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EINE M VON NEBENAN Berufserfahrung herleiten. Da kann ich wahrscheinlich sogar mehr als meine schwedischen Kollegen. Aber es ist spannend, auf die Unterschiede zu schauen: In Deutschland sind etwa ein Drittel der Palliativmediziner Anästhesisten. In meinem vierzigköpfigen Kurs in Schweden waren wir nur zwei! Die meisten anderen Kollegen in der Ausbildung waren Allgemeinmediziner, Onkologen oder auch Rehabilitationsmediziner. Ich weiß gar nicht, ob es diese Facharztrichtung in Deutschland gibt. Viele der Medikamente, die wir in Deutschland kennen, zum Beispiel gegen chronische Schmerzen, sind in Schweden gar nicht bekannt. Substanzen, mit denen in der palliativen Welt geforscht wird, wie S-Ketamin oder Psilocybin kennt hier nur ein Winzteil der Kolleginnen und Kollegen. Die Studien dazu sind sehr spannend und in Deutschland ein großes Thema, während die schwedischen Palliativmediziner noch nie davon gehört haben. Haschisch ist ein weiteres Beispiel: In Deutschland kann man es als Palliativpatient seit 2017 auf Rezept bekommen, hier ist das völlig undenkbar. Ein weiterer Unterschied zu Münster: Hier arbeite ich nicht auf einer Palliativstation, sondern bei dem, was in Deutschland die SAPV, die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung, also die Versorgung zu Hause ist. Dabei lerne ich sehr viel, denn vorher habe ich nie Leute zu Hause besucht und dort behandelt. „Liebe auf den ersten Blick.“ „Lilly und Kakan.“ Wir decken in Umeå die Nachbarkommunen in einem Radius von etwa 150 Kilometern ab. Ich fahre also an manchen Tagen mal eben 150 Kilometer einen Weg hinaus aufs Land, besuche Menschen auf ihren eingeschneiten Bauernhöfen und überlege, wie ich deren Leben irgendwie verbessern kann. Unter diesen Bedingungen geht das natürlich nicht immer so, wie es im Lehrbuch steht. Die große Frage ist oft, was man machen soll und was nicht, weil es für den Patienten zu aufwendig ist: Sollte ich ihn zum Beispiel für einen Ultraschall 300 Kilometer zum nächsten Krankenhaus fahren lassen? Das wäre in Deutschland ja gar keine Frage. Selbst wenn wir solche Distanzen hätten, wäre die Antwort natürlich ja. Sind das deutsche und schwedische Gesundheitssystem so unterschiedlich? Da könnte ich vier Stunden drüber reden, denn die Unterschiede sind extrem. Im Schwedischen gibt das das schöne Wort „lagom“, was „genau richtig“, „nicht zu viel, nicht zu wenig“ bedeutet. Das deutsche und das schwedische Gesundheitssystem befinden sich auf der Skala, auf der „lagom“ in der Mitte steht, an den beiden gegenüberliegenden Extremen: In Deutschland hat man die totale Überversorgung; jeder, der etwas Halskratzen hat, geht sofort zum HNO-Arzt, jeder, der mal kurz ein Herzklopfen verspürt, rennt zum Kardiologen. Man wird auf den Kathetertisch gezerrt. Knieoperationen ohne Ende. Deutschland ist international bekannt dafür, dass wir Menschen überversorgen. In Schweden ist es genau andersherum: Ein stark ausgeprägtes Allgemeinmedizinsystem und insgesamt eine unglaublich niedrige Zugänglichkeit, besonders bei Fachärzten. Alles, wirklich alles läuft in erster Linie über Allgemeinmediziner. Und selbst die trifft man nicht direkt, sondern immer erst eine Krankenschwester, die dann entscheidet, ob und wen man als nächstes sehen kann. Wo ich zum Beispiel in Deutschland der Meinung wäre, dass ich ein MRT für meinen Rücken bräuchte, verweist mich die schwedische Krankenschwester an den Physiotherapeuten, mit dem ich dann nach ein paar Monaten oder auch Jahren beratschlagen darf, ob ich doch mal einen Facharzt sehen könnte, die es hier überhaupt nur in Krankenhäusern gibt. Die bekannte Vorsorgeuntersuchung aus der Gynäkologie wird hier von einer Hebamme durchgeführt. Wenn die et- 12 | mind magazin <strong>147</strong>/april 2022
Anzeige was Ungewöhnliches findet, schickt sie einen zum Gynäkologen ins Krankenhaus. In größeren Städten hat man zumindest kürzere Wege, aber bis ein Landbewohner zum Beispiel mal zum Neurologen oder Orthopäden kommt, vergeht sehr viel Zeit. Manchmal denke ich, dass das Vorteile hat; 90 bis 95 Prozent unserer Beschwerden kann ein guter Allgemeinmediziner behandeln, zumal die in Schweden viel umfangreicher ausgebildet sind als bei uns und auch kleine Operationen vornehmen können. Aber wenn es mal drauf ankommt, gibt es leider eine sehr hohe Barriere: Schon vor Corona hat man hier ein Jahr lang auf einen Termin für ein neues Hüftgelenk gewartet und ein halbes Jahr auf ein MRT bei Rückenbeschwerden. Über die, die sich in Deutschland wegen zwei Wochen Wartezeit beschweren, kann ich nur noch lachen. Übrigens sind Geschichten aus Schweden, dass beispielsweise Partnerkurse für Entbindungen im Auto angeboten werden, wahr. In Südlappland, also unserem Inland, das etwa so groß ist wie die Schweiz, gibt es genau ein Krankenhaus. Wenn das über Weihnachten für drei Wochen seine Entbindungsstation zumacht, müssen die Leute eben 400 statt 130 Kilometer zum Krankenhaus fahren, weil das Konzept Hausgeburt hier nicht existiert. Also kommt das Kind dann schon mal im Auto. Vorteile im System gibt es an anderen Stellen. An Pflegedienste kommt man zum Beispiel sehr viel leichter, weil das Versorgungssystem stark zentralisiert ist. Welche Vorteile hat Schweden denn gegenüber Deutschland? Was gibt es Cooles, was man in Deutschland nicht kennt oder nicht machen kann? So viel kann ich dazu gar nicht sagen, weil Schweden riesengroß ist und ich das Land südlich von Östersund eigentlich nicht kenne. Und achtzig Prozent der Schweden leben südlich von Östersund. Von Stockholm kenne ich den Flughafen und in Malmö immerhin ein Kongressgebäude. Irgendwann haben wir mal Freun- mind magazin 146/februar 2022 | 13 Wenn es um deine Sicherheit geht. Sprich mich an. Von der Versicherung gegen Handyschäden bis zur Absicherung deines kompletten Eigenheims. Ich bin für dich und deine Finanzen da. Als Finanzcoach kann ich dich zu allen Finanzthemen aus den Bereichen Versicherung und Vorsorge, Bank und Investment sowie Finanzierung und Bausparen vor Ort oder online unterstützen. www.myFinanz.Coach Bachelor of Arts / Master of Laws Regionaldirektion Markus Sliwka Hauptstraße 51 72667 Schlaitdorf Telefon 07127 931011 Markus.Sliwka@dvag.de
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