31.03.2022 Aufrufe

Angelika Reiser-Fischer: Cantate domino (Leseprobe)

Eine Limonadenflasche, die sehr effektvoll während einer Audienz beim Bischof in der Tasche explodiert. Eine Bach-Arie aus dem Weihnachtsoratorium auf der Polizeistation. Ein besonderes Abschiedsritual im Hafen von Kloster, bei dem sogar völlig Unbeteiligten die Tränen kommen. Ein Kapitän, der des Nachts zum zweiten Mal beerdigt wird. Ein Cello, auf dem so heftig musiziert wird, dass es zu qualmen beginnt. Die Erinnerungen der Musici Jenenses an ihre Sommer auf der Insel Hiddensee sind ein unerschöpflicher Quell von Geschichten, heiteren, besonderen, auch traurigen. Aber immer gewähren sie einen Blick in die Zeitgeschichte und auf die besonderen Umstände, unter denen sich junge und alte, professionelle und Hobby-Musiker aus inzwischen ganz Deutschland seit fast 60 Jahren in der kleinen Inselkirche von Kloster treffen – allen Widrigkeiten zum Trotz –, um unter einem gemeinsamen Motto zu musizieren: Cantate domino – Singt dem Herrn.

Eine Limonadenflasche, die sehr effektvoll während einer Audienz beim Bischof in der Tasche explodiert. Eine Bach-Arie aus dem Weihnachtsoratorium auf der Polizeistation. Ein besonderes Abschiedsritual im Hafen von Kloster, bei dem sogar völlig Unbeteiligten die Tränen kommen. Ein Kapitän, der des Nachts zum zweiten Mal beerdigt wird. Ein Cello, auf dem so heftig musiziert wird, dass es zu qualmen beginnt.

Die Erinnerungen der Musici Jenenses an ihre Sommer auf der Insel Hiddensee sind ein unerschöpflicher Quell von Geschichten, heiteren, besonderen, auch traurigen. Aber immer gewähren sie einen Blick in die Zeitgeschichte und auf die besonderen Umstände, unter denen sich junge und alte, professionelle und Hobby-Musiker aus inzwischen ganz Deutschland seit fast 60 Jahren in der kleinen Inselkirche von Kloster treffen – allen Widrigkeiten zum Trotz –, um unter einem gemeinsamen Motto zu musizieren: Cantate domino – Singt dem Herrn.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Wie alles begann…<br />

Als wir vor fast 60 Jahren musikalisch aktiv – damals noch als junge Leute –<br />

erstmals mit der evangelischen Studentenkurrende Jena und der Akademischen<br />

Orchestervereinigung Jena nach Hiddensee reisten, konnte wohl keiner<br />

ahnen, dass sich daraus eine unverwechselbare Bindung an das kostbare Eiland<br />

entwickeln würde.<br />

Traumland für Naturfreunde, Künstler und Menschen, die sich vom hektischen<br />

Alltag für eine gewisse Zeit lösen möchten, um innere Ruhe zu finden,<br />

oder besser gesagt: um seelische und körperliche Kraft für die Zeit danach, also<br />

wieder daheim zu finden.<br />

Was einst mit jugendlichem Elan der Begeisterung im Zusammenwirken<br />

begann, entwickelte sich über all die Jahre zu überzeugenden Interpretationen<br />

bekannter Werke des musikalischen Erbes, aber auch der Gegenwart. Nicht nur<br />

das persönliche Erleben, sondern auch das immer perfektere Umsetzen der Partituren<br />

formte die eigenen Befindlichkeiten und übertrug sich auf die Konzertbesucher,<br />

sozusagen ein Identitätszeichen des Ensembles an dieser historisch geprägten<br />

Stätte. Das geht soweit, dass über die Jahre Inselurlauber ihre Termine danach<br />

richten, wann die Musici Jenenses auf der Insel weilen, und das quer durch alle<br />

Generationen. Man könnte hier manches musikalische Werk bis hin zu Uraufführungen<br />

nennen, doch das wären Details, die diesen Rahmen sprengen würden.<br />

Was sich aus dem einst musikalischen Amateurbereich heraus entwickelt<br />

hat, das ist heute ein wichtiges Beispiel, wie Chorgesang, vereint mit professionellem<br />

Orchesterklang und Solisten, für die Konzertbesuche in der Inselkirche<br />

zu einem unverwechselbaren Erlebnis werden kann. Hinzu kommt das<br />

Zusammenwirken quer durch alle Generationen, angefangen bei den Kindern.<br />

Dabei spielt für die Musici wie für die Inselgäste das einzigartige Naturerleben<br />

eine wichtige Rolle. Wenn man an die Künstler aller Genres denkt, für die seit<br />

Jahrzehnten die Insel mit ihren auf vielfältige Weise aktiven Einheimischen<br />

ein Sehnsuchtsort geworden ist, so wird auch das Wirken der Musici Jenenses<br />

davon geprägt, und dies in einer Art unverwechselbarer Gemeinschaft ihrer aus<br />

allen Teilen Deutschlands und darüber hinaus stammenden Mitglieder.<br />

Man kommt dabei ins Philosophieren und könnte mit Blick auf die Abendmusiken<br />

auch sagen: Hier erleben die Musizierenden und ihre Zuhörer über die<br />

Zeiten quasi ein Stück Theologie des Weges. Symbol dafür am Ende eines jeden<br />

Konzertes ist das gemeinsam mit den Konzertbesuchern gesungene Abendlied<br />

»Der Mond ist aufgegangen«, mit dem der von der Waterkant stammende Dichter<br />

Matthias Claudius 1779 Brücken zwischen Himmel und Erde zu bauen vermochte<br />

in der Einheit von Leben und Hoffnung und bis heute.<br />

Hans Lehmann<br />

11

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!