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Zürisport 2022-1

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8 Jubiläums-Kolumne

Eislaufboom und

Anbauschlacht

Ein historisch

witziger

Exkurs in die

ZSS-Gründerjahre

Foto: Keystone SDA, Photopress-Archiv, Walter Scheiwiller

Der Zweite Weltkrieg war die wohl grösste Katastrophe der

Menschheit. Und auch wenn die Schweiz mit einem blauen

Auge davonkam, waren seine Spuren in Zürich spürbar.

«Anbauschlacht» lautete die Parole, mit der Bundesrat Friedrich Traugott

Wahlen an der Heimfront die zivile Bevölkerung in die Verantwortung

nahm. Zentraler Punkt des Plans war, dass Graswirtschaft dem Ackerbau

weichen musste – weil dieser wesentlich mehr Erträge abwarf.

So wurde beispielsweise der Sechseläutenplatz umgepflügt und zum

zentralen Acker «befördert».

Auch die Sportplätze weckten Begehrlichkeiten im Zeichen der Landesverteidigung.

So ist im Bericht der Kommission für Spiel- und Sportplätze

im Jahre 1941 zu lesen: «Vor eine eigenartige Situation sahen wir

uns im verflossenen Jahre gestellt. Wir hatten uns weniger mit unseren

eigentlichen Aufgaben, der Suche nach neuen Spielflächen, zu befassen,

sondern traten nur in Funktion, um Bestehendes schützen zu helfen. Es

meldeten sich nämlich plötzlich Anwärter auf Sport- und Spielflächen,

die sonst für Leibesübungen nicht gerade viel übrig haben: die Liebhaber

von Schrebergärten und Pflanzenland. Es war vorauszusehen,

dass unter dem Kampfgeschrei der Anbauschlacht eine Attacke auf

die bestehenden Sportanlagen geritten werde. Sie blieb nicht aus,

stiess jedoch rechtzeitig auf den organisierten Widerstand der Sportinteressenten.»

Die Sportler, die sich 1922 im Zürcher Stadtverband für Sport

zusammengeschlossen hatten, wehrten sich – teilweise aber vergeblich.

So fuhren auf dem Sportplatz Heiligfeld am Letzigraben die Landwirtschaftsmaschinen

auf. Ab sofort wuchsen keine sportlichen Träume

mehr in den Himmel – sondern Getreidesorten. Später wurde das

Gelände überbaut.

10 Jahre vor Kriegsausbruch (1929) hatte in Zürich noch eine ganz

andere Atmosphäre geherrscht – eine winterlich verzauberte. Die Seegfrörni

löste einen kolossalen Eislauf-Boom aus. Als aber das Eis den

Kampf gegen Föhn und Sonne zu verlieren begann, nutzte der junge

Zürcher Jurist und Schweizer Eislaufmeister Georg Gautschi die Gunst

der Stunde und forderte in einem Zeitungsartikel keck den Bau einer

Kunsteisbahn. NZZ-Abonnent Carl Wehrli-Thielen, der Präsident der

Dolderbahn AG, las Gautschis Zeilen und schaltete schnell. (Den VCS

gab's damals noch nicht.)

Die Leute vom Dolder gründeten am 20. August 1930 eine Eisbahn-

Genossenschaft und weihten bereits im folgenden Dezember die erste

Schweizer Kunsteisbahn ein. Sie war und ist die grösste zusammenhängende

Kunsteisfläche unseres Landes, 6 000 Quadratmeter, was weit

mehr als drei Eishockeyfeldern entspricht. Drei Vereine buhlten damals

um die Stadtzürcher Vorherrschaft: der Akademiker HC, die Grasshoppers

und der am 13. Oktober 1930 gegründete ZSC. Das Mass aller

Dinge war aber die Konkurrenz aus Davos und Arosa. Nur drei Mal –

1936 und 1949 der ZSC, 1966 die Grasshoppers – durchbrachen

Zürcher die Dominanz der Bergler – obwohl sie scharenweise Bündner

anheuerten. Mitverantwortlich für die Malaise waren die schlechten

Trainingsmöglichkeiten. Die meisten Spieler waren berufstätig. So war

es aus zeitlichen Gründen praktisch ausgeschlossen, über Mittag auf

den Dolder zu gehen, zu trainieren und um 14 Uhr wieder im Geschäft

zu sein. Was blieb? Der Abend! In einer Chronik heisst es: «Müde und

abgespannt nach langer Tagesarbeit kamen die Spieler auf die Eisbahn.

Anstatt Sonne blendete sie der Tiefstrahler. Anstatt goldenen Glanzes

umgab sie Nebel. Es war nicht möglich, die Spieler so fit zu bekommen

wie in den Bergen.»

Dennoch blieb der ZSC dem Dolder 20 Jahre treu; erst im

November 1950 dislozierte er ins Hallenstadion. Seither mutierte der

Dolder vom Spitzensport-Mekka mit bis zu 15 000 Eishockey-

Zuschauerinnen und -Zuschauern zum Eissport-Treffpunkt für jedermann,

für Möchtegern-Eisprinzessinnen, mehr oder weniger elegante

Eisläufer, wackere Eisstockschützinnen, Curler und Eistänzerinnen

und gelegentlich sogar für Schlittenhunde. 100 000 bis 200 000 Hobbysportler

und -sportlerinnen tanken Jahr für Jahr von Oktober bis März

auf der Anlage gesunde Waldluft.

Und im Hallenstadion fand der ZSC ein Zuhause, das ihm als erstem

Eishockeyklub des Landes ein Dach über den Kopf bescherte. Der

Umzug in eine geschlossene Halle war damals ein Tabubruch und

machte eine Reglementsänderung nötig. Heute freilich ist die Situation

umgekehrt. Spiele im Freien sind nur noch auf Amateur-Niveau

gestattet.

Womit wir wieder auf dem Sechseläutenplatz wären. Denn am

24. Februar 1929 fand dort als einmaliges Ereignis auf einer improvisierten

Natureisbahn ein Eishockeyspiel zwischen den Zürcher Akademikern

und dem HC Davos statt. Weil das Eis so schlecht war, wurde

der Ruf nach Kunsteis so laut, dass ihn niemand mehr überhören konnte.

Thomas Renggli

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