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Angelika Reiser-Fischer: Cantate domino (Leseprobe)

Eine Limonadenflasche, die sehr effektvoll während einer Audienz beim Bischof in der Tasche explodiert. Eine Bach-Arie aus dem Weihnachtsoratorium auf der Polizeistation. Ein besonderes Abschiedsritual im Hafen von Kloster, bei dem sogar völlig Unbeteiligten die Tränen kommen. Ein Kapitän, der des Nachts zum zweiten Mal beerdigt wird. Ein Cello, auf dem so heftig musiziert wird, dass es zu qualmen beginnt. Die Erinnerungen der Musici Jenenses an ihre Sommer auf der Insel Hiddensee sind ein unerschöpflicher Quell von Geschichten, heiteren, besonderen, auch traurigen. Aber immer gewähren sie einen Blick in die Zeitgeschichte und auf die besonderen Umstände, unter denen sich junge und alte, professionelle und Hobby-Musiker aus inzwischen ganz Deutschland seit fast 60 Jahren in der kleinen Inselkirche von Kloster treffen – allen Widrigkeiten zum Trotz –, um unter einem gemeinsamen Motto zu musizieren: Cantate domino – Singt dem Herrn.

Eine Limonadenflasche, die sehr effektvoll während einer Audienz beim Bischof in der Tasche explodiert. Eine Bach-Arie aus dem Weihnachtsoratorium auf der Polizeistation. Ein besonderes Abschiedsritual im Hafen von Kloster, bei dem sogar völlig Unbeteiligten die Tränen kommen. Ein Kapitän, der des Nachts zum zweiten Mal beerdigt wird. Ein Cello, auf dem so heftig musiziert wird, dass es zu qualmen beginnt.

Die Erinnerungen der Musici Jenenses an ihre Sommer auf der Insel Hiddensee sind ein unerschöpflicher Quell von Geschichten, heiteren, besonderen, auch traurigen. Aber immer gewähren sie einen Blick in die Zeitgeschichte und auf die besonderen Umstände, unter denen sich junge und alte, professionelle und Hobby-Musiker aus inzwischen ganz Deutschland seit fast 60 Jahren in der kleinen Inselkirche von Kloster treffen – allen Widrigkeiten zum Trotz –, um unter einem gemeinsamen Motto zu musizieren: Cantate domino – Singt dem Herrn.

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Haben die Musici dein Leben jenseits der Insel beeinflusst?<br />

Wenn ja – in welcher Weise?<br />

Ich habe eine Inselsehnsucht, die hat einen Selbstlauf. Ich zähle die Monate,<br />

bis ich wieder auf Hiddensee, bei den Musici, sein kann. Ab Januar muss ich<br />

jedes Jahr auch schon an die Vorbereitungen für das nächste »<strong>Cantate</strong> <strong>domino</strong>«<br />

im Sommer denken – bis hin zur rechtzeitigen Planung der Vorräte. Nur mal<br />

ein Beispiel: Sechs große Brote reichen bei den Musici gerade mal einen Tag.<br />

Die Ostseeluft macht Hunger. Schon ein paar Wochen vorher muss ich deshalb<br />

Nudeln, Fleisch, Butter, Wurst im Inselmarkt bestellen.<br />

Voller Ehrfurcht ziehe ich aber den Hut vor denen, die die Musici Jenenses aufgebaut<br />

haben und staune, dass es überhaupt möglich war. Dabei sehe ich auch,<br />

wie sich der Charakter der Musici wandelt, denn jede neue Generation bringt<br />

einen eigenen Geist und neue Ideen mit. Und doch bleibt das bestehen, was sie<br />

alle eint: Die große Liebe zur Musik.<br />

Was kannst du über die Musici erzählen? Welche Erinnerungen bleiben?<br />

Je öfter ich hier bin, desto höher wird der Berg an Erinnerungen. Ich denke zum<br />

Beispiel daran, wie wir vor Jahren mehrfach das Spinett aus Bad Berka auf die<br />

Insel mitnahmen. In Kloster gab es kein entsprechendes Instrument. Erst seit<br />

2015 haben wir eine elektronische Alternative. Gut verschnürt mit Riemen,<br />

wurde es von Familie Schmalfuß erst sogar mit der Bahn transportiert, auch mit<br />

Umsteigen. Später im Pkw. Dieser war damit eigentlich schon voll.<br />

Eine nächste Herausforderung stellte die Verladung auf das Schiff dar, zusätzlich<br />

zu den vielen Taschen und Koffern, Noten, weiteren Instrumenten und<br />

Fahrrädern. Es fühlte sich an wie ein kleiner Umzug. Einmal hieß es dann, wir<br />

brauchten für das Spinett einen Frachtbrief. Den hatten wir natürlich nicht.<br />

Beinahe wären wir mit dem Schiff nicht mitgenommen worden.<br />

Als Mutter und inzwischen Großmutter sehe ich voll Freude, wie die Kinder hier in<br />

die Gemeinschaft und ins Musizieren hineinwachsen. Zum Beispiel konnte sich unser<br />

Sohn Anton von Anfang an mit seiner Posaune in die Bläsergruppe einbringen<br />

und auch Erfahrungen sammeln als Chorsänger. Zuerst im Kinderchor, später im<br />

gemischten Musici-Chor. So werden die Kinder gefördert und anerkannt.<br />

Und schön sind auch die Erinnerungen an Lothar. Er hat die Musici stark mit<br />

geprägt. Dabei war er trotz aller Fröhlichkeit ein sehr gläubiger Mensch, der<br />

seinen Glauben mit seinem Gesang innig ausdrücken konnte. Wir erinnern uns<br />

alle gern an ihn.<br />

Lothar hat jedes Jahr zur Abschiedsfeier eine Kantate dargeboten, die mit Spannung<br />

erwartet wurde. Er verarbeitete im Bachschen Stil die aktuellen Ereignisse<br />

der Saison und begleitete seinen Gesang selbst am Klavier. Uns kamen vor<br />

Lachen die Tränen.<br />

Also, ich kann mir einen Sommer ohne Musici, ohne Hiddensee nicht mehr<br />

vorstellen. Das Gewusel und Gewimmel im Heim ist geblieben. Ich habe mich<br />

dran gewöhnt. Wenn ich nach Hause komme, ist jedes Jahr mein Fazit: Ich bin<br />

unausgeschlafen. Aber so glücklich!<br />

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