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SCHWACHHAUSEN Magazin | März - April 2022

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Unsere<br />

„Familie & Co“<br />

Seiten<br />

Frau Pickener, immer wieder<br />

sind SchülerInnen von<br />

Mobbing betroffen. Sie<br />

waren über 20 Jahre<br />

als Vertrauenslehrerin an<br />

einem Schulzentrum tätig<br />

und haben Mobbingbetroffene<br />

begleitet, Präventionsprogramme<br />

entwickelt und KollegInnen geschult.<br />

Warum wird jemand Ihrer Erfahrung nach gemobbt? Was für<br />

Gründe gibt es dafür?<br />

Ich möchte zunächst die Motive der TäterInnen betrachten, aus denen<br />

sich deren Auswahl der Betroffenen ergibt. Die TäterInnen sind häufig<br />

dominant und wenig empathisch. Sie werten ihren eigenen Status auf,<br />

indem sie andere herabsetzen. Zunächst testen sie an MitschülerInnen<br />

aus, wer sich „eignet“, d.h. sie suchen nach wenig aggressiven, eher zurückhaltend<br />

und passiv erduldenden SchülerInnen, die zudem wenig<br />

Rückhalt in der Gruppe haben. Auslöser für den Mobbingprozess ist also<br />

der/die TäterIn, der dann denjenigen als „Opfer“ betrachtet, der ihm keinen<br />

oder geringen Widerstand entgegensetzt.<br />

Welche Arten von Mobbing gibt es und welche Form von Mobbing<br />

findet insbesondere unter SchülerInnen am häufigsten statt?<br />

Mobbing kann direkt oder indirekt stattfinden. Das heißt, Täter und Opfer<br />

können direkt konfrontiert sein, wie zum Beispiel durch aggressive physische<br />

und verbale Angriffe oder durch soziale Ausgrenzung aus einer<br />

Gruppe. Beispiele für zunächst indirektes Mobbing schildere ich in meinem<br />

Kriminalroman „Utopia war gestern“: Die Täterin stachelt MitschülerInnen<br />

zu körperlichen und verbalen Attacken an und gibt sich erst spät<br />

als Anführerin zu erkennen. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung sozialer<br />

Netzwerke, durch die Corona-Pandemie noch gesteigert, ist das Cybermobbing<br />

eine sehr verbreitete Mobbingform. Beleidigungen,<br />

Bloßstellungen, Drohungen gehören durch die mögliche Anonymität der<br />

TäterInnen und die niedrige Hemmschwelle nicht nur unter SchülerInnen<br />

schon fast zum „normalen“ Umgang im Netz.<br />

„Familie & Co“<br />

die Bedeutung der Schulkultur im System sichtbar zu machen. Viele KollegInnen<br />

und auch Teile der Schulleitung haben uns dabei unterstützt.<br />

Dadurch gab es eine recht große Bereitschaft zum Hinsehen und Handeln.<br />

Das ist leider nicht an allen Schulen der Fall. Es gibt Schulen, an<br />

denen ein Klima des „Sowas-gibt-es-bei-uns-nicht“ herrscht und bei Konfliktfällen<br />

durch disziplinarische Schnellschüsse Scheinlösungen erzwungen<br />

werden, die sowohl den Opfern als auch den TäterInnen schaden<br />

können und die Probleme verschärfen. Eine Implementierung von Präventionsprogrammen<br />

auf der Grundlage eines demokratischen Leitbildes<br />

wäre an allen Schulen wünschenswert.<br />

Was passierte, wenn es zu einem Mobbingfall in der Schule gekommen<br />

ist?<br />

<br />

Der erste und wichtigste Schritt ist das Gespräch mit den Betroffenen.<br />

Jede weitere Maßnahme sollte abgesprochen sein und nicht über ihren<br />

Kopf hinweg agiert werden. Mobbingopfer machen Ohnmachtserfahrungen,<br />

die durch übergriffige Reaktionen, auch wenn sie „gut gemeint“ sind,<br />

wiederholt werden. Gemeinsam mit den Betroffenen sollte überlegt werden,<br />

wie sie gestärkt werden können, welche Ressourcen ihnen zur Verfügung<br />

stehen (zum Beispiel FreundInnen, persönliche Stärken …) und<br />

welche Schritte sie im Umgang mit den TäterInnen mittragen.<br />

Intervention kann grob gesagt autoritär (Grenzen ziehen, Strafen verhängen)<br />

oder kooperativ (TäterIn für Unterstützung gewinnen, Helfergruppe<br />

organisieren) erfolgen. Die gewünschten Veränderungen lassen<br />

sich am ehesten durch eine Kombination der Möglichkeiten erreichen.<br />

Häufig ist es auch sinnvoll die Eltern, das Kollegium und ggf. die Schülervertretung<br />

oder andere Institutionen einzubeziehen.<br />

Wie hat sich Mobbing während Ihrer langjährigen Tätigkeit als<br />

Vertrauenslehrerin verändert?<br />

Mobbing hat es schon immer gegeben, aber es wird erst seit ein paar Jahren<br />

als starke psychosoziale Belastung erkannt und seine negativen Auswirkungen<br />

auf die Entwicklung der Betroffenen werden nach und nach<br />

untersucht. Aufgrund der stärkeren Aufmerksamkeit scheinen die Fälle<br />

zuzunehmen, andererseits gibt es aber jetzt strukturierte und wirksame<br />

Präventions- und Interventionsprogramme, sodass an immer mehr Schulen<br />

gezielt gegen Mobbing und insgesamt gegen Diskriminierung gearbeitet<br />

wird.<br />

Wie wurde an Ihrer Schule mit Mobbing umgegangen?<br />

Wir waren an unserer Schule zwei VertrauenslehrerInnen, die sich zum<br />

Ziel gesetzt hatten, die Problematik von Mobbing im Zusammenhang mit<br />

der allgemeinen Schulkultur bewusst zu machen und so das Kollegium<br />

und die Schulleitung dafür zu sensibilisieren. Da fast 2.000 SchülerInnen<br />

unsere Schule besuchten und wir auch für alle anderen Problem- und<br />

Konfliktstellungen Ansprechpersonen waren, aber nur je eine Wochenstunde<br />

Unterrichtsermäßigung hatten, waren die Ressourcen absolut zu<br />

wenig.<br />

Dennoch haben wir versucht, über Fortbildungsangebote, in Konfliktgesprächen,<br />

im Austausch mit der Schülervertretung und auf Konferenzen<br />

Ursula Pickener ist Autorin, Bauingenieurin, Lehrerin. Mehr als 20 Jahre lang arbeitete<br />

sie als Vertrauenslehrerin an einem Bremer Schulzentrum. Dort hat sie als<br />

Mediatorin Mobbingbetroffene begleitet, Präventionsprogramme entwickelt und<br />

KollegInnen geschult. 2019 wurde ihr Kriminalroman „Utopia war gestern“ veröffentlicht.<br />

<strong>SCHWACHHAUSEN</strong> <strong>Magazin</strong> | <strong>März</strong> - <strong>April</strong> <strong>2022</strong> 53

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