30.03.2022 Aufrufe

MinD-Mag 147

Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.

Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG<br />

Ressourcen zur Informationsverarbeitung<br />

auf die Teilsysteme<br />

verteilt.<br />

Zumindest, solange Ressourcen<br />

da sind! Es ist ähnlich wie<br />

beim Computer: Wenn der Arbeitsspeicher<br />

überfordert ist,<br />

verlangsamt das zunächst das<br />

gesamte System. Dann passieren<br />

mehr und mehr Fehler, und<br />

im Extremfall kommt es irgendwann,<br />

wenn gar nichts mehr<br />

geht, zum Systemcrash.<br />

Geteilte<br />

Aufmerksamkeit<br />

Im Grunde liegt das Problem<br />

also darin, dass die Gesamtlast<br />

zu hoch ist. Erschwerend<br />

kommt aber hinzu, dass ja nicht<br />

nur die Informationsmenge<br />

insgesamt den Absturz herbeiführt.<br />

Viele Personen, die hauptsächlich<br />

Kinder betreuen, würden<br />

sich wohl gerne mal wieder<br />

einer komplexen Aufgabe<br />

über längere Zeit am Stück widmen<br />

können. Aber was passiert<br />

im Alltag? Kaum will man den<br />

Rechner aufklappen, hat das<br />

kleine Kind seinen Kakao umgeworfen,<br />

das andere bekommt einen<br />

Wutanfall, weil seine Lieblingsjeans<br />

noch nass in der fiependen<br />

Waschmaschine liegt,<br />

an der Tür klingelt der Paketbote,<br />

und siedend heiß fällt einem<br />

ein, dass Tante Berta an ihrem<br />

90. Geburtstag übermorgen<br />

wohl ein Geschenk erwartet.<br />

Wer meint, gutes Multitasking<br />

führe hier zum Ziel, verkennt<br />

ein grundlegendes Problem:<br />

Multitasking funktioniert<br />

nicht. Was wir als parallel wahrnehmen,<br />

ist in Wahrheit nämlich<br />

eine sequenzielle Informationsverarbeitung,<br />

für die man<br />

rasant zwischen Aufgaben hinund<br />

herspringt, mithin eine koordinative<br />

Herkulesarbeit. Und<br />

jeder dieser Wechsel braucht<br />

Zeit, damit man in die neue Aufgabe<br />

„reinkommen“ kann. Man<br />

kann sich lebhaft vorstellen, wie<br />

hoch der Frustrationsgrad ist,<br />

wenn am Ende des Tages etliche<br />

Dinge nicht fertig geworden<br />

sind, einfach, weil man dauernd<br />

unterbrochen wurde.<br />

Offene Aufgaben<br />

Hier kommt dann wiederum<br />

ein Effekt zum Zuge, den<br />

die sowjetische Gestaltpsychologin<br />

Bljuma Zeigarnik in ihrer<br />

Dissertation 1927 erstmals beschrieben<br />

hat: Der Zeigarnik-Effekt<br />

besagt, dass die Aufgaben,<br />

die wir nicht abschließen konnten,<br />

besser im Gedächtnis hängen<br />

bleiben. Eine weitere Quelle<br />

des Mental Load, die immer weiter<br />

sprudelt …<br />

Der Zeigarnik-Effekt hat aber<br />

auch Konsequenzen über die<br />

reine kognitive Belastung hinaus.<br />

Aus der klinischen Psychologie<br />

wissen wir, dass nicht erledigte<br />

Aufgaben dazu beitragen,<br />

dass Depressionen entstehen<br />

und andauern. Und aus der Motivationsforschung<br />

ist bekannt,<br />

dass kaum etwas den Flow, bei<br />

dem man in seinem Tun komplett<br />

aufgeht, so wirksam verhindern<br />

kann wie Unterbrechungen<br />

und unabgeschlossene<br />

Aufgaben. Für Potenzialentfaltung<br />

und Zufriedenheit ist<br />

das also nicht zuträglich.<br />

Was tun?<br />

Sämtliche Ideen, dass die Mamis<br />

sich einfach mal locker machen<br />

sollen, halten wir für fahrlässig.<br />

Selbstwirksamkeit ist gut<br />

und gesund, aber so verlagert es<br />

das strukturelle Problem in bester<br />

neoliberaler Manier fälschlicherweise<br />

auf die individuelle<br />

Ebene. Ebenso unhaltbar sind<br />

alle Ratschläge, einfach alles effizienter<br />

zu erledigen. Der Mutterpart<br />

unseres Autorinnenduos<br />

rollt die Augen und gibt zu<br />

bedenken: Noch effizienter geht<br />

echt nicht mehr.<br />

Die verlässliche nicht-wissenschaftliche<br />

Ratgeberliteratur<br />

gibt recht einhellig an, dass eine<br />

klare Bestandsaufnahme, Umverteilung<br />

und gute Kommunikation<br />

zwischen den Eltern hilfreich<br />

sind. In welchen Bestandteilen<br />

und Geschmacksrichtungen<br />

das genau sein soll, ordnen<br />

wir in der nächsten Ausgabe ein.<br />

Die Autorinnen<br />

Tanja Gabriele Baudson ist Professorin<br />

für Differentielle Psychologie<br />

und psychologische Begabungsforschung<br />

an der Hochschule<br />

Fresenius Heidelberg. Bei Mensa<br />

leitet sie das Ressort Wissenschaft<br />

und Forschung. Sie hat vier Patenkinder<br />

zwischen 7 und 13 Jahren.<br />

Sara Köser ist Professorin für Sozial-<br />

und Wirtschaftspsychologie<br />

an der Hochschule Fresenius<br />

Heidelberg. Bei Mensa hat sie das<br />

<strong>MinD</strong>-<strong>Mag</strong> geleitet, bis der Mental<br />

Load um Erwerbs- und Care-Arbeit<br />

zu groß wurde. Die Verantwortung<br />

für ihre beiden Kinder (8 und<br />

2 Jahre) macht sie müde und froh.<br />

34 | mind magazin <strong>147</strong>/april 2022

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!