MinD-Mag 147
Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.
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WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG<br />
Ressourcen zur Informationsverarbeitung<br />
auf die Teilsysteme<br />
verteilt.<br />
Zumindest, solange Ressourcen<br />
da sind! Es ist ähnlich wie<br />
beim Computer: Wenn der Arbeitsspeicher<br />
überfordert ist,<br />
verlangsamt das zunächst das<br />
gesamte System. Dann passieren<br />
mehr und mehr Fehler, und<br />
im Extremfall kommt es irgendwann,<br />
wenn gar nichts mehr<br />
geht, zum Systemcrash.<br />
Geteilte<br />
Aufmerksamkeit<br />
Im Grunde liegt das Problem<br />
also darin, dass die Gesamtlast<br />
zu hoch ist. Erschwerend<br />
kommt aber hinzu, dass ja nicht<br />
nur die Informationsmenge<br />
insgesamt den Absturz herbeiführt.<br />
Viele Personen, die hauptsächlich<br />
Kinder betreuen, würden<br />
sich wohl gerne mal wieder<br />
einer komplexen Aufgabe<br />
über längere Zeit am Stück widmen<br />
können. Aber was passiert<br />
im Alltag? Kaum will man den<br />
Rechner aufklappen, hat das<br />
kleine Kind seinen Kakao umgeworfen,<br />
das andere bekommt einen<br />
Wutanfall, weil seine Lieblingsjeans<br />
noch nass in der fiependen<br />
Waschmaschine liegt,<br />
an der Tür klingelt der Paketbote,<br />
und siedend heiß fällt einem<br />
ein, dass Tante Berta an ihrem<br />
90. Geburtstag übermorgen<br />
wohl ein Geschenk erwartet.<br />
Wer meint, gutes Multitasking<br />
führe hier zum Ziel, verkennt<br />
ein grundlegendes Problem:<br />
Multitasking funktioniert<br />
nicht. Was wir als parallel wahrnehmen,<br />
ist in Wahrheit nämlich<br />
eine sequenzielle Informationsverarbeitung,<br />
für die man<br />
rasant zwischen Aufgaben hinund<br />
herspringt, mithin eine koordinative<br />
Herkulesarbeit. Und<br />
jeder dieser Wechsel braucht<br />
Zeit, damit man in die neue Aufgabe<br />
„reinkommen“ kann. Man<br />
kann sich lebhaft vorstellen, wie<br />
hoch der Frustrationsgrad ist,<br />
wenn am Ende des Tages etliche<br />
Dinge nicht fertig geworden<br />
sind, einfach, weil man dauernd<br />
unterbrochen wurde.<br />
Offene Aufgaben<br />
Hier kommt dann wiederum<br />
ein Effekt zum Zuge, den<br />
die sowjetische Gestaltpsychologin<br />
Bljuma Zeigarnik in ihrer<br />
Dissertation 1927 erstmals beschrieben<br />
hat: Der Zeigarnik-Effekt<br />
besagt, dass die Aufgaben,<br />
die wir nicht abschließen konnten,<br />
besser im Gedächtnis hängen<br />
bleiben. Eine weitere Quelle<br />
des Mental Load, die immer weiter<br />
sprudelt …<br />
Der Zeigarnik-Effekt hat aber<br />
auch Konsequenzen über die<br />
reine kognitive Belastung hinaus.<br />
Aus der klinischen Psychologie<br />
wissen wir, dass nicht erledigte<br />
Aufgaben dazu beitragen,<br />
dass Depressionen entstehen<br />
und andauern. Und aus der Motivationsforschung<br />
ist bekannt,<br />
dass kaum etwas den Flow, bei<br />
dem man in seinem Tun komplett<br />
aufgeht, so wirksam verhindern<br />
kann wie Unterbrechungen<br />
und unabgeschlossene<br />
Aufgaben. Für Potenzialentfaltung<br />
und Zufriedenheit ist<br />
das also nicht zuträglich.<br />
Was tun?<br />
Sämtliche Ideen, dass die Mamis<br />
sich einfach mal locker machen<br />
sollen, halten wir für fahrlässig.<br />
Selbstwirksamkeit ist gut<br />
und gesund, aber so verlagert es<br />
das strukturelle Problem in bester<br />
neoliberaler Manier fälschlicherweise<br />
auf die individuelle<br />
Ebene. Ebenso unhaltbar sind<br />
alle Ratschläge, einfach alles effizienter<br />
zu erledigen. Der Mutterpart<br />
unseres Autorinnenduos<br />
rollt die Augen und gibt zu<br />
bedenken: Noch effizienter geht<br />
echt nicht mehr.<br />
Die verlässliche nicht-wissenschaftliche<br />
Ratgeberliteratur<br />
gibt recht einhellig an, dass eine<br />
klare Bestandsaufnahme, Umverteilung<br />
und gute Kommunikation<br />
zwischen den Eltern hilfreich<br />
sind. In welchen Bestandteilen<br />
und Geschmacksrichtungen<br />
das genau sein soll, ordnen<br />
wir in der nächsten Ausgabe ein.<br />
Die Autorinnen<br />
Tanja Gabriele Baudson ist Professorin<br />
für Differentielle Psychologie<br />
und psychologische Begabungsforschung<br />
an der Hochschule<br />
Fresenius Heidelberg. Bei Mensa<br />
leitet sie das Ressort Wissenschaft<br />
und Forschung. Sie hat vier Patenkinder<br />
zwischen 7 und 13 Jahren.<br />
Sara Köser ist Professorin für Sozial-<br />
und Wirtschaftspsychologie<br />
an der Hochschule Fresenius<br />
Heidelberg. Bei Mensa hat sie das<br />
<strong>MinD</strong>-<strong>Mag</strong> geleitet, bis der Mental<br />
Load um Erwerbs- und Care-Arbeit<br />
zu groß wurde. Die Verantwortung<br />
für ihre beiden Kinder (8 und<br />
2 Jahre) macht sie müde und froh.<br />
34 | mind magazin <strong>147</strong>/april 2022