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8 Jubiläums-Kolumne
Eislaufboom und
Anbauschlacht
Ein historisch
witziger
Exkurs in die
ZSS-Gründerjahre
Foto: Keystone SDA, Photopress-Archiv, Walter Scheiwiller
Der Zweite Weltkrieg war die wohl grösste Katastrophe der
Menschheit. Und auch wenn die Schweiz mit einem blauen
Auge davonkam, waren seine Spuren in Zürich spürbar.
«Anbauschlacht» lautete die Parole, mit der Bundesrat Friedrich Traugott
Wahlen an der Heimfront die zivile Bevölkerung in die Verantwortung
nahm. Zentraler Punkt des Plans war, dass Graswirtschaft dem Ackerbau
weichen musste – weil dieser wesentlich mehr Erträge abwarf.
So wurde beispielsweise der Sechseläutenplatz umgepflügt und zum
zentralen Acker «befördert».
Auch die Sportplätze weckten Begehrlichkeiten im Zeichen der Landesverteidigung.
So ist im Bericht der Kommission für Spiel- und Sportplätze
im Jahre 1941 zu lesen: «Vor eine eigenartige Situation sahen wir
uns im verflossenen Jahre gestellt. Wir hatten uns weniger mit unseren
eigentlichen Aufgaben, der Suche nach neuen Spielflächen, zu befassen,
sondern traten nur in Funktion, um Bestehendes schützen zu helfen. Es
meldeten sich nämlich plötzlich Anwärter auf Sport- und Spielflächen,
die sonst für Leibesübungen nicht gerade viel übrig haben: die Liebhaber
von Schrebergärten und Pflanzenland. Es war vorauszusehen,
dass unter dem Kampfgeschrei der Anbauschlacht eine Attacke auf
die bestehenden Sportanlagen geritten werde. Sie blieb nicht aus,
stiess jedoch rechtzeitig auf den organisierten Widerstand der Sportinteressenten.»
Die Sportler, die sich 1922 im Zürcher Stadtverband für Sport
zusammengeschlossen hatten, wehrten sich – teilweise aber vergeblich.
So fuhren auf dem Sportplatz Heiligfeld am Letzigraben die Landwirtschaftsmaschinen
auf. Ab sofort wuchsen keine sportlichen Träume
mehr in den Himmel – sondern Getreidesorten. Später wurde das
Gelände überbaut.
10 Jahre vor Kriegsausbruch (1929) hatte in Zürich noch eine ganz
andere Atmosphäre geherrscht – eine winterlich verzauberte. Die Seegfrörni
löste einen kolossalen Eislauf-Boom aus. Als aber das Eis den
Kampf gegen Föhn und Sonne zu verlieren begann, nutzte der junge
Zürcher Jurist und Schweizer Eislaufmeister Georg Gautschi die Gunst
der Stunde und forderte in einem Zeitungsartikel keck den Bau einer
Kunsteisbahn. NZZ-Abonnent Carl Wehrli-Thielen, der Präsident der
Dolderbahn AG, las Gautschis Zeilen und schaltete schnell. (Den VCS
gab's damals noch nicht.)
Die Leute vom Dolder gründeten am 20. August 1930 eine Eisbahn-
Genossenschaft und weihten bereits im folgenden Dezember die erste
Schweizer Kunsteisbahn ein. Sie war und ist die grösste zusammenhängende
Kunsteisfläche unseres Landes, 6 000 Quadratmeter, was weit
mehr als drei Eishockeyfeldern entspricht. Drei Vereine buhlten damals
um die Stadtzürcher Vorherrschaft: der Akademiker HC, die Grasshoppers
und der am 13. Oktober 1930 gegründete ZSC. Das Mass aller
Dinge war aber die Konkurrenz aus Davos und Arosa. Nur drei Mal –
1936 und 1949 der ZSC, 1966 die Grasshoppers – durchbrachen
Zürcher die Dominanz der Bergler – obwohl sie scharenweise Bündner
anheuerten. Mitverantwortlich für die Malaise waren die schlechten
Trainingsmöglichkeiten. Die meisten Spieler waren berufstätig. So war
es aus zeitlichen Gründen praktisch ausgeschlossen, über Mittag auf
den Dolder zu gehen, zu trainieren und um 14 Uhr wieder im Geschäft
zu sein. Was blieb? Der Abend! In einer Chronik heisst es: «Müde und
abgespannt nach langer Tagesarbeit kamen die Spieler auf die Eisbahn.
Anstatt Sonne blendete sie der Tiefstrahler. Anstatt goldenen Glanzes
umgab sie Nebel. Es war nicht möglich, die Spieler so fit zu bekommen
wie in den Bergen.»
Dennoch blieb der ZSC dem Dolder 20 Jahre treu; erst im
November 1950 dislozierte er ins Hallenstadion. Seither mutierte der
Dolder vom Spitzensport-Mekka mit bis zu 15 000 Eishockey-
Zuschauerinnen und -Zuschauern zum Eissport-Treffpunkt für jedermann,
für Möchtegern-Eisprinzessinnen, mehr oder weniger elegante
Eisläufer, wackere Eisstockschützinnen, Curler und Eistänzerinnen
und gelegentlich sogar für Schlittenhunde. 100 000 bis 200 000 Hobbysportler
und -sportlerinnen tanken Jahr für Jahr von Oktober bis März
auf der Anlage gesunde Waldluft.
Und im Hallenstadion fand der ZSC ein Zuhause, das ihm als erstem
Eishockeyklub des Landes ein Dach über den Kopf bescherte. Der
Umzug in eine geschlossene Halle war damals ein Tabubruch und
machte eine Reglementsänderung nötig. Heute freilich ist die Situation
umgekehrt. Spiele im Freien sind nur noch auf Amateur-Niveau
gestattet.
Womit wir wieder auf dem Sechseläutenplatz wären. Denn am
24. Februar 1929 fand dort als einmaliges Ereignis auf einer improvisierten
Natureisbahn ein Eishockeyspiel zwischen den Zürcher Akademikern
und dem HC Davos statt. Weil das Eis so schlecht war, wurde
der Ruf nach Kunsteis so laut, dass ihn niemand mehr überhören konnte.
Thomas Renggli