MinD-Mag 147
Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.
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LEBEN MIT KINDERN<br />
gründen. Und dann verfolgt uns<br />
das „anders“ über die Woche.<br />
Das ist nicht gut. Für uns alle.<br />
Obwohl wir immer mehr damit<br />
zurechtkommen, das „anders“<br />
für jeden von uns so individuell<br />
zu formulieren, dass es sich netter,<br />
besser, gemeinsamer, wohliger,<br />
liebevoller und passender<br />
anfühlt.<br />
Im Falle des morgendlichen<br />
oder spontanen „anders“ habe<br />
ich mir angewöhnt, ganz tief zu<br />
atmen, mich zu regulieren und<br />
dann das jeweilige Kind zu fragen:<br />
„Doll dringend, dringend<br />
oder heute Nachmittag dringend?“<br />
Im Fall von doll dringend:<br />
„Was hilft dir jetzt sofort, was<br />
brauchst du, weil du weißt, dass<br />
du in die Schule musst?“<br />
Grummelchenkarten<br />
rausholen<br />
Im Fall von dringend: „Ist es<br />
jetzt dringend oder kann es vertagt<br />
werden? Was braucht es<br />
zum Vertagen?“<br />
Im Fall von Nachmittag dringend:<br />
„Wir holen nachher die<br />
Grummelchenkarten*** raus<br />
und dann besprechen wir das<br />
‚anders‘.“<br />
Oft funktioniert die Strategie.<br />
In manchen Fällen muss<br />
das „anders“ schnell auf einem<br />
Post-it verschriftlicht werden,<br />
manchmal reicht eine Umarmung,<br />
ein Mutzauber**** und<br />
manchmal eine paradoxe Intervention:<br />
Also zum Beispiel irgendwas<br />
Bescheuertes, um die<br />
Spannung zu entladen.<br />
Vom Umgang mit<br />
Störgefühlen<br />
Ähnlich ist es mit Störgefühlen.<br />
So wichtig Störgefühle sind,<br />
weil sie Reflexionsprozesse auf<br />
allen Ebenen, vor allem auf der<br />
Beziehungsebene, anstoßen<br />
und ein wunderbares Tool im<br />
systemischen Coaching, in der<br />
Beratung und Therapie sind, so<br />
unpraktisch und anstrengend<br />
sind sie ehrlicherweise im Alltag.<br />
Ein Beispiel: Unser Sohn wollte<br />
lernen, wie man Fußball<br />
spielt. Uns wurde ein einwöchiges<br />
Sommercamp empfohlen<br />
und einer seiner besten Freunde<br />
war auch mit dabei. Jeden Morgen<br />
das Gleiche: Abfahrt um<br />
8:30 Uhr, Freund einsammeln<br />
und einmal quer durch die Stadt.<br />
Circa 40 Minuten Fahrdauer.<br />
Montag und Dienstag war alles<br />
gut. Mittwoch: Unser Sohn<br />
(8) zieht sich an. Merklich langsamer<br />
als die Tage zuvor, will<br />
nichts essen. Es ist 8:15 Uhr.<br />
Wohlweislich sind wir früh aufgestanden,<br />
haben alles fertig gepackt,<br />
alles Wichtige besprochen.<br />
Denkste!!!<br />
8:20 Uhr: Sohn: „Mama, ich<br />
will nicht.“ (Störgefühl des Kindes)<br />
Ich: „Wieso?“<br />
Schweigen. Schweigen. Tränen.<br />
(Uih! Massives Störgefühl<br />
des Kindes)<br />
Ich: „Ach je. Was ist los?“<br />
Sohn: „Nichts.“<br />
Ich: „Aha.“<br />
Schweigen.<br />
Sohn: „Mama, morgen soll ich<br />
Punkte spielen.“<br />
Ich: „Aha.“<br />
Sohn: „Ich kann keine Punkte<br />
spielen.“<br />
Ich: „Aha.“<br />
Sohn: „Mama du verstehst<br />
das nicht.“ Noch mehr Tränen.<br />
(UIUIUIUIUIUIUI!)<br />
Sohn: „Ich soll 300 Punkte<br />
erreichen und weiß doch gar<br />
nicht, wie das geht. Wie können<br />
die das denn von mir verlangen.<br />
Nach zwei Tagen Training!“<br />
„Das sind<br />
schlechte Lehrer“<br />
8:25 Uhr: Ich: „Ah, verstehe<br />
ich das richtig? Ihr sollt Punkte<br />
erreichen und du hast das Gefühl,<br />
du kannst es nicht.“<br />
Sohn: „Ja, hat mir ja keiner gezeigt.<br />
Die haben uns gar nicht<br />
richtig gezeigt, wie das geht.<br />
Das sind schlechte Lehrer. Wie<br />
soll ich es denn dann können?“<br />
Unauffälliger Blick zur Uhr,<br />
ich fange an zu schwitzen.<br />
Ich: „Mmh. Und du willst besonders<br />
gut sein, richtig?“<br />
Sohn: „Ja, Mensch Mama, darum<br />
geht es doch!“<br />
Ich: „Mmh.“ (Lieber Gott, ich<br />
brauche eine Eingebung! Hilfe!<br />
Irgendwas Altbewährtes. Jetzt<br />
sofort. Übung, Übung, nicht alles<br />
sofort können müssen, altes<br />
Thema, von allen in der Familie.<br />
Hilfe!)<br />
*** Weiner, Christine: Erzähl doch mal von dir! Wie sich Ihr Kind öffnet. Kindercoaching für den Alltag, Ariston<br />
**** Neumeyer, Annalisa: Einführung in das therapeutische Zaubern, Carl-Auer<br />
30 | mind magazin <strong>147</strong>/april 2022