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MIXOLOGY ISSUE #108 – In den Frühling mit einem Aperitivo

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2/ 2022 — 20. Jahrgang<br />

Einzelverkaufspreis: [D] 9,50 € — [A, LUX] 10,50 € — [CH] 11 CHF<br />

HEINE<br />

HATTE UNRECHT<br />

BARS IN<br />

GÖTTINGEN<br />

WILLI-WAHRHEIT<br />

DER BESTE<br />

BIRNENBRAND<br />

APERITIVO<br />

AB AUF DIE TERRASSE. MIT NEUEN IDEEN.


AUF EIN GLAS MIT …<br />

FRIEDLICH<br />

TRINKEN<br />

Das »Pacific Times« in<br />

München feiert 25-jähriges<br />

Bestehen, ihr Mastermind<br />

Andreas Till, seit drei Jahren<br />

auch Alleininhaber, seinen 50.<br />

Geburtstag. Zwei Anlässe,<br />

ein Glas zu erheben. Was <strong>den</strong><br />

Sunnyboy nicht an nach<strong>den</strong>klichen<br />

Ansichten hindert <strong>–</strong> bis<br />

hin zur Bewirtungsphilosophie<br />

seines Großvaters.<br />

26


Text & <strong>In</strong>terview Roland Graf<br />

Fotos Christoph Grothgar<br />

Andi Till ist pünktlich wie immer. Als wir im<br />

Pacific Times eintreffen, endet gerade die kleine<br />

Rechtsberatung durch seinen Sohn, einen<br />

Jura-Stu<strong>den</strong>ten. Der Positiv<strong>den</strong>ker Till fasst die<br />

Szene nur zusammen und widmet sich lieber<br />

der Espressomaschine. Die Gäste haben schließlich<br />

noch nichts zu trinken! Am Ende wer<strong>den</strong> es<br />

neben dem Kaffee zwei Glas Champagner und<br />

ein Campari Seltz als Arbeitsbehelf sein. Diese<br />

Mischung passt auch zum <strong>In</strong>halt des Gesprächs<br />

<strong>–</strong> eine Tour d’Horizon <strong>mit</strong> dem Münchner:<br />

über unterschiedliche Gästegenerationen, <strong>den</strong><br />

Image-Wechsel durch Corona bis zum richtigen<br />

Gebrauch digitaler Medien.<br />

ZUR PERSON<br />

50 Jahre wird Andi Till dieses Jahr alt,<br />

rund 30 davon gehört er schon zur<br />

Münchner Gastroszene. 1997 gehörte<br />

der Mann <strong>mit</strong> dem allgegenwärtigen<br />

Lächeln zu <strong>den</strong> Mitgründern des in<br />

der Stadt legendären »Pacific Times«,<br />

das er <strong>mit</strong>tlerweile alleine führt. Aus<br />

einer ungarischen Familie stammend,<br />

entdeckte er irgendwann die Liebe zum<br />

italienischen <strong>Aperitivo</strong> <strong>–</strong> der ihn bis<br />

heute begeistert.<br />

Mixology: Lieber Andi, das Jubiläum lässt du<br />

ein ganzes Jahr feiern <strong>–</strong> was erwartet die Gäste?<br />

Andreas Till: Wir haben Gäste, die seit 20<br />

Jahren zu uns kommen, aber nur sehr unregelmäßig<br />

in München sind <strong>–</strong> zum Beispiel bei<br />

Messen. Um <strong>den</strong>en die Möglichkeit zu geben,<br />

das ganze Jahr <strong>mit</strong> uns zu feiern, machen wir<br />

Themenmonate. Im Februar hatten wir die<br />

Tiki-Welt, jetzt im März machen wir Champagner<br />

und Austern, was mir sehr am Herzen liegt,<br />

um das aus der Event- und Blingbling-Ecke<br />

rauszuholen und zu zeigen, dass das einfach<br />

geil schmeckt. Das kann man in München gut<br />

machen, weil die Leute zwar viel da<strong>mit</strong> feiern,<br />

aber auch da<strong>mit</strong> angeben. Im April geht’s weiter<br />

<strong>mit</strong> der mediterranen Welt und vor allem<br />

<strong>mit</strong> Anis, die Küche wird dazu Mezze servieren.<br />

Im Mai kommt dann <strong>Aperitivo</strong> und wir<br />

hoffen, dass wir das schon draußen machen<br />

können, um etwa unseren »Seltz« mobil anzubieten.<br />

Juli ist der eigentliche Jubiläumsmonat<br />

<strong>–</strong> wir haben am 21. Juli 1997 eröffnet <strong>–</strong>, da gibt’s<br />

Klassiker aus 25 Jahren.<br />

Wie kam es zu dem Namen des Pacific Times,<br />

in dem ja auch das Angebot an die gute Zeit<br />

steckt, das du <strong>den</strong> Gästen machst?<br />

Ich glaube, dass der Name heute wieder gut in<br />

die Epoche passt. Für mich ist eine Bar eine<br />

Art Oase, so wie in Casablanca: Auch wenn<br />

draußen der Krieg tobt, gibt es einen Ort, an<br />

dem die Leute einfach etwas trinken und die<br />

Alltagsprobleme vergessen. Dafür steht zum<br />

einen das Wort Pacific vom lateinischen pax<br />

(= Friede). Daher gilt bei uns: »keine Politik<br />

oder Religion« sowie so ein paar Standards der<br />

Gastronomie, die wir uns berechtigt auf die<br />

Fahnen geschrieben haben. Natürlich sind die<br />

Sorgen nicht weg, nur weil du etwas trinkst.<br />

Der zweite Bestandteil, die Times, haben wir<br />

versucht <strong>mit</strong> diesem Kolonialstil widerzuspiegeln.<br />

Auch wenn das historisch ein düsteres<br />

Kapitel ist, hat die Kolonialzeit doch gastronomisch<br />

einen neuen Servicelevel gebracht. Das<br />

ist für uns wichtig. Ein Gast ist nicht König in<br />

dem Sinne, wie das oft diskutiert wird. Aber<br />

wir sind dazu da, dass er am Ende glücklicher<br />

hinausgeht.<br />

Kannst du dich noch an <strong>den</strong> 21. Juli 1997 <strong>–</strong> und<br />

eine völlig andere Bar-Welt <strong>–</strong> erinnern?<br />

Klar! Die Monate davor waren eine riesige Baustelle,<br />

der La<strong>den</strong> ja früher viel kleiner. Hier, wo<br />

wir sitzen, war die Wirtswohnung. Wie bei jeder<br />

Neueröffnung brannte am Ende die rote<br />

Lampe <strong>–</strong> wir wollten um 17 Uhr aufsperren,<br />

letztendlich ist es dann 19 Uhr gewor<strong>den</strong>. Einer<br />

der ersten Gäste war Jochen Hirschfeld<br />

(Tiki-Liebhaber, Fotograf und Filmemacher),<br />

der wohnt hier im Viertel. Ebenfalls aus dem<br />

Viertel kamen die Jungs aus dem Joe Peña’s,<br />

wo ich vier Jahre gearbeitet hatte. Dort haben<br />

wir zwischen 17 und 21 Uhr 1100 Drinks für je<br />

6,50 DM geschickt! Die letzten Bestellungen<br />

nahmen wir um 20 Uhr an und haben das<br />

dann bis neun abgearbeitet. Das war für mich<br />

die größte Schule an Geschwindigkeit und Organisation,<br />

die es gab.<br />

Vermutlich auch, weil es keine sechs Signature<br />

Cocktails gab, sondern aus einer großen Karte<br />

bestellt wurde?<br />

Ja, die 1990er. Mai Tai und Caipirinha, Long<br />

Island Ice-Tea und Hurricane waren natürlich<br />

äußerst beliebt. Und wir haben pitcherweise<br />

Margaritas verkauft, das gehörte zum Tex-Mex-<br />

Konzept. Und all die Leute kamen nun ins<br />

Pacific in der Erwartung, dass es auch Happy<br />

Hour gäbe. Dabei war das hier ganz was anderes:<br />

im Kolonialstil <strong>mit</strong> Ventilatoren an der Decke,<br />

Korbsesseln, deutlich eleganter und weg<br />

von der Pitcher-Kultur. Hier wollten wir tatsächlich<br />

Qualität liefern zu <strong>einem</strong> fairen Preis,<br />

da musste man das Publikum erst fin<strong>den</strong>.<br />

Wobei ja auch die Verfügbarkeit etwa von Obst<br />

eine andere war …<br />

Ich behaupte ja: Die wenigsten Kollegen machen<br />

sich <strong>den</strong> Gedanken, dass wir da meist<br />

unreife Zitronen verarbeiten, die vielleicht <strong>mit</strong><br />

<strong>den</strong> erwähnten Zitrusfrüchten der alten Bücher<br />

nichts zu tun haben. Oder vielleicht doch,<br />

<strong>den</strong>n es gab ja auch früher schon Transportprobleme.<br />

Daher ist es immer unheimlich schwer,<br />

sich über alte Rezepte Gedanken zu machen,<br />

weil man nicht weiß, in welcher Qualität und<br />

Beschaffenheit das damals verfügbar war. Das<br />

Positive ist, dass man heute viel verfügbar hat,<br />

wenn man sich intensiv <strong>mit</strong> seinen Zutaten beschäftigt.<br />

Ich glaube nur, dass der Tellerrand<br />

größer gefasst wird, als er sein müsste. Wir<br />

beschäftigen uns <strong>mit</strong> sehr viel peripheren Dingen,<br />

aber die essenziellen bleiben oft auf der<br />

Strecke: Eis, Zitrusfrüchte, Minze. Das sind<br />

lauter Dinge, die ließen sich heute einfach recherchieren.<br />

Klar haben wir einen medialen<br />

Overflow, aber wenn ich an meine Zeit zurück<strong>den</strong>ke:<br />

Da bist du in eine Bibliothek, hast auf<br />

27


STADTGESCHICHTEN<br />

WISSEN &<br />

WELSE<br />

Text Juliane E. Reichert<br />

Heinrich Heine attestierte Göttingen einst, dass<br />

man dort gut Bier trinken könne. Als Lob war<br />

das weniger gemeint. Und mal im Ernst: Wenn<br />

man irgendwo nicht mal vernünftig Bier trinken<br />

kann, ist es wahrhaft düster bestellt um einen<br />

Ort. Diesen dichterischen Defätismus aufnehmend,<br />

hat sich unsere Autorin aufgemacht, um<br />

die junge Cocktailkultur der altehrwürdigen<br />

Universitätsstadt zu ergrün<strong>den</strong>. Und siehe da:<br />

Man kann dort gut Cocktails trinken. Das wiederum<br />

ist auch nett gemeint.<br />

30


Foto: Sebastian Böttcher<br />

31


COCKTAIL<br />

RATAFIA-<br />

ADONIS<br />

von Johannes Sorg,<br />

»Schoellmanns«, Offenburg<br />

4 cl Fino Sherry<br />

2,5 cl Ratafia<br />

1,5 cl trockener Wermut<br />

2 Dashes Orange Bitters<br />

Zitronenzeste<br />

GLAS: Coupette /<br />

Südweinglas<br />

GARNITUR: Zitronenzeste<br />

ZUBEREITUNG: Alle Zutaten<br />

auf reichlich Eis gründlich<br />

kalt rühren. Dann in das<br />

vorgekühlte Glas abseihen<br />

und <strong>mit</strong> der Zitronenzeste<br />

garnieren.<br />

ERÖFFNUNG!<br />

42


Die Zigarette danach lässt wenig<br />

Spielraum, was vor ihr geschah. Doch<br />

wovor genau kommt er eigentlich, der<br />

<strong>Aperitivo</strong>? Diese Frage ist entschei<strong>den</strong>d,<br />

segeln doch appetitanregende<br />

Dreiteiler ebenso wie der luftige<br />

Spritz oder fast jeder Highball unter<br />

der Flagge des »Zuerst …«. Doch wie<br />

legen Bars heute diesen Spagat an?<br />

Text Roland Graf<br />

Fotos Jule Frommelt<br />

Drink Design Rose-Manon Baux<br />

Re<strong>den</strong> wir über das Königsgambit. Selbst Laien<br />

ahnen nach dem Erfolg der TV-Serie The<br />

Queen’s Gambit, dass dieses wohl etwas <strong>mit</strong><br />

Schach zu tun hat. Ohne jetzt einen Crash-<br />

Kurs in Spieltaktik zu geben: Diese Zugkombination<br />

zur Eröffnung gilt als ebenso aggressiv<br />

wie aus der Zeit gefallen. Sagen wir es einfach<br />

so: Wer das Königsgambit spielt, kommt gern<br />

schnell zur Sache. Macht Mixology jetzt aber<br />

ernsthaft auf Schach-Postille? Keine Angst!<br />

Über Magnus Carlsen und »Nepo«, <strong>den</strong> er im<br />

Wüstenmatch so herrlich abzockte, folgt keine<br />

Zeile. Dafür etliche über <strong>den</strong> <strong>Aperitivo</strong>. Und<br />

ohne die Schach-Analogie zu Tode zu reiten:<br />

Ganz abwegig ist der Vergleich des Auftaktdrinks<br />

<strong>mit</strong> <strong>den</strong> 64 Feldern nicht <strong>–</strong> wenn man<br />

seine Rolle für die Barkultur betrachtet.<br />

Die klassische Bartender-Frage, wie intensiv<br />

der Gast seinen Abend gestalten will, steht<br />

schließlich oft am Anfang, sie ist oft auch<br />

spielentschei<strong>den</strong>d. Bei drei oder vier Drinks<br />

geht es eben um einen aromatisch stimmigen<br />

Aufbau der Servier-Reihenfolge, der in <strong>einem</strong><br />

Punkt dem Rat aller Schach-Großmeister dieser<br />

Welt gleicht: Achte auf ein starkes Zentrum!<br />

Das wiederum bedeutet eine Dramaturgie,<br />

die einen Cocktail explizit zum <strong>Aperitivo</strong><br />

erklärt. Der aber muss nicht zwangsläufig aus<br />

dem Repertoire der millionenfach gespielten<br />

»italienischen Eröffnung« stammen, sondern<br />

zunächst einmal nur zum zentralen Drink der<br />

Abfolge hinführen. Tausende feixende Verkostungsleiter<br />

und Markenbotschafter können<br />

nicht irren <strong>mit</strong> ihrem Sager vom »ersten Alkohol<br />

am Tag, der immer brennt«. Nur möchte<br />

man als Barkreativer diesen trigeminalen Effekt<br />

nicht unbedingt von s<strong>einem</strong> Signature<br />

Drink getriggert wissen.<br />

Der <strong>Aperitivo</strong><br />

entscheidet<br />

auch, wie der<br />

restliche Abend<br />

verläuft<br />

43


SPIRITUOSE<br />

K I L L<br />

’ D A T<br />

DEVIL!<br />

66


Seit über 200 Jahren wird<br />

versucht, die Herkunft der<br />

Bezeichnungen »Rum« und<br />

»Kill-Devil« zu verstehen.<br />

Für beide Begriffe gibt es<br />

zahlreiche Erklärungsversuche,<br />

die jedoch wesentliche<br />

Aspekte der religiösen und<br />

kulturellen Traditionen versklavter<br />

Afrikaner außer Acht<br />

lassen. Unternehmen wir an<br />

dieser Stelle <strong>den</strong> Versuch<br />

einer neuen Etymologie für<br />

<strong>den</strong> Namen der vielfältigsten<br />

Spirituose der Welt.<br />

Text Armin Zimmermann<br />

Illustrationen Constantin Karl<br />

Die Ursprünge von Zuckerrohrdestillaten liegen<br />

im 16. Jahrhundert, bereits zu Beginn desselben<br />

sollen sie in Brasilien hergestellt wor<strong>den</strong><br />

sein. Trotzdem gelten die britische Kolonie<br />

Barbados und das französische Martinique als<br />

Geburtsstätten des Rums. Allgemein wird angenommen,<br />

dass man dort in <strong>den</strong> 1640er-Jahren<br />

<strong>mit</strong> der Rum-Destillation begann. Die Frage<br />

ist jedoch, ob dieses frühe Destillat wirklich<br />

als Rum bezeichnet wer<strong>den</strong> kann, <strong>den</strong>n man<br />

verarbeitete nur <strong>den</strong> bei der Zuckerherstellung<br />

entstehen<strong>den</strong> Schaum, der von <strong>den</strong> Kesseln<br />

abgeschöpft wurde. Noch in <strong>den</strong> 1670er-Jahren<br />

wurde betont, dass man keine Melasse verwende.<br />

Diese galt gemeinhin als Abfall. Doch auf<br />

diese Details kommt es im Zusammenhang <strong>mit</strong><br />

einer Etymologie nicht an. Ausschlaggebend<br />

ist vielmehr, dass beide Begriffe, »Kill-Devil«<br />

und »Rum«, erstmals auf Barbados dokumentiert<br />

wur<strong>den</strong>.<br />

Die bisherige Etymologie:<br />

Kill-Devil, Rum & Rumbullion<br />

Der klassischen Betrachtungsweise zufolge<br />

begannen barbadische Pflanzer zwischen 1640<br />

und 1645 da<strong>mit</strong>, ein Zuckerrohrdestillat herzustellen.<br />

Dieses wurde »Kill-Devil« genannt.<br />

Bis heute vermochte niemand eindeutig zu<br />

belegen, wieso das Destillat diesen Namen erhielt.<br />

Sir Hans Sloane war 1707 der Meinung,<br />

dies sei geschehen, weil es teufelsgleich viele<br />

Menschen töte. Es besteht Konsens darüber,<br />

dass die Bezeichnung Kill-Devil als guildive<br />

ins Französische übernommen wurde, ins Niederländische<br />

als kiltem oder keelduivel, ins<br />

Dänische als kieldeevil oder geldyvel. Französische<br />

Sprachforscher vertraten die Auffassung,<br />

guildive sei eine Wortkombination aus giler,<br />

was das Hochschäumen der Hefe bezeichne,<br />

und dive, einer Abwandlung des französischen<br />

Wortes diable für <strong>den</strong> Teufel. Jedoch merkte<br />

bereits der Philosoph und Medizinhistoriker<br />

Émile Littré im 19. Jahrhundert an, dass<br />

i<br />

guildiv<br />

ve<br />

v<br />

l<br />

keelduive<br />

geldyve<br />

v<br />

dive<br />

diable<br />

el<br />

dies nicht stimmen müsse, da man nie wisse,<br />

ob nicht doch irgendein besonderer Umstand<br />

oder ein Eigenname hinter der Bezeichnung<br />

stecke, und dass außerdem historische <strong>In</strong>formationen<br />

fehlten. Manche fin<strong>den</strong> jedoch die<br />

französische Erklärung so überzeugend, dass<br />

sie postulieren, Kill-Devil sei in Wahrheit aus<br />

dem Französischen ins Englische übernommen<br />

wor<strong>den</strong>. Doch dafür gibt es keinen Beleg.<br />

Nicht überzeugend ist auch die Erklärung,<br />

guildive sei eine Kombination des malaiischen<br />

Wortes giler (»verrückt«) <strong>mit</strong> dem französischen<br />

diable.<br />

»Rum« ist ein jüngeres Wort als Kill-Devil.<br />

Erstmals wurde es in einer barbadischen Urkunde<br />

des Jahres 1650 verwendet, in der vier<br />

große Rum-Zisternen einer Plantage erwähnt<br />

wer<strong>den</strong>. Es gibt zahlreiche Quellen, die belegen,<br />

dass man unter Rum und Kill-Devil dasselbe<br />

verstand. Giles Silvester, Bruder eines<br />

einflussreichen Plantagenbesitzers, schrieb im<br />

Jahr 1651: »Das wichtigste Rausch<strong>mit</strong>tel, das sie<br />

auf der <strong>In</strong>sel herstellen, ist Rumbullion alias<br />

Kill-Divill, und dieses wird aus Zuckerrohr<br />

destilliert, eine scharfe, höllische und schreckliche<br />

Spirituose.«<br />

Gemeinhin nimmt man diese Äußerung<br />

als Beleg dafür, dass die Bezeichnung »Rum«<br />

durch Verkürzung aus »Rumbullion« entstan<strong>den</strong><br />

sei. Der Sprachwissenschaftler James<br />

Richard Halliwell gibt 1847 an, das Wort<br />

Rumbullion bedeute »großer Tumult« und<br />

stamme aus Devonshire. Als man auf Barbados<br />

<strong>mit</strong> der Zuckerproduktion begann, waren auch<br />

Siedler aus Devonshire ansässig, und Darnell<br />

Davis bemerkt in diesem Zusammenhang in<br />

seiner 1885 erschienenen Etymologie des Wortes<br />

Rum, »es war zweifellos <strong>einem</strong> weitsichtigen<br />

Mann aus dem Westen zu verdanken, dass<br />

die Ursache für so viel Unfrie<strong>den</strong> unter <strong>den</strong><br />

Männern so treffend benannt wurde«. Andere<br />

hingegen meinen, <strong>mit</strong> dem großen Tumult<br />

werde Bezug auf das heftige Aufschäumen<br />

der Hefe bei der Fermentierung des Zuckerrohrs<br />

genommen. Davis vermutet indes, dass<br />

aus Rumbullion zunächst die Bezeichnung<br />

»Rumbo« entstan<strong>den</strong> sei. Er führt als Argument<br />

an, dass Sir Walter Scott in s<strong>einem</strong><br />

Buch The Pirates schreibe, man habe »eine<br />

Kanne voll Rumbo« getrunken, und bemerkt,<br />

dass man auch während der Revolutionsjahre<br />

in New York Rumbo getrunken habe. Rumbo<br />

sei dann weiter zu Rum verkürzt wor<strong>den</strong>.<br />

67


TRINKWELT<br />

BALLER<br />

MANN<br />

U N D<br />

RAUBEIN<br />

TRINKKULTUR ODER BARKULTUR UND BALEA-<br />

REN KLINGT ZUNÄCHST NACH EINEM SELTSA-<br />

MEN WIDERSPRUCH. ALLENFALLS DER GEWEI-<br />

TETE BLICK INS NAHE BARCELONA KANN DIESEN<br />

VERSÖHNEN. DENKT MAN. WIE IMMER IM LEBEN<br />

BESTÄTIGT DAS NUR DIE FAULEN, DIE IHR URTEIL<br />

DURCH MEDIAL ERZEUGTE BILDER VORSCHNELL<br />

BESTÄTIGT SEHEN. ODER ANDERS GEFRAGT: WAS<br />

HAT EIN ROTOVAP AUF MALLORCA ZU SUCHEN?<br />

EIN BLICK HINTER DIE KULISSEN UND EINE VER-<br />

NEIGUNG VOR DEN STEINSCHLEUDERWERFERN<br />

FORMENTERAS.<br />

Text Markus Orschiedt<br />

Illustration <strong>In</strong>ga Israel<br />

Nimmt man das Thema Trinkkultur der Balearen<br />

in <strong>den</strong> Blick, erzeugt das Bilder. Meist<br />

solche, die eine kognitive Dissonanz auslösen.<br />

Trinkkultur und Ibiza oder Mallorca scheinen<br />

ein Widerspruch in sich zu sein. Hauptsächlich<br />

verursacht durch die Ikonografie von fallund<br />

lallsüchtigen deutschen Krawalltouristen<br />

am berüchtigten Ballermann in El Arenal auf<br />

Mallorca. Viele verbringen da in der Tat ihre<br />

Tage zwischen Sangría und Reblaus am Beach<br />

und Schinkenstraße an der Promenade. Im<br />

noch nüchternen Zustand wer<strong>den</strong> die ellenlangen<br />

Trinkhalme in die Himmelsrichtung<br />

ausgerichtet, in der nach Sonnenuntergang<br />

das Gelage seine Fortsetzung oder gar seinen<br />

unrühmlichen Abschluss findet. Leider ist das<br />

noch immer Klischee und Wirklichkeit in <strong>einem</strong>,<br />

auch wenn die mallorquinische Verwaltung<br />

seit Langem durch strengere Auflagen<br />

versucht, die Unkultur in erträgliche Bahnen<br />

zu lenken.<br />

74


75


82<br />

Collage/Illustration: Editienne


<strong>MIXOLOGY</strong> TASTE FORUM<br />

WO EIN<br />

WILLI IST<br />

Text & Leitung des Tastings<br />

Maria Gorbatschova<br />

Unter allen traditionellen<br />

Obstbrand-Gattungen<br />

ist Williams-Birne ganz<br />

klar die große einende<br />

Sorte des deutschsprachigen<br />

Raums. Von Ba<strong>den</strong><br />

bis nach Südtirol existiert<br />

eine faszinierende Vielfalt<br />

und Breite an Brän<strong>den</strong><br />

aus dem bekanntesten<br />

Spirituosen-Kernobst.<br />

Das Taste Forum hat sich<br />

einen gewichtigen Querschnitt<br />

vorgenommen.<br />

Allein in Deutschland gibt es über 14.000 Spirituosenbrennereien.<br />

Ganz schön viele also.<br />

Wenn man dem gegenüberstellt, dass es in<br />

Schottland aktuell ca. 130 aktive Whisky-Destillerien<br />

gibt, die <strong>den</strong> weltweiten Bedarf an schottischem<br />

Whisky decken, wirkt die Zahl noch<br />

imposanter. <strong>In</strong> diesem Licht erscheint es merkwürdig,<br />

dass fast jede Cocktailbar im deutschsprachigen<br />

Raum mehr schottische Whiskys<br />

als Edelbrände im Angebot hat. Schade eigentlich,<br />

<strong>den</strong>n die Tradition des Brennens hierzulande<br />

produziert nicht nur hochkarätige Produkte,<br />

sondern ist auch eine der ältesten der<br />

Welt. Und übrigens sogar immer wieder ein<br />

Quell für Verwunderung z. B. nordamerikanischer<br />

Barleute, die bei Deutschlandbesuchen<br />

irritiert sind, dass so wenig german style fruit<br />

brandy in <strong>den</strong> Bars steht.<br />

Das Wissen um die Prinzipien der Destillation<br />

war schon im 8. Jahrhundert, manchen Quellen<br />

nach zu urteilen sogar noch früher, in der<br />

arabischen Welt verbreitet. Erzeugt wur<strong>den</strong><br />

da<strong>mit</strong> allerdings keine Brände im heutigen<br />

Sinne, sondern vor allem Pflanzenauszüge<br />

in Form von Hydrolaten. Mit der arabischen<br />

Expansion in Teilen Südeuropas wie Spanien,<br />

Sizilien, Kreta und Zypern verbreiteten<br />

sich diese Kenntnisse der Destillation in <strong>den</strong><br />

besetzten Gebieten. Im 12. Jahrhundert kam<br />

das diesbezügliche Wissen schließlich auch<br />

in anderen Teilen Europas an. Der deutschsprachige<br />

Raum wurde im späten Mittelalter<br />

zu <strong>einem</strong> der ersten Hotspots der Brennkunst<br />

überhaupt. Gebrannt wurde alles, was in der<br />

Umgebung wächst: Korn, Kartoffeln, anderes<br />

Gemüse und natürlich Obst. <strong>In</strong> <strong>den</strong> folgen<strong>den</strong><br />

Jahrhunderten entwickelte sich ein unglaublicher<br />

Reichtum an lokalen Spezialitäten, Likören<br />

und Brän<strong>den</strong>.<br />

Und doch bleibt traditionelle deutsche Brennkunst<br />

größtenteils so eine Art Underdog der<br />

internationalen Spirituosenszene. Einer der<br />

Gründe dafür ist, dass sich Produkte wie Vodka,<br />

Rum und Whisky gut skalieren lassen,<br />

also in sehr großen Mengen hergestellt wer<strong>den</strong><br />

können, und verhältnismäßig günstig herstellbar<br />

sind. Skalierbare Produkte sind der Grundstein<br />

großer globaler Spirituosenkonzerne und<br />

Konglomerate, die über reichlich Mittel für<br />

Vertrieb, Werbung und Marketing verfügen.<br />

<strong>In</strong> Deutschland sind Brenner vor allem in<br />

kleinen und <strong>mit</strong>telständischen Betrieben organisiert,<br />

die verhältnismäßig kleine Mengen an<br />

Brän<strong>den</strong> und Geisten herstellen <strong>–</strong> oft sogar aus<br />

eigenen Obstbestän<strong>den</strong>. Werbe<strong>mit</strong>tel sind da<strong>mit</strong><br />

begrenzt, und auch die Anzahl der jährlich<br />

produzierten Flaschen hält sich in Grenzen.<br />

Edelbrand = Craft<br />

Mit der Skalierbarkeit ist es bei Brän<strong>den</strong> daher<br />

so eine Sache. Zuerst einmal wer<strong>den</strong> Brände<br />

saisonal produziert. Obst ist bei Weitem nicht<br />

so lagerfähig wie Getreide und muss schneller<br />

verarbeitet wer<strong>den</strong>. Williams-Birnen müssen<br />

beispielsweise bei der Ernte komplett ausgereift<br />

sein und dürfen zugleich keinerlei faule<br />

Stellen haben, das wäre im Endprodukt deutlich<br />

schmeckbar. Folglich gibt es nur ein kurzes<br />

Zeitfenster für Ernte und Verarbeitung.<br />

Für Brände braucht man außerdem ziemlich<br />

große Mengen des Ausgangsrohstoffs:<br />

Beim vorliegen<strong>den</strong> Beispiel Williams ist für<br />

einen Liter Brand meist von 12 bis 20 kg Birnen<br />

die Rede. Um Gerbsäure im Destillat zu vermei<strong>den</strong>,<br />

wer<strong>den</strong> Stiele, Schale und Kerne vom<br />

Fruchtfleisch getrennt, eine aufwendige Prozedur.<br />

Die Früchte wer<strong>den</strong> dann eingemaischt,<br />

der Zucker für die Fermentation muss zu 100 %<br />

aus der Frucht stammen. Im Gegensatz dazu<br />

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