277.TIROL - April 2022
Ausgabe 6, April 2022
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BLACKOUT: TROTZ<br />
EIGENER PHOTOVOLTAIK-<br />
ANLAGE OHNE STROM?<br />
Viele Besitzer*innen von Photovoltaik-Anlagen – auch Gemeinden – wähnen sich im Falle eines Blackouts<br />
auf der sicheren Seite. Doch das kann ein Trugschluss sein. Nur unter bestimmten Voraussetzungen ist<br />
ein Blackout mit eigenem durch Sonne erzeugten Strom „überbrückbar“. Ist eine Photovoltaik-Anlage nicht<br />
entsprechend ausgerüstet, so trifft auch die Besitzer*innen einer solchen ein allgemeiner Stromausfall.<br />
OBEN:<br />
Bürgermeister<br />
Martin Mayerl bei der<br />
Arbeit in seinem Mutterkuh-<br />
und Rindermastbetrieb.<br />
(© Tanja Cammmerlander/Martin<br />
Mayerl)<br />
Zur Senkung der Stromkosten und um<br />
etwas unabhängiger vom Stromnetz zu<br />
sein, lassen sich immer mehr Gemeinden,<br />
Eigenheimbesitzer*innen und Gewerbebetriebe<br />
eine Photovoltaik-Anlage montieren.<br />
Solange die Sonne scheint, wird eigener<br />
Strom produziert. Das schont nicht<br />
nur das Geldbörsl, sondern ebenso die<br />
Umwelt. Was viele nicht wissen: Bei einem<br />
Stromausfall im großen Stil stehen selbst<br />
sie im Dunkeln. Denn bei einem Blackout<br />
trennt sich eine Solaranlage unverzüglich<br />
vom Netz, weil sich der in der Regel darin<br />
installierte sogenannte Wechselrichter<br />
abschaltet. Jede Solaranlage ist mit dem<br />
örtlichen Stromnetz verbunden, und so<br />
dient diese automatische Trennung bei<br />
einem Blackout vor allem dem Schutz derjenigen,<br />
die zum Zeitpunkt des Ausfalls an<br />
der Wiederherstellung des Stromnetzes<br />
arbeiten. Erst wenn das Netz wieder einsatzfähig<br />
ist, fängt auch die Solaranlage<br />
wieder an Strom zu produzieren.<br />
LINKS:<br />
Am Wirtschaftsgebäude<br />
wurde eine moderne,<br />
dach-integrierte Photovoltaik-Anlage<br />
installiert,<br />
die Hof und Speicher mit<br />
Energie versorgt.<br />
(© sun.e-solution,<br />
Dölsach)<br />
Mit einem Speicher lässt sich eine<br />
gewisse Zeit überbrücken.<br />
Wurde eine Photovoltaik-Anlage aber schon<br />
im Hinblick auf einen gewissen Grad Autarkie,<br />
also Stromunabhängigkeit, ausgelegt,<br />
kann ein Stromausfall durchaus überbrückt<br />
werden. Voraussetzung dafür ist ein ins<br />
System integrierter Speicher und ein dafür<br />
ausgelegtes Energiemanagement, das sich<br />
bei einem Stromausfall nicht automatisch<br />
abschaltet. Allerdings kann nur der Strom<br />
verwendet werden, der von der Anlage auch<br />
gespeichert wurde. Wie lang die gespeicherte<br />
Energie ausreicht, ist von mehreren<br />
Faktoren abhängig. Entscheidend ist<br />
auf jeden Fall die Kapazität des Speichers.<br />
Dann kommt es darauf an, wie viele und<br />
welche Stromverbraucher mit Energie versorgt<br />
werden müssen. Das kann über ein<br />
intelligentes Energie-Managementsystem<br />
gesteuert werden. Schließlich spielt der<br />
Faktor Zeit eine Rolle: Für wie lange soll<br />
ein Stromausfall überbrückt werden?<br />
Dazu ein Fallbeispiel aus Dölsach / Osttirol:<br />
Bürgermeister Martin Mayerl hat neben<br />
seinem Amt einen Mutterkuh- und Rindermastbetrieb.<br />
Er interessierte sich früh für<br />
Photovoltaik – auch weil sein Hof für diese<br />
Technologie günstig gelegen ist. Bereits<br />
2010 installierte er mit Hilfe von Förderungen<br />
eine 6 KW-Photovoltaik-Anlage am<br />
Wohnhaus seines Hofs. Mittlerweile hat<br />
sich die Investition amortisiert und die<br />
Anlage erzielt nach wie vor optimale Stromerträge.<br />
„Allerdings war ein weiterer Ausbau<br />
der Photovoltaik besonders im Hinblick<br />
auf Speichertechnologie bislang in puncto<br />
Wirtschaftlichkeit und Förderungen relativ<br />
uninteressant. Eine Erweiterung in dieser<br />
Hinsicht hatte ich aber immer im Hinterkopf“,<br />
erzählt der Dölsacher Bürgermeister.<br />
Wie viel Komfort darf es sein?<br />
Vor zwei Jahren ergab sich die Chance,<br />
dieses Vorhaben anzugehen, weil dafür<br />
ein Förderpaket speziell für die Landwirtschaft<br />
aufgelegt wurde. Auch die Möglichkeit,<br />
eine AWS-Prämie zu nutzen, führte<br />
zu dem Entschluss, eine ergänzende<br />
Photovoltaik-Anlage inklusive Speicher<br />
am Wirtschaftsgebäude zu installieren.<br />
Martin Mayerl ließ sich durch einen Photovoltaik-Fachbetrieb<br />
beraten. Da in Osttirol<br />
in den letzten drei Jahren Windbruch und<br />
Schneechaos immer wieder zu längeren<br />
Stromausfällen führten, hatte Mayerl den<br />
Wunsch, die Speicherkapazitäten für eine<br />
Überbrückung dahingehend auszulegen.<br />
Dieser Punkt muss bei der Planung einer<br />
Photovoltaik-Anlage unbedingt berücksichtigt<br />
werden, damit die benötigte Leistung<br />
und entsprechend das komplette System<br />
daraufhin ausgelegt werden kann. „Nicht<br />
nur Eigenheimbesitzerinnen und -besitzern<br />
oder Gewerbetreibenden ist das oft<br />
unbekannt, sondern auch Betreiberinnen<br />
und Betreibern von öffentlichen Anlagen,<br />
wie ich durch die Beratung erfahren habe“,<br />
sagt Bürgermeister Martin Mayerl.<br />
UNSER SYSTEM IST SO AUSGELEGT,<br />
DASS BEI EINEM STROMAUSFALL IN<br />
DER NACHT NOCH 20 % IM SPEICHER<br />
BLEIBEN, DIE FÜR DEN START IN DER<br />
FRÜH REICHEN. MIT ZUNEHMENDEM<br />
TAGESLICHT WIRD OHNEHIN WIEDER<br />
STROM PRODUZIERT.<br />
Dabei ist die Entscheidung zentral, was<br />
abgesichert sein muss und was Komfort<br />
ist. Entsprechend ergeben sich daraus die<br />
Investitionskosten und ihr Verhältnis zum<br />
tatsächlichen Nutzen – die Wirtschaftlichkeit<br />
also. „Für uns war wichtig, bei einem<br />
Stromausfall die Funktion der Heizungsanlage,<br />
der Kühl- und Gefriertruhen und des<br />
Lichts sicherzustellen. Die Absicherung für<br />
den Heukran hingegen haben wir hintenangestellt.<br />
Solche Dinge können wir konventionell<br />
überbrücken. Unser System ist so<br />
ausgelegt, dass bei einem Stromausfall in<br />
der Nacht noch 20 % im Speicher bleiben,<br />
die für den Start in der Früh reichen. Mit<br />
zunehmendem Tageslicht wird ohnehin<br />
wieder Strom produziert“, führt Bürgermeister<br />
Mayerl aus. Seit letztem Juli ist<br />
seine Zusatzanlage in Betrieb und rechnet<br />
sich bereits deutlich – begünstigt durch die<br />
gestiegenen Einspeisungstarife.<br />
Ein Totalausfall ist nur mit Notstromaggregat<br />
zu vermeiden.<br />
Ist jedoch die Energie im Speicher aufgebraucht,<br />
beginnt die Anlage erst zu arbeiten,<br />
wenn entweder Strom über das Netz<br />
wieder verfügbar ist oder die Photovoltaik-<br />
Anlage durch Sonnenenergie wieder Strom<br />
produziert und sich dadurch der Speicher<br />
nach und nach aufladen kann. Hierzu merkt<br />
der Photovoltaik-Fachmann Martin Kollnig<br />
der Dölsacher Firma „sun.e-solution“ an:<br />
„Wesentlich ist dabei die ‚Schwarzstartfähigkeit‘<br />
der Anlage. Darunter versteht man<br />
das Hochfahren eines stromproduzierenden<br />
Systems unabhängig vom Stromnetz.<br />
Ist diese Möglichkeit nicht gegeben, startet<br />
die Anlage nur mit externem Strom<br />
erneut. Was vielen auch nicht bewusst ist:<br />
Photovoltaik-Anlagen in Verbindung mit<br />
einem Speicher sind keine Notstromlösungen<br />
im eigentlichen Sinne. Das wird nur in<br />
Kombination mit einem konventionellen<br />
Notstromaggregat möglich. Sinnvoll ist das<br />
für sensible Bereiche wie Krisenzentren,<br />
Spitäler oder Sicherheitsanlagen.“<br />
Zusammengefasst bedeutet das: Auch<br />
Betreiber*innen einer Photovoltaikanlage<br />
können von einem großflächigen Stromausfall<br />
betroffen sein. Mit genügender Speicherkapazität<br />
lässt sich aber eine gewisse<br />
Zeit überbrücken. Wer auf der sicheren<br />
Seite sein will – wenn es zum Beispiel um<br />
sensible Bereiche geht – sollte ein speicherunterstütztes<br />
Photovoltaiksystem<br />
um ein konventionelles Aggregat ergänzen.<br />
Der tatsächlich notwendige Bedarf<br />
– das Must-have – ist dabei grundsätzlich<br />
zu klären. Das hängt davon ab, ob man<br />
Eigenheimbesitzer*in, Gewerbetreibende*r<br />
oder öffentliche Institution wie eine<br />
Gemeinde ist. Aspekte des Nice-to-have<br />
kommen erst nach der notwendigen<br />
Grundversorgung. Wie viel einem ein solcher<br />
Komfort im Falle eines Blackouts wert<br />
ist, liegt im Auge des Betrachters.<br />
ZUM AUTOR<br />
JAN SCHÄFER<br />
Jan Schäfer ist Experte für Marketing<br />
und Kommunikation. Er unterstützt<br />
seit 2020 die GemNova als Gemeindebetreuer<br />
in Osttirol und war zuletzt<br />
maßgeblich bei der Entstehung des<br />
neuen “Gemeinde ABC‘s” beteiligt.<br />
Kontakt: j.schaefer@gemnova.at