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MinD-Mag 147

Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.

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PRISMENFERNGLAS<br />

Prägnanz und<br />

Unübersichtlichkeit<br />

Spielereien mit kurzen und langen Sätzen.<br />

Von Hartmut Blessing<br />

„Es geht.“ Das ist ein sehr kurzer<br />

Satz, immerhin hat er Subjekt<br />

und Prädikat. Noch kürzer sind<br />

die „Interjektionen“ genannten<br />

Wörter, wobei die Gelehrten<br />

streiten, ob so etwas wirklich<br />

ein richtiger Satz ist. Beispiele<br />

sind Loriots berühmtes „Ach?“<br />

oder auch „Huch!“.<br />

Dies wird gerne in Comics<br />

eingesetzt, wie das berühmte<br />

„Ächz! Keuch! Stöhn!“, das die<br />

Übersetzerin Erika Fuchs in die<br />

Donald-Duck-Comics einführte.<br />

Ihr zu Ehren wird das auch als<br />

„Erikativ“ bezeichnet. Ähnlich<br />

kreativ war Herbert Feuerstein<br />

im „MAD“-Comic, mit Beispielen<br />

wie „Lechz! Gier!“. Am kürzesten<br />

ist wohl die lateinische<br />

Befehlsform „I!“ für „Geh!“.<br />

Sprachspieler suchen nach<br />

kurzen Schüttelreimsätzen wie:<br />

PRISMENFERNGLAS<br />

Warum Prismenfernglas?<br />

Prismenfernglas steht für die<br />

Buntheit des Lebens, vor allem der<br />

Sprache — das Fernglas steht für den<br />

Blick über den Tellerrand.<br />

Unter dieser Rubrik erscheinen<br />

regelmäßig Beiträge zu Sprachspielen<br />

und Etymologie.<br />

„Du bist Buddhist.“ Schön ist<br />

auch: „Lutz scheute Schutzleute.“<br />

Interessant ist es, kurze Palindromsätze<br />

zu suchen. Ein<br />

Beispiel wäre: „Na, Jan?“ Oder<br />

auch: „Stahl hat’s.“ (Habe ich<br />

mir ausgedacht, als Art Werbung<br />

für Stahl.)<br />

Im Deutschen gibt es jedoch<br />

oft sehr lange Sätze. Deshalb<br />

musste der Kurznachrichtendienst<br />

Twitter in seiner deutschen<br />

Version eine größere Zeichenlänge<br />

erlauben.<br />

Die Linguistin Ursula Pieper<br />

ermittelte 1979 bei Hörspielen<br />

im Median 6,64 Wörter pro Satz,<br />

bei Briefen 16,63 Wörter, bei<br />

wissenschaftlichen Texten 19,22<br />

und bei allgemeinen Gesetzestexten<br />

23,04 Wörter pro Satz.<br />

Nach Untersuchungen des Germanisten<br />

Mittelberg liegt der<br />

Median der „Bild“-Zeitung bei<br />

zehn bis zwölf Wörtern pro Satz,<br />

während die „Frankfurter Allgemeine<br />

Zeitung“ immerhin auf<br />

16 bis 18 Wörter kommt.<br />

Die förmliche Sprache der Gerichte<br />

und Ämter ist oft voll langer<br />

Sätze: „Dadurch, dass derjenige,<br />

der vom Angeklagten, der<br />

ein Geständnis, das von Zeugen,<br />

die unter Eid, auf dessen Bedeutung<br />

sie unter Hinweis auf die<br />

etwaigen Folgen aufmerksam<br />

gemacht wurden, aussagten, bekräftigt<br />

worden ist, ablegte, tätlich<br />

angegriffen wurde, an der<br />

Streitursache nicht ganz schuldlos<br />

war, kann die Strafe zur Bewährung<br />

ausgesetzt werden.“<br />

(aus dem „Simplicissimus“)<br />

Oder das: „Derjenige, der den<br />

Täter, der den Wegweiser, der<br />

an der Brücke, die an der Straße,<br />

die nach Kleinkleckersdorf<br />

führt, liegt, steht, umgerissen<br />

hat, anzeigt, erhält zehn Euro<br />

Belohnung.“<br />

Hier sind gleich sechs Verben<br />

hintereinander: „Denken<br />

Sie, wie schön der Krieger, der<br />

die Nachricht, die den Sieg, den<br />

die Athener bei Marathon, nach<br />

Athen, das in großer Sorge, ob es<br />

die Perser zerstörten, schwebte,<br />

erfochten, verkündete, brachte,<br />

starb.“ Die beiden Sätze sind aus<br />

dem Buch „Alles Unsinn“.<br />

Sehr kreativ war der Autor<br />

Friedrich Dürrenmatt in seiner<br />

Novelle „Der Auftrag oder Vom<br />

Beobachten des Beobachters der<br />

Beobachter“. Das Buch ist in 24<br />

einzelnen Sätzen geschrieben,<br />

jeder Satz bildet ein Kapitel.<br />

36 | mind magazin <strong>147</strong>/april 2022

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