Buch der Gefühle (Leseprobe)

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Aber all diese Beispiele zählen nicht! Denn hinter dieser Form von Altruismus verbirgt sich ein ganz bestimmtes Ziel: In der Tierwelt zählt allein die Spezies, die Kolonie, die Gemeinschaft, die Nachkommenschaft. Das Opfer des Einzelnen geschieht also mit dem Ziel, dass die Gruppe überlebt. Altruismus, so wie wir ihn verstehen, ist das nun wirklich nicht. Die Biologen sprechen hier auch von dem Paradox des Altruismus. Dann kam William Hamilton. Der britische Biologe Hamilton formulierte in den 1960er-Jahren die biologische Theorie des Altruismus. Diese wurde die Grundlage für das berühmte Buch »Das egoistische Gen« von Richard Dawkins. 26
Hamilton, der scheinbar ein ganz sympathischer Typ und nebenbei auch noch ein Genie war, bestätigte wie andere Biologen vor ihm, dass der Altruismus der Tiere tatsächlich keiner ist. Dies bewies er anhand einer komplizierten mathematischen Gleichung, die wir in dem Ausdruck Verwandtenselektion zusammenfassen können. Das bedeutet, dass Ameisen, Termiten, Murmeltiere, Bienen usw. zusammenarbeiten, weil nur die Zahl der Individuen zählt, die durch ihr Opfer oder ihre Hilfe geboren werden. Ihnen ist es gleichgültig, ob das ihre eigenen Jungen oder die Nachkommen von Artgenossen sind. Ihr Altruismus dient also dazu, einer Gruppe von Verwandten das Überleben zu sichern, und ist somit eine etwas verdrehte Art von Egoismus. Besser gesagt: In der Tierwelt sind Altruismus und Egoismus Konzepte, die nicht die gleiche Bedeutung haben wie bei uns Menschen. Auch wir besitzen ein egoistisches Gen, und so manche haben davon sogar ganz viele … Aber unter uns Menschen gibt es auch echten Altruismus! Zum Glück sind wir nämlich in der Lage, Taten zu vollbringen, die nur das Ziel haben, anderen zu helfen, ohne dass es für uns einen Vorteil hat oder ein anderer Zweck dahintersteckt. Bieten wir im Bus einem alten Menschen den Platz an, tragen wir einer alten Frau den Einkauf nach Hause oder lassen an der Kasse die Kunden vor, die es eilig haben, dann sind wir mehr als höflich. Helfen wir entsprechend unseren Fähigkeiten – mal mehr, mal weniger –, dann sind wir wahre Altruisten. Und davon haben wir nichts! Absolut gar nichts allerdings auch nicht, um ehrlich zu sein. Die Neurobiologen (schon wieder Wissenschaftler …) sagen nämlich, dass in unserem Gehirn ein bestimmter Bereich aktiviert wird, wenn wir uns wirklich altruistisch verhalten. Das Belohnungszentrum! Eine großzügige oder altruistische Tat bewirkt nämlich, dass wir uns besser fühlen. Und das ist doch ein guter Grund, oder? Kleine Anmerkung zum Schluss: Viele Jahre nachdem er den Altruismus widerlegt hatte, reiste William Hamilton zusammen mit anderen Forschern in den Kongo, um den HI-Virus bei den Schimpansen zu erforschen. Er war bereits alt und wusste, dass ihm anstrengende und unbequeme Wochen im Dschungel bevorstanden, aber seine Kompetenz und Erfahrung konnten nützlich sein. Also fuhr er los. Während der Reise erkrankte er an Malaria und starb ein paar Monate später. Eine traurige, aber schöne Geschichte und ein leuchtendes Beispiel für Altruismus. 27
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