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277.TIROL - April 2022

Ausgabe 6, April 2022

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Virgen<br />

90<br />

tirol.denkt weiter tirol.denkt weiter 91<br />

Vorreiter in Sachen<br />

Klimaschutz<br />

GEMEINDE VIRGEN / OSTTIROL<br />

BILD: Bereits 2005<br />

installierte die Gemeinde<br />

Virgen das „Virger<br />

Mobil“, ein Fahrservice<br />

für die Bürger*innen.<br />

(© Gemeinde Virgen)<br />

DIE GEMEINDE<br />

VIRGEN LIEGT AUF<br />

1.194<br />

IM NATIONALPARK<br />

HOHE TAUERN,<br />

AM FUSSE DER<br />

VENEDIGERGRUPPE<br />

2.215<br />

EINWOHNER*INNEN<br />

m<br />

Im vergangenen Herbst wurde die Gemeinde Virgen in Osttirol bereits zum fünften Mal<br />

als „e5-Gemeinde“ mit der höchsten Auszeichnung „5e“ prämiert und erhielt das dritte<br />

Mal Gold beim „European Energy Award“. Aber Virgen ist schon länger Vorreiter in Sachen<br />

Umweltschutz und Energieeffizienz – in ganz Österreich. Von den Anfängen bis heute war es<br />

ein langer Weg, doch visionäres Denken und Einfallsreichtum machten ihn möglich.<br />

VON JAN SCHÄFER<br />

Noch bevor das „e5-Programm“ zur Förderung<br />

von Gemeinden bei ihrer Energie- und<br />

Klimapolitik ins Leben gerufen wurde, ging<br />

die Gemeinde Virgen die ersten Schritte<br />

in diese Richtung. Bereits in den 1980er<br />

Jahren begannen kreative Virger*innen in<br />

Form von Selbstbaugruppen erste thermische<br />

Solaranlagen zu errichten, was wohl<br />

auch auf die sonnenbegünstigte Lage der<br />

Gemeinde zurückzuführen ist. Um eine<br />

Grundlage und wissenschaftliche Werte<br />

für weitere Überlegungen und Planungen<br />

zu schaffen, wurde 1993 gemeinsam mit<br />

der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie<br />

und Geodynamik) eine Klimastation installiert.<br />

Ein Jahr später führte Virgen als erste<br />

Gemeinde Österreichs eine Förderung für<br />

Solaranlagen ein.<br />

„Das waren alles Vorläufe, bevor wir 1996<br />

dem Projekt ‚Energieautarke Gemeinde‘<br />

der ARGE Alp und dem Klimabündnis<br />

beitraten. Schon ein Jahr darauf bauten<br />

wir unser erstes Wasserkraftwerk am<br />

Virgerbach. Außerdem beschäftigten wir<br />

uns schon zu dieser Zeit mit dem Thema<br />

Biogasanlagen und der Frage, wie man<br />

die biogenen Abfälle der Gemeinde zur<br />

Energiegewinnung nutzen kann“, erinnert<br />

sich Virgens Bürgermeister Dietmar Ruggenthaler,<br />

der seit 1992 im Amt ist.<br />

Wenn Umweltziele auch der Gemeinschaft<br />

zugutekommen<br />

In den darauffolgenden Jahren führten die<br />

Virger*innen eine umfangreiche Energieanalyse<br />

durch. Ehrenamtlich sammelten und<br />

erhoben die Bürger*innen Daten zu jedem<br />

Haus und jedem Gebäude. Die Motivation<br />

für die rege Beteiligung war, dass jeder<br />

herausfinden wollte, wo man den „Schilling“<br />

am geschicktesten einsetzen kann, um<br />

Energie und damit auch Geld zu sparen.<br />

Letztlich führten diese Aktivitäten 1999<br />

zur Beteiligung am „e5-Programm“, das in<br />

jenem Jahr initiiert wurde. „Wenig später<br />

setzten wir uns mit der Straßenbeleuchtung<br />

auseinander, die damals noch mit<br />

Quecksilberdampflampen betrieben wurde.<br />

LED-Leuchten kamen erst langsam auf. So<br />

beschlossen wir auf Natriumdampflampen<br />

umzusteigen. Doch diese waren recht<br />

teuer. Der Gemeindevorarbeiter, Gregor<br />

Stadler, hatte die Idee, diese Leuchtmittel<br />

selbst herzustellen. Nach einigem Tüfteln<br />

und in Zusammenarbeit mit einem regionalen<br />

Elektriker entstand eine Leuchte,<br />

die wir statt der alten Lampen verwenden<br />

konnten. Das war nicht nur ein Beitrag zur<br />

Reduktion des Stromverbrauchs um gute<br />

47 %. Das Licht war für die nachtaktiven<br />

Insekten ebenfalls besser und zudem profitierte<br />

die örtliche Wertschöpfungskette<br />

davon“, erzählt Ruggenthaler. Mit diesem<br />

Projekt, das auch von der Universität Innsbruck<br />

begleitet wurde, gewann die Osttiroler<br />

Gemeinde den „Ford-Award“ und<br />

schaffte es damit auf die Titelseite des<br />

„Wall Street Journal“. Inzwischen stellt Virgen<br />

seine Straßenbeleuchtung sukzessive<br />

auf LED um.<br />

Einen weiteren Meilenstein setzte die<br />

Gemeinde mit der Biomasseförderung<br />

für private Haushalte. Ausgangspunkt war<br />

die fiktive Holzeinschlagszahl von 6.000<br />

m3/p.a. zur Erhaltung eines gesunden<br />

Waldbestands. Holzeinschlag ist wichtig,<br />

denn junge, vitale Bäume tragen zu einer<br />

besseren Schutzfunktion bei und regulieren<br />

den Wasserhaushalt des Waldes<br />

effektiver. Tatsächlich wurden aber nur ca.<br />

2.000 m3 Holz aus dem Wald geholt. Der<br />

Rest verrottete ungenutzt. Daraufhin wurde<br />

durch die Errichtung einer Hackschnitzelanlage<br />

und den Anschluss von privaten<br />

und öffentlichen Gebäuden an das entsprechende<br />

Heizwärmesystem die Nahwärmeversorgung<br />

ausgebaut. Auch diese<br />

umfangreiche Maßnahme wirkte sich<br />

positiv auf mehrere Aspekte aus: Beitrag<br />

für den Wald, Förderung der heimischen<br />

Holzwirtschaft, Reduktion von Heizöl und<br />

Kohlebriketts sowie weitere Steigerung der<br />

regionalen Wertschöpfungskette.<br />

Meilenstein Gemeindemobil Virgen<br />

Parallel dazu wurden zahlreiche öffentliche<br />

und zudem private Gebäude energetisch<br />

saniert und die Installation von<br />

Solaranlagen ausgebaut. Aber auch bei<br />

der Mobilität war Virgen aktiv und hat<br />

eine Vorreiterrolle eingenommen, wie<br />

der Virger Bürgermeister zu berichten<br />

weiß: 2005 erstellten wir eine eigene<br />

Fallstudie zum Thema „Mobilität“. Zwei<br />

Punkte standen dabei im Fokus: Die<br />

generelle Mobilität – gerade bei älteren<br />

Bürger*innen - und der Aspekt „Zweitwagen“.<br />

Aufgrund dieser Analyse entschlossen<br />

wir uns einen Fahrservice<br />

einzurichten. Wir kauften also ein Auto<br />

– damals noch einen Verbrenner, weil die<br />

E-Autos erst im Kommen waren – und<br />

das Gemeindemobil war geboren.“ Hier<br />

mussten einige rechtliche Fragen geklärt<br />

werden: gewerbliche Aspekte oder der<br />

Umgang mit dem Kraftfahrtliniengesetz<br />

– das alles war Neuland. Entsprechende<br />

praktische Lösungen wurden jedoch<br />

gefunden. 2014 stieg Virgen mit dem<br />

Gemeindemobil auf ein E-Auto um. Drei<br />

Jahre später trat die Gemeinde dem Osttiroler<br />

E-Car-Sharing „FLUGS“ bei. Auch<br />

das Thema „Radfahren“ wurde forciert.<br />

Selbstverständlich erfolgte dieser Ausbau<br />

im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherheit<br />

und aller verkehrstechnischen<br />

sowie infrastrukturellen Überlegungen.<br />

Zudem entstanden neben Ladestationen<br />

für E-Autos auch solche für E-Bikes. Um<br />

all diese Umweltthemen und -maßnahmen<br />

ins Bewusstsein der Virger*innen zu rükken,<br />

haben diverse Aktionstage, regelmäßige<br />

Bürger*innenbefragungen und auch<br />

Gesundheitsprojekte beigetragen, denn<br />

Umwelt und Gesundheit sind eng miteinander<br />

verbunden. Letztlich steigert dieses<br />

Zusammenspiel aller Maßnahmen die<br />

Lebensqualität in einer Gemeinde.<br />

Schaut man auf die Anfänge und den langen<br />

Weg der Gemeinde Virgen zurück,<br />

stellt man fest: Es braucht das Mitwirken<br />

und den Weitblick der Bürger*innen und<br />

letztlich auch vom Bürgermeister.<br />

„So etwas kann nie<br />

einer allein schaffen<br />

und es geht<br />

auch nie auf<br />

einen allein<br />

zurück.<br />

Mein persönliches Engagement ist<br />

sicherlich darauf zurückzuführen, dass<br />

ich mich schon früh mit Umweltthemen<br />

befasst und mich fortgebildet habe. Doch<br />

erst wenn man Mitstreiter*innen findet,<br />

mit denen man sich austauschen kann,<br />

kommen die Ideen, die zu Visionen werden.<br />

Und ohne die Beteiligung der Virger<br />

Bürger*innen wären diese Visionen nicht<br />

Realität geworden. Es ging dabei immer<br />

um das Zusammenspiel von Umwelt,<br />

Wirtschaft und Gemeinschaft. Es ist ein<br />

Kreislauf. Der Lohn für unsere gemeinsamen<br />

Anstrengungen sind nicht die Auszeichnungen,<br />

sondern das gute, gesunde<br />

Leben mit Respekt zur Natur in unserer<br />

Gemeinde“, zieht Bürgermeister Dietmar<br />

Ruggenthaler als Fazit.<br />

BILD: Die Gemeinde Virgen ist<br />

aufgrund der sonnigen Lage<br />

prädestiniert für die Nutzung von<br />

Sonnenenergie (© Hannes Berger)<br />

DER NAME „VIRGEN“ STAMMT<br />

AUS DEM SLAWISCHEN UND<br />

BEDEUTET<br />

sonniges<br />

Plätzchen

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