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Angelika Reiser-Fischer: Cantate domino (Leseprobe)

Eine Limonadenflasche, die sehr effektvoll während einer Audienz beim Bischof in der Tasche explodiert. Eine Bach-Arie aus dem Weihnachtsoratorium auf der Polizeistation. Ein besonderes Abschiedsritual im Hafen von Kloster, bei dem sogar völlig Unbeteiligten die Tränen kommen. Ein Kapitän, der des Nachts zum zweiten Mal beerdigt wird. Ein Cello, auf dem so heftig musiziert wird, dass es zu qualmen beginnt. Die Erinnerungen der Musici Jenenses an ihre Sommer auf der Insel Hiddensee sind ein unerschöpflicher Quell von Geschichten, heiteren, besonderen, auch traurigen. Aber immer gewähren sie einen Blick in die Zeitgeschichte und auf die besonderen Umstände, unter denen sich junge und alte, professionelle und Hobby-Musiker aus inzwischen ganz Deutschland seit fast 60 Jahren in der kleinen Inselkirche von Kloster treffen – allen Widrigkeiten zum Trotz –, um unter einem gemeinsamen Motto zu musizieren: Cantate domino – Singt dem Herrn.

Eine Limonadenflasche, die sehr effektvoll während einer Audienz beim Bischof in der Tasche explodiert. Eine Bach-Arie aus dem Weihnachtsoratorium auf der Polizeistation. Ein besonderes Abschiedsritual im Hafen von Kloster, bei dem sogar völlig Unbeteiligten die Tränen kommen. Ein Kapitän, der des Nachts zum zweiten Mal beerdigt wird. Ein Cello, auf dem so heftig musiziert wird, dass es zu qualmen beginnt.

Die Erinnerungen der Musici Jenenses an ihre Sommer auf der Insel Hiddensee sind ein unerschöpflicher Quell von Geschichten, heiteren, besonderen, auch traurigen. Aber immer gewähren sie einen Blick in die Zeitgeschichte und auf die besonderen Umstände, unter denen sich junge und alte, professionelle und Hobby-Musiker aus inzwischen ganz Deutschland seit fast 60 Jahren in der kleinen Inselkirche von Kloster treffen – allen Widrigkeiten zum Trotz –, um unter einem gemeinsamen Motto zu musizieren: Cantate domino – Singt dem Herrn.

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dann noch einen Beschluss des Landeskirchenrates, und Ende 1967 kam dann<br />

die erlösende Nachricht: Es hat geklappt. Wir gehörten unter das Dach des Kirchenchorwerkes<br />

der Thüringer Landeskirche.<br />

Damit war auch der neue Name gesetzt: Musici Jenenses – sowie die Bedingungen<br />

unserer Partnerschaft. Dazu gehörte von Beginn an, dass wir die Noten kostenlos<br />

ausleihen dürfen und das Versprechen, dass wir uns gegenseitig keine<br />

Kosten verursachen.<br />

Das wurde schriftlich festgehalten und dürfte im Kirchenarchiv liegen. Wir<br />

selbst haben bewusst nichts dokumentiert. Aus Sicherheitsgründen. Damit keiner<br />

von uns über den Besitz solcher Unterlagen von den DDR-Behörden belangt<br />

werden konnte.<br />

Nach so vielen Jahren denke ich: Es war zwar damals ein schweres Fahrwasser,<br />

aber es hat sich gelohnt durchzuhalten. Damals dachten wir in jedem Jahr,<br />

wenn wir auf Hiddensee musizierten: Es könnte das letzte Mal gewesen sein.<br />

Dass beispielsweise auch die Beschaffung von Noten so unendlich schwierig<br />

war, das verblasst da fast. Die Sängerin Marianne <strong>Fischer</strong>-Kupfer hatte uns<br />

beispielsweise im Konzert in der Inselkirche gehört und wünschte sich von<br />

uns Mozarts Krönungsmesse. Mit Pauken, Trompeten und drei Posaunen. Das<br />

sprengte den Rahmen. Unseren personellen Rahmen – aber auch die kleine<br />

Inselkirche hätte das wohl kaum verkraftet. So suchte ich also für 1965 eine Alternative.<br />

Die D-Dur-Messe von Mozart schien uns geeignet. Aber uns fehlte die<br />

Partitur. Die gab es in der Neuausgabe noch nicht. Von der Bach-Gesellschaft in<br />

Leipzig erhielten wir aber den Tipp: Der Leipziger Komponist und Kirchenmusiker<br />

Prof. Georg Trexler besäße eine. Wir fragten an – und es kam bei uns auf<br />

der Insel eine Rolle an mit seinem Arbeitsexemplar für die Neuausgabe jener<br />

Mozart-Partitur! Und er schrieb, wie er sich freuen würde, wenn junge Leute<br />

diese Musik aufführten. Das hat mich sehr berührt und auch bestärkt.<br />

Ansonsten haben wir viele Noten von Hand geschrieben, ab den 1970er Jahren<br />

auch versucht, welche zu vervielfältigen – was in der DDR nicht ganz einfach<br />

war.<br />

1990 zur Wende sagten dann einige zu mir: »Na, das mit euren Musici hat sich<br />

wohl nun erledigt. Da kommt doch keiner mehr, oder?« Da konnte ich aber kontern.<br />

Fast alle hatten sich in jenem Jahr wieder angemeldet. Und die Idee der<br />

Musici ist ja auch immer noch sehr lebendig.<br />

Unsere Gemeinschaft aus nunmehr drei Generationen hat Seltenheitswert. Laien<br />

und Profis musizieren unter dem Dach der Kirche zum Lobe Gottes. Ohne<br />

Ansprüche zu erheben. Das ist für mich ohnehin der Sinn der Kirchenmusik:<br />

Gemeindemitglieder singen und spielen für die Gemeinde. Dafür stehe ich.<br />

Und so verkörpern die Musici Jenenses meine Überzeugung in der Musik:<br />

Soli Deo Gloria.<br />

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