MinD-Mag 147

Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa. Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.

30.03.2022 Aufrufe

MODELLBAU Vier Seitenwände, viele verschieden dicke Bohrungen für verschieden dicke Wellen und Zahnräder. Langsam bewegt sich die Krabbelmaschine vorwärts, dann riecht es komisch elektrisch. Aber es gibt immer noch Lawinenopfer, die vor der Bergung versorgt werden müssen. Allerdings muss es nicht unbedingt Alkohol wie früher sein, das kann ich nicht unterstützen. Lieber mal eine Flasche Wein oder Bier. Also – Anforderung Nr. 1: Das Kettenfahrzeug muss im Tiefschnee zwei Flaschen Bier und zwei Mars-Riegel zu den Opfern bewegen können, wegen mangelnder Reichweite der Fernlenkung aus der Adenauerzeit muss der Akku nicht länger als 40 Meter Hin- und Rückfahrt aushalten. Als erstes krame ich diverse Kunststoffplatten hervor, die ich seit der ersten Währungsreform gehortet habe, und mache Klebversuche. Nun, Teflon lässt sich vergleichsweise einfacher verkleben als dieses Zeug, ich versuche es trotzdem. Sekundenkleber ist die Wahl, aber im Geiste baue ich schon am Nachfolger aus Aluplatten und Schrauben. Jetzt brauche ich zwei Getriebe, denn zwei 12V-Motoren sollen den kleinen Ketten- Krabbler kraftvoll durch Schnee und Matsch treiben. Ich habe Zahnräder und Wellen, irgendwie kann M daraus ein Getriebe bauen. Überschaubare Intelligenz Meine erfreulich überschaubare Intelligenz erlaubt mir keine großen Berechnungen, also Löduprob (Lösen durch Probieren). Es stellt sich heraus, dass die Wellen der Zahnräder erstaunlich präzise an einem bestimmten Ort sitzen müssen, sonst greifen die Zahnräder entweder nicht ineinander oder sie werden gequetscht. Beides ist blöd und führt zu keinem Ergebnis; es gibt mehr falsche Maße als die eine, die richtige Position. Also doch mit Zirkel und Zeichenpapier die exakten Punkte festlegen, die dann auf 0,5 Millimeter genau gebohrt werden müssen. Bei zwei Getrieben macht das vier Seitenwände, viele verschieden dicke Bohrungen für verschieden dicke Wellen und Zahnräder, die nicht die kleinste Abweichung verzeihen. Habe ich auch geschafft – komisch, bei mir kommt wirklich nie so etwas wie Stolz auf. Jetzt wird das Empfängerpaket eingebaut, gut, ich bin etwas ungeduldig, ich lege die Akkus, die Fahrregler und den Empfänger in die Grundschale, stelle alle Hebel auf „On“ und schiebe vorsichtig die Hebel auf der Fernlenkung nach vorn. Langsam bewegt sich die Krabbelmaschine vorwärts, dann riecht es komisch elektrisch, der Motor heult auf Höchstdrehzahl, die linke Kette läuft auf Vollgas, Nummer 5 lebt! Alle Schalter auf „off“ Leider saust der dumme Kerl nun wie wild im Kreis herum und es ist schwierig, das Teil zu packen und hochzuheben. Als Katzenbesitzer bin ich es gewohnt, laufende Kreissägen mit 18 | mind magazin 147/april 2022

MODELLBAU der bloßen Hand festzuhalten, also schaffe ich auch das. Ich schalte alle Schalter auf „Off“, während die fauchende Kette versucht, meinen Hemdsärmel zu packen und zu zerreißen. Zu dem elektrischen Geruch gesellt sich ein kleiner dünner Rauchfaden, der dem Fahrregler entströmt. Erwachsene wissen, was das bedeutet, den jüngeren Lesern sage ich, dass der Fahrregler nun im Elektro-Himmel ist. Positiv ist, die Größe des Modells reicht locker für zwei Flaschen Bier, die sogar den Test im Highspeed-Kreisverkehr überstanden haben, obwohl sie scheppernd abgeladen wurden, ein entsprechender Aufbau mit Halterungen wird beim nächsten Mal angefertigt. Weiterhin gibt es jetzt wieder viele Themen, auf deren Gebiet ich weder Laie noch Fachmann bin, sondern irgendwo dazwischen, und ich kann wieder bei manchen Gesprächen meinen Senf dazu geben. Die Stones und andere Helden Ja, dies ist eine Geschichte des Scheiterns, ich liebe das Scheitern. Michael Schumacher, Manuel Neuer, The Rolling Stones, Abba, J. K. Rowling, die Brüder Braun – jeder kennt sie. Im Sport kämpfen Menschen gegen eine Stoppuhr, wer ist schneller, springt höher oder fängt die meisten Bälle? Wer trifft mit seiner Musik den Geschmack der großen Menge, wer vereint als Autor die größte Leserschaft? Die Menge krönt ihre Könige, ungeachtet dessen, ob Mozart nicht vielleicht doch ein besserer Musiker ist als Helene Fischer. Wer hat mehr Fans? Die fromme Helene. Aber um der Erste zu sein, braucht es eine Menge Verlierer. Was, wenn alle aufgäben und Michael allein im Kreis herumfahren lassen würden? Was, wenn niemand mehr ein Buch schreibt, weil J. K. auf lange Zeit unerreicht bleiben wird? Anforderung Nr. 1: Das Kettenfahrzeug muss im Tiefschnee zwei Flaschen Bier und zwei Mars-Riegel zu den Opfern bewegen können. Alle Fotos: Matthiessen Im Sport suche ich Gegner in meiner Gewichtsklasse, nicht unbedingt Wladimir Klitschko. Modellbau kann ich besser als jemand, der nur die Zeitung liest. Und mein Musikgeschmack reicht von Island über Atlanta bis nach China. Und ich meine Blues, Rock und Indie vom Feinsten. Dennoch gehöre ich zur Mehrheit der Mittelmäßigen, ich bin dort in guter Gesellschaft. Selbst etwas machen Neidlos dem Besseren applaudieren und doch den eigenen Wert erkennen und eben nicht von morgens bis abends die „Influencer“ (deutsche Übersetzung: Laterne, die nur sich selbst beleuchtet) beobachten – sondern selbst etwas machen. Geschult durch eine nicht enden wollende Reihe von Fehlversuchen bin ich weder niedergeschlagen noch entmutigt; einst wollte ein Seemann auf dem Wasserweg Indien erreichen, hat er auch nicht im ersten Anlauf geschafft. Was will das sagen? Ich gebe nicht auf! Meine Fernlenkung wird komplett gegen eine neue ausgetauscht und dann geht es in die nächste Runde. Eventuell donnert schon morgen auf den Schneepisten Norddeutschlands eine Lawine ins Tal – dann werde ich gebraucht. Der Artikel wurde zuerst im Ortsblatt „HaMLet“ veröffentlicht. Mit Dank an Marisa Haufe. mind magazin 147/april 2022 | 19

MODELLBAU<br />

der bloßen Hand festzuhalten,<br />

also schaffe ich auch das.<br />

Ich schalte alle Schalter auf<br />

„Off“, während die fauchende<br />

Kette versucht, meinen Hemdsärmel<br />

zu packen und zu zerreißen.<br />

Zu dem elektrischen Geruch<br />

gesellt sich ein kleiner<br />

dünner Rauchfaden, der dem<br />

Fahrregler entströmt. Erwachsene<br />

wissen, was das bedeutet,<br />

den jüngeren Lesern sage ich,<br />

dass der Fahrregler nun im Elektro-Himmel<br />

ist.<br />

Positiv ist, die Größe des Modells<br />

reicht locker für zwei Flaschen<br />

Bier, die sogar den Test<br />

im Highspeed-Kreisverkehr<br />

überstanden haben, obwohl sie<br />

scheppernd abgeladen wurden,<br />

ein entsprechender Aufbau mit<br />

Halterungen wird beim nächsten<br />

Mal angefertigt.<br />

Weiterhin gibt es jetzt wieder<br />

viele Themen, auf deren Gebiet<br />

ich weder Laie noch Fachmann<br />

bin, sondern irgendwo dazwischen,<br />

und ich kann wieder bei<br />

manchen Gesprächen meinen<br />

Senf dazu geben.<br />

Die Stones und<br />

andere Helden<br />

Ja, dies ist eine Geschichte des<br />

Scheiterns, ich liebe das Scheitern.<br />

Michael Schumacher, Manuel<br />

Neuer, The Rolling Stones,<br />

Abba, J. K. Rowling, die Brüder<br />

Braun – jeder kennt sie.<br />

Im Sport kämpfen Menschen<br />

gegen eine Stoppuhr, wer ist<br />

schneller, springt höher oder<br />

fängt die meisten Bälle? Wer<br />

trifft mit seiner Musik den Geschmack<br />

der großen Menge, wer<br />

vereint als Autor die größte Leserschaft?<br />

Die Menge krönt ihre<br />

Könige, ungeachtet dessen, ob<br />

Mozart nicht vielleicht doch ein<br />

besserer Musiker ist als Helene<br />

Fischer. Wer hat mehr Fans? Die<br />

fromme Helene.<br />

Aber um der Erste zu sein,<br />

braucht es eine Menge Verlierer.<br />

Was, wenn alle aufgäben<br />

und Michael allein im Kreis herumfahren<br />

lassen würden? Was,<br />

wenn niemand mehr ein Buch<br />

schreibt, weil J. K. auf lange Zeit<br />

unerreicht bleiben wird?<br />

Anforderung Nr. 1: Das Kettenfahrzeug muss im Tiefschnee zwei<br />

Flaschen Bier und zwei Mars-Riegel zu den Opfern bewegen können.<br />

Alle Fotos: Matthiessen<br />

Im Sport suche ich Gegner in<br />

meiner Gewichtsklasse, nicht<br />

unbedingt Wladimir Klitschko.<br />

Modellbau kann ich besser<br />

als jemand, der nur die Zeitung<br />

liest. Und mein Musikgeschmack<br />

reicht von Island über<br />

Atlanta bis nach China. Und ich<br />

meine Blues, Rock und Indie<br />

vom Feinsten. Dennoch gehöre<br />

ich zur Mehrheit der Mittelmäßigen,<br />

ich bin dort in guter Gesellschaft.<br />

Selbst etwas<br />

machen<br />

Neidlos dem Besseren applaudieren<br />

und doch den eigenen<br />

Wert erkennen und eben<br />

nicht von morgens bis abends<br />

die „Influencer“ (deutsche Übersetzung:<br />

Laterne, die nur sich<br />

selbst beleuchtet) beobachten –<br />

sondern selbst etwas machen.<br />

Geschult durch eine nicht enden<br />

wollende Reihe von Fehlversuchen<br />

bin ich weder niedergeschlagen<br />

noch entmutigt; einst<br />

wollte ein Seemann auf dem<br />

Wasserweg Indien erreichen,<br />

hat er auch nicht im ersten Anlauf<br />

geschafft.<br />

Was will das sagen? Ich gebe<br />

nicht auf! Meine Fernlenkung<br />

wird komplett gegen eine neue<br />

ausgetauscht und dann geht es<br />

in die nächste Runde. Eventuell<br />

donnert schon morgen auf<br />

den Schneepisten Norddeutschlands<br />

eine Lawine ins Tal – dann<br />

werde ich gebraucht.<br />

Der Artikel wurde zuerst im<br />

Ortsblatt „HaMLet“ veröffentlicht.<br />

Mit Dank an Marisa Haufe.<br />

mind magazin <strong>147</strong>/april 2022 | 19

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