzept der Entwicklungsaufgaben<br />

etwa bietet eine deskriptive Orientierung<br />

im Hinblick auf die zu bewältigenden Aufgaben in einem<br />

bestimmten Lebensabschnitt. Mit jeder neuen Entwicklungsphase<br />

hat der Mensch neue Anpassungsleistungen<br />

zu vollziehen und seine innere Welt umzustrukturieren. Ein<br />

solcher Umstrukturierungsprozess impliziert aber mögliche<br />

Krisen, die bei ungünstigem Ausgang zu psychischer Dekompensation<br />

führen können, die sich aus psychoanalytischer<br />

Sicht als Regression zu pathologischen Strukturanteilen<br />

und Lebensbewältigungsmustern, die in früheren Phasen<br />

funktional waren, darstellen (Peters 2004). Ein verwandtes<br />

Konzept ist das des Übergangs, also des Wechsels von einem<br />

Lebensabschnitt in den nächsten, der in der Regel mit<br />

einem Wechsel der Entwicklungsdynamik verbunden ist. Der<br />

Eintritt in eine neue Altersstufe wird vielfach auch als ‚innere<br />

Wende’ oder gar als ‚Neugeburt’ erlebt (Lehr 1978). Mit<br />

Blick auf das höhere Alter können drei Übergänge markiert<br />

werden, die jeweils mit einem spezifischen Beratungsbedarf<br />

verbunden sind:<br />

• Der Übergang ins Alter, wie er mit dem Austritt aus dem<br />

Berufsleben verbunden ist und eine Überarbeitung der<br />

Identität und Umgestaltung des sozialen und alltäglichen<br />

Lebens erfordert.<br />

• Der Übergang vom selbstständigen ins abhängige Alter,<br />

respektive vom dritten ins vierte Alter mit seinem i.d.R.<br />

erhöhten Hilfe- und Unterstützungsbedarf sowie der<br />

virulent werdenden Abhängigkeits- und Endlichkeitsthematik.<br />

• Der Übergang, der mit dem Sterbeprozess und dem<br />

bevorstehenden Tod verbunden ist.<br />

Während die Entwicklungspsychologie gewissermaßen auf<br />

die Binnenperspektive fokussiert, betont die soziale Gerontologie<br />

in besonderer Weise die lebensweltlichen Bezüge und<br />

die damit verbundenen sozialen Problemlagen. Zwei der in


22<br />

der jüngsten Vergangenheit am meisten diskutierten Theo-<br />

reme sollen kurz umrissen werden. Zum einen ist dies das<br />

Theorem von der Pluralität des Alters, dass die zunehmende<br />

Binnendifferenzierung der Lebensphase Alter vor dem<br />

Hintergrund gesellschaftlicher Modernisierung beschreibt<br />

(Backes u. Clemens 1998). Vor diesem Hintergrund rücken<br />

beispielsweise Themen wie die Gender-Perspektive, soziale<br />

Ungleichheit oder Migration ins Blickfeld, mithin Themen,<br />

die eng mit einem spezifischen Beratungsbedarf verknüpft<br />

sind. Als weiteres Theorem soll auf den Strukturwandel des<br />

Alters (Tews 1993) hingewiesen werden, der ebenfalls die<br />

Konsequenzen der Ausdifferenzierung und Ausdehnung des<br />

Alters thematisiert. Folgende Merkmale des Strukturwandels<br />

werden dabei hervorgehoben:<br />

• Verjüngung, d.h. das Alter beginnt früher,<br />

• Entberuflichung, d.h. immer weniger Ältere gehen einer<br />

Erwerbstätigkeit nach,<br />

• Feminisierung, d.h. der Anstieg des Frauenanteils mit<br />

steigendem Alter,<br />

• Singularisierung, d.h. immer mehr Ältere leben allein,<br />

• Hochaltrigkeit, d.h. der Anteil betagter Älterer steigt<br />

immer weiter an.<br />

Während die ersten beiden Merkmale nicht vornehmlich<br />

soziale Problemlagen schaffen, gleichwohl eine Herausforderung<br />

an die Identitätsarbeit darstellen und damit einen<br />

Beratungsbedarf hervorbringen können, beschreiben die<br />

letzten drei Merkmale eine problematische Lebenslage, die<br />

vielfach einen erhöhten Beratungsbedarf und spezifische<br />

Beratungserfordernisse hervor bringen.<br />

4. Beratungsbedarf, Inanspruchnahme und Beratungspraxis<br />

Wie weit die gesetzlich formuliert Vorgabe, die Beratung als<br />

Pflichtaufgabe der Kommunen definiert, eingelöst wird, lässt<br />

sich bis heute nicht eindeutig beantworten. Die Forschungsdefizite<br />

werden bereits bei dem Versuch einer genaueren<br />

Beschreibung des Beratungsbedarfs sichtbar. Weder der gesundheitliche<br />

Zustand älterer Menschen, noch der Hilfs- und<br />

Pflegebedarf – 7,6% der über 65jährigen und 16,4% der über<br />

80jährigen in Privathaushalten lebenden Älteren sind pflegebedürftig<br />

– oder das erhebliche Ausmaß an Mängeln, die<br />

Wohnungen älterer Menschen aufweisen – in den alten Bundesländern<br />

15%, in den neuen 35% – lassen sich ohne weiteres<br />

in einen Beratungsbedarf hochrechnen. Ein indirekter<br />

Hinweis lässt sich aber der Berliner Altersstudie entnehmen,<br />

die bei den untersuchten über 70jährigen einen Anteil von<br />

33% mit einer subdiagnostischen psychischen Symptomatik<br />

ermittelt hat (Helmchen et al. 1996), wobei depressive und<br />

Angstsymptome im Vordergrund standen. Dabei handelt es<br />

sich um eindeutig identifizierbare Symptome, die aber in der<br />

Anzahl und der Zeitdauer nicht den Kriterien <strong>für</strong> eine diagnostische<br />

Verschlüsselung entsprechen. Man kann davon<br />

ausgehen, dass sich in dieser hohen Zahl ein krisenhafter<br />

Verlauf der Anpassung an die Erfordernisse des Älterwerdens<br />

widerspiegelt, welcher rasch in einen krankhaften<br />

Prozess umschlagen kann. Der Umfang dieser Gruppe lässt<br />

auf einen möglichen Beratungsbedarf schließen.<br />

Von dem vermuteten großen Beratungsbedarf weicht jedoch<br />

die tatsächliche Inanspruchnahme von Beratungsangeboten<br />

in ähnlich eklatanter Weise ab, wie es <strong>für</strong> den Bereich der<br />

Psychotherapie seit langem durch zahlreiche Erhebungen<br />

nachgewiesen ist (Heuft et al. 2006); der Anteil über 65jähriger<br />

psychotherapeutisch Behandelter liegt kaum höher als<br />

1%. Im Hinblick auf Beratungs- und Unterstützungsangebote<br />

<strong>für</strong> Demenzkranke beispielsweise fanden Vetter et al. (1997),<br />

dass 60% der Angehörigen der Betroffenen keine Kenntnisse<br />

über entsprechende Hilfsangebote hatten. Und Schneekloth<br />

und Wahl (2006) berichten, dass nur 16% der Hauptpflegepersonen<br />

regelmäßig auf Hilfsangebote zurückgreifen.<br />

Weitere 37% gaben an, dies gelegentlich zu tun, aber fast<br />

die Hälfte der pflegenden Angehörigen ist überhaupt nicht in<br />

vorhandene Hilfestrukturen eingebunden.<br />

Neben der Frage, in welchem Umfang Beratung älterer Menschen<br />

überhaupt stattfindet, ist die Frage nach den Inhalten<br />

und der Qualität der Beratung von Bedeutung. Es ist zu prüfen,<br />

ob die heutige Beratungspraxis den eingangs skizzierten<br />

heutigen Lebensanforderungen älterer Menschen gerecht<br />

wird. Die wenigen vorliegenden Untersuchungen lassen ein<br />

eher defizitäres Bild erkennen. So fällt der niedrige Grad an<br />

Spezialisierung auf, d.h. nur ein geringer Teil der Beratungseinrichtungen<br />

richtet sich explizit an alte Menschen. Meist<br />

handelt es sich um Einrichtungen, die sich vornehmlich<br />

um Ratsuchende anderer Altersgruppen bemühen oder in<br />

denen der Beratung eine untergeordnete Bedeutung neben<br />

anderen Methoden zukommt. Die neuere Untersuchung der<br />

Alters- und Seniorenberatung von Heinemann-Koch und<br />

Korte (1999) lässt erkennen, dass eine Beratung i.d.R. nicht<br />

durch eine psychosoziale Fragestellung, sondern durch ein<br />

konkretes Beratungsanliegen eingeleitet wird. Folgende<br />

Themen standen dabei im Vordergrund:<br />

• Einkommens- und Finanzberatung: 17,1%<br />

• Wohnberatung (z.B. Wohngeld, Heimunterbringung):<br />

10,9%<br />

• Ernährungs- und Gesundheitsberatung (z.B. mobile<br />

Dienste): 10,0%<br />

• Verbraucher -und Sicherheitsberatung: 1,1%<br />

• Rechtsberatung (z.B.Erbe): 5,9%<br />

• Freizeit- und Bildungsberatung: 21,3%<br />

• Lebensberatung: 10,2%


Bemerkenswert ist der Befund, dass durchschnittlich 6<br />

verschiedene beteiligte Helfer koordiniert werden mussten,<br />

um ein Versorgungsnetz zu knüpfen. Dies wirft nicht nur ein<br />

Licht auf die komplexe Problemlage Älterer, sondern auch<br />

auf ein diversifiziertes Beratungs- und Hilfesystem, d.h. auf<br />

das Fehlen integrierter bzw. vernetzter Angebote. Eine tragfähige<br />

Helferbeziehung kann somit nur schwer entwickelt<br />

werden.<br />

Neben diesen strukturellen Mängeln lassen sich aber auch<br />

Defizite in der Beratungspraxis aufzeigen. Die schon ältere<br />

Kasseler Studie (Bracker 1982) sowie die neuere Studie von<br />

Heinemann-Koch und Korte (1999), in der Beratungsstellen<br />

<strong>für</strong> Senioren in NRW untersucht wurden, zeigen übereinstimmend,<br />

dass nur 10% der Kontakte eine Stunde oder länger<br />

dauerten, und 50% der Beratungen nach weniger als 10 Minuten<br />

abgeschlossen waren. Schon diese enge Zeitstruktur<br />

verdeutlicht, dass Beratung hier allenfalls als Information und<br />

Vermittlung verstanden wird. Auf der anderen Seite vermuteten<br />

die BeraterInnen bei einem erheblichen Teil der Ratsuchenden<br />

Einsamkeitsgefühle bzw. familiäre Konflikte, häufig<br />

im Zusammenhang mit der Pflege. Diese Konfliktthematik<br />

wurde jedoch in den wenigsten Fällen zum Beratungsgegenstand,<br />

eine Diskrepanz, die die Mängel der Altenberatung<br />

und das Verhaftetsein in einem Fürsorgedenken.<br />

5. Beratungsthemen und -erfordernisse<br />

Die Beratung im Pflegekontext, die im Pflegeversicherungsgesetz<br />

zur Pflichtaufgabe gemacht worden ist, dürfte heute<br />

in der Altenberatung gegenüber anderen Beratungsthemen<br />

dominieren, wobei die Beratung der pflegenden Angehörigen<br />

meist im Vordergrund steht (Gräsel 2001, Koch-Straube<br />

2001). 60% der pflegenden Angehörigen sind über 55 Jahren<br />

alt, d.h. befinden sich selbst bereits in fortgeschrittenem Alter.<br />

Die Menschen im dritten Lebensalter scheinen demnach<br />

die betagten Pflegebedürftigen im vierten Lebensalter zu betreuen<br />

und zu versorgen. Alle Untersuchungen weisen nach,<br />

dass die Pflegenden eine ‚Hochrisikogruppe’ im Hinblick auf<br />

die Entwicklung von psychischen oder körperlichen Symptomen<br />

bilden, wobei das Risiko bei der Pflege Demenzkranker<br />

deutlich höher ist als bei anderen Pflegebe-dürftigen. Das<br />

Pflegeversicherungsgesetz hat zwar die Rahmenbedingungen<br />

verbessert, gleichzeitig trägt es gesellschaftlichen<br />

Modernisierungstendenzen insofern Rechnung, als es keine<br />

Vollversorgung, sondern einen Pflegemix von professioneller<br />

und privater Pflege vorsieht. Damit aber spitzt sich die Ambivalenz<br />

dieser Situation weiter zu und es produziert potentiell<br />

konfliktträchtige Entscheidungsprozesse, die einen zusätzlichen<br />

psychosozialen Beratungsbedarf hervorbringen (Lettke<br />

2002).<br />

23<br />

Doch die demografische Entwicklung, der Strukturwandel<br />

des Alters und zunehmende Individualisierungstendenzen<br />

verschärfen nicht nur die Pflegeproblematik, sondern erhöhen<br />

auch die Konfliktträchtigkeit anderer Beratungsthemen,<br />

die einen psychosozialen Beratungsansatz erfordern. Folgende<br />

Themen zählen zu den wichtigsten:<br />

• Wohnberatung.<br />

• Übersiedlung ins Heim (Baumann et al. 2002).<br />

• Beratung Älterer in Heimen (Koch-Straube 2008).<br />

• Beratung in Erbschaftsangelegenheiten (Lüscher 2003).<br />

• Gesundheitsberatung (Sting u. Zurhorst 2000).<br />

• Trauerberatung (Aner, Boothe u. Ugolini).<br />

• Paar- und Sexualberatung (Riehl-Emde, Schrader).<br />

Nicht nur bei offensichtlich psychosozialen Beratungsthemen<br />

wie Paar- oder Trauerberatung, sondern auch bei klassischen<br />

Beratungsthemen wie Wohnberatung oder Beratung bei Erbschaftsfragen<br />

sind mehr und mehr psychosoziale Aspekte<br />

zu berücksichtigen. Wohnberatung kann sich häufig nicht auf<br />

Informationen über altengerechte Wohnraumanpassung und<br />

Wohnmöglichkeiten im Alter beschränken, sondern hat der<br />

wachsenden subjektiven, oftmals aber höchst ambivalenten<br />

Bedeutung Rechnung zu tragen, mit der Ältere ihre Wohnumfeld<br />

erleben (Peters 2004). Beratung in Erbschaftsfragen wird<br />

vermutlich in nächster Zeit wegen der ungeheuren Vermögenswerte,<br />

die in den nächsten Jahren vererbt werden, an<br />

Bedeutung zunehmen. Dass damit ebenfalls brisante, höchst<br />

ambivalente Konstellationen verbunden sein können, macht<br />

Lüscher (2003) deutlich, wenn er in diesem Zusammenhang<br />

vom ‚letzten großen Familiengeheimnis’ spricht.<br />

Psychosoziale Beratungsansätze werden somit an Bedeutung<br />

gewinnen, wozu auch der Kohortenwechsel beitragen<br />

wird (Brückner et al. 2006). Psychosoziale und psychotherapeutische<br />

Angebote wurden auch deshalb in der Vergangenheit<br />

häufig nicht in Anspruch genommen, weil die Älteren<br />

selbst vielfach wenig Bereitschaft zeigten, sich mit ihrer<br />

psychosozialen Konfliktlage auseinanderzusetzen (Peters et<br />

al. 2000). Verantwortlich hier<strong>für</strong> war ein Wertekorsett, wie es<br />

den Subjekten in einer traditionellen Gehorsams- und Verzichtsgesellschaft<br />

aufgezwungen wurde, in der die heutigen<br />

Älteren aufwuchsen. Die dadurch bewirkte ‚verinnerlichte<br />

Disziplinierung’ hat zweifellos die Inanspruchnahme von<br />

Hilfen erschwert. Die jetzt nachrückenden Kohorten werden<br />

andere Einstellungen und Erwartungen an den Tag legen.<br />

Sie sind geprägt durch die Aufbruchstimmung und die sich<br />

verändernden Umgangs- und Kommunikationsformen der<br />

sechziger Jahre. Durch die neuen Kohorten wird sich das<br />

Inanspruchnahmeverhalten ändern und zusätzlicher Innovationsdruck<br />

entstehen. Dies zeigt sich bereits jetzt in einer<br />

stärkeren Inanspruchnahme der mehr an psychosozialen<br />

Konzepten orientierten Ehe- und Lebensberatungsstellen<br />

(Vogt 2004, Fooken 2006) und der Beratungsstellen von Pro


24<br />

Familia durch Ältere im dritten Lebensalter. Eine wachsende<br />

Bedeutung kommt auch den Psychosomatischen Kliniken mit<br />

spezifischen Abteilungen zur Behandlung älterer Patienten<br />

zu, in denen ärztliche und psychotherapeutische mit zahlreichen<br />

anderen Beratungsangeboten kombiniert werden (Peters<br />

et al. 2006). Aber auch die Seniorenberatung im engeren<br />

Sinne wird sich verändern. Jene Beratungsstellen, die sich<br />

einem psychosozialen Beratungsansatz verpflichtet fühlen,<br />

haben sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Angehörigen-<br />

und Altenberatungsstellen zusammengeschlossen<br />

(BAGA). Beides ist vorbildlich in der Beratungsstelle <strong>für</strong> ältere<br />

Menschen und deren Angehörige in Tübingen realisiert<br />

(Braun u. Schmidt 2006).<br />

Literatur:<br />

Backes G; Clemens W (1998). Lebensphase Alter. Eine Einführung in die<br />

sozialwissenschaftliche Alternsforschung. Weinheim: Juventa.<br />

Baumann, U./ Mitmansgruber, H./ Thiele, C./ Feichtinger L (2002):<br />

Übergang ins Seniorenheim: eine Herausforderung <strong>für</strong> Senioren und <strong>für</strong><br />

Psychologen. In Maerker, A. (Hrsg.) Alterspsychotherapie und klinische<br />

Gerontopsychologie. Berlin: Springer 283-319.<br />

Bauriedl, T. (1985): Psychoanalyse ohne Couch. München: Urban & Schwarzenberg.<br />

Bracker, M. (1982): Empirische Ergebnisse der Untersuchung über Altenberatung<br />

<strong>für</strong> die Praxis. In: Bracker, M./ Hackewitz, W./ von, Pressel I./ Radebold,<br />

H. (Hrsg.): Aspekte heutiger Altenberatung. Hannover: Vinczent, 3-31.<br />

Braun, C./ Schmidt, M. (2006). ‚Drei unter einem Dach’ – ganzheitlich und<br />

dennoch spezialisierte Altenberatung am Beispiel der Beratungsstelle <strong>für</strong><br />

Ältere in Tübingen. Psychotherapie im Alter, 2, 111-119.<br />

Brückner B, Al Akel S, Klein U (Hrsg.). (2006). Verstehende Beratung alter<br />

Menschen. Regensubrg: Roderer-Verlag.<br />

Forum Beratung der DGVT (2002). Frankfurter Erklärung zur Beratung. Aufruf<br />

zu einem Neuen Diskurs. In: F Nestmann; F Engel (Hrsg.). Die Zukunft der<br />

Beratung. Tübingen: DGVT-Verlag, 335-338.<br />

Gräsel, E. (1998): Häusliche Pflege demenziell und nicht demenziell Erkrankter.<br />

Teil II: Gesundheit und Belastung der Pflegenden. Zeitschrift <strong>für</strong><br />

Gerontologie und Geriatrie, 31, 57-63.<br />

Gräsel, E. (2001): Angehörigenberatung bei Demenz: Bedarf, Ausgestaltung,<br />

Auswirkungen. Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit, 6, 215-220.<br />

Großmaß, R (2005).Welchen Beitrag leistet Beratung zur psychosozialen<br />

Versorgung? Psychotherapie im Dialog, 6, 184-188.<br />

Heinemann-Koch, M./ Korte, E. (1999): Seniorenberatung in Nordrhein-<br />

Westfalen. Teil I Organisationsformen, Leistungsbilanz, Erfahrungen. Berlin<br />

1999.<br />

6. Zur weiteren Entwicklung<br />

Nachdem sich Beratung insgesamt aus einem autoritären<br />

Fürsorgesystem gelöst hatte, hatte sie sich in den 60er und<br />

70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts an psychotherapeutische<br />

Verfahren angelehnt, um sich erst in neuerer<br />

Zeit wieder um mehr Eigenständigkeit zu bemühen (Schnoor<br />

2006). Doch die Beratung älterer und alter Menschen<br />

beginnt sich erst in neuerer Zeit von einem traditionellen<br />

Verständnis, das dem Ratsuchenden den Objektstatus als<br />

Hilfeempfänger zuweist, zu lösen. Die Beratungspraxis bei<br />

dieser Klientel sollte sich den in anderen Bereichen längst<br />

etablierten Beratungsgrundsätzen stärker annähern. Damit<br />

werden bisherige, mehr traditionelle Formen der Beratung<br />

keineswegs überflüssig, sie werden günstigstenfalls in umfassenderen,<br />

integrativen Konzepten aufgehen, bei denen<br />

den psychotherapeutischen Methoden jedoch weiterhin<br />

eine nicht unerhebliche Rolle zufallen wird.<br />

Helmchen, H./ Baltes, M.M./ Geiselmann, B./ Kanowski, S./ Linden,<br />

M./ Reischies, F.M./ Wagner, M./ Wilms, K.U. (1996): Psychische Erkrankungen<br />

im Alter. In: Mayer, K.U.; Baltes, P.B. (Hg.): Die Berliner Altersstudie.<br />

Berlin: Akademie-Verlag, 185-221.<br />

Heuft G, Lüscher K (2007). Ambivalenz – Belastung – Trauma. Psyche 61,<br />

218-252.<br />

Hoff, A. (2006): Intergenerationelle Familienbeziehungen im Wandel. In<br />

Tesch-Römer, C./ Engstler, H./ Wurm, S. (Hrsg.): Altwerden in Deutschland.<br />

Sozialer Wandel und individuelle Entwicklung in der zweiten Lebenshälfte.<br />

Wiesbaden: VS-Verlag, 231-287.<br />

Keupp, H (2004): Beratung als Förderung von Identitätsarbeit in der Spätmoderne.<br />

In: Nestmann, F./ Engel, F./ Siekendiek, U. (Hrsg.): Das Handbuch der<br />

Beratung. Band I, Tübingen, 469-485.<br />

Koch-Straube, U. (2008): Beratung in der Pflege. Bern: Huber (2. Auflage).<br />

Lehr, U (1978). Das mittlere Lebensalter – ein vernachlässigtes Gebiet der<br />

Entwicklungspsychologie. In: Oerter R (Hrsg.), Entwicklung als lebenslanger<br />

Prozess. Hamburg: Hoffmann & Campe, 147-177.<br />

Lettke, F (2002): Pflegen wollen, sollen, müssen oder dürfen? Zur Ambivalenz<br />

von Generationenbeziehungen im Alter. In: Motel-Klingebiel A./<br />

Kontratowitz von H.-J./ Tesch-Römer, C. (Hrsg.). Lebensqualität im Alter. Generationenbeziehungen<br />

und öffentliche Servicesysteme im sozialen Wandel.<br />

Opladen: Leske + Budrich, 71-95.<br />

Lüscher, K. (2003): Erben und Vererben. Ein Schlüsselthema der Generationenforschung.<br />

In: Lettke, F. (Hrsg.): Erben und Vererben. Gestaltung und<br />

Regulation von Generationenbeziehungen. Konstanz: Universitätsverlag<br />

Konstanz, 125-142.<br />

Nestmann F, Engel F, Sickendiek, U (2004). Das Handbuch der Beratung.<br />

Band 1: Disziplinen und Zugänge. Tügingen: DGVT-Verlag.<br />

Peters, M. (2004): Klinische Entwicklungspsychologie des Alters. Grundlagen<br />

der psychosozialen Beratung und Psychotherapie. Göttingen: Vandenhoeck<br />

& Ruprecht.


Peters, M. (2006): Psychosoziale Beratung und Psychotherapie älterer<br />

Menschen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.<br />

Peters, M (2008). Beratung Älterer und ihrer pflegenden Angeörigen. In…..<br />

Peters, M./ Lange, C./ Radebold, H. (2000). Psychotherapiemotivation älterer<br />

Patienten in der Rehabilitationsklinik. Zeitschrift <strong>für</strong> Psychosomatische<br />

Medizin und Psychotherapie, 46, 259-273.<br />

Peters, M./ Gehle, B./ Lindner, J. (2006).Identitätskonflikte im Alter – Aufgabe<br />

<strong>für</strong> die gerontopsychosomatische Rehabilitation. Psychotherapie im Alter, 3,<br />

97-111.<br />

Riehl-Emde A, Schneekloth, U./ Wahl, H.-W. (Hrsg.) (2006): Selbständigkeit<br />

und Hilfebedarf bei älteren Menschen in Privathaushalten. Stuttgart:<br />

Kohlhammer.<br />

Rezension:<br />

Meinolf Peters<br />

„Die gewonnenen Jahre“<br />

Von der Aneignung des Alters Göttingen 2008<br />

Vor mir liegt ein Homerbildnis, eine Skulptur aus dem 5.<br />

Jahrhundert v. Chr. Man sieht den greisen blinden Dichter,<br />

der nach innen blickt, in sich hinein zu hören scheint. Archäologen<br />

vertreten die Auffassung, dass sich im Bildnis<br />

des Homer, eines kalos geron, eines schönen Greises, eine<br />

neue Einstellung zum Alter abzeichne. Ein erstaunliches<br />

Phänomen. Ein Griechentum, das Schönheit und körperliche<br />

Kraft der Jugend verherrlicht hat, findet in der Gestalt eines<br />

uralten Greises mit körperlichen Schwächen Bildung und<br />

Wissen, geistige Autorität und die Quelle der Religion.<br />

Galt Alter als Last und etwas Verachtenswertes, so kommt<br />

im Homerbildnis exemplarisch Weisheit und Vornehmheit<br />

zur öffentlichen Darstellung in Tempeln, Lehrhallen und<br />

Häusern. Eine denkwürdige Wende in einer Kultur, in der<br />

traditionell Alter und Hässlichkeit zusammengehörten.<br />

Bei der Buchlektüre des Buches von Meinolf Peters „Die<br />

gewonnenen Jahre“ ist dies mein Haupteindruck: Der Autor<br />

verhilft zu einer neuen Einstellung gegenüber dem Alter,<br />

arbeitet kräftig mit an einem homerischen Altersbild. Eine<br />

bewußte, auch kritisch bedachte und vollzogene Aneignung<br />

der jeweiligen Altersphasen ist das Ziel des gut lesbaren,<br />

sehr informativen Werkes. An einer Stelle weist der Autor<br />

auf den späten Ernst Bloch, den im hohen Alter erblindeten<br />

Tübinger Philosophen. Nach seinem Bekenntnis lebte er in<br />

dieser Zeit sehr stark von seinen inneren Bildern. Bilder mit<br />

Symbolkraft sind eine entscheidende Hilfe zum Verstehen<br />

des menschlichen Lebens in der Zeit, im Prozess von Wer-<br />

25<br />

Schnoor, H. (2006): Psychosoziale Beratung in der Sozial- und Rehabilitationspädagogik.<br />

Eine Einführung. In Schnoor, H. (Hrsg.): Psychosoziale Beratung<br />

in der Sozial- und Rehabilitationspädagogik. Stuttgart: Kohlhammer, 14-23.<br />

Schrader Ch.<br />

Sting, St./ Zurhorst, G. (Hrsg.) (2000): Gesundheit und Soziale Arbeit.<br />

Weinheim: Juventa.<br />

Tews, HP (1993). Neue und alte Aspekte des Strukturwandels des Alters.<br />

In Naegele G, Tews HP (Hrsg.), Lebenslagen im Strukturwandel des Alters.<br />

Opladen: Westdeutscher Verlag, 13-42.<br />

Vetter, P./ Steiner, O./ Kraus, S./ Kropp, P./ Möller, W.D. (1997). Belastung<br />

von Angehörigen und Inanspruchnahme von Hilfen bei Alzheimer<br />

Krankheit. Zeitschrift <strong>für</strong> Gerontopsychologie und –psychiatrie, 10, 175-185.<br />

den und Vergehen. Ein vertieftes<br />

Verständnis vom Leben hängt<br />

davon ab, betont der Autor. Auf<br />

dem Buchumschlag hätte mir sein Bild besser gefallen als<br />

das eines agilen Ehepaares mittleren Alters an irgendeinem<br />

Strand.<br />

Ich wurde beim Lesen erinnert an einen Aufsatz des Schriftstellers<br />

Martin Gregor Dellin: „Das Privileg des Alters“. Darin<br />

bietet er eine Fülle von Beispielen aus der abendländischen<br />

Kulturgeschichte, die bedeutende Lebensleistungen im Alter<br />

aufweisen. Wieviel Feuer, wieviel schöpferische Kraft kann<br />

man hinter Altersmasken erkennen, schreibt Gregor Dellin.<br />

Er weist u.a. auf Theodor Fontane. Was der über seinen alten<br />

Vater gesagt hat, trifft auf ihn selber zu: „Wie er ganz zuletzt<br />

war, so war er eigentlich.“ Bei der Behandlung des Themas<br />

Alter ergeben sich Schwierigkeiten. Das 44. Römerberggespräch<br />

in Frankfurt a.M. über das Thema „Jugendwahn<br />

und Altersangst“ hat dies beispielhaft vor Augen geführt.<br />

Teilnehmende und KritikerInnen beklagten den Drang mancher<br />

Referierender vom „Hundertsten bis in Tausendste“<br />

abzulenken, die weiten Horizonte nicht angemessen zu umgrenzen,<br />

in allgemeine Unverbindlichkeit zu verfallen. Jeder<br />

Teilnehmer kommt mit viel Vorwissen, oft mit stark fixierten<br />

Vorurteilen. Das macht die Arbeit mühsam.<br />

Im vorliegenden Buch wird diese Schwierigkeit so gelöst, wie<br />

das auf jener Tagung eine Referentin offenbar geschafft hat:<br />

durch umfragegehärtete Zahlen und Schlüsse das Thema so


26<br />

zu strukturieren, dass man zu einem konkreten, enggeführ-<br />

ten Gespräch angeleitet wird. Der Gang der Darstellung ist<br />

reich gestützt durch Forschungsergebnisse. Sie ermüden die<br />

Leser nicht. Man nehme das 861 Seiten starke Mammutwerk<br />

von Betty Friedan, „Mythos Alter“, Ergebnis einer zehn Jahre<br />

dauernden Forschung. Es steht <strong>für</strong> ein vergleichbares Ziel<br />

(hier im Hinblick auf Frauen): Klischees von Senilität und<br />

Verfall zu widerlegen, zu einer neuen Sicht, besonders der<br />

dritten Altersphase beizutragen.<br />

Vieles wird mit leichter Schriftstellerhand verarbeitet. Was<br />

man nicht kennt – wie etwa in meinem Fall die wichtigen<br />

Arbeiten von H. Radebold, „Der mühselige Aufbruch. Eine<br />

Psychoanalyse des Alters“ – wird so dargestellt, dass man<br />

Lust bekommt, hier weiter zu arbeiten. Das Buch bietet eine<br />

Fülle von Beispielen aus Literatur und Filmen: Milan Kundera,<br />

Tanja Blixen, Sten Nadolny, Bert Brecht u.a.<br />

Eine große Hilfe, jene anfangs zitierte Welt der Symbole und<br />

inneren Bilder reich zu machen und die Leselust zu erhöhen.<br />

Wir folgen dem guten Vademecum von Meinolf Peters ins<br />

weite Feld der Anthropologie, den Grunderfahrungen jedes<br />

Menschen, älter zu werden, schließlich alt zu sein, auch Gebrechlichkeit<br />

und Pflegebedürftigkeit zu erleben. Jeder kann<br />

es sehen und die Statistiken belegen es: In unseren Breiten<br />

steigt die Lebenserwartung. Der mittelalterliche Cantus „Mitten<br />

wir im Leben sind mit dem Tod umfangen...“ verstummt.<br />

Sterbeerfahrungen, früher allgegenwärtig, geraten an den<br />

Rand der Gesellschaft. Die maximale Lebenserwartung kann<br />

bis auf 100 Jahre gesteigert werden. Gesundheitsprogramme<br />

und Fitnessangebote tragen dazu bei, werden auf Märkten<br />

nicht selten überhöht. Wie geht man sinnvoll mit gewonnenen<br />

Jahren um, wie kommt man zu einer veränderten reifen<br />

Aneignung des Alters?<br />

Wichtig ist, das macht dieses Buch überdeutlich, welches<br />

Bild jeweils vom Alter gemalt wird, welche Denkschemata<br />

uns beherrschen. Wir haben großen Einfluss auf das WIE des<br />

Alterns. Es gibt Buchtitel und Schlagwörter, die von einer<br />

Kunst des Alterns sprechen. Der Autor hat auf allen Seiten<br />

ein mir sympathisches Bewußtsein der Ambivalenzen. Es<br />

gibt schließlich am Ende aller Kunst ein Reich der Zwänge,<br />

des geduldigen Annehmens von Nichtveränderbarem.<br />

Der Blick wird zunächst auf die alte Generation gelenkt, die<br />

Krieg, Flucht und Vertreibung erlebt, unter schweren traumatischen<br />

Erfahrungen gelitten hat und noch leidet. Männliche<br />

Charakterstrukturen kennen wir, mehr als uns lieb ist: Härte,<br />

Rücksichtslosigkeit, Untertanenmentalität, Disziplin. Klaglos<br />

ist oft gelitten worden. Jede LeserIn kann dem Autor mit einer<br />

Fülle von eigenen Erfahrungen beipflichten. Auch, wenn<br />

er den Aufbruch in die Postmoderne schildert, was oft zu<br />

einseitig mit der 68iger Generation verknüpft wird, kann er<br />

sagen: Ja, auf dem Boden der wirtschaftlichen Entwicklung<br />

kommt es auf breiter Ebene zum Aufbrechen der Alterssche-<br />

mata, gibt es so etwas wie einen Bildersturm des Altarbildes<br />

der Kriegsgeneration.<br />

In das neue Bild gehören nicht nur Habitus und veränderte<br />

Kleidung, Reiselust und Mobilität, sondern eine offensivere<br />

Teilhabe am bewegten Leben der Zeit. Vor allem im Denken<br />

und Sprechen. Das Erlebnis der Jugend kann ausgeweitet<br />

werden, ohne den Beigeschmack von Krampf und Lächerlichkeit<br />

zu bekommen. Beispiel: der greise Geck!<br />

Im Buch finde ich auf weiten Strecken einen weisheitlichen<br />

Strang, an dem ich mich gerne entlang führen lasse. Dazu<br />

gehört folgende Einsicht: Ewige Jugend kann man träumen,<br />

in Bildern der Kunst belachen. Zu einem reifen Alterungsprozess<br />

gehört das Wissen um Abschied und Trauer. Was man<br />

verleugnet, holt einen ein, führt ein Eigenleben. Die Dialektik<br />

von Annehmen und Verändern kommt so zur Sprache,<br />

wie ich dies aus einem der bekanntesten amerikanischen<br />

Gebete kenne, „The serenity prayer“ von Reinhold Niebuhr.<br />

Darin geht es um Gelassenheit und eine Annahme dessen,<br />

was unveränderbar ist und um die Courage, zu verändern,<br />

was veränderbar ist. Schließlich um die Weisheit, zwischen<br />

beiden zu unterscheiden.<br />

Das gilt etwa <strong>für</strong> den befreiten Umgang mit Alterssexualität.<br />

Wer den Film „Wolke 9“ gesehen hat, findet in diesem Buch<br />

einen Text, der Freiräume aufzuweisen imstande ist, Wege<br />

zu einem vertieften Erleben der Alterssexualität zeigen kann,<br />

aber auch daran interessiert ist, wie libidinöse Energien<br />

schöpferisch umgewandelt werden können im Sinne von<br />

neuen, anderen Erfahrungen.<br />

Zum weisheitlichen Strang im Buch über die gewonnenen<br />

Jahre gehört <strong>für</strong> mich als Leser das homerische Bild. Vielleicht<br />

auch das berühmte Bild der Mutter Albrecht Dürers, gewiss<br />

die Photographie vom uralten Ernst Bloch. Nun erfahre ich<br />

bei Peters, dass 500 000 operative Verschönerungsmaßnahmen<br />

jährlich in Deutschland erfolgen, davon 70% kosmetische<br />

Eingriffe im Gesicht. Zu offenkundig der ästhetische<br />

Irrweg, wo das Kind Schönheit mit dem Bad ewiger Jugend<br />

ausgekippt wird.<br />

In einem Altersgebet des großen Michelangelo lese ich:<br />

„Bitter, o Herr, ist das Brot des Alters... träge rinnen die Stunden<br />

meiner schlaflosen Nächte dahin, wann wird die Nacht<br />

enden und der lichte Tag aufgehen?...“<br />

Denkwürdig in M. Peters Studie die Schlaferfahrungen, die<br />

sattsam bekannte Schlaflosigkeit, die grosse Bedeutung des<br />

Königswegs der Träume. Mögliche Schlaftherapien in Kliniken<br />

werden aufgeführt. Kohelet grüßt von ferne In uralten<br />

Zeiten konnte ein alter Mensch beklagen, dass bereits Vogelgezwitscher<br />

den Schlaf rauben kann (Prediger 12,4). Auch<br />

Peters Hinweis auf zunehmende Langsamkeit finde ich in<br />

alten biblischen Zeugnissen. In der Metapher von einer sich<br />

schleppenden Heuschrecke wird im Prediger Salomos müh-


samer Altersgang vorgeführt. Im Zeitalter der Globalisierung,<br />

der Beschleunigung, muss Zeiterfahrung stärker ins kritische<br />

Bewußtsein gehoben werden, gilt es mit dem zu gewinnenden<br />

Maß auch die Würde des Alters neu zu entdecken.<br />

Der Autor möchte <strong>für</strong> den Lebensrahmen der alten Menschen<br />

die zyklischen Zeiterfahrungen stärker geltend machen. Die<br />

teleologische, d.h. die zweck- und zielgerichtete, lineare, verortet<br />

er primär im Kapitalismus. Hier würde ich im Gespräch<br />

Fragen stellen: Jüdisch-christliches, auch abendländisches<br />

Geschichtsdenken ist fundamental zielgerichtet, lebt vom<br />

Prinzip Hoffnung, vom Licht der Erlösung, von der Erwartung<br />

des neuen Jerusalem, kommt nicht erst im Kapitalismus<br />

zum Zuge. Die „Wiederholung“ ist ein zentraler Begriff im<br />

Werk Sören Kierkegaards, der in Peters Arbeit kurz gestreift<br />

wird. Zu kurz, wie ich finde. Eine Auseinandersetzung mit<br />

der <strong>für</strong> griechisches Denken fundamentalen Kategorie des<br />

Erinnerns und der Hegelsche Begriff des „Aufhebens“ hätte<br />

gut in den Zusammenhang gepasst. Dazu gehören auch<br />

Hiob und Abraham, die schönsten und tiefsten Auslegungen<br />

bei Kierkegaard, die ich in der Weltliteratur kenne. Statt des<br />

Postulats, zyklisches Denken zurückzugewinnen, würde ich<br />

mich eher Kierkegaard anschließen. Er nennt die Wiederholung<br />

die „Doppelbewegung der Unendlichkeit“.<br />

Wer sich wie der Autor so eindrucksvoll mit der Bedeutung<br />

der Erzählung <strong>für</strong> alte Menschen beschäftigt, könnte gerade<br />

hier reiche Ernte machen. Ereignisse bekommen kraft der<br />

Erzählung in der narrativen Wiederholung „eine ewige Wichtigkeit“,<br />

schreibt der Autor mit Recht.<br />

Mit diesem Buch in der Hand werde ich mich in Zukunft bemühen,<br />

wenn über das Thema „Erosion der Familie“ gesprochen<br />

wird, in Ambivalenzen zu denken. Für Mehrdeutigkeit<br />

ist das Auge geschärft.<br />

Die These „Aus einem Befehlshaushalt ist ein Verhandlungshaushalt<br />

geworden“ eröffnet ein weites Gesprächsfeld.<br />

Ebenso der Begriff der „Generativität“, das wechselseitige<br />

voneinander Lernen. Mit einer Zukunftsvision, einer eindrucksvollen<br />

Generativität entlässt schließlich das Alte Testament<br />

seine Leser mit dem Schlussatz, dass sich am Ende<br />

„das Herz der Väter zu den Söhnen und das Herz der Söhne<br />

27<br />

zu den Vätern bekehre“. Ein <strong>für</strong>wahr bedeutsamer Schlusspunkt<br />

und eine Eröffnung der möglichen hoffnungsvollen<br />

Zukunft.<br />

Der reiche Themenkanon des Buches mit dem Ziel einer vom<br />

Geist der Weisheit geprägten Aneignung hält viele Wege<br />

offen zu Dialogen und Ergänzungen.<br />

Wer auf Begriffe wie „Entfremdung“, „Durcharbeiten“ gar<br />

auf das schöne klassische Wanderschaftsmodell stößt, wird<br />

auch kritisch gegenüber einer Machbarkeitsideologie unserer<br />

Zeit, nimmt Abschied von vielen negativen Konnotationen<br />

des Alters, bekommt Lust, hier mehr homerische Bilder zu<br />

modellieren.<br />

Wenn es um ein schöpferisches Aneignen des Alters, der<br />

Zeitlichkeit allen Daseins geht, darf das Großreich der Kunst<br />

nicht fehlen. Jeder, der ein Leben lang mit alten Menschen<br />

gelebt und gearbeitet hat, weiß, dass in einem erfüllten,<br />

reichen Leben, zu dem die inneren Bilder und Texturen gehören,<br />

die Kunst eine elementare Rolle spielt.<br />

Seien es Verse, Lieder, Gesänge, Bilder. Der Autor spricht<br />

von Alterswerken, die eine besondere Tiefe haben, nennt als<br />

Beispiele Bach und Beethoven. Die Hauptwerke von Bach,<br />

die <strong>für</strong> Millionen von alten Menschen Trost und inneren<br />

Reichtum bedeuten, sind die Arbeiten eines 30 bzw. 40<br />

jährigen Künstlers. Richtig ist, dass es wie bei Fontane, Thomas<br />

Mann, Picasso, G.B. Shaw, vor allem bei dem Musiker<br />

Heinrich Schütz, große Alterswerke gibt.<br />

Die Erfahrung, die hier angesprochen wird, meint wohl, dass<br />

mit der Erfahrung des Altwerdens, gar des hohen Lebensalters,<br />

der Sinn und Geschmack <strong>für</strong> die Angebote und das<br />

Erleben von Kunst sich vertieft. Von Theodor Fontane sagt<br />

Thomas Mann: „Er hatte es eilig alt zu werden.“<br />

Das vorliegende Buch drängt gewiss nicht dazu, aber es<br />

leistet einen wichtigen Beitrag, an den Bildern des Alters, der<br />

gewonnenen Jahre, auch des hohen und vielleicht gebrechlichen<br />

Alters in der Dialektik von Annahme und Veränderung<br />

schöpferisch und kritisch zu arbeiten. Das Homerbild grüßt<br />

von ferne.<br />

Dr. Friedrich Hufendiek


28<br />

Den anderen nicht mehr ändern wollen<br />

Von der Kunst gemeinsam alt zu werden<br />

Martin Koschorke<br />

Alles ging gut zwischen Karl und Karin, bis Karl in Rente ging.<br />

Seine Arbeit hatte ihn schon immer ausgefüllt. Gegen Ende<br />

seines beruflichen Weges hatte er noch einmal sehr viel zu<br />

tun. Aber es gab auch viel zu erzählen. Karin hörte gerne zu.<br />

Oder berichtete von dem, was sie den Tag über beschäftigt<br />

hatte. Sie hatte ein paar Jahre früher mit ihrem Job aufgehört<br />

als er. Die Kinder waren schon lange aus dem Haus, auch<br />

die Enkel waren einigermaßen vernünftig. So hatte sie unter<br />

der Woche Zeit <strong>für</strong> sich. In den letzten Jahren hatte sie sich<br />

ihr eigenes Leben eingerichtet mit vielfältigen Kontakten:<br />

ausführlichem Telefonieren, Kursen an der Volkshochschule,<br />

Gymnastik, Treffen mit Freundinnen und anderen Aktivitäten,<br />

die ihr Spaß machten. Sie hatte die Erfahrung schon hinter<br />

sich, dass der Ruhestand viele zusätzliche Wünsche bringt,<br />

aber nicht mehr Zeit.<br />

Träumen von der Freiheit<br />

Karl hatte ganz genaue Vorstellungen gehabt, was er alles<br />

tun wollte in der neuen Freiheit, nach dem Ende des Berufs.<br />

Endlich die Dinge machen, <strong>für</strong> die bisher keine Zeit gewesen<br />

war. Natürlich Reisen und Kultur, mal wieder selber kochen,<br />

lange vernachlässigte Hobbys pflegen, alte Freunde treffen.<br />

Vor allem aber Zusammensein mit Karin nachholen: ganz viel<br />

Zeit mit ihr verbringen, vielleicht auch gemeinsam wieder<br />

Spaß an Sex entwickeln. Der neue Lebensabschnitt hatte vor<br />

ihm gelegen wie ein Paradies: Beide waren – da<strong>für</strong> waren<br />

sie dankbar – noch einigermaßen gesund, sie hatten ein<br />

beschränktes, aber sicheres Einkommen, sie brauchten sich<br />

um niemand zu kümmern, die Kinder waren aus dem Haus,<br />

sie konnten über ihre Zeit frei verfügen.<br />

Karin hatte wohl von Karls Träumen gewusst. Sie hatte sie<br />

jedoch bei Seite geschoben. Jetzt fühlte sie sich von seinen<br />

Erwartungen bedrängt. Sie hatte sich ihr eigenes Leben<br />

eingerichtet. In den letzten Jahren hatte sie tagsüber frei<br />

über ihre Zeit verfügen können, konnte tun und lassen, was<br />

sie wollte, sich verabreden ohne rückfragen oder Rücksicht<br />

nehmen zu müssen. Jetzt war er auf einmal immer da, den<br />

ganzen Tag, nicht nur von abends bis morgens, sondern<br />

auch von morgens bis abends. Gut, er hatte auch seine Aktivitäten.<br />

Aber es war auf einmal nicht mehr vorhersehbar,<br />

wann er mit ihr zusammen sein wollte und wann sie frei war.<br />

Sie war es leid, sich ständig nach ihm richten zu sollen.<br />

Früher, zu Beginn ihrer Ehe, da hatte sie sich eher unsicher<br />

gefühlt. Es hatte ihr nicht soviel ausgemacht, sich auf ihn einzustellen,<br />

eigene Interessen hintan zu stellen, ein Stück auf<br />

sich selbst zu verzichten. Dazu war sie jetzt nicht mehr bereit.<br />

„Ich bin kein junges Pflänzchen mehr, das sich an anderen<br />

empor rankt. Ich habe mich zu einem Baum entwickelt, der<br />

seinen eigenen Charakter hat,“ sagte sie, nicht ohne Stolz,<br />

zu sich selbst, und auch zu ihm. „Ich bin nicht mehr 25. Ich<br />

habe auch etwas geleistet in meinem Leben. Ich habe das<br />

gleiche Recht, meinen Interessen nachzugehen, mein Leben<br />

zu leben, wie du.“<br />

Karl hatte kein Problem damit, ihr dieses Recht zuzugestehen.<br />

Aber er hatte Mühe die Konsequenzen zu akzeptieren.<br />

„Endlich habe ich Zeit,“ sagte er. „Endlich könnten wir ganz<br />

viel gemeinsam machen. Und jetzt willst du nicht. Liebst du<br />

mich denn nicht mehr?“<br />

Ältere Paare streiten sich häufig, weil sie nichts mehr miteinander<br />

anzufangen wissen, weil Leere zwischen ihnen eingetreten<br />

ist. Bei Karin und Karl war es umgekehrt. Beide hatten<br />

zu viele Ideen, zu viele Wünsche und Vorstellungen, wie sie<br />

die kostbare restliche Zeit ihres Lebens füllen könnten.<br />

Hören und Reden, Reden und Hören<br />

Wie sie dann doch noch die Kurve bekommen haben? „Das<br />

lässt sich nicht mehr so genau sagen,“ meint Karl nachdenklich.<br />

„Es war nicht einfach. Ich glaube, was uns geholfen hat, ist,<br />

dass wir nie aufgehört haben, miteinander zu reden. Wir haben<br />

gewusst: Kommunikation ist nicht nur Reden. Kommunikation<br />

ist zuerst einmal Hören, dem anderen Zuhören. Und wenn man<br />

redet, dann so reden, dass der andere zuhören kann. So wussten<br />

wir eigentlich immer, was den anderen beschäftigt.“<br />

„Karl hat gelernt,“ sagt Karin anerkennend, „auch über Alltägliches<br />

zu reden – oder zumindest zuzuhören, wenn ich<br />

über Alltägliches rede. Früher hat ihn das oft genervt. Er kam


dann gleich mit einem Lösungsvorschlag: Mach doch das!<br />

Damit war die Sache <strong>für</strong> ihn erledigt. Das wiederum hat mich<br />

tierisch geärgert. Ich wollte keinen Rat von ihm. Ich wollte<br />

einfach nur mitteilen, was mich innerlich beschäftigt. Jetzt<br />

geht es besser, er hört einfach zu. Außerdem, wenn es ihm<br />

zuviel wird, habe ich immer noch meine Freundinnen,“ fügt<br />

sie lachend hinzu.<br />

„Deine beste Freundin ist letztes Jahr an Krebs gestorben,“<br />

sagt Karl. „Ich glaube, was uns sehr zum Nachdenken gebracht<br />

hat, ist das Schicksal von Freunden und Verwandten.<br />

‚Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen’,“ zitiert Karl ein<br />

altes Kirchenlied. „Da ruft eine Kusine an und sagt: ‚Leider<br />

können wir im Sommer nicht mit zum Wandern auf dem Jakobsweg.<br />

Mein Mann hatte einen Herzinfarkt. Er hat ihn – Gott<br />

sei Dank – überstanden. Aber jetzt muss er sich erst einmal<br />

schonen.’ Oder wir hören von einem Klassenkameraden, der<br />

nach einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt. Das Haus, das<br />

das Paar sich gebaut hatte, ist gerade fertig geworden. Nun<br />

müssen sie alles umbauen, weil die Türen zu eng sind und er<br />

mit dem Rollstuhl nicht durchkommt. Für die Frau ist es auch<br />

nicht lustig. Sie ist wieder angebunden, an ihren Mann, an ihr<br />

Haus. Sie muss schauen, dass sie sich einen eigenen Bereich<br />

bewahrt. Sie muss ihm zumuten, dass sie auch einmal Dinge<br />

macht, die er nicht mehr machen kann. Denn sie will sich ja<br />

nicht lebendig begraben.“<br />

Neue Perspektive<br />

„Wir merken, wie wichtig Gesundheit ist und geistige Frische.<br />

Irgendwie wussten wir das schon immer. Aber jetzt spüren<br />

wir es jeden Tag.“ Dadurch werden andere Dinge wichtig im<br />

Leben, das verändert die Perspektive. Mit zwanzig hat man<br />

das Leben vor sich, alles scheint möglich zu sein, ungezählte<br />

Chancen liegen vor einem. Das ist heute anders. Inzwischen<br />

gibt es viele Ereignisse, auf die wir zurückschauen. Vermutlich<br />

mehr als vor uns liegen. Auf manches sind wir stolz, zum<br />

Beispiel auf unsere Kinder oder die Enkel. Mit vielem sind wir<br />

zufrieden, anderes haben wir nicht geschafft.<br />

Wir wissen nicht, wie viele Jahre wir noch haben, wir beide<br />

zusammen, jeder allein. Wenn wir zu den Gräbern unserer<br />

Eltern gehen, reden wir bisweilen darüber. Vermutlich wird<br />

einer von uns beiden zuerst sterben, der andere wird zurückbleiben.<br />

Wir können uns das gar nicht vorstellen, aber<br />

es wird wohl so sein. Wenn man sich das einmal bewusst<br />

macht, dann verändert das das Bewusstsein. Vieles, was<br />

uns bisher beschäftigte und wichtig zu sein schien, tritt in<br />

den Hintergrund. Anderes gewinnt an Bedeutung, z.B. dass<br />

wir noch zusammen sind und einigermaßen gesund. Jeder<br />

Tag wird kostbar, jeder Moment. Wir versuchen jeden Tag,<br />

jede Mahlzeit als ein kleines Fest zu begehen.“<br />

Gut leben heißt weglassen<br />

29<br />

„Es ist schon lustig,“ meint Karin. „Heute ist es ja modern,<br />

keine Zeit zu haben. Dabei ist Zeit eine der ganz wenigen<br />

Sachen, wo Gott die Welt demokratisch geschaffen hat. Alle<br />

Menschen haben gleich viel Zeit, nämlich ziemlich genau 24<br />

Stunden pro Tag. Entscheidend ist, was sie mit dieser Zeit<br />

anfangen.“<br />

„Das habe ich mühsam lernen müssen,“ bekennt Karl.<br />

„Leben heißt weglassen. Ich bin eher so ein Machertyp. Ich<br />

fühle mich wohl, wenn ich etwas zu tun habe. Aber ich habe<br />

gemerkt: Entweder ich versuche alles zu tun, was ich im Kopf<br />

habe. Dann lebe ich nicht, weil immer noch etwas zu tun<br />

bleibt. Oder ich lebe. Dann werde ich nicht fertig. Dann muss<br />

ich weglassen, mit Gelassenheit durchs Leben gehen, auch<br />

mal nichts tun.“<br />

„Das fällt mir nicht schwer,“ wirft Karin ein. „Da sind wir total<br />

verschieden. Wir sind überhaupt sehr unterschiedlich. Das<br />

führt immer wieder zu Konflikten. Was uns unheimlich geholfen<br />

hat, ist, uns klar zu machen, wie wir als Paar funktionieren,<br />

wie jeder von uns funktioniert. Ich habe mal gehört, dass Tiere,<br />

wenn sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen, drei ganz typische<br />

Reaktionsweisen haben: Entweder sie greifen an, oder<br />

sie fliehen und verkriechen sich, oder sie stellen sich tot.<br />

Tiger, Reh, Schildkröte bzw. Igel. Wenn wir uns streiten, dann<br />

greift Karl an. Ich ziehe mich zurück. Das macht ihn rasend.<br />

Es ist wie ein Teufelskreis: Je mehr ich mich zurückziehe,<br />

desto mehr kommt er hinter mir her. Je mehr er angreift,<br />

desto mehr ziehe ich mich zurück.“<br />

„Ja,“ entgegnet Karl, „wenn du dich zurückziehst, fühle ich<br />

mich richtig ohnmächtig. Du bist dann sehr mächtig. Ich<br />

habe den Eindruck, du lässt mich auflaufen. Es bringt doch<br />

nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Dadurch löst sich<br />

kein Problem. Es bringt nur, dass wir uns beide schlecht<br />

fühlen.“<br />

„Ich finde es nicht so schlimm,“ fügt er hinzu, „wenn wir mal<br />

streiten. Streiten heißt doch, dass wir uns nicht gleichgültig<br />

sind. Streiten heißt, dass wir unterschiedlich sind. Du und ich,<br />

wir sind verschieden. Wir sind unterschiedlicher Meinung,<br />

haben unterschiedliche Interessen, sind unterschiedliche<br />

Persönlichkeiten, haben unterschiedliche Weisen, an Probleme<br />

heranzugehen. Da ist es doch normal, dass wir uns mal<br />

streiten. Steht nicht im Vaterunser: ‚Unseren täglichen Streit<br />

gib uns heute’?<br />

Was mir nicht gefällt, ist, wenn wir anfangen zu kämpfen.<br />

Beim Kämpfen geht es ums Gewinnen. Einer siegt, der andere<br />

verliert. Aber in Wirklichkeit fühlen wir uns beide schlecht.<br />

Denn – das ist meine Erfahrung – im Grunde haben beide<br />

Recht, jeder aus seiner Sicht.“


30<br />

Eine voll gepackte Tiefkühltruhe<br />

„Es war eine harte Schule: Angemessen, erwachsen strei-<br />

ten zu lernen. Ich musste lernen, mich nicht wegen jeder<br />

Kleinigkeit aufzuregen. Sie musste lernen, nicht vor jeder<br />

Auseinandersetzung fortzulaufen. Was wir inzwischen immer<br />

besser können, ist, Streit beenden. Wir haben eine feste<br />

Regel, an die wir uns beide strikt halten. Wenn einer sagt:<br />

‚Ich will jetzt nicht streiten!’, dann hören wir auf. Das klappt<br />

aber nur, wenn der andere fragen kann: ‚Wann können wir<br />

weiter reden?’ und eine Antwort erhält, zum Beispiel: ‚Nach<br />

dem Abendessen, <strong>für</strong> 20 Minuten.’<br />

Ein Paarberater hat uns einmal ein paar Tipps gegeben (er<br />

nannte das ‚erwachsenes Streit- und Ärgermanagement’):<br />

Nie nach 21 Uhr über Beziehungskonflikte reden. Nie länger<br />

als 20 Minuten über Differenzen sprechen. (Damit die Zeit<br />

eingehalten wird, sollen wir eine Eieruhr auf den Tisch<br />

stellen.) Nie über Probleme in der Partnerschaft diskutieren,<br />

ohne den anderen gefragt zu haben, ob auch er jetzt dazu<br />

bereit ist. Kritik und Ärger als Wunsch oder Bitte äußern, und<br />

nicht als Erwartung oder Befehl.“<br />

„Es ist nicht immer leicht, sich an diese Regeln zu halten,“<br />

stöhnt Karin. „Wir sind ja kein junges Paar mehr, das leicht<br />

lernt und Schmerzliches schnell vergisst. Jeder von uns<br />

hat eine Tiefkühltruhe, in der er Enttäuschungen und Verletzungen,<br />

die der andere ihm zufügt, eingefroren hat und<br />

säuberlich aufbewahrt. Jeder hat auch eine Mikrowelle und<br />

kann Vorwürfe und sogar lange zurückliegenden Ärger blitzschnell<br />

auftauen und dem anderen unter die Nase reiben.<br />

Wenn man so zu zweit auf engem Raum zusammenlebt,<br />

bietet der Alltag jede Menge Gelegenheit, sich über den<br />

anderen zu ärgern. Jeder von uns hat auch seine kleinen<br />

Eigenheiten und Macken. Ich bin nicht so pünktlich, wie Karl<br />

das gerne hätte. Für mich ist Karl ziemlich unordentlich und<br />

lässt immer irgendetwas liegen. Und das nun schon 40 Jahre!<br />

Das macht mich manchmal rasend!<br />

Was ich überhaupt nicht ertragen kann, ist, wenn er in einem<br />

bestimmten Tonfall anfängt, mir zu erklären, was ich anders<br />

machen soll. Ich habe dann das Gefühl, er behandelt mich<br />

wie ein kleines Mädchen. Ich muss mich dann ganz fest zusammennehmen,<br />

einmal tief durchatmen und schnell ‚Stop!’<br />

sagen: Stop! Ich kann dir jetzt nicht zuhören!’ Manchmal<br />

muss ich auch aus dem Zimmer gehen. Aber ich mache das<br />

nicht mehr, ohne es anzukündigen, sonst kommt er hinterher.<br />

Ich sage dann: ‚Ich gehe mal raus und komme gleich<br />

wieder.’ Ein paar Minuten reichen meistens. Dann habe ich<br />

mich beruhigt, und er hat auch gemerkt, dass er so mit mir<br />

nicht reden kann.“<br />

Freiheit und Respekt<br />

Karl fügt hinzu: „Das gelingt aber nur, weil wir am Tage und<br />

in der Woche feste Zeiten haben, wo jeder weiß: Da sind<br />

wir zusammen. Ich nenne das gerne ‚Rituale der Gemeinsamkeit’:<br />

Bestimmte Mahlzeiten, Spaziergänge, abends<br />

vor dem Schlafengehen mache ich uns immer noch einen<br />

Kräutertee.<br />

Ansonsten führt jeder auch sein eigenes Leben, hat seine<br />

eigenen Aktivitäten und Vorlieben, seine eigenen Freunde<br />

und Kontakte. Wenn das nicht wäre, würden wir ersticken.<br />

Natürlich laden wir uns gegenseitig immer wieder ein, am<br />

Leben des anderen teilzunehmen. Aber wir respektieren,<br />

wenn der andere nicht will oder etwas anderes vorhat. Jeder<br />

hat sein eigenes Leben und seinen eigenen Bereich. Auch in<br />

der Wohnung. Inzwischen kennen wir das ‚Territorium’ des<br />

anderen ziemlich gut. Wir wissen, wo der andere empfindlich<br />

ist, welche Grenzen ihm wichtig sind, und versuchen, das zu<br />

respektieren.“<br />

„Es ist schon paradox,“ meint Karin, „je weniger jeder von<br />

uns vom anderen erwartet, desto mehr Spaß bringt es, wenn<br />

wir etwas gemeinsam machen.“


Stufen des Erwachsenenlebens<br />

und Indikatoren <strong>für</strong> Glück im Alter<br />

Shirley Jaeger<br />

Leben verläuft in einer Abfolge von Stufen. Ob wir es bewusst<br />

wahrnehmen oder nicht: Unterschwellige Veränderungsimpulse<br />

sorgen da<strong>für</strong>, dass wir seelisch und sozial wachsen.<br />

Oftmals, aber nicht immer, markiert ein bestimmtes Ereignis<br />

den Übergang von einem Stadium zum darauf folgenden.<br />

Nicht selten wird dieser Übergang dann als Krise erlebt.<br />

Die Ziffer 8 am Ende des Lebensalters<br />

Es gibt Forscher, die meinen, alle sieben Jahre beginne solch<br />

ein neuer Jahreszyklus (so z.B. Gail Sheehy in ihrem Buch: In<br />

der Mitte des Lebens. Die Bewältigung vorhersehbarer Krisen).<br />

Ich neige eher zu der Ansicht, dass ein volles Lebensstadium<br />

zehn Jahre umfasst, wobei das kritische Lebensjahr<br />

mit der Zahl 8 endet.<br />

Vor fünfzehn Jahren fiel mir zum ersten Mal auf, dass mich<br />

mehr Klienten aufsuchten, die 28 Jahre alt waren (oder nahe<br />

an diesem Alter), die 38 Jahre alt waren (oder nahe an diesem<br />

Alter), und entsprechend 48, 58, 68 und 78. Ich begann, mir<br />

Notizen darüber zu machen, warum die Leute in Beratung<br />

oder Therapie kommen. Aufgrund dieser Aufzeichnungen<br />

habe ich eine Übersicht erstellt, die ich Jahre lang anhand<br />

meiner Klienten überprüft habe. Auffallend häufig stimmt,<br />

was die Klienten beschäftigt, genau mit der folgenden Liste<br />

überein. Die Leute fühlen sich verstört, haben den Eindruck:<br />

„Irgendetwas ist nicht in Ordnung mit mir“, oder sie haben<br />

körperliche Reaktionen, die sie nicht verstehen. Wenn das<br />

Lebensalter von dem „Normalter“ erheblich abweicht, dann,<br />

so habe ich inzwischen gelernt, liegt das meist daran, dass<br />

die Klienten zu lange gewartet haben, bevor sie Hilfe suchten.<br />

Wird die Krise nicht zum richtigen Zeitpunkt gelöst, dann<br />

ist es offensichtlich schwieriger, es in den folgenden Jahren<br />

zu tun.<br />

Die Lebensstufe von 18 Jahren:<br />

Typische Überlegungen und Fragen aus der Zeit dieser<br />

ersten Lebenskrise sind: „Was will ich machen? Was will<br />

31<br />

ich werden? Was denken meine Eltern, was ich machen<br />

soll (auch wenn sie das nicht sagen)? Ich muss mich <strong>für</strong><br />

eine bestimmte Ausbildung, einen bestimmten Beruf,<br />

einen bestimmten Lebensweg entscheiden.“ „Ich weiß<br />

nicht, ob ich will, was meine Eltern von mir erwarten.“<br />

„Ich bin jetzt erwachsen, es gibt so viele verschiedene<br />

Wahlmöglichkeiten; ich habe Angst, mein Leben zu vermasseln,<br />

wenn ich jetzt das Falsche mache.“<br />

Das Thema der ersten Lebenskrise hat zu tun mit: Sich Lösen,<br />

Kindheit loslassen, vor allem deren problematische Seiten,<br />

Selbstbewusstsein, einen eigenen Stand, innere Sicherheit<br />

und ein eigenes Gleichgewicht gewinnen.<br />

Die Lebensstufe von 28 Jahren:<br />

„Mein Leben ist nicht so, wie es sein sollte; ich muss etwas<br />

ändern.“ „Mit 18 habe ich Entscheidungen getroffen,<br />

jetzt bin ich zehn Jahre erwachsen, blicke zurück und vergleiche:<br />

mit meinen Freunden, mit meinen Geschwistern,<br />

mit meinen Eltern, als sie so alt waren, wie ich jetzt bin,<br />

mit dem was sie von mir erwarteten.“ „Vielleicht sollte<br />

ich noch mal eine andere Ausbildung beginnen.“ „Ich<br />

habe mich ganz in Ausbildung und Beruf gestürzt – wie<br />

ist es mit Familie?“ „Ich habe mich lange genug in mich<br />

zurückgezogen und möchte diese Art zu leben hinter mir<br />

lassen.“<br />

Die zweite Lebenskrise ist oft sehr schmerzlich, wenn der junge<br />

Erwachsene feststellt, dass einige der früheren Entscheidungen<br />

nicht befriedigend waren. Bisweilen entschließen<br />

sich Menschen in diesem Alter zu großen Veränderungen,<br />

um die Weichen <strong>für</strong> den Rest ihres Erwachsenenlebens zu<br />

stellen. Die Personen, die kinderlos sind, denken zumindest<br />

über Kinder nach. Diejenigen, die Kinder haben, sprechen<br />

oft von ihren Wünschen nach Beruf und Ausbildung. Was in<br />

dieser Phase nicht gelöst wird, meldet sich spätestens im<br />

Alter von 37 Jahren wieder.


32<br />

Die Lebensstufe von 38 Jahren:<br />

„Ich bin unzufrieden in meiner Partnerschaft, in meinem<br />

Job, an meiner Arbeitsstelle, in meiner Familie usw. Ich<br />

muss jetzt etwas ändern.“ „Egal wie ich mich auch anstrenge,<br />

ich finde nicht heraus, was ich tun sollte. Wenn<br />

ich nicht bald etwas mache, dann ist es zu spät.“ „Ich<br />

bin so unglücklich, ich bin ein Versager, das beweist mir<br />

mein ganzes bisheriges Leben. Es hat ja doch keinen<br />

Sinn, irgendetwas zu unternehmen.“<br />

In dieser Lebensphase stellt sich zum ersten Mal deutlich die<br />

Frage nach dem Sinn des Lebens. Den meisten Klienten ist<br />

bekannt, dass es in diesem Alter so etwas wie eine „Midlife-<br />

Crisis“ gibt und dass sie mehr oder weniger jeden trifft. Wer<br />

mit seinem Leben insgesamt zufrieden ist, bewältigt diesen<br />

Lebensabschnitt natürlich leichter. Wer sich unglücklich fühlt,<br />

versucht vielleicht, mit Hilfe eines neuen Ehepartners, eines<br />

neuen Autos, einer großen Reise, einer Therapie oder mit<br />

was auch immer seine Unzufriedenheit zu bewältigen. Oder<br />

gibt sich auf. Den Wenigsten ist klar, dass sie in einem ganz<br />

normalen, gewissermaßen vorprogrammierten Entwicklungsstadium<br />

stecken. Äußere Faktoren können die inneren<br />

Probleme verstärken: Die Eltern werden alt, Kinder verlassen<br />

das Haus, das leere Nest oder drohende Arbeitslosigkeit<br />

erschweren Veränderungen.<br />

Wenn sich etwas bewegt, dann werden in diesem Stadium<br />

bisweilen größere Veränderungsschritte unternommen.<br />

Die Lebensstufe von 48 Jahren:<br />

„Was mich in meinem bisherigen Leben zufrieden und<br />

glücklich gemacht hat, erfüllt mich nicht mehr.“ „Was<br />

macht überhaupt Sinn im Leben?“ „Wenn ich mich beruflich<br />

verändern will, dann ist es höchste Zeit.“ „Welche<br />

Chancen habe ich noch auf dem Arbeitsmarkt? Wer<br />

nimmt mich noch – oder gehöre ich schon zum alten<br />

Eisen?“<br />

Diese Lebensphase kann wunderbar sein, ist aber auch die<br />

Zeit der Menopause <strong>für</strong> Frauen und Männer. Es ist nicht<br />

mehr so dringend wie in der „Midlife-Crisis“, grundlegende<br />

Veränderungen vorzunehmen. Die Suche nach innerer Ausgeglichenheit<br />

gewinnt an Bedeutung und wird tiefer. Aber<br />

es gibt auch einen Druck, keine ernsthaften Fehler mehr zu<br />

machen. Um innere Befriedigung sicherzustellen, ist man<br />

eher zu Kompromissen bereit.<br />

Die Lebensstufe von 58 Jahren<br />

„Alle reden vom Ruhestand – ich fühle mich eigentlich<br />

noch ganz fit. Mein Job macht mir Spaß. Warum sollte<br />

ich schon aufhören?“ „Alle reden von Ruhestand – ich<br />

wünschte, ich hätte die Wahl. Ich bin arbeitslos. Meine<br />

Frage ist eher: Wie kann ich die Zeit bis zur Rente überbrücken<br />

– und was erwartet mich dann?“<br />

Die Krise in dieser Phase ist häufig der Schritt von der Berufsarbeit<br />

in den Ruhestand oder in das Rentenalter. Wer<br />

finanziell abgesichert ist und einigermaßen gesund, beschäftigt<br />

sich mit der Frage: Wie will ich meine Zukunft gestalten?<br />

Paare beginnen, einen Traum-Ruhestand zu planen, sich<br />

nach außerberuflichen Tätigkeiten oder Engagements umzusehen<br />

und zu überlegen: Wie können wir uns das Leben<br />

so angenehm und altersgerecht wie möglich einrichten?<br />

Wer finanziell nicht abgesichert ist, beschäftigt sich mit der<br />

Frage: Wie wird sich meine Zukunft gestalten? Was bleibt mir<br />

von meinen Träumen?<br />

Die Lebensstufe von 68 Jahren<br />

„Dies ist die beste Zeit in meinem Leben“ (wenn ich<br />

finanziell abgesichert und einigermaßen gesund bin).<br />

„Jetzt spüre ich die Benachteiligungen besonders“ (wenn<br />

ich finanziell nicht ausreichend abgesichert und vielleicht<br />

auch noch gesundheitlich beeinträchtigt bin).<br />

Zufriedene Menschen in diesem Alter fühlen sich dankbar<br />

<strong>für</strong> das, was das Leben ihnen gebracht hat, und überlegen,<br />

wie sie ihrer Dankbarkeit Ausdruck verleihen können. Sie<br />

machen Pläne, wem sie – innerhalb oder außerhalb der<br />

Familie – etwas in Form von materieller oder geistiger Hinterlassenschaft<br />

zurückgeben können. Bei benachteiligten<br />

oder unzufriedenen Menschen verstärkt sich nicht selten ein<br />

Gefühl von Unzufriedenheit, Unbehagen und Unerfüllt-Sein.<br />

Zunehmend stellen sich körperliche Gebrechen ein bis hin zu<br />

lebensbedrohlichen Krankheiten. Gedanken und Gespräche<br />

kreisen mehr und mehr um das körperliche Wohl- oder Übelbefinden,<br />

manche Personen reagieren dann wie Kinder.<br />

Die Lebensstufe von 78 Jahren<br />

Grundthema in dieser Phase wird das körperliche Wohlbefinden<br />

und die nachlassenden Kräfte. In diesem Alter ist man<br />

mit der Erfahrung konfrontiert, dass viele Freunde und gleichaltrige<br />

Bekannte gestorben oder krank und behindert sind.<br />

Fragen der körperlichen und geistigen Gesundheit rücken ins


Zentrum der Aufmerksamkeit. Wer unter Krankheiten leidet,<br />

sucht Antworten: Hilfe bei Ärzten, Ratschläge in Büchern<br />

oder anderswo. Wer gesund ist, versucht die Gebrechen<br />

des Alltags zu überwinden, tritt einem Senioren-Sportclub,<br />

einem Wanderverein usw. bei. Fragen der Gesundheitsversorgung<br />

und Betreuung, Gesundheitstipps (gesundes Essen,<br />

ausreichend Trinken, Vitamine, wie kann ich reduzieren, um<br />

gesund zu bleiben?) treten in den Vordergrund. Spätestens<br />

jetzt stellt sich die Frage nach der Übersiedlung in ein Altersheim.<br />

Familienkontakte werden wichtig, bzw. allgemeiner<br />

die Frage: Habe ich überhaupt noch Kontakte oder werde ich<br />

zunehmend einsam?<br />

Die Lebensstufe von 88 Jahren<br />

Wer so lange lebt und einigermaßen zufrieden und gesund<br />

ist, sehnt sich nach einem Tod in Würde. Menschen in diesem<br />

Alter werden sich ihres Körpers und seiner Funktionen,<br />

die sie früher <strong>für</strong> selbstverständlich hielten, bewusst. Oft<br />

machen sie Pläne oder Verfügungen, wie ihre Beerdigung<br />

verlaufen und damit ihr Leben gewürdigt werden soll. In<br />

jüngster Zeit organisieren beruflich und gesellschaftlich<br />

Erfolgreiche zunehmend eigene Vor-Beerdigungsfeiern, weil<br />

sie erfahren wollen, was andere von dem Leben, das sie<br />

gelebt haben, denken.<br />

Die Lebensstufe von 98 Jahren<br />

Wer dieses Lebensalter bei klarem Bewusstsein erreicht,<br />

bedauert, nicht mehr alles zu können und in vielem abhängig<br />

zu sein. Er oder sie freut sich über jeden Moment oder<br />

jede Stunde voller Lebensenergie (auch wenn man da<strong>für</strong><br />

dann vielleicht mit tagelanger Erschöpfung oder Regeneration<br />

bezahlen muss) und weiß gute und respektvolle Pflege,<br />

freundliche und geduldige Kontakte und jedes Lachen zu<br />

schätzen.<br />

Indikatoren <strong>für</strong> ein glückliches Leben<br />

Je älter ein Mensch wird, desto mehr verändert sich die<br />

Lebensperspektive. Wer jung ist, hat das Leben vor sich. Im<br />

Alter blickt man zurück auf sein Leben und sein Schicksal.<br />

Häufig wird Bilanz gezogen: Man sitzt gewissermaßen über<br />

sich selber zu Gericht. Je nachdem wie das Urteil ausfällt,<br />

stellen sich Befriedigung oder Unzufriedenheit und Trübsal<br />

ein bis hin zu Depression. Fünf Kriterien scheinen bei diesem<br />

Rückblick im Alter auf das eigene Leben von besonderem<br />

Gewicht zu sein.<br />

33<br />

1. Bildung und Ausbildung:<br />

Habe ich die richtige Ausbildung genossen? Hatte ich<br />

die Chancen, die ich mir gewünscht hätte, die andere<br />

hatten? Habe ich die Gelegenheiten voran zu kommen,<br />

die sich mir boten, ergriffen? Habe ich mir ausreichend<br />

Gelegenheiten erkämpft, mich weiter zu entwickeln?<br />

Oder bedaure ich heute, dass ich aus meinem Leben<br />

nicht das gemacht habe, was ich daraus hätte machen<br />

können?<br />

2. Liebe, die ich empfangen und die ich gegeben<br />

habe:<br />

Habe ich mich in meinem Leben ausreichend geliebt<br />

gefühlt? War ich glücklich mit meinem Lebenspartner,<br />

meinen Lebenspartnern? Kann ich auf Zeiten voller Liebe<br />

und Leidenschaft zurückblicken? Oder fühle ich mich<br />

in dieser Hinsicht eher unbefriedigt?<br />

3. Familie und Kinder:<br />

Hatte ich – und habe vielleicht noch - eine Familie, in<br />

der ich mich wohlfühle? Habe ich meine Vorstellung von<br />

Familie so verwirklichen können, wie ich mir das ersehnt<br />

habe? Hatte ich genug Zeit <strong>für</strong> meine Familie, meine<br />

Kinder – oder bedaure ich heute, dass ich mir diese Zeit<br />

nicht genommen habe? Hatte und habe ich befriedigende<br />

Kontakte zu meinen Familienangehörigen – oder fehlt<br />

mir da etwas? Bedaure ich heute möglicherweise, dass<br />

ich mich <strong>für</strong> ein Leben ohne eigene Kinder entschieden<br />

habe? Habe ich mich mit der Tatsache versöhnt, dass<br />

ich (aus welchen Gründen auch immer) keine eigenen<br />

Kinder bekommen habe?<br />

4. Erfolg:<br />

Habe ich das Gefühl, dass ich beruflich erfolgreich war?<br />

Hat mein Beruf mich befriedigt? Habe ich den Beruf ausgeübt,<br />

den ich mir gewünscht habe? Habe ich mich an<br />

meiner Arbeitsstelle wohlgefühlt? Oder habe ich mich<br />

in beruflicher Hinsicht nicht so verwirklichen können,<br />

wie ich mir das im Laufe meines Lebens vorgestellt<br />

habe – habe ich im Blick auf meine beruflichen Wünsche<br />

ein Stück aufgeben müssen (sei es auf Grund äußerer<br />

Einflüsse wie etwa Arbeitslosigkeit, sei es aus Gründen,<br />

die mit mir selbst zu tun haben)?<br />

5. Mobilität:<br />

War ich beruflich so mobil, wie ich mir das einmal<br />

vorgestellt habe? Habe ich die Reisen gemacht, die<br />

Gegenden, Orte oder Länder gesehen, die ich immer<br />

sehen wollte? Oder stelle ich im Nachhinein fest: Ich<br />

habe nicht gemacht, wonach ich mich sehnte, und bin<br />

unzufrieden damit?


34<br />

Mit Hilfe dieser fünf Indikatoren lässt sich ziemlich verlässlich<br />

feststellen, ob jemand mit seinem Leben insgesamt zufrieden<br />

ist oder nicht. Je mehr Punkte als unbefriedigend erlebt<br />

werden, je mehr das Bedauern überwiegt, desto höher ist<br />

die Wahrscheinlichkeit einer grundlegenden Unzufriedenheit,<br />

Vortrag auf einem Forschungsseminar der USATAA (Gesellschaft <strong>für</strong> Transaktionsanalyse der USA) in Jamaika im Februar 2008,<br />

aufgeschrieben und ins Deutsche übertragen von Martin Koschorke<br />

Die Glosse<br />

Dieter Hildebrandt<br />

„Hallo Alter“<br />

desto größer ist auch die Gefahr von Depression. Wer bei<br />

keinem oder nur bei einem der genannten Punkte Bedauern<br />

äußert, ist erfahrungsgemäß zufrieden und glücklich mit<br />

seinem Leben.<br />

Alter ist der kurze Übergang zum Tod. Das Alter tritt ein. Unhöflich, ungezogen,<br />

ohne anzuklopfen. Plötzlich steht es im Raum. Man schaut es<br />

an, ist überrascht, sagt: „Ach da bist Du ja. Kommst Du nicht etwas zu<br />

früh?“ Es sagt: „Hast Du mich nicht kommen sehen?“ „Nein“, sage ich,<br />

„ich hatte keine Zeit, ich war zu sehr mit der Jugend beschäftigt.“ Es nickt und murmelt mürrisch: „Sie sind alle nicht vorbereitet.<br />

Altern muss man üben. Manche beherrschen es schon in sehr jungen Jahren.“ „Ich werde es lernen. Ich liebe das Alter.“<br />

Das Alter mustert mich verächtlich. „Wenn Du mir jetzt noch diesen dümmsten Satz, der zu diesem Thema je gesagt wurde,<br />

nämlich, dass man immer so alt wäre, wie man sich fühle, während doch die Mehrzahl immer nur spielt, dass sie sich so fühle,<br />

als wäre sie jünger als ihr Alter, zumutest, dann bist Du bereits zur Hälfte in der Gruft.“ Ich war so empört darüber, dass mich<br />

das Alter duzt, dass ich die Gruft glatt überhörte. „Verlassen Sie sofort mein Haus!“ schrie ich. Das Alter lächelte überlegen<br />

und verließ das Haus. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, saß es an meinem Bett, grinste und sagte: „Hallo Alter.“<br />

Es wohnt jetzt bei mir. Ich hasse es. Aber es hilft nichts. Es ist nicht umzubringen. Unverwüstlich.<br />

Ach so, und dieser immer wieder einschlagende Satz, den mein Alter so zynisch kommentierte. Ich weiß jetzt, wie er lauten<br />

muss: So wie man sich fühlt, so alt ist man auch.<br />

Tagesspiegel, 18. März 2000<br />

Foto: Wikipedia


Aktuelles aus dem EZI<br />

Christel Riemann-Hanewinckel<br />

Mitglied des Deutschen Bundestags, Parlamentarische Staatssekretärin a.D.<br />

Späte Schwangerschaftsabbrüche in der Diskussion:<br />

Aktuelle Entwicklungen im Deutschen Bundestag<br />

Im geeinten Deutschland gab es 1990 zwei rechtlich gegensätzliche<br />

Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Im<br />

Osten galt seit 1972 die Fristenregelung: Innerhalb der ersten<br />

12 Wochen entschied die Frau über die Schwangerschaft. Es<br />

gab weder Beratungspflicht noch Indikationen oder Strafandrohung.<br />

Über einen Abbruch nach der 12. Woche entschied<br />

eine Ärztekommission.<br />

In der BRD „alt“ galt seit 1979 die Indikationslösung: In den<br />

ersten 12 Wochen war ein straffreier Abbruch möglich aus<br />

psychosozialen Gründen. Darüber hinaus gab es eine kriminologische<br />

und die embryopathische Indikation, die vor<br />

allem auf späte Abbrüche zutraf.<br />

Im Bundestag lagen 1992 fünf Gesetzentwürfe <strong>für</strong> eine Neuregelung<br />

vor. Keiner davon bekam die notwendige Anzahl an<br />

Stimmen.<br />

Ein Gruppenantrag, der vor allem von Frauen aus SPD und<br />

FDP erarbeitet worden war, erhielt schließlich die Mehrheit.<br />

Das Konzept basierte vor allem auf der freiwilligen Beratung<br />

der Frauen und dem sozialpolitischen Begleitgesetz, das<br />

Hilfen in schwierigen Situationen, Kindergartenplätze und<br />

anderes vorsah. Im Mittelpunkt standen <strong>für</strong> uns die Frauen<br />

als verantwortliche Menschen, die nicht leichtfertig einen<br />

Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen. Wir waren<br />

und sind davon überzeugt, dass das werdende Kind nur mit<br />

der Mutter und nicht gegen sie geschützt werden kann.<br />

Das Bundesverfassungsgericht verwarf 1993 Teile des Gesetzes<br />

und forderte vor allem die Beratungspflicht <strong>für</strong> die<br />

Frauen. Nur dann sollte ein Schwangerschaftsabbruch bis<br />

zur 12. Woche straffrei sein.<br />

Nach langen, intensiven Debatten fanden wir dann 1995<br />

einen Kompromiss. Es wurde das „Gesetz zur Vermeidung<br />

und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten“ (Schwangerschaftskonfliktgesetz)<br />

verabschiedet und die § 218 und<br />

§ 219 des Strafgesetzbuches geändert bzw. erweitert.<br />

Schwangerschaftsabbrüche bleiben nun in den ersten 12<br />

Schwangerschaftswochen straffrei, wenn die Frau eine psychosoziale<br />

Beratung in Anspruch nimmt.<br />

35<br />

Abbrüche nach der 12. Schwangerschaftswoche bleiben seit<br />

1995 nach § 218a dann straffrei, wenn Ärztin oder Arzt eine<br />

medizinische Indikation stellen. Eine medizinische Indikation<br />

liegt dann vor, wenn eine Fortsetzung der Schwangerschaft<br />

die physische oder psychische Gesundheit bzw. das Leben<br />

der schwangeren Frau gefährdet.<br />

Ein wichtiger Teil des Schwangerschaftskonfliktgesetzes von<br />

1995 ist der Auftrag an den Gesetzgeber, die Entwicklung der<br />

Beratung und der Abbrüche über eine Statistik zu dokumentieren<br />

und eventuell gesetzgeberisch zu reagieren, wenn<br />

zum Beispiel die Zahl der Abbrüche stetig steigend wäre<br />

oder sich andere Defizite der gesetzlichen Regelung zeigen.<br />

Wenn ich mir die vergangenen10 Jahre anschaue, fallen mir<br />

drei „Bewegungen“ auf, die die aktuelle Diskussion beeinflussen.<br />

Erste Bewegung:<br />

Die Gesamtzahl der Schwangerschaftsabbrüche ist nicht<br />

gestiegen, sondern gesunken. Besonders deutlich ist dies<br />

bei den Abbrüchen nach der 12. Schwangerschaftswoche.<br />

Von 1996 bis 2007 sind diese um 36 %, von 4818 auf 3072<br />

gesunken. Auch der Anteil der späten Abbrüche an der<br />

Gesamtzahl an Schwangerschaftsabbrüchen ist von 3,7% im<br />

Jahr 1996 auf 2,6% im Jahr 2007 gesunken.<br />

Zweite Bewegung:<br />

Seit Ende der 90er Jahre gibt es intensive Bemühungen seitens<br />

der CDU/CSU, gesetzliche Reglungen zu erarbeiten, um<br />

späte Abbrüche grundsätzlich zu verhindern. Immer wieder<br />

gab es im Bundestag Gespräche zwischen der SPD und<br />

der CDU/CSU, die aber zu keinem gemeinsamen Ergebnis<br />

kamen. Dabei stand vonseiten der CDU/CSU die Forderung<br />

nach einer gesetzlichen Pflichtberatung <strong>für</strong> die Frauen im<br />

Zentrum.


36<br />

Für die SPD war und ist wichtig, den Frauen ihren Rechts-<br />

anspruch auf jede Art von Beratung und Unterstützung vor,<br />

während und nach einer Schwangerschaft bekannt zu machen.<br />

Wir wollen die Lücke zwischen der Beratung vor und<br />

nach der Pränataldiagnostik durch Ärztinnen und Ärzte und<br />

den Angeboten psychosozialer Beratungsstellen schließen.<br />

Ein Appell an den Gemeinsamen Bundesausschuss der<br />

Ärzte und Krankenkassen, den Mutterpass zu einem Informationsdokument<br />

<strong>für</strong> die Schwangeren umzugestalten, war<br />

nicht erfolgreich.<br />

Dritte Bewegung:<br />

Seit 1995 hat sich die medizinische Betreuung, vor allem die<br />

Pränataldiagnostik rasant entwickelt. Eine Diagnostik, die<br />

vor mehr als 30 Jahren <strong>für</strong> wenige Risikoschwangerschaften<br />

genutzt wurde, steht nun jeder Schwangeren zur Verfügung.<br />

Sie verschafft vielen werdenden Müttern Gewissheit und ein<br />

erstes „Foto“ von dem, was sie „unter dem Herzen“ tragen.<br />

Vielen Frauen aber bringt sie Ängste, Zweifel und Ungewissheit,<br />

wenn es keinen eindeutigen „Befund“ gibt. Aus der Kontrolle<br />

wird dann oft die gezielte Suche nach Auffälligkeiten,<br />

Fehlbildungen und Erkrankungen. Werdende Mütter werden<br />

nicht immer vorher informiert, welchen Zweck bestimmte<br />

Untersuchungen haben, darüber, dass sie ein Risiko <strong>für</strong> die<br />

Schwangerschaft bedeuten können, dass sie mit Befunden<br />

konfrontiert werden können, die Entscheidungen fordern.<br />

Ich sehe es als dringend an, dass Frauen ergebnisoffen auf<br />

Pränataldiagnostik hingewiesen werden. Dazu gehört auch,<br />

pränatale Diagnostik ablehnen zu können, anders gesagt,<br />

das Recht auf Nichtwissen zu bekommen. Schwangerschaft<br />

ist keine Krankheit, sondern ein normaler und doch eben<br />

„anderer Umstand“. Dem muss die Medizin Rechnung tragen.<br />

Der Gesetzgeber tut es durch die geplante Regelung im<br />

Gendiagnostikgesetz. Im Entwurf ist die Beratungspflicht<br />

durch Ärztin bzw. Arzt vor und nach allen vorgeburtlichen<br />

genetischen Untersuchungen vorgesehen. Außerdem werden<br />

Ärztin bzw. Arzt verpflichtet, auf den Rechtsanspruch<br />

der Schwangeren auf psychosoziale Beratung hinzuweisen,<br />

den sie nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz hat.<br />

Die aktuelle Situation im Deutschen Bundestag<br />

Nach 14 Jahren Praxis mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz,<br />

einer guten Praxis der Beratungsstellen, und der<br />

Vorstellung des Entwurfs <strong>für</strong> ein Gendiagnostikgesetz, gibt<br />

es eine Reihe von Abgeordneten aus CDU/CSU, SPD, FDP<br />

und Grünen, <strong>für</strong> die die bisherigen Regelungen nicht ausreichend<br />

sind. Sie setzen sich <strong>für</strong> eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes<br />

ein. In einer Debatte1 wurden<br />

im Dezember 2008 drei Gesetzesentwürfe 2 3 4 und zwei<br />

Anträge 5 6 in die parlamentarische Beratung eingebracht.<br />

Ich unterstütze den Antrag „Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen<br />

während der Schwangerschaft ausbauen – Volle<br />

Teilhabe <strong>für</strong> Menschen mit Behinderungen sicherstellen“. Ich<br />

bin der Überzeugung, dass es innerhalb der bestehenden<br />

gesetzlichen Regelungen möglich ist, die Beratung und die<br />

Betreuung der schwangeren Frauen zu verändern und zu<br />

verbessern.<br />

Die drei Gesetzentwürfe sind sich in ihren Hauptforderungen<br />

einig, auch wenn sie sich darüber hinaus in einigen Details<br />

unterscheiden. Ich möchte sie hier zusammenfassend vorstellen:<br />

Die Ärztin oder der Arzt werden verpflichtet, im Hinblick auf<br />

die medizinischen und psychosozialen Aspekte der Diagnose<br />

ausführlich zu beraten. Dabei soll im Gespräch oder durch<br />

geeignete Materialien über das Leben mit einem behinderten<br />

Kind informiert und der Kontakt zu Selbsthilfegruppen und<br />

Behindertenverbänden hergestellt werden. Ärztin oder Arzt<br />

sollen auf psychosozialen Beratungsstellen hinweisen und<br />

dorthin vermitteln. Im Entwurf der FDP-Fraktion ist darüber<br />

hinaus vorgesehen, dass Ärztin oder Arzt darauf hinwirken<br />

sollen, dass die Schwangere das psychosoziale Beratungsangebot<br />

auch tatsächlich wahrnimmt.<br />

In jedem Fall soll die Schwangere die stattgefundene ärztli-<br />

che Beratung bzw. ihren Verzicht auf eine Beratung schrift-<br />

lich bestätigen. Der Inhalt der Beratung soll dokumentiert<br />

werden.<br />

Nach der Beratung muss eine Frist von drei Tage eingehalten<br />

werden, ehe durch Ärztin oder Arzt die Indikation <strong>für</strong> einen<br />

Schwangerschaftsabbruch ausgestellt werden darf (außer in<br />

1 Plenarprotokoll 16/196<br />

2 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“ (Bundestagsdrucksache 16/11106), initiiert von CDU/CSU-Fraktion<br />

3 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten“ (Bundestagsdrucksache 16/11347)<br />

initiiert von Teilen der SPD-Fraktion und Teilen der Fraktion Bündnis 90/Grüne<br />

4 „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes“ (Bundestagsdrucksache 16/11330), initiiert von der FDP-Fraktion<br />

5 Antrag an die Bundesregierung „Wirkungsvolle Hilfen in Konfliktsituationen während der Schwangerschaft ausbauen – Volle Teilhabe <strong>für</strong> Menschen mit Behinderungen<br />

sicherstellen“ (Bundestagsdrucksache 16/11342) Initiiert von Teilen der SPD-Fraktion und Abgeordneten der Fraktion Bündnis90/Grüne<br />

6 Weiterhin in den Bundestag eingebracht wurde der Antrag „Späte Schwangerschaftsabbrüche – Selbstbestimmungsrecht von Frauen stärken“ (Bundestagsdrucksache<br />

16/11377), initiiert von der Fraktion Die Linke. Dieser Antrag konzentriert sich vor allem auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Da er inhaltliche<br />

Mängel aufweist und sich auch mit seinen Forderungen das Ziel eher verfehlt, halte ich ihn <strong>für</strong> einen wenig wertvollen Beitrag zur Diskussion.


lebensbedrohlichen Situationen). Damit soll der Schwange-<br />

ren eine Bedenkzeit eingeräumt werden.<br />

CDU/CSU und FDP fordern in ihren Entwürfen außerdem,<br />

dass Informationen wie die diagnostizierte Fehlbildung bzw.<br />

die genetische Auffälligkeit und die Schwangerschaftswoche<br />

statistisch erfasst werden.<br />

Die Gesetzentwürfe konzentrieren sich auf die Beratung der<br />

Frauen hin zu einem Leben mit einem behinderten Kind.<br />

Dies, sowie die gewünschte Einführung einer dreitägigen<br />

Bedenkfrist, erweckt den Eindruck, dass die Schwangeren<br />

darüber entscheiden können, ob der vorliegende Befund<br />

einen Abbruch rechtfertigt. Tatsächlich aber sind es Ärztin<br />

oder Arzt, die feststellen, dass es eine medizinische Indikation<br />

<strong>für</strong> einen Abbruch gibt. Die Schwangeren selbst müssen<br />

dann entscheiden, ob sie der medizinischen Indikation folgen,<br />

oder ob sie einen Abbruch ablehnen. Sie können und<br />

dürfen nicht entscheiden, ob Gründe <strong>für</strong> eine medizinische<br />

Indikation vorliegen. Es geht nicht darum, sich wie in den<br />

ersten zwölf Schwangerschaftswochen <strong>für</strong> oder gegen eine<br />

Schwangerschaft an sich zu entscheiden.<br />

Die Initiatorinnen und Initiatoren der vorliegenden Gesetz-<br />

entwürfe erwarten eine Verringerung der Spätabtreibungen.<br />

Durch die vorgesehenen Regelungen drücken sie aus meiner<br />

Sicht ein großes Misstrauen gegenüber den Frauen, aber<br />

auch gegenüber den Ärztinnen und Ärzten aus. Sie bauen<br />

Hürden und erhöhen den Druck auf die Betroffenen.<br />

Sie wollen über das Leben mit einem eventuell behinderten<br />

Kind informieren und unterstellen damit, dass die Eltern ein<br />

Kind leichtfertig abtreiben würden. Dabei lassen sie außer<br />

Acht, dass es <strong>für</strong> einen großen Teil der Schwangeren nicht<br />

darum geht, sich <strong>für</strong> oder gegen das Leben mit einem behinderten<br />

Kind zu entscheiden. Ärztin oder Arzt stellen oft dann<br />

eine medizinische Indikation <strong>für</strong> einen Abbruch, wenn eine<br />

so schwere Schädigung des erwarteten Kindes vorliegt, dass<br />

es außerhalb des Mutterleibs nicht lebensfähig ist.<br />

Die geforderte dreitägige Bedenkzeit unterstellt, dass die Frau-<br />

en sich ohne Bedenken von ihrem gewünschten Kind trennen<br />

und rückt außerdem den späten Abbruch in die Nähe des §218.<br />

Die vorgesehene statistische Erhebung der Diagnosen, die<br />

zum Abbruch geführt haben, verletzt das Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Ärztin bzw. Arzt und Patientinnen. Sie ist auch<br />

aus Datenschutzgründen sehr bedenklich.<br />

Ich bin davon überzeugt, dass die seit 1995 bestehenden<br />

gesetzlichen Regelungen <strong>für</strong> Schwangerschaftsabbrüche<br />

jenseits der zwölften Woche nach wie vor ausreichend sind.<br />

37<br />

Medizinische Beratung durch Ärztinnen und Ärzte ist eine<br />

Selbstverständlichkeit. Sie ist verpflichtend im Standesrecht<br />

geregelt. Im Hinblick auf Pränataldiagnostik hat die Bundesärztekammer<br />

1998 und 2003 ein Beratungskonzept entwickelt,<br />

das aber kaum Anwendung findet.<br />

Patientinnen und Patienten haben bei pränataldiagnosti-<br />

schen Untersuchungen wie bei jeder anderen medizinischen<br />

Untersuchung oder Behandlung das Recht darauf, von ihrer<br />

behandelnden Ärztin bzw. dem Arzt umfassend aufgeklärt<br />

zu werden. Dabei muss auch thematisiert werden, ob und<br />

in welchem Umfang eine pränataldiagnostische Abklärung<br />

überhaupt gewünscht wird, welche Konsequenzen eine<br />

Diagnose <strong>für</strong> die Schwangere nach sich ziehen kann. Dies<br />

beinhaltet nicht zuletzt das Recht auf Nichtwissen, auf den<br />

Verzicht auf Pränataldiagnostik. Im Hinblick auf genetische<br />

pränataldiagnostische Untersuchungen ist dies im Gendiagnostikgesetz<br />

bereits geregelt. Wünschenswert ist ein<br />

solches Vorgehen <strong>für</strong> alle pränatalen Untersuchungen, dies<br />

könnte in den Mutterschaftsrichtlinien geregelt werden.<br />

Das Recht auf psychosoziale Beratung ist <strong>für</strong> werdende Eltern<br />

bereits gesetzlich garantiert. Dieses Recht, wie auch die bestehenden<br />

Rechte als Patientin auf medizinische Aufklärung<br />

und Beratung, müssen in erster Linie bekannter gemacht<br />

werden. Da<strong>für</strong> bietet es sich beispielsweise an, den Mutterpass<br />

zu einem Informationsdokument <strong>für</strong> die Schwangeren<br />

umzugestalten, in dem auf psychosoziale Beratungsstellen<br />

hingewiesen wird.<br />

Psychosoziale Begleitung und Beratung ist ein Angebot <strong>für</strong><br />

alle Phasen einer Schwangerschaft. Ambivalenzen, Sorgen,<br />

Ängste, die durch eine – auch gewollte – Schwangerschaft<br />

ausgelöst werden, machen Gesprächspartnerinnen auch<br />

außerhalb der Partnerschaft bzw. der Familie nötig.<br />

Im Falle eines auffälligen pränataldiagnostischen Befundes<br />

braucht die schwangere Frau Angebote, Zeit und Raum <strong>für</strong><br />

Trauer und Abschied. Ihre Hoffnungen und Vorstellungen<br />

werden gänzlich in Frage gestellt. Unabhängig von einer<br />

Indikationsstellung durch Ärztin bzw. Arzt sind Verarbeitungsangebote<br />

sinnvoll. Da<strong>für</strong> aber Zeiträume festzulegen<br />

oder diese verpflichtend zu machen, widerspricht aller<br />

Beratungserfahrung und -praxis.<br />

Es ist notwendig, dass psychosoziale Beratungsstellen und<br />

pränataldiagnostische Zentren in der Beratung und Betreuung<br />

der Schwangeren enger zusammenarbeiten.<br />

Für die medizinische wie <strong>für</strong> die psychosoziale Beratung im<br />

Zusammenhang mit Spätabbrüchen müssen alle Beteiligten<br />

besonders qualifiziert sein.


38<br />

Der Abschlussbericht eines Modellprojektes 7 , das vom<br />

Bundesministerium <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

gefördert wurde, macht die Notwendigkeit der Kooperation<br />

der verschiedenen Professionen und ihre Qualifizierung bzw.<br />

ständige Weiterbildung deutlich<br />

Den Mut, sich auf das Leben mit einem eventuell schwer<br />

behinderten Kind einzustellen, werden die Eltern sicherlich<br />

nicht in einem Beratungsgespräch oder in einer gesetzlich<br />

auferlegten Bedenkzeit fassen. Nur wenn es gelingt, die<br />

Lebens-, Lern- und Arbeitsbedingungen <strong>für</strong> Menschen mit<br />

Behinderungen und ihre Familien zu verbessern, kann den<br />

werdenden Eltern ein Teil der Angst vor einem eventuell<br />

behinderten Kind genommen werden.<br />

Ein später Schwangerschaftsabbruch ist <strong>für</strong> alle handelnden<br />

Personen eine Grenzüberscheitung: <strong>für</strong> die werdende<br />

Mutter, die Hebammen, die Beraterinnen, die Ärztinnen und<br />

Ärzte. Gesetzliche Regelungen werden daran nichts ändern,<br />

sie werden auch nicht die Zahl der Abbrüche verringern.<br />

Aber sie können da<strong>für</strong> sorgen, dass die Betroffenen Raum<br />

haben, verantwortliche und verantwortbare Entscheidungen<br />

zu treffen. Misstrauen, Überwachungen und Unterstellungen<br />

engen diese Räume ein.<br />

7 Abschlussbericht zum Modellprojekt „Entwicklung, Erprobung und Evaluation eines Curriculums <strong>für</strong> die Beratung im Zusammenhang mit vorgeburtlichen<br />

Untersuchungen (Pränataldiagnostik) und bei zu erwartender Behinderung des Kindes“ 2002 bis 2005<br />

Claudia Heinkel<br />

Fachinformationsdienst des Diakonischen Werkes der EKD<br />

Arbeitsfeld <strong>Familienberatung</strong> und Familienpolitik<br />

Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes<br />

(SchKG) beschlossen<br />

Mit klarer Mehrheit hat der Bundestag am 13. Mai einen<br />

fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Änderung des<br />

SchKG angenommen.<br />

Dem Bundestag lagen am 13. Mai vier Gesetzentwürfe zur<br />

Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes und zwei<br />

Anträge auf untergesetzliche Regelungen zur Abstimmung<br />

vor. Der Ausschuss <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

des Deutschen Bundestags hat in seiner Beschlussempfehlung<br />

(Drs 16/12970) vom 11. Mai 2009 den Abgeordneten<br />

empfohlen, die drei Gesetzentwürfe der Gruppen um Johannes<br />

Singhammer (Drs 16/11106), Kerstin Griese ( Drs 16/1134)<br />

und Ina Lenke (Drs 16/11330) zusammenzuführen und dazu<br />

einen Beschluss zu fassen. Außerdem hat er empfohlen, zu<br />

Artikel 4 Nr. 1 (Erweiterung der Statistik) dieses Gruppenantrags<br />

eine getrennte Abstimmung durchzuführen, weil dieser<br />

Regelungsvorschlag unter den Gruppen umstritten war.<br />

Die Mehrheit der Abgeordneten ist diesem Vorschlag gefolgt<br />

und hat in 3. Lesung mit 326 zu 234 Stimmen diesem gemeinsamen<br />

Gruppenantrag (ohne Artikel 4 Nr. 1 ) zugestimmt und<br />

eine Änderung des SchKG be<strong>für</strong>wortet. Der Gesetzenwurf<br />

zur Änderung des SchKG der Gruppe um Christel Humme<br />

(Drs 16/12664) war damit abgelehnt. Das Gesetz zur Änderung<br />

des SchKG wird am 1. Januar 2010 in Kraft treten.<br />

Zugleich wurde mit überwältigender Mehrheit (461 zu 62<br />

Stimmen) auch der Antrag auf untergesetzliche Regelungen<br />

der Gruppe um Christel Humme/Irmingard Schewe-Gerigk/<br />

Elke Ferner (Drs 16/11342) angenommen.<br />

Der Gesetzgeber will mit dieser Neuregelung sicherstellen,<br />

dass schwangere Frauen den Zugang zu psychosozialen<br />

Beratungsstellen erhalten und die wichtige Kooperation<br />

zwischen Ärzteschaft und psychosozialer Beratung sowie<br />

die Vernetzung der ärztlichen und psychosozialen Beratung<br />

gefördert wird, so die Beschlussempfehlung des Familienausschusses<br />

. Psychosoziale Beratung kann und sollte sich<br />

„zusammen mit der ärztlichen Versorgung als selbstverständlicher<br />

und integrativer Bestandteil der Betreuung von


Schwangeren im Kontext pränataler Diagnostik nicht nur vor<br />

dem Hintergrund einer medizinischen Indikation etablieren“<br />

(Seite 33). Die Neuregelung verlangt allen Beteiligten erhebliche<br />

Anstrengungen ab, beispielsweise in der (Weiter-)Entwicklung<br />

geeignetere Kooperationsformen von Ärztinnen/<br />

Ärzten und Beratungsstellen oder in der Weiterqualifizierung<br />

der Fachkräfte.<br />

Der Diakonie-Bundesverband hat im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens<br />

mit einer ausführlichen Stellungnahme<br />

<strong>für</strong> eine Änderung des SchKG votiert und zugleich darauf<br />

hingewiesen, dass es bereits vor Pränataldiagnostik der Aufklärung<br />

und Beratung bedarf - und vor allen Dingen besserer<br />

Rahmenbedingungen, die Menschen mit Behinderungen zu<br />

jedem Zeitpunkt ihres Lebens die volle Teilhabe am gesellschaftlichen<br />

Leben in allen Bereichen ermöglichen. Er hat<br />

die untergesetzlichen Regelungsvorschläge, wie sie die<br />

Gruppe um Christel Humme in ihrem Antrag ( Drs 16/11342)<br />

formuliert hat, ausdrücklich unterstützt.<br />

Der Diakonie-Bundesverband wird die Umsetzung der<br />

Neuregelung sorgfältig beobachten und begleiten und die<br />

erforderliche Fachdiskussion unter den Verantwortlichen<br />

<strong>für</strong> Schwangerschaftsberatung in den Diakonischen Werken<br />

unterstützen.<br />

Kernpunkte der Neuregelung sind:<br />

§ 1a SchKG:<br />

Die Bundeszentrale <strong>für</strong> gesundheitliche Aufklärung wird<br />

beauftragt, Informationsmaterial zum Leben mit einem<br />

geistig oder körperlich behinderten Kind und zum Leben von<br />

Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung<br />

zu erstellen. Das Material soll auch Hinweise auf den<br />

Rechtsanspruch nach § 2 SchKG und auf Kontaktadressen<br />

(Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen etc.) enthalten. Die<br />

Ärzte sollen dieses Informationsmaterial in der Beratung<br />

nach § 2a Abs. 1 SchKG aushändigen.<br />

§ 2 a SchKG Aufklärung und Beratung in besonderen<br />

Fällen<br />

Der neu eingefügte § 2a SchKG normiert eine Aufklärungsund<br />

Beratungspflicht <strong>für</strong> Ärztinnen und Ärzte nach einem<br />

auffälligen Befund nach Pränataldiagnostik (Absatz 1) und<br />

vor der Feststellung einer medizinischen Indikation <strong>für</strong> einen<br />

Schwangerschaftsabbruch (Absatz 2).<br />

§ 2a regelt also nicht nur die Beratung bei einem sogenann-<br />

ten Spätabbruch, sondern grundsätzlich die Beratung bei<br />

medizinischer Indikation - es sei denn bei akuter Gefahr <strong>für</strong><br />

Leib und Leben der Schwangeren.<br />

39<br />

§ 2a Absatz 1:<br />

Absatz 1 regelt die Aufklärungs- und Beratungspflicht des<br />

Arztes/der Ärztin bei der Mitteilung eines auffälligen Befundes<br />

nach PND: Die Ärztin/der Arzt hat über die medizinischen<br />

und psychosozialen Aspekte, die sich aus dem Befund<br />

ergeben unter Hinzuziehung von Ärztinnen oder Ärzten, die<br />

mit dieser Gesundheitsschädigung bei geborenen Kindern<br />

Erfahrung haben, zu beraten.“<br />

Die Begründung der Beschlussempfehlung des Familienaus-<br />

schusses nennt ausdrücklich Pädiater, Neonatologen und<br />

spezialisierte Ärzte, ggf. auch HumangenetikerInnen.<br />

Die Beratung durch die ÄrztInnen hat allgemeinverständlich,<br />

wertneutral und ergebnisoffen zu erfolgen.<br />

Für diese ganzheitliche Beratung ist eine Fortbildung und<br />

Qualifizierung der Ärzteschaft und der Änderung der<br />

geltenden Richtlinien erforderlich, so die Begründung der<br />

Beschlussempfehlung.<br />

Absatz 1 normiert auch eine Vermittlungspflicht der Ärztin/<br />

des Arztes an psychosoziale Beratungsstellen nach § 3 SchKG<br />

sowie an Selbsthilfegruppen und Behindertenverbände: Die<br />

Ärzttinnen und Ärzte müssen über die Möglichkeit einer<br />

vertiefenden psychosozialen Beratung in einer Schwangerschaftsberatungsstelle<br />

informieren und im Einverständnis<br />

mit der Schwangeren dorthin vermitteln, ebenso wie zu<br />

Selbsthilfegruppen oder Behindertenverbänden.<br />

Die Begründung präzisiert diese Vermittlungspflicht: Diese<br />

Vermittlung hat im Einvernehmen mit der Schwangeren zu<br />

erfolgen, die dies auch ablehnen kann. Vermittlung umfasst<br />

die Aufgabe, einen Kontakt zur Beratungsstelle herzustellen<br />

und nicht nur den Hinweis oder die Weitergabe von Kontaktadressen.<br />

In der Begründung der Beschlussempfehlung des Famili-<br />

enausschusses heißt es dazu: „Hierzu soll die Kooperation<br />

zwischen Ärzteschaft und psychosozialer Beratung wobei<br />

die Vernetzung der ärztlichen und psychosozialen Beratung<br />

gefördert werden.“ (Seite 33)<br />

Durch die Informations- und Vermittlungspflicht nach Absatz<br />

1 wird gewährleistet, dass schwangere Frauen den Zugang<br />

zur psychosozialen Beratung erhält, so die Begründung der<br />

Beschlussempfehlung.<br />

§ 2a Absatz 2:<br />

Absatz 2 regelt die Aufklärungs- und Beratungspflicht des<br />

Arztes/der Ärztin vor der Feststellung einer medizinischen<br />

Indikation: Sofern keine akute Gefahr <strong>für</strong> Leib und Leben der<br />

Mutter vorliegt, soll die Schwangere über die medizinischen


40<br />

und psychischen Aspekte des Schwangerschaftsabbruchs<br />

beraten werden. Im Einvernehmen mit der Schwangeren ist<br />

ein Kontakt zur Beratungsstelle zu vermitteln – es sei denn,<br />

dies ist bereits aufgrund eines auffälligen Befundes nach<br />

Pränataldiagnostik erfolgt.<br />

Absatz 2 Satz 2 normiert eine mindestens dreitägige Be-<br />

denkzeit zwischen der Mitteilung eines auffälligen Befundes<br />

und der Feststellung einer medizinischen Indikation <strong>für</strong> einen<br />

Schwangerschaftsabbruch. Falls eine ausschließlich mütterliche<br />

Indikation vorliegt, ist diese Bedenkzeit zwischen der<br />

Beratung nach § 2a Absatz 2 und der Feststellung einer<br />

medizinischen Indikation einzuhalten.<br />

Dies soll der Schwangeren ermöglichen, nicht im Schock-<br />

zustand der Befundmitteilung eine Entscheidung treffen zu<br />

müssen sowie den Arzt / die Ärztin in die Lage versetzen,<br />

eine fundierte Einschätzung <strong>für</strong> die Feststellung einer medizinischen<br />

Indikation treffen zu können, so die Begründung in<br />

der Beschlussempfehlung.<br />

§ 2a Absatz 3:<br />

Absatz 3 regelt die Verpflichtung des Arztes / der Ärztin, der<br />

bzw die die Feststellung einer medizinischen Indikation trifft,<br />

eine schriftliche Bestätigung der Schwangeren über die ärzt-<br />

Impressum<br />

liche Beratung und Vermittlung nach Absatz 1 oder Absatz 2<br />

oder über den Verzicht darauf einzuholen.<br />

Die Begründung der Beschlussempfehlung verweist auf<br />

die berufsordnungsrechtliche bzw. krankenhausrechtliche<br />

Pflicht der Ärztinnen und Ärzte zur Dokumentation: Sie<br />

haben die Erfüllung ihrer Pflichten nach den Absätzen 1 bis<br />

3 nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen<br />

Wissenschaft zu dokumentieren.<br />

Die in den verschiedenen Gesetzentwürfen ursprünglich<br />

vorgesehene Verpflichtung <strong>für</strong> die Ärzteschaft, die Dokumentation<br />

der Beratung und Vermittlung nach Absatz 1 und<br />

Absatz 2 an eine Behörde auszuhändigen, ist im Gesetz<br />

nicht mehr enthalten.<br />

§ 14 Absatz 1:<br />

Verstöße gegen die Beratungspflicht nach § 2a Absatz 1 und<br />

2 oder gegen die vorgeschriebene Bedenkzeit nach § 2a<br />

Absatz 2 Satz 2 sind ordnungswidrig und können mit einer<br />

Geldstrafe bis zu 5.000 Euro bestraft werden.<br />

Link zum Plenarprotokoll:<br />

http://www.bundestag.de/bic/plenarprotokolle/pp_pdf/16221.pdf<br />

Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsausschusses <strong>für</strong> Familie, Senioren, Frau-en und Júgend vom 11. Mai 2009<br />

(Drs 16/12970)<br />

Herausgeber<br />

<strong>Evangelisches</strong> <strong>Zentralinstitut</strong> <strong>für</strong> <strong>Familienberatung</strong> gem. GmbH , Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte<br />

Tel.: 030 / 283 95 200, Fax: 030 / 283 95 222, Email ezi@ezi-berlin.de, www.ezi-berlin.de<br />

ISSN 0724-3995<br />

Redaktion<br />

Dieter Wentzek, Sabine Hufendiek, Christine Korth<br />

Bilder<br />

Gestaltung<br />

Reiner Kolodziej, graphic und design, Tel. 030 773 93 288<br />

Druck<br />

mediaray-graphics, druckerei im Kirchenkreis Steglitz<br />

Parallelstraße 29a, 12209 Berlin, Tel. 030 773 93 288<br />

Die EZI-<strong>Korrespondenz</strong> wird auch auf Anfrage zugesandt.<br />

Sie ist im Handel nicht erhältlich.<br />

Die Arbeit des Evangelischen <strong>Zentralinstitut</strong>s <strong>für</strong> <strong>Familienberatung</strong> gem. GmbH wird aus Mitteln des BMFSFJ gefördert.


<strong>Evangelisches</strong> <strong>Zentralinstitut</strong> <strong>für</strong> <strong>Familienberatung</strong><br />

Veranstaltungskalender 2010<br />

04.01. – 08.01. Schwangerschaftskonfliktberatung / Einführungskurs 18/1 A<br />

11.01. – 15.01. Paarberatung / Aufbaukurs 23/1<br />

15.01. – 18.01. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 10/7<br />

19.01. – 21.01. Vertiefungskurs <strong>für</strong> erfahrene Fachkräfte im Kinderschutz<br />

nach § 8a<br />

27.01. – 29.01. Das neue FamFG und die Herausforderungen <strong>für</strong> die Bera-<br />

tung: Strukturierte Angebote <strong>für</strong> Hochkonflikt-Familien<br />

28.01. – 30.01. „Väter als neue Mütter und andere Männer“ – eine neue<br />

Klientel in den Beratungsstellen?<br />

01.02. – 05.02. Sexualpädagogische Arbeit und Familienplanung mit Ju-<br />

gendlichen und jungen Erwachsenen, Grundlagenkurs<br />

01.02. – 03.02. Traumaberatung Kurs 5<br />

05.02. – 07.02. Psychosoziale Beratung im Kontext pränataler Diagnostik /<br />

Einführungs- und Informationskurs<br />

05.02. – 07.02. „Atempause“ <strong>für</strong> Menschen in beratenden Berufen<br />

08.02. – 10.02 Notfallpsychologische Akutinterventionen (NoPAI), Kurs III<br />

09.02. – 11.02. Rolle und Verantwortungsprofil einer „Erfahrenen Fachkraft<br />

nach § 8a“ im neuen Bundeskinderschutzgesetz<br />

12.02. – 14.02. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 11/2<br />

16.02. – 18.02. Gewalt zwischen den Generationen<br />

19.02. – 20.02. „Wahnsinnskinder und Kinder frühgestörter Eltern<br />

19.02. – 21.02. Untreue als Thema in der Paarberatung – zwischen Schock,<br />

Scheitern und Neubeginn<br />

22.02. – 25.02. SAFE ® - Sichere Ausbildung Für Eltern / Trainingspro<br />

gramm zur Ausbildung als SAFE ® -Mentor/in<br />

23.02. – 25.02. „Auf eigenen Beinen stehen …“ / Ein Präventionsprogramm<br />

<strong>für</strong> Eltern mit 0 bis 3j. Kindern: vertrauen – spielen – lernen<br />

24.02. – 26.02. Kinder im Blick – KiB / Zweiteilige Fortbildung zum/zur<br />

Trainer/in <strong>für</strong> das Elternprogramm „Kinder im Blick“ (KiB) 6/1<br />

01.03. – 12.03. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 50/2<br />

12.03. – 13.03. IFB - Zulassungstagung<br />

17.03. – 19.03. „Schnell, … aber fair?“ / Mediative Techniken in der<br />

gerichtsnahen Trennungs- und Scheidungsberatung:<br />

Entschleunigung statt Beschleunigung! Basiskurs<br />

18.03. Lehrsupervisionstag<br />

19.03. – 21.03. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 10/8<br />

22.02. – 27.03. Therapeutisches Spiel und Beratung mit Kindern und<br />

Jugendlichen<br />

26.03. – 28.03. Zur Psychodynamik von Lern- und Leistungsstörungen bei<br />

Kindern und Jugendlichen – Leserechtschreib- und Rechen<br />

schwächen in der Beratung<br />

12.04. – 23.04. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 49/4<br />

14.04. – 16.04. Coaching <strong>für</strong> Führungs- und Leitungskräfte / Personalfüh-<br />

rung in Krisenzeiten<br />

22.04. – 24.04. Eltern-Kind-Beratung bei frühen Interaktionsstörungen<br />

26.04. – 30.04. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Kurs 11/2<br />

26.04. – 30.04. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Grundkurs<br />

03.05. – 07.05. Psychosoziale Beratung im Kontext pränataler Diagnostik /<br />

Kurs 1<br />

05.05. – 07.05 Erfolgreich coachen – Strategien und Methoden<br />

10.05. – 11.05. Lebensrückblick als Therapie<br />

12.05. – 14.05. Kinder im Blick – KiB / 6/2<br />

14.05. – 16.05. „Hörst Du das kleine Nashorn weinen?“ – ein psychodrama-<br />

tischer Interventionsansatz mit Tierfiguren bei Kindern im<br />

Trennungs-/Scheidungskonflikt<br />

17.05. – 21.05. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Kurs 10/5<br />

18.05. – 20.05. Traumaberatung Kurs 6<br />

21.05. – 22.05. Zwischen Euphorie, Leere und Hass / Borderlineklienten in<br />

der Einzel-, Paar- und Erziehungsberatung<br />

25.05. – 27.05. Rolle und Verantwortung einer „Erfahrenen Fachkraft nach<br />

§ 8a“ im neuen Bundeskinderschutzgesetz<br />

27.05. – 28.05 Problem „Scheidungsfamilie“?<br />

28.05. – 30.05 Sexualität als Thema in der Schwangerschaftskonflikt-<br />

beratung<br />

31.05. – 02.06. Coaching bei Konflikten - Konfliktcoaching<br />

31.05. – 04.06. Schwangerschaftskonfliktberatung / Aufbaukurs 17/3<br />

04.06. – 05.06. IFB - Zulassungstagung<br />

07.06. – 18.06. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 48/6<br />

21.06. – 25.06. Paarberatung / Aufbaukurs 22/4<br />

24.06. – 26.06. Paartherapie mit allen Sinnen – Erlebnisintensivierende<br />

Übungen und Methoden<br />

Auguststraße 80 10117 Berlin - Mitte Tel. 030 / 283 95 200<br />

www.ezi-berlin.de<br />

41<br />

25.06. – 28.06. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 10/9<br />

28.06. – 30.06 Notfallpsychologische Akutinterventionen (NoPAI), Kurs I<br />

30.06. – 03.07. Paarberatung / Aufbaukurs 23/2<br />

02.07. – 05.07. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 11/3<br />

05.07. – 09.07. Schwierige Paare in der Paarberatung<br />

06.07. – 09.07. „Beratung und Rituale beim Thema Schuld, Schuldgefühl und<br />

Vergebung“<br />

14.07. – 16.07. Paarcoaching – Konfliktmanagement <strong>für</strong> turbulente Paare<br />

15.07. – 17.07. „Mein Selbstbewusstsein? – Also da ist gar nichts mehr …“<br />

Körperlich Kranke in der Beratung<br />

19.07. – 21.07. Psychotraumatologie, -beratung und -therapie, Modul 1<br />

19.07. – 22.07. SAFE ® - Sichere Ausbildung Für Eltern / Trainingspro-<br />

gramm zur Ausbildung als SAFE ® -Mentor/in<br />

22.07. – 24.07. „Schnell, … aber fair?“ / Mediative Techniken in der<br />

gerichtsnahen Trennungs- und Scheidungsberatung:<br />

Entschleunigung statt Beschleunigung! Aufbaukurs<br />

16.08. – 20.08. Fortbildung <strong>für</strong> Sekretärinnen, Verwaltungsangestellte in<br />

Beratungsstellen <strong>für</strong> Ehe-, Lebens- und Erziehungsberatung<br />

und Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

23.08. – 24.08. „Mit einem Netz ohne Löcher fängt man dicke Fische …“<br />

Netzwerkmanagement <strong>für</strong> Frühe Hilfen und effizienten<br />

Kinderschutz<br />

23.08. – 27.08. Schwangerschaftskonfliktberatung / Einführungskurs 18/1 B<br />

30.08. – 10.09. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 51/1<br />

10.09. – 11.09. Arbeit mit Süchtigen in der Beratung<br />

13.09. – 17.09. Sexualberatung mit Einzelnen und Paaren / Vertiefungskurs<br />

17.09. – 19.09. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 10/10<br />

22.09. – 24.09. Kinder im Blick – KiB / 7/1<br />

23.09. – 24.09. Was wollen Sie eigentlich von mir?<br />

24.09. – 26.09. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Workshop 11/4<br />

27.09. – 08.10. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 49/5<br />

11.10. – 15.10. Sexualpädagogische Arbeit und Familienplanung mit Ju-<br />

gendlichen und jungen Erwachsenen, Vertiefungskurs<br />

14.10. – 15.10. Prozesssteuerung in der Paartherapie<br />

Supervisionsseminar mit erlebnisaktivierenden Methoden<br />

15.10. – 17.10. Altern – Mehr als Abschied und Verlust?<br />

18.10. – 29.10. IFB - Integrierte Familienorientierte Beratung ® / Kurs 50/3<br />

23.10. Informationstag zur Fortbildung in Paarberatung<br />

30.10. Informationstag zur Weiterbildung in Supervision und<br />

Coaching<br />

01.11. – 05.11. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Kurs 11/3<br />

02.11. – 03.11. Fachtagung <strong>für</strong> Mentorinnen und Mentoren<br />

03.11. – 05.11. Zentrale Arbeitstagung der Mentorinnen und Mentoren<br />

05.11. – 06.11 IFB - Zulassungstagung<br />

11.11. – 13.11. Vergessen – Vergeben – Verletzt zusammen weiterleben?<br />

Zum Umgang mit Verletzungen aus paartherapeutischer<br />

Perspektive<br />

11.11. – 13.11. „Fremd(e) in der Beratung“ – Interkulturelle Aspekte in der<br />

Beratungsarbeit<br />

15.11. – 19.11. Schwangerschaftskonfliktberatung / Aufbaukurs 17/4<br />

17.11. – 19.11. Kinder im Blick – KiB / 7/2<br />

19.11. – 21.11. Psychotraumatologie, -beratung und -therapie, Modul 2<br />

19.11. – 21.11. Psychosoziale Beratung im Kontext pränataler Diagnostik /<br />

Workshop 1<br />

22.11. – 26.11. Weiterbildung in Supervision und Coaching / Kurs 10/6<br />

25.11. – 27.11. Die „unerhörten“ Botschaften der Kinder mit ADHS<br />

29.11. – 03.12. Schwangerschaftskonfliktberatung / Aufbaukurs 18/2<br />

29.11. – 03.12. Führen und Leiten<br />

03.12. – 04.12. „Und bist du nicht willig, so brauch ich ... „Schwierige Fälle in<br />

der Beratung – Praxis- und Supervisionstage 2010<br />

03.12. – 05.12. „Wie lange muss ich noch hierher kommen?“ Supervision<br />

von Beratungsprozessen mit Kindern und Jugendlichen<br />

06.12. – 07.12. Einmalige Beratung – Chance oder Scheitern?<br />

13.12. – 17.12. Paarberatung / Aufbaukurs 22/5

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