Buch der Gefühle (Leseprobe)

Vor allem aber benötigen wir Aufmerksamkeit und die Fähigkeit, anderen
zuzuhören. Denn wenn ich Freundlichkeit nicht erkenne, wenn ich glaube,
dass mir alles zusteht, wenn ich denke, dass ich alles verdiene, dann kann ich
natürlich nicht dankbar sein!
Der erste Schritt ist es, die Arbeit der Personen, die mir zur Seite stehen,
ihre Mühen und Anstrengungen, mit denen sie mir das Leben erleichtern,
und die Zeit anzuerkennen, die sie mir widmen (und die sie eigentlich für
sich selbst nutzen könnten. Es zeigt, dass ich mit den anderen in einer engen
Beziehung und im Austausch stehe. Das ist sehr gut!
Aber es reicht nicht.
Denn wenn ich anderen für etwas nicht dankbar bin und es nicht ausdrücke,
dann passiert nichts. Aber was soll denn passieren? Hier wird es interessant!
Sobald wir unsere Dankbarkeit zeigen, indem wir eine Freundlichkeit
erwidern, also ein bisschen von dem zurückgeben, was wir bekommen haben,
beginnt ein großartiger kleiner Zauber. Das Geheimnis der Dankbarkeit
ist verdoppelte, verdreifachte, ja vervielfachte Gegenseitigkeit. Anerkennung
ist nämlich ansteckend. Sie führt dazu, dass wir mit Menschen ein Netz aus
Beziehungen und wohltuenden Interaktionen spinnen. Dankbare Menschen
leben tatsächlich besser und machen auch für andere das Leben schöner –
was eine ziemlich alte Erkenntnis ist.
Der römische Philosoph Seneca schrieb in einem Brief an seinen Freund
Lucilius: »Deshalb bist du […] mehr zu deinem eigenen Vorteil als zu dem des
anderen dankbar; jenem ist nämlich etwas Gewöhnliches und Alltägliches
widerfahren, nämlich zurückzubekommen, was er gegeben hatte, Dir etwas,
was bedeutend ist und aus der glücklichsten Stimmung der Seele herrührt,
nämlich dankbar gewesen zu sein. […] Du hast etwas Gebräuchliches zurückgegeben,
aber etwas Unschätzbares erreicht, nämlich das Bewusstsein als
dankbarer Mensch, das nur in eine göttliche und vom Schicksal begünstigte
Seele gelangt.«
Er warnt seinen Freund: Der Undankbare ist immer unglücklich!
Seit sehr langer Zeit sind die Menschen also davon überzeugt, dass Dankbarkeit
etwas mit dem eigenen Glück zu tun hat. Wer sich der anderen bewusst
ist, wer ihnen zuhört, wer Anstrengung und Großzügigkeit anerkennt und
lernt, etwas davon zurückzugeben, entwickelt mit der Zeit positive Gedanken,
sieht die Dinge zuversichtlicher, mildert Spannungen und Konflikte sowohl im
eigenen Haus als auch außerhalb. Versuch es, dann wirst du es erleben.
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