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ERDFUNKSTELLE RAISTING - Der weite Weg ins All

Das kleine oberbayerische Dorf Raisting wurde durch seine Satelliten-Funkstation mit dem Radom weltweit bekannt. Über die Geschichte dieses Orts führt das Buch zu den Anfängen der elektrischen Nachrichtenübermittlung und den Herausforderungen der Satellitenübertragung zur ehemals größten Erdfunkstelle der Welt.

Das kleine oberbayerische Dorf Raisting wurde durch seine Satelliten-Funkstation mit dem Radom weltweit bekannt. Über die Geschichte dieses Orts führt das Buch zu den Anfängen der elektrischen Nachrichtenübermittlung und den Herausforderungen der Satellitenübertragung zur ehemals größten Erdfunkstelle der Welt.

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Hermann Martin

ERDFUNKSTELLE RAISTING

Der weite Weg ins All

1. Auflage

Mit über 300 Abbildungen und 6 Tabellen

ARTNIM-VERLAG



EINLEITUNG

»Im Anfang war das Wort«. So beginnt das Johannesevangelium. Das

ehemalige Wallfahrtskirchlein in unmittelbarer Nachbarschaft zur Erdfunkstelle

Raisting ist zwar nicht diesem Apostel, sondern Johannes dem

Täufer gewidmet. Der Name Sankt Johann auf Heiligenstätten hat sich bis

heute erhalten und rührt von einer Legende, in der der letzte Agilolfingerherzog

Tassilo III. (um 741 – 796) eine Kapelle erbauen ließ. Bei der Jagd

zwischen den Flüssen Ammer und Lech soll sich der Adelige mit seinem

Gefolge verirrt haben und gelobte eine Kapelle an dem Ort zu errichten,

an dem er sich wieder zurechtfände. Auf einer Anhöhe erblickte er den

Ammersee und beschloss, auf der vor ihm liegenden freien Fläche über

einer sprudelnden Quelle den Altar zu bauen. Eine beckenartige Vertiefung

befindet sich heute noch unter dem Altar. Als Taufkapelle diente sie

jahrhundertelang. Seitdem aber im ersten Viertel des 20. Jh. die nassen

Böden trockengelegt wurden, ist die Quelle versiegt.

Eine erste urkundliche Erwähnung datiert aus dem Jahr 1428. Vielleicht

gehörte das Gotteshaus aber bereits zu einer frühchristlichen

Gemeinde im heutigen Augsburg und wäre damit wesentlich älter, da die

Abb. 1

St. Johann auf Heiligenstätten

vor dem Karwendelgebirge und

der Benediktenwand (li.)

11


RAISTING

Abb. 18

Eine der Informationstafeln am

Erdfunkstellen-Wanderweg

Abb. 19

Ausstellung im Heimatmuseum

Abb. 20

Alter Pfarrhof von 1745

Das oberbayerische Dorf gehört zum Landkreis Weilheim-Schongau,

liegt westlich des Starnberger Sees und etwa vier Kilometer südlich des

Ammersees. Mit seinen Ortsteilen Sölb, Ertlmühle, Rothbad und Stillern

hat Raisting ca. 2300 Einwohner. Seit den 1960 er Jahren steigt die Einwohnerzahl

stetig. Der Altersdurchschnitt beträgt etwa 43 Jahre mit Tendenz

nach oben. Während – wie auch in anderen Orten – die Zahl der

Landwirte zurückgeht, steigen die Beschäftigungszahlen im produzierenden

Gewerbe, dem Handel und Gastgewerbe. Die Erweiterung des bestehenden

Gewerbegebiets im Osten und neue Baugebiete werden zusätzliche

Menschen in das ehemals rein bäuerlich geprägte Dorf anziehen.

Das Vereinsleben in dem traditionsreichen Ort ist äußerst lebhaft.

Mehr als ein Dutzend Vereine bieten von Sport über Kultur und Musik

eine breite Palette. Ein an die 200 Jahre alter Kuppelbrauch bringt beim

weit über die Region hinaus bekannten Betteltanz einmal im Jahr mehr als

100 unverheiratete Paare zusammen.

Unter den verschiedenen Fördervereinen des Ortes ist der FöV Industriedenkmal

Radom Raisting e. V. hervorzuheben, der 2004 von überwiegend

ehemaligen Mitarbeitern der Erdfunkstelle und engagierten Freunden

des Radoms gegründet wurde. Da die Deutsche Telekom zu dieser

Zeit das Radom mit der außer Betrieb gesetzten Antenne abreißen und die

komplette Technik verschrotten wollte, fanden sich mit ihrem ersten Vorsitzenden

Ronald Sinda 36 Gründungsmitglieder zusammen, die sich als

Ziele den Erhalt dieses einmaligen Bauwerks, den Zugang für die Öffentlichkeit

sowie ein Museum für Satellitentechnik in ihre Satzung geschrieben

haben.

In Tausenden von Arbeitsstunden wurden von den Ehrenamtlichen

viele originale Geräte und Dokumente der Anlage gerettet, katalogisiert,

dokumentiert und archiviert. Teile davon wurden der Radom Raisting

GmbH des Landkreises Weilheim-Schongau übergeben. Alle anderen

Exponate und Unterlagen

harren seit nun mehr als 17

Jahren darauf, sich in geeigneten

Räumen der Öffentlichkeit

zu präsentieren.

Neben Führungen und

Ausstellungen im Radom,

Vorträgen vor Grundschulkindern,

Laien, Experten

und wissbegierigen Senioren

sowie der Gestaltung

und Aufstellung informativer

Schautafeln und Experimentierantennen

am Erdfunkstellen-Wanderweg,

ist

es diesem Verein zu verdanken,

dass es noch heute die

22


Telefonie

in den Anfangsjahren gar nicht möglich. Erst mit

den zunehmenden Fernverbindungsleitungen

konnten handvermittelte Ferngespräche geschaltet

werden.

Am 16.5.1923 schrieb das oberbayerische

Weilheim Geschichte, als weltweit zum ersten

Mal die Teilnehmer über Wähler selbstständig

Verbindungen zwischen mehreren Orten herstellen

konnten. Dieses erste Selbstwählfernamt

wurde von Siemens & Halske in Zusammenarbeit

mit der Bayerischen Postverwaltung entwickelt.

Das sternförmige Netz (Netzgruppe Weilheim)

umfasste zunächst die Stadt und die Nachbarorte

Polling und Huglfing mit etwa 250 Teilnehmern.

In den nächsten Jahren kamen die meisten umliegenden

Orte im Radius von ca. 25 km dazu.

Raisting war über seinen Anschluss an Dießen

mit dabei. Die neue Technik breitete sich rasch

im In- und Ausland aus und führte zu einem schnelleren und sicheren

Verbindungsaufbau. Vor allem aber waren nun für die hier angeschlossenen

Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit Telefonate möglich, was zu

einer sprunghaften Erhöhung der Teilnehmeranzahl führte.

In Deutschland hat sich als wirtschaftlichste Struktur ein Telefonnetz

mit verschiedenen Hierarchien von Vermittlungsstellen herausgebildet.

Die oberste Ebene stellen die Zentralvermittlungsstellen (ZVSt) dar, darunter

folgen Haupt- (HVSt), Knoten- (KVSt) und Ortsvermittlungsstellen

(OVSt). Zusätzlich gibt es für hohen Bedarf dauernd eingerichtete Querleitungen

zwischen den Vermittlungsstellen, um

den sogenannten Kennzahlenweg abzukürzen.

Acht verschiedene ZVSt sind untereinander vermascht

angeschlossen. Sie können mit Zentral-

8

amtskennziffern erreicht werden. Die ZVSt Berlin

hat z. B. die 3, Hamburg die 2 und München die 8

als Kennziffer. Die anderen Vermittlungsstellen

sind daran sternförmig angebunden.

Wie funktioniert nun eine solch automatisierte

Verbindung? Zu unterscheiden ist die Vorwahlnummer

und die anschließende Rufnummer.

Bei einer vorangestellten Vorwahlnummer

erkennt das System die 0, die jeder Vorwahl zu

eigen ist und weiß daher, dass das Gespräch in

ein anderes Ortsnetz geführt werden soll. Es

wird grundsätzlich zu der ZVSt weitergeleitet,

die der ersten Ziffer nach der 0 folgt. Will man

z. B. einen Teilnehmer in Raisting (08807/12345)

erreichen, wird das Telefonat von der OVSt des

Querleitungen

Ortsnetz-Ebene

... ...

Abb. 48

Die Gedenktafel am Gebäude

der Telekom-Vermittlungsstelle

in Weilheim weist auf den hier

weltweit erstmals eingeführten

Selbstwählferndienst hin.

Abb. 49

Kennzahlenweg eines Telefonats

8

8

0

7

8

0

7

ZVSt

HVSt

KVSt

OVSt

12345

41


ERDFUNKSTELLE RAISTING

3.2 Die erste Großantenne Deutschlands

Abb. 100

Die gewaltige Hornantenne in

Andover, wie sie auch in Frankreich

gebaut wurde

Der Aufbau der einzigartigen Antenne war unter dem Schutz ihrer Hülle

geplant, um unabhängig von Wind und Wetter dafür auch die Herbstund

Wintermonate nutzen zu können. Denn aufgrund der langwierigen

Grundstücksverhandlungen war man bereits unter enormem Zeitdruck.

Im Gegensatz zu den riesigen Hornantennen in Andover und Pleumeur

Bodou, die sehr viel Platz benötigten, war für Raisting eine zu

damaliger Zeit einzigartige Kombination vorgesehen. Die Hochfrequenztechniker

entwarfen eine Konstruktion aus zwei verschiedenen Antennenformen.

Die Abmessungen wurden dadurch wesentlich kleiner, das

Gewicht reduzierte sich auf die Hälfte und die über eine vorgesehene

Drehkupplung angeschlossenen Sende- und Empfangsgeräte müssen nur

die waagrechte Drehung mitmachen. Da die Radomhülle Wind und Wetter

abhält, war auch der Aufbau erheblich filigraner und damit günstiger

herstellbar. Vorgegeben war ein Azimut-Umfang über zwei komplette

Umdrehungen und ein Elevations-Schwenkbereich von 115°. Damit

konnte jeder Himmelskörper über dem Horizont angepeilt werden. Wenn

man bedenkt, dass mit dieser Antenne ein Satellit von nur 80 cm Größe

auf seiner Bahn in Tausenden Kilometern Entfernung verfolgt werden

soll, dann kann man sich auch vorstellen, dass dazu ein ungeheurer Aufwand

betrieben werden muss. Geplant und gebaut wurde diese Anlage

eigentlich als Versuchsstation, aber mit dem Anspruch, weltweit eine der

besten zu sein.

3.2.1 Der Dom zu Raisting

Abb. 101

Äußerer Betonring, vorbereitet

für die Befestigung der Schutzhülle

Eine Schutzhülle verhindert nicht nur den direkten Windkontakt, sondern

auch Niederschlag und Sonneneinstrahlung. Je nach Sonnenstand

und Ausrichtung der Antenne würde sie zu unterschiedlichen Erwärmungen

der Oberfläche führen und damit zu ungleichen Ausdehnungen.

Das Signal könnte somit nicht mehr vollständig

ins Zentrum geführt werden. Für einen

derartigen Antennenschutz hat sich das Wort

Radom etabliert. Es stammt aus dem Englischen

und verbindet die Wörter Radar und

Dome. Anfangs noch Radome geschrieben, hat

es sich schon bald danach ohne e als Radom

eingedeutscht. Radar bezeichnet eigentlich

eine funkgestützte Abstandsmessung, die nur

mit bestimmten Frequenzen möglich ist. Da

der Satellitenfunk ähnliche Frequenzbereiche

nutzt, hat sich der eigentliche Sinn etwas verschliffen.

Das englische dome lässt sich mit

88


Die erste Großantenne Deutschlands

Kuppel übersetzen. Ein Radom ist also eine Kuppel über einer (Radar-)

Antenne. Nicht ganz korrekt wurde später unter diesem Namen das

gesamte Gebäude mit seiner Antenne benannt.

Ein konzentrischer äußerer Betonring mit einem mittleren Durchmesser

von 44,80 m und einer Höhe von 5,20 m war für die Befestigung dieses

Radoms vorgesehen. Es sollte als Traglufthülle konzipiert werden, also

ohne jegliche Stützen oder Verstrebungen. Die Ausmaße waren gigantisch:

Gefordert war eine 48,80 m im Durchmesser große Kunststoffhülle,

die lediglich durch Luftüberdruck ihre kugelige Form erhalten sollte.

Raistings neues Wahrzeichen wurde mit 39,50 m nur fünf Meter niedriger

geplant, als die Kirchturmspitze von St. Remigius. Das Material der Hülle

musste eine Reihe von Anforderungen erfüllen. Vor allem die Durchlässigkeit

von Mikrowellen und ein geringes spezifisches Gewicht bei gleichzeitiger

extremer Gasdichtigkeit waren gefordert. Die Versiegelung der

Nähte zwischen den Bahnen war anfangs ein großes Problem. Sie erforderte

eine komplizierte Schweiß- und Fugentechnik. Aber auch die Handhabung

bei der Zusammenfügung

und Verklebung der

5200 m² großen und tonnenschweren

Kunststoffplane

stellte eine enorme Herausforderung

dar.

Abb. 102 (li.)

Langsam erhebt sich das

Radom

Abb. 103 (re.)

Zur Kugel formt sich die Hülle

Ende September 1963 traf die »Wunderkiste« mit der Hülle aus den

USA ein. Die von der amerikanischen Firma Birdair Structures (Buffalo,

New York) gelieferte, nur 1,8 mm starke Kunststoffhülle aus einem Verbund

aus Hypalon und eingebettetem Dacron gewebe wog 16 t. Sie bestand

aus 128 sich nach oben verjüngenden und überdeckt verklebten Bahnen,

die an den äußeren Nahtstellen noch zusätzlich mit dünnen, fünf Zentimeter

breiten Klebestreifen vor Feuchteeintrag geschützt wurden. Zusätzlich

im Abstand von 120 bis 150 cm auflaminierte und diagonal verlaufende

Dacronstreifen sollen Scherbelastungen durch unregelmäßig auftretende

Hypalon ist ein witterungsbeständiger,

extrem widerstandsfähiger,

elastisch verformbarer

Kunststoff. Dacron

nennt sich eine Polyesterfaser

(PET) des DuPont-Konzerns.

Im Verbund ist das Material

temperatur- und alterungsbeständig

sowie reißfest.

89


ERDFUNKSTELLE RAISTING

Abb. 125

Die 25 m-Antenne unter dem

schützenden Radom. Der Größenvergleich

mit der Person

wirkt beeindruckend!

Um sich den kleinen Öffnungswinkel

der Antenne

vorzustellen, könnte man sie

sich als Scheinwerfer denken:

Der Lichtstrahl würde dann

den Mond nur zu etwa einem

20stel seiner Oberfläche

bedecken.

Abb. 126

Der 100 kg schwere Subreflektor

hat eine Konturgenauigkeit

kleiner 0,5 mm und ist in alle

Achsen ausrichtbar

Strahlungsenergie sendet.

Diesen Wert nennt

man auch Halbwertsbreite,

da die Breite bei

halbem Wert gemessen

wird. Umgekehrt gilt

dies auch bei Empfang.

Aus dem Diagramm kann

man die Empfindlichkeit

der Antenne in Abhängigkeit

vom Winkel des

einfallenden Signals erkennen.

Die Antenne 1

hat eine Halbwertsbreite

von nur 0,1 bis 0,2°. Dabei

sind alle dynamischen

Verformungen, die durch

die Antennenbewegungen

herrühren, eingeschlossen.

Dies ist auch

heute noch ein ausgezeichneter

Wert. Übrigens

gelten die Darstellungen

nur für bestimmte Frequenzen,

da ein Richtdiagramm einer Antenne auch von der Schwingungszahl

abhängig ist. Das Richtdiagramm der vorhergehenden Seite

wurde mithilfe eines extra aufgestellten Senders auf dem Vorderen Hörnle,

einem 1548 m hohen Berg in den Ammergauer Alpen, erstellt. Er sendete

konstant im 4 GHz- und 6 GHz-Bereich, während sich 29 km nördlich davon

der große Antennenreflektor langsam drehte und die Techniker dieses

Strahlungsdiagramm aufzeichneten. Somit konnte die Justiergenauigkeit

der verschiedenen Reflektorflächen überprüft werden.

Vor dem 25 m-Reflektor fallen vier zueinander laufende Streben auf, an

denen mittig und im Antennenbrennpunkt ein weiterer Reflektor – ein

sogenannter Sub- oder Fangreflektor – befestigt ist. Normalerweise befindet

sich ja im Brennpunkt einer Parabolantenne der eigentliche Erreger,

d. h. das Teil, das für die Umwandlung der Raumwelle in eine leitergeführte

Welle (bzw. umgekehrt) sorgt. Bei Antenne 1 wird das aus dem

All kommende Signal zuerst mit der Hauptreflektorfläche aufgefangen

und (entsprechend Einfalls- ist gleich Ausfallswinkel) gebündelt zum Subreflektor

zurückgeworfen. Dieser hat einen Durchmesser von 2,30 m und

ist paraboloid nach außen geformt, damit die nun abermals reflektierten

Strahlen parallel durch das Loch im Hauptreflektor gelangen können. Das

Prinzip der Reflexion über solch einen Subreflektor, das nach dem französischen

Gelehrten Laurent Cassegrain (1629 – 1693) benannt ist, hat den

Vorteil, dass die Bauform kompakter wird und die elektronischen Einrich-

98


Freistehende Großantennen

Antenne 1 besichtigen. Beschränkt wurde

die Besucherzahl auch durch die Größe der

Personenschleuse. Mit der Zerstörung der

Radomhülle (s. S. 179) im Februar 2020 mussten

diese Besuche und Führungen entfallen.

2001 hatten Pfadfinder während eines

Zeltlagers die Idee, das Radom als Filmleinwand

zu nutzen. Seither gibt es fast jedes Jahr

das mehrtägige SpaceCinema der Pfadfinderfreunde

aus dem Landkreis Landsberg.

Dann erleben Hunderte von Besuchern auf Decken, Liegestühlen und aufblasbaren

Unterlagen vor dem Radom bis spät in die Nacht kultige Filme

in einer Größe von 30 x 16 m. Beim 10 kW-Dolby-Digital-Sound, den beleuchteten

Riesenantennen im Rücken und dem Sternenhimmel über sich

ist dieses Erlebnis schon eines der abgehobensten Events weit und breit.

Abb. 197

Die besten Plätze sind schon

belegt: SpaceCinema am Radom

3.6 Freistehende Großantennen

Die Notwendigkeit, Kommunikationsverbindungen über Satelliten zu

führen sowie der Beweis für die Machbarkeit dieser Art der Übertragung

veranlasste die Deutsche Bundespost schon vor dem ersten Spatenstich,

weitere Antennen in Raisting zu planen. Von den anfangs vier vorgesehenen

Antennen unter je einem Radom ist man aber aufgrund der rasanten

technischen Entwicklung abgekommen. Man wollte den negativen Einfluss

vor allem einer nassen Schutzhülle ausschließen. Die Vorteile, die aber

zweifelsohne eine solche Membrane aufweist, erkaufte

man sich mit einem hohen Aufwand für zusätzliche Stabilität

und dem Schutz vor Witterungseinflüssen.

Die Großantennen wurden vom Architekturbüro Hans

Maurer so gestaltet, dass Reflektor und Antennenfuß eine

architektonische Einheit bilden. Gleichzeitig erscheinen

die Unterbauten wie ein harmonischer Anklang an die

Bergspitzen der nahen Alpen. Sogar aerodynamische Tests

wurden durchgeführt, um Nachführungsungenauigkeiten

auszuschließen. Die Verkleidungen der aus Stahlbeton

gefertigten Antennensockel mit Aluminium, also dem

gleichen Material wie die Parabolspiegel, dienen der Verminderung

von Konstruktionsänderungen durch Sonnenbestrahlung.

Nicht dem bayerischen Wahrzeichen

sind die Rauten geschuldet (sie müssten ja sonst weißblau

gestrichen sein!), sondern so ein Viereck mit gleich

langen Seiten ist die geometrische Form, die sich ästhetisch

dem verjüngenden Baukörper anpasst. Die daraus

entstehenden Schräglinien wurden eigens berechnet und

weisen auf den technischen Charakter der Gebäude hin.

Abb. 198

Die Aluminiumrauten einer

Antennenfußverkleidung

139


ERDFUNKSTELLE RAISTING

Abb. 262

Am nächsten Morgen zeigte

sich das ganze Ausmaß der

Zerstörung

Abb. 263

Ein ganz ungewohnter Anblick

Es war bekannt, dass die Hülle durch starken Wind seitlich um mehr

als zweieinhalb Meter weggedrückt werden kann. Damit geht aber auch

eine extreme Belastung gerade im Bereich der Polkappe einher. Eine einzelne

Böe mit einem am Boden gemessenen Spitzenwert von 121 km/h war

es, die gegen 21.30 Uhr mit großer Wahrscheinlichkeit an einer Gewebeschwachstelle

im obersten Radombereich die Hülle aufriss. Unmittelbar

darauf brach die Luftströmung um das Radom und der Wind verfing

sich an der nun wesentlich

ungünstiger geformten Angriffsfläche.

Im selben Moment

entwich der Überdruck

und die Traglufthülle

stürzte ein. Mit drei tiefen

Rissen bis zum Sockelrand

peitschten die tonnenschweren

Planen gegen die

Antenne und verbogen Abdeckungen

und Geländer,

bevor sie wie überdimensionierte

Leichentücher am

Boden über das Fundament

geworfen liegen blieben. Die

Antenne selbst drehte sich

trotz blockierter Bremsen

180


Betreiber- und Nutzungswechsel

Abb. 273

Letzter und erfolgreicher Versuch

am Sonntagmorgen

Kaum dass sich der Frühnebel lichtete, hing bereits am Sonntagmorgen

in aller Frühe die Membrane am Haken des Krans über der Antenne. Trotz

mehrfach eingeknicktem Versteifungsring entschloss man sich, es heute

zu wagen. Denn der große Liebherr-Autokran, mit Tages-Mietkosten von

einigen tausend Euro, war für die nächsten Tage bereits anderweitig disponiert.

Langsam wurde die Hülle abgelassen. Dabei erwiesen sich die

aufgeblasenen grauen Abweiser als sehr hilfreich. Mehrere am Boden

befestigte Winden zogen mit Seilen nach und nach die Hülle auseinander,

so dass sie an den Schraubenbolzen befestigt werden konnte.

Gegen 15 Uhr konnte das Aufblasen beginnen; eineinhalb

Stunden später glänzte die Dreiviertelkugel im nachmittäglichen

Sonnenlicht. Doch noch hing der Eisenring im Zenit.

Es brauchte fünf Mann, die – einer nach dem anderen – mit

einem Fahrkorb nach oben gebracht wurden und erst nach

weiteren zwei Stunden den Eisenring lösen konnten. Kurz

nach Sonnenuntergang schwebte dann endlich die Aufhängung

aufwärts und das neue Radom stand erstmals alleine

durch die Stützluft getragen. Als dann die letzten Arbeiter

von ihrem exponierten Arbeitsort geholt wurden, war es

bereits dunkel und kalt. Nur noch drei ausdauernde Hobbyfotografen

waren am Hofstätterweg zu sehen, wie sie ihre

Ausrüstungen einpackten.

Mit dem dritten Radom über derselben Großantenne war

dieser Austausch sicherlich weltweit einmalig. Beispiellos in

dieser Dimension war die angewandte Technik. Einzigartig

sind auch die Ausmaße dieses außergewöhnlichen Bauwerks:

Raisting hat wieder sein Wahrzeichen und die größte Radom-

Traglufthalle der Welt.

Abb. 274

Verstärkung kommt ...

185




Text für BU-Anker

Abb. 275 (o.)

St. Johann auf Heiligenstätten im Winter

Abb. 276 (u.)

St. Johann und Strahlen anderer Art

186




Text für BU-Anker

Abb. 285 (o.)

Die gewaltige Antenne 4 vor St. Remigius (re.) und dem Marienmünster (li.)

Abb. 286 (u.)

Der mächtige Antennenfuß von Antenne 5

191


ERGÄNZENDE INFORMATIONEN

4.4 Gefährlicher Weltraumschrott

1995 wurde der französische

Spionagesatellit Cerise von

einem Bruchstück einer zehn

Jahre vorher explodierten

Ariane-Raketenstufe getroffen.

Mit 50.000 km/h wurde

dabei ein Ausleger zur Lagestabilisierung

abgerissen.

Nur mit Mühe konnte der

trudelnde Satellit noch

gerettet werden.

Abb. 302

Weltraumschrott in der niedrigen

Erdumlaufbahn (LEO).

Die Punkte markieren konkrete

Standorte, sind aber vergrößert

dargestellt.

Hat irgendjemand mit dem erfolgreichen Start des ersten Satelliten Sputnik

daran gedacht, dass man sich in nicht allzu ferner Zukunft Gedanken

über Weltraumschrott machen muss? In Anbetracht der maximal nur

metergroßen künstlichen Teile im schier endlosen Weltall? Wahrscheinlich

nicht. Und auch noch 2007 nahm China (2021 Russland, s. u.) einen

ausgedienten Wettersatelliten als Versuchsobjekt mit einer Rakete aufs

Korn. Übrig blieben an die 3000 Einzelteile, die seitdem in alle Richtungen

als Geschosse mit Geschwindigkeiten von 25.000 km/h und mehr durch

das All rasen. Aber nicht nur ausrangierte Satelliten oder Teile davon stellen

Weltraummüll dar, sondern auch ausgebrannte Raketenstufen oder

verlorene Schraubendreher.

In den bevorzugten Bereichen, in denen die Satelliten ihre Kreise ziehen,

häuft sich auch in erschreckender Geschwindigkeit der Müll. Das

sind die Orbits überwiegend in einer Höhe zwischen 600 und 1000 km, um

die 1400 km sowie 20.000 km, wo sich die Navigationssatelliten befinden.

Aber auch im Bereich der geostationären Bahn sind nicht mehr zu verwendende

Erdbegleiter und eine Menge an Trümmern unterwegs. Für

diese weitgehend tankleeren und somit nicht mehr nutzbaren Satelliten

wurde extra ein »Friedhofsband« eingerichtet.

Auf diese Schrott-Umlaufbahn, die etwa 300 km

oberhalb der geostationären Bahn liegt, werden

mit dem letzten Treibstoffrest diese i. d. R. zwölf

bis 15 Jahre alten Veteranen gesteuert. Dann

wird das restliche Hydrazin abgelassen und die

Batterien entladen, um einer unkontrollierten

Explosion vorzubeugen. Hier in diesem »Friedhofsorbit«

fliegen sie wahrscheinlich noch

einige hunderttausend Jahre um die Erde, bis

sie – gelegentlich durch ein paar einzelne Gasmoleküle

oder den Solarstrahlungsdruck abgebremst

– zuerst ganz langsam und später

schneller werdend, von der Erde angezogen

und voraussichtlich in der Atmosphäre verglühen

werden. Der Grund liegt in der (wenn auch

nur minimalen) Verringerung der Fliehkraft, so

dass die Erdanziehungskraft einen immer größeren

Einfluss gewinnt.

Wieso werden geostationäre Satelliten nach dem Ende ihrer Lebensdauer

nicht direkt zum Absturz und Verglühen gebracht? Sie müssten

dazu wesentlich mehr Treibstoff aufnehmen, um sich abzubremsen und

würden dann mehr oder weniger steuerlos alle Satellitenzonen in einer

Spirale durchfliegen. Die Gefahr eines Zusammenpralls mit entsprechenden

Folgen wäre einfach zu hoch.

204

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