Vierseitzentrum
Studierende der Architektur:RAUMkultur beteiligen sich an der Ideenfindung für die Zukunft des Stiegbauernhofes. Im Herbst 2021 hat die Gemeinde alle Bürgerinnen und Bürger eingeladen, sich an der Ideenfindung für die Zukunft des Stiegbauernhofes zu beteiligen. Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich bei allen, die sich per Post, per Email, via Zeichnung oder live im Zoom-Chat eingebracht haben. Die ersten, die nun eine Antwort auf die vielen Ideen bzw. den umfangreichen Input geben, sind Architekturstudierende der Kunstuniversität Linz. Sie haben sich seit Oktober 2021 intensiv mit dem baulichen Bestand, den Wünschen und Ideen aus der Bevölkerung und den Vorgaben der Gemeinde auseinandergesetzt. Beteiligte Studierende Lisa Binder, Mario Buchberger, Florian Dessl, Sophia Eder, Julia Erlinger, Merlin Großmann, Annastasia Hochmuth, Anna Kirchmair, Magda Kremsreiter, Paul Paptistella, Carlotta Röll, Franziska Scheirl, Katrin Stieber, Marco Thaller, Cecilia Trotz, Vincent Wallner Gäste Architekturbüro MUH: Anna Moser & Michael Hager Architekturbüro HW: Sonja Hohengasser & Jürgen Wirnsberger Josef Watschinger, Schulleiter & Autor Betreuung Michael Zinner, Antonia Forster, Natalie Thompson
Studierende der Architektur:RAUMkultur beteiligen sich an der Ideenfindung für die Zukunft des Stiegbauernhofes.
Im Herbst 2021 hat die Gemeinde alle Bürgerinnen und Bürger eingeladen, sich an der Ideenfindung für die Zukunft des Stiegbauernhofes zu beteiligen. Wir bedanken uns an dieser Stelle herzlich bei allen, die sich per Post, per Email, via Zeichnung oder live im Zoom-Chat eingebracht haben.
Die ersten, die nun eine Antwort auf die vielen Ideen bzw. den umfangreichen Input geben, sind Architekturstudierende der Kunstuniversität Linz. Sie haben sich seit Oktober 2021 intensiv mit dem baulichen Bestand, den Wünschen und Ideen aus der Bevölkerung und den Vorgaben der Gemeinde auseinandergesetzt.
Beteiligte Studierende
Lisa Binder, Mario Buchberger, Florian Dessl, Sophia Eder, Julia Erlinger, Merlin Großmann, Annastasia Hochmuth, Anna Kirchmair, Magda Kremsreiter, Paul Paptistella, Carlotta Röll, Franziska Scheirl, Katrin Stieber, Marco Thaller, Cecilia Trotz, Vincent Wallner
Gäste
Architekturbüro MUH: Anna Moser & Michael Hager
Architekturbüro HW: Sonja Hohengasser & Jürgen Wirnsberger
Josef Watschinger, Schulleiter & Autor
Betreuung
Michael Zinner, Antonia Forster, Natalie Thompson
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Vierseitzentrum
Studio Architektur & dorfRAUMkultur
Entwurfsprojekt im Wintersemester 2021/2022
Impressum
Inhalt
01 für ein Jahrhundert · Michael Zinner
Herausgeber
Univ. Prof. DI Architekt Michael Zinner, PhD
Studio RAUMkultur, Kunstuniversität Linz
Hauptplatz 6, 4020 Linz
office@schulraumkultur.at
www.schulraumkultur.at
Auftraggeberin Tumeltsham
Bürgermeister Erwin Diermayr
Amtsleitung Klaus Waldenberger
Bauabteilung Belinda Spitzlinger
Bürgerservice Bettina Herndlbauer
Bürgerservice Bianca Hattinger
Betreuung der Entwürfe
Antonia Forster, Natalie Thompson, Karlheinz Wagner, Michael Zinner
Fachleute Gastkritik
Anna Moser und Michael Hager (OÖ)
(mit Arbeitsschwerpunkt Bauen im Bestand)
Sonja Hohengasser und Jürgen Wirnsberger (KTN)
(mit Lehrschwerpunkt soziales und rurales Bauen)
Josef Watschinger (IT)
(ehemaliger Schulleiter mit Bauernhof als Expositur)
Projektentwürfe und Darstellungen
Binder Lisa, Buchberger Mario, Dessl Florian, Eder Sophia, Erlinger Julia,
Großmann Merlin , Hochmuth Annastasia , Kirchmair Anna, Kremsreiter
Magda, Paptistella Paul, Röll Carlotta, Scheirl Franziska, Stieber Katrin,
Thaller Marco, Trotz Cecilia, Wallner Vinzent
Fotonachweis
Titel Antonia Forster, Ankündigung Aktionstag
01 Antonia Forster, Blick vom Platz auf Stiegbauernhof und Kirche
02 Su-Mara Kainz, Blick von Süden Richtung Platz
03 Antonia Forster, Blick vom Hang auf Platz und Gemeindeamt
04 Florian Dessl, Blick von Süden auf Hof und Kirche
05 Florian Dessl, Stiege und Hof
06 Su-Mara Kainz, Blick von Westen auf Wohnhaus
07 Su-Mara Kainz, Blick von Westen in den Straßenraum
08 Su-Mara Kainz, Feuerwehrmuseum
09 Su-Mara Kainz, Dachboden
10 Su-Mara Kainz, Innenraum Wohnhaus
11 Michael Zinner, Aktionstag via zoom
12/ 13 Michael Zinner, Arbeitssituation im Atelier an der Universität
14/ 15 Florian Dessl, 3D-Darstellung Bestand
16 Antonia Forster, Besichtigung Stiegbauernhof
17 Antonia Forster, Entwurfsauftakt vor Ort im Gemeindeamt
18/ 19 Paul Paptistella, Post-it-Sammlung Brainstorming
20/ 21 Zeichnungen von Kindern der VS Tumeltsham
22 Antonia Forster, Mittagessen nach der Hofbesichtigung
23 Kristina Friedrich, Gruppenfoto Vorbereitung Aktionstag
24 Antonia Forster, Fenstersammlung vom Stiegbauernhof
25 Antonia Forster, Innenhofsituation
26/ 27 Bildschirmfoto, Ende der Schlusspräsentationen
unten Zeichnung VS Tumeltsham
09 die Stiegbauern-Lini · Martin und Margit Baumgartner
11 die Aufgabenstellung · dorfRAUMkultur
17 Erstkontakt mit Folgen · Bürgermeister Erwin Diermayr
22 Dorfbau · Sonja Hohengasser, Jürgen Wirnsberger
23 „Vierseitzentrum“ mit Visionen · Anna Moser, Michael Hager
25 sich selbst den Hof machen · Josef Watschinger
Redaktion und Grafische Gestaltung
Antonia Forster, Natalie Thompson
Text und Bildrechte
Textredaktion: Michael Zinner und die Autor·innen
Abbildungen: die Verfasser·innen
Alle Rechte vorbehalten.
© 2022 »dorfRAUMkultur«, Kunstuniversität Linz
28 die Projekte · Entwürfe von 16 Studierenden
Mit Dank an alle Menschen aus Tumeltsham für ihre Beiträge !
Michael Zinner
für ein Jahrhundert
die historische Gelegenheit
Die Gemeinde Tumeltsham im Innviertel hatte vor
ein paar Jahren einen Vierseithof im Zentrum des
Ortes erworben, der nicht nur seines Zeichens
ältestes Bauwerk ist, sondern darüber hinaus auch
eine besondere Geschichte bzw. Bedeutung für
viele Ortsansässige hat. Der Kauf des Hofes, den
sich Tumeltsham mit seinen vielen Arbeitsplätzen
leisten konnte (wie auch wollte!), galt als eine fast
zwingend strategische Maßnahme, um eine Jahrhundertchance
für die Dorfraumentwicklung zu
wahren. Mit dieser zweifachen Besonderheit –
besondere Geschichte und besondere Lage –
sahen sich die Gemeindeverantwortlichen in einer
nicht zu ignorierenden Bringschuld. Folglich entschieden
sie sich dazu, die Bevölkerung in die
Ideenfindung zu möglichen Nutzungen einzubinden
bzw. zur Zukunft des sogenannten Stieg bauern-
hofes zu befragen. An dieser Stelle wurde im
Frühsommer 2021 das Studio RAUMkultur an der
Kunstuniversität Linz angefragt, um mit seiner
Expertise diesen Schritt mit der Gemeinde gemeinsam
zu bewältigen. Und so kam es im Wintersemester
2021/22 zu einem Studienprojekt im
Zeichen des Themas „dorfRAUMkultur“, in dem im
Rahmen einer Kooperation Entwerfen mit einem
partizipativen Prozess im Vorfeld von den Studierenden
praxisnah geübt werden konnte.
das besondere Vorfeld
Noch vor dem Semesterstart wurde die Bevölkerung
von Tumeltsham – in einer Postwurfsendung
an alle Haushalte – über das Vorhaben mit den
Studierenden informiert. Die Menschen wurden
gebeten ihre Gedanken, Anregungen oder Ideen
an die Gemeinde einzusenden. Sie wurden auch
1
eingeladen, den „offenen Hof“ zu besuchen bzw.
besichtigen. Und schließlich wurden sie darauf
eingestimmt, dass sie im November mit den
Studierenden ein „Hofgespräch“ suchen konnten.
Und tatsächlich – der Rückfluss konnte sich sehen
lassen: etliche Emails, einige davon mit vielen
detaillierten Angaben und/oder wertvollen Informationen,
gingen in der Gemeinde ein. Dazu
kamen viele Zeichnungen aus vier Volksschulklassen,
in denen die Kinder aus Tumeltsham ihre
Visionen befreit zum Ausdruck brachten. Nun galt
es, sich aus den vielen Daten ein Bild zu machen,
auch um sich auf das „Hofgespräch“ gut vorzubereiten.
Ja, und schließlich durfte die Sache
selbst nicht vergessen werden: die Atmosphäre
und die Geschichte des Ortes, die Struktur und
die Kon struktion der Bauwerke, der Zugang und
das Konzept des Entwurfs.
die übergeordneten Themen
Wir vom Studio RAUMkultur – Antonia Forster,
Natalie Thompson, Michael Zinner – können mit
diesem Semesterprojekt unsere eigenen Agenden
abermals weiterführen. Konsequenterweise wird
es also ein weiteres Mal nicht um Neubau gehen.
Sanierung, Umbau, Weiterbau und Umnutzung
bleiben die Themen des Entwerfens in unserem
Übungsplan für das 21. Jahrhundert. Die zusätzlichen
Aspekte der Partizipation sind etwas Schönes,
die wir uns zufallen haben lassen. Weiterhin
also können wir angehende Architekturschaffende
mit drei zentralen Themenstellungen der Praxis
konfrontieren: erstens mit dem sparsamen Umgang
mit Boden, weil es um Verdichten im Dorfzentrum
geht; zweitens mit dem optimierten
Einsatz vorhandener Ressourcen, weil viel graue
Energie im Stiegbauernhof eingespeichert ist; und
drittens mit dem Einbinden unterschiedlicher
Interessen, weil es mit dem Hof um räumliche und
soziale Entwicklung in der Gemeinde geht.
der eine Moment
Das konkrete Studienprojekt begann schließlich
mit einem „Hofbesuch“ Mitte Oktober. Doch war
dieser Start für die Studierenden auch von Unsicherheit
begleitet. Denn wie anfangen, wenn
alles offen ist ? Und warum schon loslegen, wenn
erste Wünsche und Ideen aus der Bevölkerung
erst später daherkommen werden ? In dieser
Phase, in der alles oder nichts in der Luft hing, in
der gewissermaßen alles und nichts möglich waren,
in der sich viel weißes Rauschen subsummierte,
waren alle gewissermaßen "ohne Absicht" vorbereitet
für den einen Moment. Die Ehre, diesen
auszulösen, wurde Architektin Katharina Forster
von nonconform zuteil. In ihrem Impuls erzählte sie
von ihren Erfahrungen mit Kommunen in ganz
Mitteleuropa und von den für das Büro genuinen
sozialen Techniken einer partizipativen Raumentwicklung
in der „nonconform ideenwerkstatt“.
Neben theoretischem Wissen über Formen, Phasen
und Chancen von Beteiligung zur Einordnung
des eigenen Tuns waren es vor allem die Beispiele
aus der Praxis, die den Funken überspringen
ließen. Katharina Forster ist das Kunststück gelungen,
die gesamte Gruppe in Euphorie für etwas
Unbestimmbares zu versetzen.
der eigene Grund
Plötzlich – wahrlich innerhalb von Stunden ! –
bil deten sich mehrere Gruppen, die je ein eigenes
Aufgabengebiet bearbeiteten. Das Entwerfen begann
an dieser Stelle ein zweites Mal, die jungen
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Leute beschäftigten sich mit Fragen der Organisation,
des Zusammenarbeitens, der Arbeitsteilung,
des Recherchierens, der Analyse und der Aufbereitung
von Fakten. Schön war zu beobachten, wie
nun Fortschritt im Projekt zu einer Selbstverständlichkeit
im Prozess wurde, alles entwickelte sich,
nichts war mehr zu „animieren“. Von nun an galt es
für uns als Team lediglich gut zu begleiten und auf
gewisse Weise zu führen. Führung wird hier verstanden
als ein Zur-Verfügung-Stellen und ein Verfügbar-Halten
eines Raumes für die Entwicklung
der jungen Leute, also als ein Arbeiten am Rahmen
und eben nicht als ein Eingreifen in das Bild bzw.
den Inhalt. Genau deshalb erlebten sich die Studierenden
im besten Sinn als auf sich selbst zurückgeworfen.
Es kam auf sie an. Sie konnten die
Erfahrung machen, dass sie in einer Zeit, in der
alles schwimmt, also in einer Krise, nur sich selbst
der eigene Grund sein können. Diese Erfahrung
ist essenziell, wenn es darum geht, Resilienz mit
Eigenständigkeit zu verbinden.
die doppelte Gastkritik
Die Corona-Pandemie hat das „Hofgespräch“ in
einen „Zoom-Gipfel“ transformiert. Nichtsdestotrotz
wurde auch dieser Tag ein Erfolg. Sowohl
einzelne Menschen aus Tumeltsham, als auch
Vereine und Volksschulkinder waren am Schirm –
sei es aus der Melkkammer am Bauernhof, aus
dem Gemeindeamt, aus dem Vereinslokal oder
aus der Schulklasse. Die pandemische Routine
half allen, auch in der Distanz in Berührung zu
kommen. Mit der Auswertung der Ergebnisse
wurde ab nun, Anfang November, an den Projekten
intensiv gearbeitet. Es galt, neben räumlicher
Gestalt vor allem auch soziales Programm zu
formen. Insbesondere zweiteres lädt in der Begeisterung
dazu ein, über das Ziel hinauszuschießen.
Tumeltsham ist keine Großstadt,
Frequenzen und Finanzen als tragfähige Böden
für Inhalte mussten im Blick gehalten werden.
Die beiden Architekturbüros, die wir als kritische
Begleitung für dieses Semester gewinnen
konnten, haben mit ihren einschlägigen Erfahrungen
viel zum Gelingen beigetragen. Aus
Kärnten kommend sind uns Sonja Hohengasser
und Jürgen Wirnsberger mit ihrer praktischen
wie lehrenden Expertise zu sozialem und ländlichem
Bauen in Form von Impuls und Gastkritik
beigestanden. Und aus Oberösterreich kommend
haben das Anna Moser und Michael Hager mit
ihrem Fokus auf Umbauen und Sanieren dem
gleich getan. Auch danken wir an dieser Stelle
Karlheinz Wagner, der als „Special Guest“ nach
einer Besichtigung wertvolle Aussagen zum technischen
Status der Bauwerke lieferte.
die universitäre Doppelrolle
Wir blicken nun auf ein Semester zurück, das wir
mit gutem Gefühl als gelungen bezeichnen können.
Erfolg hat nicht nur viele Eltern, von denen oben
bereits erzählt wurde, sondern in diesem Fall auch
mehrere Seiten. Das Studio RAUMkultur sieht sich
in seiner universitären Agens grundsätzlich sowohl
für Ausbildung in der Sache, als auch für Bildung
der Person verantwortlich. Fachidiotie und Silodenken
müssen in der Vergangenheit zurückgelassen
werden, Metakompetenzen und Teamfähigkeit
bestimmen unsere Gegenwart wesentlich
mit. Daher sind derartige Semester Gold wert,
weil es möglich ist, schon im Studium komplexe
Projektchoreografien und eigendynamische
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Prozessverläufe wahrzunehmen und mit ihnen
umgehen zu lernen. Doch nicht nur das beschäftigte
uns. Der Umstand, dass wir uns der Gemeinde
Tumeltsham gegenüber im Rahmen eines Projektvertrags
zum Liefern verpflichtet haben, bedeutet
für das Studio RAUMkultur eine zweite Seite, die
zu adressieren war. Und das Gesamtergebnis
schließlich kann das, was „bestellt“ wurde (so
hoffen wir !): Den geistigen Raum für dieses
Projekt in Tumeltsham nicht nur mit Ideen, sondern
auch mit Tiefsinn und Weitsicht zu bereichern.
Im besten Fall kann nun die Gemeinde schöne
Baukultur ansteuern. In diesem Sinn gilt der Dank
den Studierenden.
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Martin und Margit Baumgartner
die Stiegbauern-Lini (gekürzt)
ein Leben lang
Die letzte Bewohnerin des Hofes war die „Stiegbauern-Lini“.
Karoline Albrecht, geboren 1924,
wuchs als jüngstes Kind mit ihren vier Brüdern
auf dem Stiegbauernhof auf, wo die Eltern eine
mittelgroße Landwirtschaft betrieben. Vater Martin
war ab 1929 Bürgermeister, bis er 1938 gleich am
Tag des Anschlusses von den Nationalsozialisten
abgesetzt wurde. Als ihre Brüder einrücken mussten
– zwei kamen nicht mehr zurück nach Hause –
half Lini den Eltern auf dem Hof. Später betreute
und pflegte sie diese im Alter, ihre Mutter wurde
immerhin 93 Jahre alt.
mit dem Bruder
Da der Bruder und Hoferbe Georg ledig blieb, führte
sie selbstverständlich auch für ihn den Haushalt.
Georg hielt an Tradition und überlieferten Werten
fest. Zu Hause führte er ein strenges Regiment.
Lini durfte kaum aus dem Haus und er verbot ihr
jeglichen Besuch von Veranstaltungen außer den
Kirchenbesuch. Und sobald die Kirchenglocken
zum Gebet läuteten, schlug die tiefgläubige Lini
das Kreuzzeichen und verrichtete still ein kurzes
Gebet. Da konnte es schon vorkommen, dass sie
mitten im Gespräch innehielt und für kurze Zeit
schwieg. Dennoch war sie eine unerschöpfliche
Quelle an Geschichten und Anekdoten aus
früheren Zeiten. Trotz ihrer isolierten Lebensweise
wusste sie über alles Bescheid im Dorf.
für die Gemeinde
Als ihr Bruder 1992 im Alter von 78 Jahren starb,
wurde als Alleinerbin seine Schwester „Stiegbäurin“.
Zwar behielt sie weiter ihre abgeschiedene
Lebensweise bei, aber sie blühte sichtlich auf. Im
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dorfRAUMkultur
die Aufgabenstellung
Gedenken an ihren Vater, der als Bürgermeister
in einer wirtschaftlich schlechten Zeit Außerordentliches
für die Menschen in Tumeltsham geleistet
hatte, wollte sie für ihre Heimatgemeinde „irgendetwas
tun“. Als die Freiwillige Feuerwehr Tumeltsham
einen neuen Standort für ihr Museum suchte,
stellte sie sofort den Stall und die Scheune dafür
zur Verfügung. Um die Jahrtausendwende
schenkte sie der Gemeinde ein Joch Grund für den
Bau von betreubaren Wohnungen, in denen ältere
Menschen ihren Lebensabend verbringen können.
mit eigenem Segen
Für ihr Verdienst wollte die Gemeinde ihr den
Ehrenring verleihen, den sie jedoch aus Bescheidenheit
ablehnte. Lini übersiedelte schließlich
selbst in die „Albrecht-Seniorenwohnanlage“ –
in ein Zimmer, aus dem sie ihren Hof im Blick hatte.
Anfangs schaute sie jeden Tag mehrmals nach
dem Rechten und fütterte die Katzen. Als ihre
Gesundheit nachließ, kam sie in das Pflegeheim
in Ried, wo sie am 4. Juni 2012 starb. In ihrer
Jugendzeit war Lini schon so gut wie verlobt, doch
ihr Bräutigam kehrte nicht aus dem Krieg zurück.
Oft äußerte sie die Bitte: „Wenn ich einmal sterbe,
soll das Brautlied gespielt werden.“ Bei ihrem
Begräbnis wurde diesem Wunsch entsprochen, ein
sehr berührender Moment für alle Anwesenden.
der Ort
Die Gemeinde Tumeltsham liegt zwischen der
Innkreis-Autobahn und der Stadt Ried im Innkreis,
die in sechs Autominuten, elf Radminuten, neun
Busminuten oder 36 Wanderminuten erreichbar ist.
Die Zubringerstraße nach Ried durchquert das
rund vier mal vier Kilometer große Gemeindegebiet
mittig von Nord nach Süd. Diese günstige Lage für
Wirtschaftsansiedlungen zeigt sich in den Zahlen.
Den 1.600 Einwohnenden stehen 1.800 Arbeitsplätze
in 150 Betrieben gegenüber. Nach Tumeltsham
pendeln täglich immerhin rund 1.000 Menschen
in die Arbeit. Diese Zahlen geben den
Ausschlag für positive Bilanzen in der Gemeinde.
Immer noch sind fast 70 Prozent des Gemeindegebiets
landwirtschaftlich genutzt, von den 30
bäuerlichen Be trieben gelten noch 18 als Haupterwerbsbauern.
Im Ort gibt es neben Institutionen
wie Gemeinde, Kirche, Volksschule, Kindergarten,
Altenwohnen, Polizei und Feuerwehr auch Unternehmen
(Bauern, Wirtshäuser, Handel) und rund 20
Vereine, die das öffentlich-kulturelle Leben prägen.
der Hof
Der malerische Hof im Zentrum des Ortes hat
seinen Namen von der Stiege, die zur Kirche
hinaufführt. Das hölzerne Wohnhaus stammt
wahrscheinlich aus dem 16. Jahrhundert und ist
heute das älteste Gebäude in der Gemeinde. Die
Nebengebäude sind jüngeren Datums. Der Stall
erscheint in der Urmappe um 1830 noch aus Holz
erbaut. Bis 2002 war der Hof bewohnt, der Komfort
entsprach bis zuletzt dem der 1950er-Jahre.
Geheizt wurde mit Holz nur in Küche und Stube.
Es gab kein Badezimmer, ein „Schaffl“ diente als
Badewanne, und die Toilette war das „Häusl“ im
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Hof neben dem ehemaligen Misthaufen. Das
fließende Wasser in der Küche, der elektrische
Strom, das Telefon und ein Radio waren die
einzigen Zugeständnisse an die neue Zeit.
die Lage
Die Lage des Stiegbauernhofes im Zentrum von
Tumeltsham ist bemerkenswert: Gelegen zwischen
Kirche, Gemeindeamt, Wirtshaus und Bank begrenzt
die entsprechende Liegenschaft im Osten
den neu errichteten und technisch mit Infrastruktur
versorgten Ortsplatz. Im Westen liegt hingegen
die zum Hof gehörende Bauernwiese, die Potenzial
für ein grünes Pendant zum Platz bzw. für ein
grünes Idyll inmitten der Gemeinde birgt. Wesentlich
ist die Anhöhe, auf der die Kirche steht. Am
Fuße des Hügels liegen Wiese, Hof, Platz und
Gemeinde aneinandergereiht. Tumeltsham ist ge-
prägt vom Verhältnis von Kirchplatz auf der Anhöhe
und Gemeindeplatz am Fuße dieser, sowie vom
Verhältnis der Volumina von Kirche, Gemeindehaus
und Stiegbauernhof.
das Mitreden
Die Gemeinde hat den Stiegbauernhof erworben
in der Absicht, das Zentrum und seine Entwicklung
selbst zu gestalten. Aufgrund der sich bietenden
Jahrhundertchance sollen bei der Ideenfindung
zur zukünftigen Nutzung des Hofes alle Menschen
von Tumeltsham mitreden können. Alle Haushalte
wurden entsprechend informiert, Tage des
offenen Hofes organisiert und mit der Kunstuniversität
Linz eine Partnerin für das Auswerten
aller Beiträge und ein darauf aufbauendes Antworten
in Form von Entwürfen der Studierenden
gefunden.
die Aufgabe
Der Stiegbauernhof ist auf Basis der Ergebnisse
der Beteiligung inhaltlich zu programmieren. Ein
konkreter Entwurf soll darauf aufbauen. Dabei
ist insbesondere die Art von Eingriff an diesem Ort
zu entscheiden bzw. zu argumentieren: der Bogen
reicht von behutsamer Sanierung bis zu Teilabbruch
und Teilneubau. Es soll die Frage beantwortet
werden, mit welcher Haltung Architektur
entwickelt wird und ob diese Haltung lesbar
werden soll. Es ist eine schlüssige konzeptionell-philosophische,
raumplanerisch-strategische
wie gestalterisch-konstruktive Antwort zu finden,
die der Gemeinde Tumeltsham als Idee für ihr
weiteres Vorgehen dienen kann.
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Volksschule
Kirchplatz
Obstwiese
Mostkeller
Scheune
Gemeindeplatz
Gemeindeamt
Wohnhaus
Stiegbauernhof
Stall
Bürgermeister Erwin Diermayr
Erstkontakt mit Folgen
Als wir im Frühjahr 2021 den Kontakt mit der Kunstuniversität
Linz aufnahmen, haben wir rasch gespürt,
dass bei unserer Suche nach Ideen für den
Stiegbauernhof tatsächlich ein besonderes Projekt
gelingen könnte – haben uns doch die ersten
Gespräche mit Michael Zinner in dieser Hinsicht
nur bestärkt. Schnell waren wir uns einig, dass wir
verantwortungsvoll und gemeinschaftlich mit dem
Hof und dessen Geschichte umgehen müssen:
„Das sind wir der ‚Lini‘ wie auch der Bevölkerung
schuldig!“ lautete der einhellige Tenor.
Umso mehr waren wir dann von der intensiven
Beteiligung der Menschen aus Tumeltsham, vom
großen Interesse der Vereine und von den schönen
Zeichnungen der Kinder aus unserer Volksschule
begeistert. Auch die Art und Weise, wie die Studierenden
diese Vielzahl an Ideen und Wünschen in
ihre Projekte einfließen ließen, wie sie ihre Projekte
umgesetzt und schlussendlich präsentiert haben,
hat uns beeindruckt, ja richtiggehend ermutigt.
Als Bürgermeister freut es mich, dass wir nun aus
einer Vielzahl an Projekten bzw. Ideen auswählen
können. Zwar bedarf es dazu noch mehrerer sorgfältiger
Gesprächsrunden, die wir nun konkret angehen,
doch am Ende werden wir auf ein schönes,
gemeinsames Projekt zurückblicken und uns gerne
an den „Erstkontakt mit Folgen“ erinnern.
Vorerst bedanke ich mich an dieser Stelle bei allen
Verantwortlichen aus der Kunstuniversität und
der Gemeinde und vor allem bei den Studierenden
für das in der heutigen Zeit nicht mehr selbstverständliche
gute und wertschätzende Miteinander
sehr herzlich.
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67
10
39
4
Ideen
Stunden Gespräche
Zeichnungen von
Volkschulklassen
Sonja Hohengasser, Jürgen Wirnsberger
Dorfbau
Anna Moser, Michael Hager
„Vierseitzentrum“ mit Visionen
Beim Bauen am Land können Orte bereits durch
kleine Eingriffe neu strukturiert werden. Sie können
mit sparsamen und dennoch vielfältigen Raum -
programmen neu geordnet werden, sei es durch
die Aktivierung von Leerstand oder durch ergänzende
Neubauten. Neben den gebauten Häusern
im Ortsgefüge geht es auch um die Qualität der
Freiräume dazwischen, also auch am Land um
nutzungsoffene, qualitätsvolle öffentliche Räume.
In der aktuellen Nachhaltigkeitsdebatte werden die
positiven Auswirkungen von Häusern und Räumen,
die für die Gesellschaft einen emotionalen Wert
besitzen, (noch) vernachlässigt. Doch die Sensibilisierung
für historische, identitätsstiftende Bausubstanz
hat einen unschätzbaren immateriellen
Wert. Daher sollten Architekturschaffende sich und
andere motivieren, Altes zu bewahren, am Bestand
weiterzubauen und mittels partizipativer Prozesse
neue Nutzungen für die Wiederbelebung zu finden.
Insgesamt gilt es, Potenziale zu finden, zu stärken
und durch ein starkes soziales Umfeld „dauerhafte
Häuser“ zu schaffen.
Die Wahl des Entwurfsthemas ist daher nicht nur
aus fachlicher Sicht, sondern vor allem auch für die
Auseinandersetzung mit den Herausforderungen
unserer Zeit relevant. Die Studierenden haben mit
ihren unvoreingenommenen und frischen Blicken
Denkräume eröffnet, die als Impuls für die Wiederbelebung
des Stiegbauernhofes und seines Umfeldes
im Ortskern dienen können. Wir wünschen
den handelnden Personen den Mut, sich diesem
zentralen Ort im Dorf zu widmen und unter fachlicher
Begleitung weiter an einem stimmigen
Konzept zu feilen. Wir freuen uns, wenn es gelingt,
einen lebendigen Ort zu schaffen – wie es in den
Projekten der Studierenden bereits spürbar ist.
Bei uns als Architekturbüro mit Schwerpunkt
Bauen im Bestand im ländlichen Bereich entfachte
das Projekt rasch Begeisterung, da es einen visionären
Weg aufzeigt, wie Verantwortung von Kommunen
wahrgenommen werden kann. Wir durften
in Tumeltsham eine mutige Gemeinde kennenlernen,
die mit dem Stiegbauernhof ein historisches
Gebäude im Zentrum erwirbt, weil sie darin auch
eine Chance für eine zukünftige Zentrumstärkung
erkennt. Mehr noch, Tumeltsham will die unterschiedlichen
Interessen aus der Bevölkerung im
Zuge eines partizipativen Prozesses anhören und
sammeln! Und für dieses Unterfangen holte sie
sich das Studio RAUMkultur der Kunstuniversität
Linz ins Boot, dessen Studierende den Umgang
mit den Ortsansässigen mit Engagement und
Zeiteinsatz professionell aufbereitet und durchgeführt
haben. Es ist schön zu sehen, wie die Vielfalt
an Bedürfnissen und Ideen nun in den verschiedenen
Projekten aufgenommen und eingearbeitet
wurde. Auch wenn die einzelnen Arbeiten inhaltlich
und in ihrer Ausformulierung sehr unterschiedlich
sind, so gibt es doch einen schönen gemeinsamen
Nenner: der behutsame Umgang mit dem Bestand.
Vierseithöfe sind die signifikante Typologie der
Region – Bauwerke, die Identität schaffen. Die
Studierenden sind sich ihrer baukulturellen Verantwortung
durchaus bewusst und transportieren
dieses Kulturgut durch sensible Interventionen und
Eingriffe in eine zeitgemäße Architektursprache.
Wir bedanken uns bei den Verantwortlichen für die
professionelle Abwicklung und den inspirierenden
Präsentationstag. Wir wünschen der Gemeinde
einen mutigen Weg und das gemeinsame Verfolgen
und Weiterdenken der einen oder anderen Idee.
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Josef Watschinger
sich selbst den Hof machen
Gemeinsam darüber nachzudenken, wie ein
„ schlafender Hof“ – in diesem Fall, der Stiegbauernhof
– mit neuem Leben gefüllt werden kann, finde
ich großartig. Ein Kompliment an die Gemeinde,
die sich für ein Projekt dieser Art geöffnet hat.
Meine Erfahrungen, die ich mit der Einbindung
von Studierenden in ähnlichen herausfordernden
Aufgaben gemacht habe, haben sich in diesem
Projekt von Tumeltsham bestätigt. Es scheint, dass
junge Menschen die Fähigkeiten besitzen, die
Zukunft zu spüren (im Sinne von Otto Scharmer).
Die eingeladenen Architekturbüros haben die räumlichen
Qualitäten der Entwürfe, die Beziehungen
der Teile zueinander kritisch kommentiert – insbesondere
das Städtebauliche, den Dialog des Bauernhofes
mit den Gebäuden der Umgebung, die
Qualität der Zwischenräume. Und genauso wie
Architektur und Städtebau das Ganze und das
Zusammenspiel seiner Teile in den Blick nehmen,
sollen Kulturelles und Geistiges einer Gemeinschaft
als Ganzes und in möglichen Entwicklungen
erfasst werden. Zusammen mit dem Räumlichen
gilt es, Gemeinsames zu komponieren, Vorhandenes
zu verdichten und Möglichkeiten zu verweben.
Die Studierenden zeigten schöne Ideen, wie Lebendigkeit
einer dörflichen Gemeinschaft aktiviert werden
kann. Vielleicht entsteht hier ein Ort im Zentrum
von Tumeltsham, an dem sich viele Tätigkeiten und
Initiativen verdichten, eine Art Werkstatt, in der ein
informelles Netzwerk geknüpft wird, das verbindet
und verwebt und dadurch eine lebendige Gemeinschaft
hervorbringt, die sich das selber schafft, was
sie braucht und was ihr wichtig ist. Mögen die Menschen
in Tumeltsham sich selbst ihren Hof machen.
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Schlusspräsentationen via zoom
25. Jänner 2022
eine Annäherung
Cecilia Trotz
K
Das Projekt schlägt eine Wohnzimmeratmosphäre
im Zentrum von Tumeltsham vor. In einer verkehrsberuhigten
Welt bietet der Hof Kindern ein niederschwelliges
und abenteuerlich sinnliches Raumangebot
im Wohnhaus und im Speicher. Der Hofladen
im alten Stall orientiert sich sinnfällig auf
den Platz und mit dem Weglassen der Scheunenbretter
wird eine einfache Aufwertung der Raumzusammenhänge
vorgeschlagen, die sich durch
Großzügigkeit auszeichnet.
Der Kachelofen wird als Herzstück des Bauernhauses
zum raumbestimmenden Element, das ein
einzigartiges, anregendes Raumgefüge schafft.
Der Blockholzbau – auch Strickbau genannt – wird
tatsächlich weitergestrickt. Diese Poetik verbindet
den konstruktiven Sinn mit denkmalpflegerischer
Behutsamkeit bei schöner Lesbarkeit des technischen
Eingriffs und atmosphärischem Gewinn.
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1:25
1:25
Grundrisse M 1 : 400
Grundriss EG
Grundriss 1. OG
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Ansichten | Schnitte M 1 : 200
Wohnhaus Ansicht Süd Wohnhaus Ansicht West Wohnhaus Schnittperspektive Scheune Schnittperspektive
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RAUM für Kinder
Sophia Eder
Das beidseitige sich in die Landschaft einbettende
„Umsteigen“ des Hofes zeigt eine schlichte wie
angemessene stadträumliche Reaktion auf die
Hof-Hinterseite. So bindet die Lösung etwa auch
die Volksschule in der zweiten Reihe hinter der
Kirche gut an. Und letztlich gelingt mit dem Öffnen
der Hofwände und der fließend verbindenden
Sitztreppen-Arena die Aufwertung des Hofes zu
einem öffentlichen Zentrum. Die vorgeschlagene
Mischung aus selbstverständlicher Unaufgeregtheit
und kindgerechter Besonderheit vieler kleiner
Eingriffe erlaubt der Gemeinde insgesamt pragmatisch
vorzugehen ohne auf Poetik zu verzichten.
Zur Sanierung des Wohnhauses bietet die Komposition
einer Stahlfigur als lesbaren architektonischen
Eingriff mit technischer Anmutung den
Kindern ein Bücherregal und den Innenräumen
spannende Lichtverhältnisse.
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M 1 : 400
Grundriss EG
Grundriss 1. OG
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grüner Luxus
Carlotta Röll
Poetisch angelegte wie erzählte auf- und anregende
Welten ermöglichen Kindern eine analoge
Balance zur digitalen Realität. Alle „Funktionen“
sind hier daher eher Gelegenheiten, wenn nicht gar
Abenteuer in einem als Landschaft verstandenen
Entwurfsgebiet. Konsequenterweise bleibt der
Innenhof unbefestigt. Der Stiegbauernhof wird als
ein im Grün der Wiese schwebendes Ensemble
verstanden. Dieses Konzept der (Fest-)Wiese, die
alle einfach lieben dürfen, gönnt dem Dorf jenen
„grünen Luxus“, der als auf den ersten Blick
unscheinbare, doch letztlich radikale Idee für hinkünftiges
seelisches Überleben unserer Kleinsten
sorgt: „duftender Heuboden“ und „wohnliches
Lernen“ verzaubern gemeinsam mit „Bienchenwiese“,
„Beerenhecke“ und „Matschküche“. Ein
„mitbring-Café“ in der Scheune verbindet dieses
Zauberland mit dem Dorfplatz.
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M 1 : 400
Grundriss EG
Grundriss 1. OG
0 5 10 20
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den Hof zentrieren
Magda Kremsreiter
Die stadträumlichen Eingriffe in diesem Projekt
sind konkret und punktgenau: das Verlängern der
Grenzmauer des Platzes als Sitzbank bis zum
neuen hinteren Hoftor bietet eine öffentliche
Situation für alle; das Zurücksetzen des straßenseitigen
Hoftores und die Verengung der Straße
zugunsten eines großzügigeren Schwellenbereichs
vor dem Hof erzeugen eine echte Eingangsituation.
Das Öffnen der Scheune wertet Gemeindeplatz
wie Innenhof gleichermaßen auf und ergibt eine,
für das Erleben tagtäglicher kommunaler Lebendigkeit
wichtige Durchwegung. Der räumlichen
Vielfalt am derart zentrierten Hof wird mit gemischten
Programmen entsprochen: die Welt der
Schule wird sinnlich angereichert, die Gemeinde
erhält ein genießerisches Zentrum mit Café
und Greißlerei und die bäuerliche Tradition wird
als lebendes Museum fortgeführt.
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Grundrisse M 1 : 400
Grundriss EG
Grundriss 1. OG
0 5 10 20
Ansicht | Schnitt M 1 : 200
Ansicht Süd
0
2
4
8
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Dialog der Häuser
Auf Tor folgt Haus, folgt Tor
Drei Mal und ich steh erneut davor
Was ist das, was will es mir sagen
kann es erzählen, kann ich es fragen?
Die vier Häuser die hier stehn
haben die ein Eigenleben?
Ich denke sie können, nein sie müssen
manchmal miteinander reden
Ich will versuchen zuzuhören
Der Stadel ruht am Tor zur Sonne,
zeigt der Schulter steiles Dach
rote Ziegel leuchten weit
über des Dorfes großen Platz
Wurd nicht hier das Troad gedroschen
auf der Tenne mit dumpfen Schlägen
Bund für Bund das goldne Korn
aus den Ähren ausgelesen?
warfen sie den Berg aus Heu
mit ihren hölznen Gabeln
Hoch und höher hier herauf
bis unter diesen Giebel?
So steh ich hier und sinnier
Doch der Hof, er schweigt
Er spricht nicht viel,
seit niemand sich ihm zugewandt
20 Jahre Einsamkeit waren zu viel für seine Art
Es sieht sich schon im Reich der Ahnen
für die er gerne Behausung war
Erster Schrei und letzter Atemzug
oft in der guten Stube
Ja wo denn sonst?
Bäuerin, Bauer, Knecht und Magd
war man schließlich jeden Tag
Und das nicht nur zur vollen Stunde
Jede Minute, jede Sekunde
Teil von etwas Großem, Ganzen
Von einer Welt, die sang- und klanglos
plötzlich hier, vor uns verschwand
Manche hier im Dorfe wissen noch
was sie mit alledem verband
Lini, scheint das Haus zu sagen
wo bist du, ich vermisse dich
Alle, die mich heut erblicken, gedenken deiner
wer bin ich also ohne dich?
Was kann ich sein als eine Schale nun
leer und nutzlos stehe ich da
und meine hölzernen Wände stöhnen
wenn Regenzeit und Kälte naht
So lang schon hab ich nasse Füße
Siehst du, seit sie diese Straße bauten
rinnt das Wasser nicht mehr fort und ich
ich kann ja auch nicht laufen
So steh ich hier, auf feuchter Erde
ja, ich halte aus
Doch weichen meine untren Balken
langsam, aber sicher auf
Nach Momenten des Erkennens
schließe ich des Hofes Tor
Und wenn ich nun vorm Plan hier sitze
hab ich das Flüstern noch im Ohr
Voraus zu schauen ist unser Wesen
Und doch scheue ich mich hier anzupacken
Denn löschte ich diesen Bau vom Plan
all das, es wäre nie gewesen
Merlin Großmann, 9. 11. 2021
Bildung und Genuss
Merlin Großmann
In großen räumlichen Bezügen wie in kleinen technischen
Details zeigt sich dieses Projekt prä zise
und einfühlsam. Seine funktionalen Einschreibungen
zeugen von einem tiefen Verständnis für die
Struktur des vorgefundenen Bestandes. Die Welten
Landwirtschaft, Dorf gemeinschaft und Kinderhaus
werden auf drei Bauten verteilt und bleiben dennoch
komplex verflochten. Der Stiegbauernhof
erhält mit einem eigenen Lauf seine Stiege, die
Volksschulkinder plötzlich sinnstiftende Wege. Der
Genussladen gerät zur klug aufgeladenen und
mehrfach wirk samen Drehscheibe von Platz und
Hof, von Feuerwehrmuseum und Vereinsaktivitäten,
von Kaffee trinken und Bücher lesen. Die Skulptur
aus Dämmbeton rund um das Wohnhaus interpretiert
die örtliche Bautradition poetisch, in dem
sie das technisch Benötige mit dem genießerisch
Gegönntem verbindet.
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Grundriss EG
Grundriss 1. OG
M 1 : 400
Ansicht Süd
Ansicht West
Ansicht Ost
Längsschnitt
0 5 10 20
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das JuKuTu
Annastasia Hochmuth
Das Projekt ist räumlich, zeitlich und institutionell
groß gedacht. Vorhandene räumliche Qualitäten
werden aus ihrem „Dornröschen-Dasein“ mit atmosphärischem
Zauber, doch technischen Mängeln
durch Raum-in-Raum-Interventionen gewissermaßen
wachgeküsst. Die Idee spielt also mit
Zeit(en). Die eingelagerten Architekturen sind in
diesem Sinn würfelförmige „Zeitkapseln“. Das derart
neuerschaffene disperse Zentrum - ein Netz von
Kapseln - integriert technische Eleganz beim Bauen,
variable Einlagerung von Nutzungen und räumliche
Spannung von Vorder- und Hintergrund. Dieses
„Einlagern“ gegenwärtiger Kuben in historische
Kontexte kann schrittweise wie niederschwellig
beginnen. Auf großzügige Weise nisten sich so
Jugend und Kultur in Tumeltsham ein, ohne sich
mit Widerständen lang aufzuhalten – das JuKuTu
bietet Formenvielfalt mit Chance auf Erfolg.
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GSPublisherVersion 87.79.90.100
1 5 10
1
Grundriss EG
Grundriss 1. OG
GSEducationalVersion
M 1 : 400
Ansicht Süd
Ansicht West
0 5 10 20
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Steg Steig Stieg
Mario Buchberger
Das Wort „Stieg“ schwebt etymologisch zwischen
den Begriffen „Steg“ und „Steig“. Die inhaltlichen
wie wortbildenden Umstände werden Momentum
und Ausgangspunkt für ein räumliches Geflecht
von Stiegen, Steigen und Stegen durch das
Zentrum des Ortes. Dieses Netz an sekundären
Wegen schafft neue Perspektiven, erst recht, weil
es in seiner Höhenentwicklung die topografischen
Besonderheiten von Tumeltsham schön herausarbeitet.
Mit dieser quantitativen wie qualitativen
Überhöhung gelingt eine reale Verdichtung des
Gemeindelebens genauso wie die metaphorische
Hebung des Ortes durch ein visuelles Element
für die Identitätsstiftung. Das Projekt ist in seinem
konsequenten Inszenieren gewiss eine Gradwanderung,
doch übernimmt seine Grundidee die
Funktion des Sichtbarmachens von Potenzialen
im Zentrum von Tumeltsham.
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Backofen
Grundriss EG
Grundriss 1. OG
M 1 : 400
Ansicht Süd
0 5 10 20
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die stiegbauernhöfe
Paul Paptistella
Das Konzept schlägt eine Verdopplung des
Stiegbauernhofes vor und stellt diesen mehrfach
in räumliche wie programmatische Spannung:
Einem „Wohnzimmer Tumeltsham“ im alten Hof
wird ein „Arbeitszimmer Tumeltsham“ im neuen Hof
dazugestellt. Damit gelingt diesem Projekt neben
sozialer auch eine bauliche Verdichtung im Ortszentrum.
Zum erweiterten Raumangebot für Kinder
aus den kommunalen Bildungsinstitutionen
kommen neuerrichtete Räumlichkeiten für Wohnungssuchende,
auf Betreuung Angewiesene und
Ein-Personen-Unternehmen hinzu. Stadträumlich
gelingt zwischen beiden Höfen ein zweiter Zugang
zur Kirche, der eine schöne Spannung im emporsteigenden
Zugehen auf den Kirchturm bietet.
So wird auch der ausgedehnte, bestehende
Gemeindeplatz mittelbar gestärkt – wird er doch
zur einzigen großen Leerfläche im Zentrum.
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Grundrisse M 1 : 400
Grundriss EG
Grundriss 1. OG
0 5 10 20
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am turm
Vinzent Wallner
Das stadträumliche Konzept eröffnet mit einer
„ Königsidee“ verblüffend neue Lesarten der Beziehungen
von Kirche, Hof und Gemeindehaus.
Ein Turm sortiert das Verhältnis von „oben“ bei der
Kirche und „unten“ in der Gemeinde neu. Er ermöglicht
einerseits eine poetische Transformation
des Hofensemble und bietet andererseits Antworten
auf Hanglage und Topografie – auch
hinsichtlich kurzer Wege zwischen Schule und
Hof und einer zeitgemäßen Barrierefreiheit. Der
ebene Kirchplatz mit den neu wahrnehmbaren
Höhenverhältnissen im Zentrum stärkt die Plätze
um Kirche und Gemeinde. Die Programme „Kinder“,
„Gemeinde“ und „Vereine“ finden Zuordnungen in
den Bauwerken Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude
und Turm. Eine eingelagerte Betonfigur im alten
Wohnhaus zeigt eine elegante Kohärenz von Typologie,
Funktion und Konstruktion.
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Grundriss EG
Grundriss 1. OG
M 1 : 400
Ansicht Süd Ensemble
Ansicht Süd Turm und Treppe
0 5 10 20
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Vielseithof
Marco Thaller
DORFPLATZ
Mit einem Rückbau des wuchtigen Scheunendaches
interpretiert das Projekt die zentrale dorfräumliche
Situation durch einen vierten Baukörper
neu. Der Vierseithof erhält so seine vierte Seite.
Seine Struktur ist in einem starken stadträumlichen
Layout entsprechend wirksam gemacht. Dieserart
gelingen neue Blickbeziehungen und bisherige
Funktionen erhalten exklusive Orte: Einerseits wird
der ehemalige Scheunendurchgang zwischen
Gemeindeplatz und Innenhof zu einer Passage
zwischen dem bestehenden Stall und dem sich
zur Gemeindeöffentlichkeit herausdrehenden
Neubau, andererseits erfahren Rituale wie das
Feiern, Zusammenstehen oder Fotografieren vor
der Kirche – in der auf eigener Höhe angelegten
und damit auch „vertikal vermittelnden“ Dorfterrasse
zwischen Kirchplatz und Gemeindeplatz –
eine Aufwertung.
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H
M 1 : 400
Grundriss EG
Grundriss 1. OG
0 5 10 20
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die Dorfmitte
Lisa Binder
Das Projekt verlegt den räumlichen Schwerpunkt
in den Stiegbauernhof und belässt den sozialen
am Gemeindeplatz, der fortan mit der neuen
Gemeindewiese im Osten ein sinnvoll ungleiches
Paar bildet. Konkret gelingt mit einem hangseitig
neu positionierten „Haus der Vereine“ die Öffnung
des Stiegbauernhofes und die im Ortszentrum
großräumiger angelegte Beziehung zwischen dem
bisherigen „Haus der Gemeinde“ und dem neuen
„Haus der Gesundheit“. Diesem Umklammern entsprechen
die beiden gefühlvoll in den Hang eingelegten
Stiegen, wobei jene im Westen als Arena
auch wohnlichen Charakter zeigt. Abgerundet wird
die neue Stimmung im Dorf mit dem „Haus der
Kinder“ und dem „Haus der Kultur“ im Stiegbauernhof.
Der Entwurf zeigt insgesamt eine poetisch
sicher gestaltete Heiterkeit, die inhaltlich mit Sinn
aufgeladen ist.
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Haus der Kultur
GSEducationalVersion
GSPublisherVersion 81.80.92.100
Haus der Gesundheit
Haus der Vereine
Haus der Kinder
Grundriss EG
Grundriss 1. OG
M 1 : 400
Ansicht Süd
Ansicht Ost
0 5 10 20
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begegnungsräume
Franziska Scheirl · Katrin Stieber
Die Qualität des Projektes liegt in der feinen
Gestaltung der unteren Hangkante zwischen
Kirche „oben“ und Hof bzw. Gemeinde „unten“.
Das beginnt mit dem neu geführten und schön
ausgearbeiteten Saum am Dorfplatz durch kleine,
feine Maßnahmen wie Sitzgelegenheiten am
Betonkörper und Einbindung der neuen Treppe.
Und es erfährt mit einem einfachen Längsbau
über dem Mostkeller entlang des Hanges einen
eleganten räumlichen Hochpunkt. Der Vierseithof
wird in seinen Innenbeziehungen räumlich geklärt.
Saum und Längsbau schaffen gemeinsam eine
kluge Verbindung von Hof und Platz. Im Wohnhaus
wie im Neubau stimmen funktionelle Abläufe wie
Größenordnungen und innenräumliche Bezüge.
Die beiden Häuser für Schulkinder bieten mit ihren
einfühlsam gestalteten Choreografien eine sinnliche
Alternative zum Schulalltag.
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Grundriss EG
Grundriss 1. OG
M 1 : 400
Ansicht Süd Neubau
0 5 10 20
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GSPublisherVersion 52.20.24.100
GSEducationalVersion
gemeinsam tummeln
Anna Kirchmair · Julia Erlinger · Florian Dessl
00
Die vertikalen Raumbezüge von Kirchplatz, Hofplatz
und Gemeindeplatz werden mit einem in den
Hang eingeschobenen Neubau entlang der ehemaligen
„Hinterseite“ des Stiegbauernhofes in
Form einer Abtreppung gestaltet. Es entsteht ein
Plateau, das dann zwischen den Plätzen Wege wie
Blicke neu verteilt und dem hinteren Innenhofabschluss
angemessene Höhe verleiht. Die horizontalen
räumlichen Bezüge zwischen Gemeindeplatz
und Bauernhof wiederum werden über die Länge
des Neubaus hergestellt. Angebotene Vielfalt und
angelegte Veränderbarkeit der Nutzungen zeigen
sich in vielen Szenarios. So wird Co-Working und
Gast-Wohnen im alten Wohnhaus vorgeschlagen.
Auch das bestehende Feuerwehrmuseum wird
in das Konzept integriert, durch kleine Eingriffe
im Grundriss aufgewertet und in einer Fassadenöffnung
von außen sichtbar.
GSEducationalVersion
GSPublisherVersion 52.20.24.100
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GSPublisherVersion 52.20.24.100
Grundrisse M 1 : 400
0 5 10 20
Grundriss EG
0 2 5
10m
Grundriss 1. OG
0 2
GSEducationalVersion
GSEducationalVersion
GSPublisherVersion 52.20.24.100
0 2 5
10m
0 2 5
10m
Ansichten M 1 : 200
GSEducationalVersion
GSPublisherVersion 52.20.24.100
Wohnhaus Ansicht Süd Wohnhaus Ansicht West Wohnhaus Ansicht Nord Wohnhaus Ansicht Ost
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2
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ep2122_broschuere_297x195_220226_ATT_FINAL.indd 3 27.02.22 16:06
EP2121_Broschuere_297x195_210929_FINAL.indd 1-3 29.09.21 08:58
die PlusSchulen Steyr
Studio Architektur & schulRAUMkultur
Entwurfsprojekt im Sommersemester 2018
Raum für Kunst · Studio Architektur & schulRAUMkultur II
Raum für Kunst
Studio Architektur & schulRAUMkultur
Entwurfsprojekt im Sommersemester 2019
der Bienenhof
Studio Architektur & schulRAUMkultur
Entwurfsprojekt im Wintersemester 2019/2020
überformen · Studio Architektur & wohnRAUMkultur IV
überformen
Studio Architektur & wohnRAUMkultur
Entwurfsprojekt im Sommersemester 2020
V
Gevierte verweben · Studio Architektur & RAUMkultur
Gevierte verweben
Studio Architektur & RAUMkultur
Entwurfsprojekt im Wintersemester 2020/2021
WELCHE STADT DER ZUKUNFT
MÖCHTEN WIR MITGESTALTEN?
VI
wohnend arbeiten arbeitend wohnen · Studio Architektur & RAUMkultur
wohnend arbeiten
arbeitend wohnen
Studio Architektur & RAUMkultur
Entwurfsprojekt im Sommersemester 2021
VII
Vierseitzentrum
Studio Architektur & dorfRAUMkultur
Entwurfsprojekt im Wintersemester 2021/2022
Vierseitzentrum · Studio Architektur & dorfRAUMkultur
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