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iMAG 2011/01

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46<br />

diskutiert und diskutiert am Kamin und<br />

da sagte eine junge Frau, vergesse ich<br />

nie: „Ich habe jetzt die ganze Zeit nichts<br />

gesagt, aber jetzt muss ich. Ich verstehe<br />

euch überhaupt nicht, ihr sucht und<br />

sucht und zweifelt, wie könnte es gemeint<br />

sein, ich kann nur sagen, wie ich<br />

das Gedicht erlebe.“ Und da erzählte sie,<br />

dass sie in einer schweren Krise angefangen<br />

hatte zu joggen, immer auch an diesem<br />

Stück Lyrikweg. Jedes Mal habe sie<br />

vor dem Gedicht innegehalten, still gelesen<br />

und jedes Mal sei es ihr erleichternd<br />

ein wenig besser gegangen. Mir sind fast<br />

die Tränen gekommen, dass ein Mensch<br />

so etwas sagt. Das ist doch eine Wirkung<br />

von einem Gedicht!<br />

Die Literaturkritik, ja, sie öffnet dem<br />

Leser den Weg, wenn sie gut ist und<br />

nicht akademisch verschroben; wenn der<br />

Rezensent nicht – selbstverliebt in die<br />

Brillanz der eigenen Schreibe – seinen<br />

Gegenstand fast aus den Augen verliert,<br />

sondern den Leser wirklich an die Hand<br />

nimmt, ihm zeigt, was er sieht.<br />

Aber diese junge Frau sagt einfach: „Es<br />

geht mir besser.“ Oder eine alte Dame<br />

spricht mich auf der Straße an und sagt<br />

ganz schüchtern: „Darf ich Sie mal ansprechen?“<br />

Dann denke ich immer, wer<br />

oder was ist eigentlich ein Dichter? - da<br />

ist eine Kluft entstanden – diesen ‚heiligen<br />

Mythos‘ haben natürlich manche<br />

großen Dichter selbst gepflegt. Und von<br />

dem allen wegzukommen - das finde ich<br />

schön. Und dann sagt die alte Dame: „Sie<br />

beschreiben in Ihren Büchern vollkommen<br />

mein Leben hier draußen.“ Also so<br />

viel zu dieser Frage.<br />

Warum gerade Naturlyrik? Sie haben ja<br />

auch politische Gedichte geschrieben...<br />

Nun, ich lebe hier draußen und das ganz<br />

bewusst. Für mich ist Nähe zur Natur lebensnotwendig.<br />

Der Beton der Städte<br />

nährt mich nicht. Dazu kommt, dass Natur<br />

dramatisch bedroht ist in der heutigen<br />

Welt. Ich denke, das ist Anlass genug,<br />

über sie zu schreiben.<br />

Dabei geht es mir nicht primär um umweltpolitisches<br />

Engagement, das kann<br />

daraus entstehen, gar keine Frage, aber<br />

es ist kein poetologisches Programm. Ich<br />

habe in den 80er Jahren einen Essay geschrieben,<br />

für den ich (zusammen mit<br />

Gedichten) den Umweltliteraturpreis von<br />

NRW bekommen habe, da war dieser<br />

Aspekt noch drin. Und ich habe auch kein<br />

Problem damit, wenn sich Greenpeace<br />

oder andere ein Gedicht von mir ‚ausleihen‘.<br />

Aber sehen Sie: Im Schubladen-Denken<br />

der Literaturkritik ist Naturlyrik heute fast<br />

verpönt, entweder Naturverherrlichung<br />

oder Ökolyrik. Beides ist nicht mein Ding.<br />

Weder die schönen Sonnenuntergänge,<br />

noch die schlimmen Katastrophen. Heutige<br />

Gedichte über Natur müssen, denke ich,<br />

etwas ganz Anderes, Entscheidenderes<br />

erlebbar machen: Ganz einfach die unge-

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