Contura DE Frühling/Sommer 2022

«Das Leben ist wie eine
Zugsfahrt»
Fensterplatz
Ihre Augen schweifen suchend über den Bahnhof
Thusis. Erwarten Sie jemanden?
Ja – mein Sohn und eine Freundin kommen mit
dem Zug von Chur.
Fahren Sie selbst auch Zug?
Ja, und zwar immer. Wir haben kein Auto, obwohl
wir einigermassen abgelegen wohnen. Und ich
muss sagen: Ich geniesse es, mit dem BÜGA, dem
Bündner Generalabonnement, unterwegs zu sein.
Anita Lareida (61)
wohnt in Urmein.
Sie ist begeisterte Hausfrau
und Mutter.
Was genau gefällt Ihnen?
Zugfahren hat viele Facetten. Bin ich müde,
kann ich mich ausruhen, entspannen. Wenn ich
Gesellschaft will, suche ich das Gespräch – und
solche Gespräche gehen von Small Talk bis hin zu
tiefschürfenden Diskussionen über Gott und die
Welt. Manchmal wird’s fast philosophisch. Und im
besten Fall beginnen im Zug Freundschaften.
Freundschaften?
Viele Begegnungen sind nur Momentaufnahmen.
Aber vor einigen Jahren hat mir eine Frau im
Zug Trauben angeboten. Daraus ist zunächst ein
Gespräch und dann eben eine Freundschaft
entstanden. Seit unserem gemeinsamen Traubenessen
hat sie mich schon ein paar Mal besucht.
Das ist doch wunderschön!
Und wann wird’s philosophisch?
Letzthin ist mir durch den Kopf gegangen, dass das
Leben wie eine Bahnfahrt ist. Man steigt manchmal
in den falschen Zug ein, manchmal landet man in
einem Sackbahnhof. Aber man kann den Zug jederzeit
verlassen, eine neue Strecke, einen neuen Zug
wählen. Das ist tröstlich.
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