Buch der Gefühle (Leseprobe)

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Hätte irgendjemand Amy nach der größten Herausforderung in ihrem Leben gefragt, hätte sie sofort geantwortet: »Meine Nase.« […] Amy war auf dem besten Weg, verzogen zu werden, denn sie wurde von allen verhätschelt, und ihre Koketterien und Egoismen nahmen fleißig zu. Eines jedoch dämpfte ihre Eitelkeit gehörig. Sie musste die Kleider ihrer Cousine Florence tragen. Leider hatte deren Mutter nicht den geringsten Geschmack, und Amy litt zutiefst darunter, eine rote Haube zu tragen statt einer blauen, wenig schmeichelhafte Kleider und tantenhafte Schürzen, die ihr nicht richtig passten. Louisa May Alcott: Little Women. Vier Schwestern halten zusammen DÜNKELHAFTIGKEIT Die jüngste Schwester von March ist schon ganz schön merkwürdig, mit ihrer fixen Idee, dass ihre Nase nicht aristokratisch genug ist, ihren Eitelkeiten und ihrem Dünkel! Zum Glück werden die Little Women im zweiten Teil des Romans älter und alles wird besser … Dünkelhaftigkeit ist etwas ziemlich Negatives. Menschen mit Dünkeln sind unerträglich: Sie sehen von oben auf andere herab, halten sich für besser und wollen mit anderen lieber nichts zu tun haben. Aber früher oder später kommt der Moment, in dem sie die anderen brauchen. Hochmütig, stolz, arrogant: So können wir dünkelhafte Personen auch nennen. Sie rühmen sich nicht, wie toll sie sind, was sie alles können, was sie alles besitzen, denn so etwas haben sie gar nicht nötig. Sie denken, das sei ja offensichtlich! Sich zu rühmen würde zudem bedeuten, dass ihnen die Urteile der anderen wichtig sind. Aber Menschen mit Dünkeln interessieren sich nicht dafür, was andere denken. Jedenfalls wollen sie das glauben. Nicht alle zurückhaltenden und einsamen Menschen sind jedoch arrogant. Wie also können wir eine aufgeblasene Person von den Menschen 50
unterscheiden, die einfach nur für sich sein wollen? Wir sollten auf ein paar Anzeichen für Dünkelhaftigkeit achten. Das Kinn ist erhoben, der Mund verzieht sich zu kleinen Grimassen, der Blick schwebt über allem. Dünkelhafte Menschen stöhnen oder zeigen, dass es sie nervt, wenn andere sprechen. Wenn sie an der Reihe sind, fuchteln sie hin und wieder mit dem Zeigefinger in der Luft herum und sagen beispielsweise: »Es nützt nichts, es dir zu erklären, du verstehst es ja doch nicht …« »Ich glaube, mit euch werde ich keinen Spaß haben.« »Das ist doch echt Kinderkram!« »Natürlich wusste ich das«, oder auch in der Variante: »Aber das weiß man doch!« Diese typisch arroganten Sätze äußern sie meist mit einem angedeuteten Lachen oder einem Grinsen. Wer sich gegenüber anderen so verhält, wird nur schwer etwas lernen. Denn um etwas aufzunehmen, müssen wir beobachten und zuhören können – und vor allem müssen uns bewusst sein, dass wir nie genug wissen. Vielleicht schrumpfen die dünkelhaften Personen irgendwann wieder auf Normalgröße zurück, aber das werden sie dir natürlich nicht verraten …
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