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277.TIROL - April 2022

Ausgabe 6, April 2022

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40<br />

tirol.hat Recht tirol.hat Recht 41<br />

Illegale Müllablagerungen an Müllsammelstellen<br />

(Recyclinghof, Müllsammelinsel),<br />

Beschädigungen an solchen Einrichtungen<br />

oder anderem öffentlichen Gut und<br />

Verschmutzungen öffentlicher Orte oder<br />

Einrichtungen, die einen unverhältnismäßig<br />

hohen Reinigungs- und Instandhaltungsaufwand<br />

mit sich bringen. Das sind Phänomene,<br />

die immer wieder in kleineren<br />

dörflichen Gemeinschaften auftreten.<br />

Es liegt im Interesse der Gemeinschaft<br />

solchen Verhaltensweisen Einhalt zu<br />

gebieten. Dieses Interesse ist nachvollziehbar<br />

und gerechtfertigt. Als Mittel zur<br />

BILD: Beschädigungen<br />

und Verschmutzungen<br />

öffentlicher Orte<br />

stören nachweislich das<br />

Sicherheitsempfinden.<br />

(© unsplash)<br />

Videoüberwachung<br />

Big Brother und Sicherheitsmaßnahmen vs.<br />

Freiheitsrechte und Persönlichkeitsschutz<br />

Durchsetzung dieses Interesses liegt derzeit<br />

die Videoüberwachung von betroffenen/gefährdeten<br />

Orten sehr hoch im Kurs.<br />

Sie dient der Prävention und zielt auf die<br />

Angst der Täter*innen mittels dieser Überwachung<br />

überführt zu werden.<br />

Die überwiegende Anzahl der Menschen in<br />

unserem Land möchte allerdings in einer<br />

freien demokratischen Zivilgesellschaft<br />

leben, wofür der Schutz persönlicher Freiheitsrechte<br />

essenziell ist und in unser aller<br />

Interesse liegt. Gerade nach den vergangenen<br />

zwei Jahren mit Grundrechtseingriffen<br />

zur Pandemiebekämpfung herrscht wohl<br />

auch Konsens, dass Eingriffe in Grundrechte<br />

nicht leichtfertig stattfinden dürfen.<br />

Sicherheit vs. Freiheitsrechte<br />

Die Abwägung dieser beiden Interessen<br />

(Sicherheit vs. Freiheitsrechte und Persönlichkeitsschutz)<br />

ist auch die juristische<br />

Methode, mit der in jedem Einzelfall<br />

die Zulässigkeit einer Videoüberwachung<br />

geprüft werden muss. Auf eine Waagschale<br />

legt man die Wahrscheinlichkeit eines<br />

Schadenseintritts, abgeleitet von Erfahrungswerten,<br />

die mögliche Schadenshöhe<br />

und die Frage nach anderen Präventionsmaßnahmen<br />

bezüglich Kosten und Effizienz.<br />

Gibt es nämlich weniger eingriffsintensive<br />

Mittel, die wirtschaftlich vertretbar<br />

sind (z.B. Absperrungen), muss auf solche<br />

zurückgegriffen werden.<br />

Hier eine Anmerkung: In allen Fällen, in<br />

denen ich bisher als Datenschutzbeauftragter<br />

mit dieser Thematik befasst war, wurde<br />

von den Gemeindeverantwortlichen als<br />

Tätergruppe für Beschädigungen und Verschmutzungen<br />

von öffentlichen Orten/Einrichtungen<br />

die eigene Dorfjugend benannt.<br />

Für eine mittel- und langfristige Prävention<br />

sollte daher auch an eine zielgerichtete<br />

Jugendarbeit (allenfalls auch gemeindeübergreifend)<br />

gedacht werden.<br />

Die Dauer<br />

der Speicherung<br />

der Bilddaten<br />

darf max.<br />

72 Stunden<br />

betragen. Für eine<br />

längere Speicherung<br />

bräuchte<br />

es gewichtige<br />

nachvollziehbare<br />

Gründe.<br />

Auf eine andere Waagschale wird die Intensität<br />

des Eingriffs gewichtet. Wie schwer<br />

die Intensität zu gewichten ist, hängt von<br />

mehreren Variablen ab: Größe des überwachten<br />

Raums, Widmung des Raums,<br />

Anzahl der durchschnittlich im Raum erfassten<br />

Personen, Dauer des Aufenthalts im<br />

Raum usw. Kleine Anpassungen bei einzelnen<br />

Variablen können dabei gewaltigen<br />

Einfluss auf die Eingriffsintensität haben<br />

(z.B. Videoüberwachung im Recyclinghof<br />

nur außerhalb der Öffnungszeiten). Wenn<br />

regelmäßige Schäden zu erwarten sind<br />

oder ein schwerer Schaden, was jeweils<br />

hohe Kosten bedeutet, so besteht ein großes<br />

Interesse an der Schadensabwehr. Ist<br />

gleichzeitig das Risiko für von der Videoüberwachung<br />

betroffene Personen bzgl. der<br />

Einschränkung ihrer Rechte und Freiheiten<br />

gering, weil z.B. nur relativ wenige Personen<br />

bei widmungsmäßiger Nutzung des überwachten<br />

Raums nur kurz zu unverfänglichen<br />

Tätigkeiten dort sind, dann überwiegt<br />

das Interesse der Schadensabwehr durch<br />

die Überwachung jenes des Schutzes vor<br />

dieser konkreten Überwachung. Rechtlich<br />

ergibt das ein „berechtigtes Interesse“, was<br />

dann auch gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO<br />

(Datenschutz-Grundverordnung) die Rechtsgrundlage<br />

oder den „Erlaubnistatbestand“<br />

für die Videoüberwachung ist.<br />

Der rechtliche Rahmen<br />

Der österreichische Gesetzgeber hat zur<br />

„Bildverarbeitung“ eigene Paragraphen ins<br />

DSG (Datenschutzgesetz) 2018 eingefügt;<br />

nämlich die §§ 12 und 13. Dort verankert<br />

sind deutlich konkretere Regelungen zur<br />

Zulässigkeit sowie formale Vorgaben zur<br />

Umsetzung. Das BVwG (Bundesverwaltungsgericht)<br />

hat dazu entschieden, dass<br />

der österreichische Gesetzgeber hierzu<br />

keine Kompetenz hatte mangels einer Öffnungsklausel<br />

in Art. 6 DSGVO und dass die<br />

Zulässigkeit einer Videoüberwachung nur<br />

nach Art. 5 und 6 DSGVO zu beurteilen ist.<br />

Die österreichische Datenschutzbehörde<br />

hat bereits mitgeteilt, sich an diese Rechtsprechung<br />

zu halten. Der OGH (Oberste<br />

Gerichtshof) hat nach dieser Entscheidung<br />

des BVwG die §§ 12 und 13 DSG 2018 weiter<br />

angewendet, sodass hier eigentlich noch<br />

Unklarheit herrscht, die meines Wissens<br />

nach noch nicht endgültig geklärt ist.<br />

Für die Praxis ist das jedoch zweitrangig.<br />

Die §§ 12 und 13 DSG 2018 legen relativ<br />

hohe Standards fest, sodass der Verantwortliche<br />

für die Videoüberwachung mit der<br />

oben beschriebenen Interessensabwägung<br />

und der Einhaltung der §§ 12 und 13 DSG<br />

2018 rechtlich auf der sicheren Seite steht.<br />

Die Bestimmungen sind also mindestens<br />

als Leitlinie hilfreich und es empfiehlt sich<br />

sie zu beachten.<br />

Bei der konkreten Umsetzung der Videoüberwachung<br />

ist nach dieser Leitlinie zu<br />

beachten, dass die Dauer der Speicherung<br />

der Bilddaten max. 72 Stunden betragen<br />

soll. Für eine längere Speicherung bräuchte<br />

es gewichtige nachvollziehbare Gründe. Die<br />

Videoüberwachung muss gekennzeichnet<br />

werden. Dies wird wohl im Interesse des<br />

Verantwortlichen liegen, schließlich erhofft<br />

man sich Prävention durch Abschreckung.<br />

Dem weiteren Transparenzgedanken dahinter<br />

entsprechend sollte auch eine Datenschutzerklärung<br />

zur Videoüberwachung<br />

zugänglich sein. Diese kann bei der Kennzeichnung<br />

angebracht werden oder man<br />

verweist dort darauf, dass die Datenschutzerklärung<br />

auf der Homepage des Verantwortlichen<br />

zu finden ist.<br />

Schließlich kann es noch sein, dass die<br />

Installation einer Videoüberwachung eine<br />

Datenschutz-Folgenabschätzung gemäß<br />

Art. 35 DSGVO erforderlich macht. Die beiden<br />

Verordnungen der Datenschutzbehörde<br />

zur Frage, wann es jedenfalls keine Datenschutz-Folgenabschätzung<br />

braucht bzw.<br />

wann es jedenfalls eine braucht, haben im<br />

Ergebnis nur dazu geführt, dass auch hier in<br />

jedem Einzelfall diese Frage geprüft werden<br />

muss. Dabei gibt es Einzelfälle, für welche<br />

die Verordnungen klare und damit schnelle<br />

Antworten liefern, aber es gibt auch Sachverhalte,<br />

bei denen eine ähnliche Abwägung<br />

erfolgen muss, wie die Interessensabwägung<br />

zur Zulässigkeit der Überwachung.<br />

Der technische Fortschritt hat im Bereich<br />

der Videoüberwachung dazu geführt,<br />

dass bessere und billigere Systeme<br />

zur Verfügung stehen, sodass auch für<br />

kleine Bereiche/Einrichtungen mit einem<br />

verhältnismäßigen Aufwand solche<br />

Systeme installiert werden können. Es gibt<br />

in Tirol kompetente Anbieter für solche<br />

Systeme. Bei der Umsetzung sollte jedoch<br />

nicht nur aus rechtlicher Notwendigkeit,<br />

sondern auch aus gesellschaftlicher<br />

Verantwortlichkeit, die Eingriffsintensität<br />

auf das notwendige Mindestmaß<br />

beschränkt bleiben. Insgesamt sind einige<br />

rechtliche Fragen bei der Umsetzung zu<br />

beachten, sodass, weil gerade zu diesem<br />

Thema immer wieder viele Beschwerden<br />

bei der Datenschutzbehörde einlangen,<br />

immer der/die Datenschutzbeauftragte<br />

eingebunden werden sollte, wenn man<br />

eine Videoüberwachung installieren will.<br />

ZUM AUTOR<br />

MAG. NILS RAUCH<br />

Nils Rauch ist seit <strong>April</strong> 2018 bei der<br />

GemNova als Unternehmensjurist und<br />

als externer Datenschutzbeauftragter<br />

für über 50 Tiroler Gemeinden sowie<br />

für mehrere gemeindenahe Einrichtungen<br />

tätig. Davor sammelte er berufliche<br />

Erfahrungen als Rechtsanwalt und<br />

wissenschaftlicher Mitarbeiter an der<br />

Universität Innsbruck.<br />

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