Klausurtagung „Hospiz“ - Peter Godzik
Klausurtagung „Hospiz“ - Peter Godzik Klausurtagung „Hospiz“ - Peter Godzik
Wir kÑmpften um die Gesundheit, die Heilung, aber warum begleiteten wir nicht zum Gesundwerden, zum Heil? Heute, 1991, 35 Jahre spÑter, entschlÇsselt die Studie der FEST aus der „Kritischen Analyse der Krankenhaussituation“ die Probleme der Krankenhausmitarbeiter (Érzte und Pflegende, aber auch der Seelsorger) und die Náte der Todkranken und deren Angehárigen; durch eine interdisziplinÑre Untersuchung wird nachgewiesen, wo MÑngel liegen und wo eine Neuorientierung notwendig ist. Sie fordert die „Patienten- Orientierung“, die heute zu kurz kommt, als klare Aufgabe. Aufgrund der Ergebnisse des Projekts „Naturwissenschaftliche Medizin und christliches Krankenhaus“ wurden sehr konkret die Fragen nach HumanitÑt in den ArbeitsablÑufen des Krankenhauses gestellt. Es hat sich gezeigt, daÖ MÑngel in der Begleitung von Patienten besonders bei „krankheitsbedingten lebensgeschichtlichen ÜbergÑngen“ vorliegen, bei „Schwangerschaft und Geburt in der Klinik“, bei „Begleitung von unheilbar Kranken und alten Patienten“, bei „Sterben und Tod im Krankenhaus“, bei der „Zusammenarbeit der KrankenhÖuser mit anderen Einrichtungen der Krankenhausversorgung“ – und das alles mit Blickrichtung auf die Zielperspektive oder Vision „Krankenhaus als Arbeits- und Lebensraum fÄr Patienten, AngehÅrige und Mitarbeiter“. Untersucht man die Literatur zur gesellschaftlichen Situation des Gesundheitssystems bzw. der Menschen in Krisen aus den vergangenen 35 Jahren, so stellt man fest, daÖ sie durchzogen ist von der Forderung nach Humanisierung oder – ganz allgemein – nach menschlicheren Formen der Krankenversorgung. Die sichtbarste Antwort darauf ist gegenwÑrtig die Hospiz-Bewegung. Sie hat bisher – aus meiner Sicht – mit vorbildlicher Entschiedenheit die Vision in eine Neuorientierung praktisch umgesetzt. Damit zeigt sie das auf, was in der Definition der Aufgaben im ä 2 Absatz 1 Krankenhausgesetz (KHG) fehlt; dort heiÖt es: Das Krankenhaus ist eine Einrichtung, in der „durch Ñrztliche und pflegerische Hilfeleistungen Krankheiten, Leiden oder KárperschÑden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird“ und in dem „die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden kánnen“. Das Krankenhausgesetz berÇcksichtigt nicht klar die Notwendigkeit der Zuwendung und Hilfe, auf die schwerkranke und sterbende Menschen – gleicherweise wie ihre Angehárigen – angewiesen sind. Darum war die Hospiz-Bewegung eine baldige praktizierbare Antwort. Sie hat die Schrittmacherfunktion fÇr das áffentliche BewuÖtwerden dieses Mangelzustandes geleistet. Zugleich aber stellt sich die Frage: 40 - wird damit womáglich ein Einfallstor fÇr eine erneute Aus-Grenzung von chronischen Leiden, Sterben und Tod eráffnet? - Beginnt hier máglicherweise eine erneute Spezialisierung und Professionalisierung im „Umgang“ mit Sterbenden und deren Angehárigen? Damit keine Unklarheiten aufkommen oder MiÖverstÑndnisse sich anbahnen, sei in aller Deutlichkeit betont: unter der PrÑmisse der Hospiz-Bewegung, „menschenwÇrdiges Leben und Sterben zu ermáglichen“, ist keinesfalls diese Absicht der Ausgliederung intendiert; aber im Lernen aus der Geschichte dÇrfen wir die Augen nicht verschlieÖen vor dieser máglichen Gefahr.
BEMERKUNGEN ZUR GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG FÇr die Erziehungswissenschaft liegen Ausgrenzungsprobleme auf der Hand. Eine zentrale Kritik der gegenwÑrtigen Erwachsenenbildung wendet sich gegen die vermehrten Zuschreibungen von sozial-politischen Aufgaben seitens des Staates. Nach dem Muster „Problem erkannt, Gefahr gebannt“ werden sozialpolitische Brennpunkte nicht mit adÑquaten politischen Mitteln, sondern vorzugsweise mit pÑdagogischen „in den Griff genommen, gebannt“. Probleme sogenannter Randgruppen wie Arbeitslose, Asylanten, Alleinerziehende, Alte, DrogenabhÑngige u.a. werden als Probleme neu ernannter „Zielgruppen“ erklÑrt, sodann in einer Art „Pflasterverfahren“ mit Sonderprogrammen der Erwachsenenbildung zugedeckt, – Programme, die man wiederum durch finanzielle UnterstÇtzung des Staates absichert. Diese Verschiebe- Methode fÇhrt kurzfristig zur vorÇbergehenden Problem-Lásung, langfristig wirkt sie jedoch als Problem-VerstÑrkung: Die scheinbare Problem-Lásung trifft lediglich fÇr die Symptom-TrÑger zu – die betroffenen Menschen – und dies auch nur fÇr eine begrenzte Zeit; selten jedoch werden auch die Verursacher von Symptomen – die gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bedingungen – erfaÖt und als solche ver- Ñndert. Exemplarisch máchte ich das an der sogenannten „BehindertenpÖdagogik“ skizzieren: „40 Jahre danach: 1949 bis 1989“ war das Motto, mit dem man sich in der Bundesrepublik Deutschland ihrer Geschichte seit dem GrÇndungsdatum reflektierend stellte. Aus der Retrospektive fiel es leicht, scharfsichtig kritisierend zu analysieren, was den Handelnden damals 1949 als die beste und einzig mágliche Handlungsweise erschien: Zur Wiedergutmachung der Geschehnisse im 3. Reich wurde nach Kriegsende mit der bestmáglichen Versorgung behinderter Mitmenschen in Form einer differenzierten Aus-Grenzung, einer „Separation“ begonnen. Anstelle von bisher drei entstanden nun zehn unterschiedliche Sonderbeschulungsarten. Analog dem Angebot vergrá- Öerte sich nun der Markt, es stieg die Zahl der sogenannten SonderschÇler auf das 3-fache an (G. TOPISCH) und folgte damit den Marktprinzipien von Angebot und Nachfrage. Es ist kein Zufall, daÖ knapp 10 Jahre spÑter nach der Ausgrenzung der sogenannten ProblemschÇler die ersten Curricula „Soziales Lernen“ als Medienpakete wieder Einzug in die am Nachdenken Çber soziale Probleme verarmte Schullandschaft hielten. Heute, rund 40 Jahre danach, erhebt sich der Ruf nach sozialer Integration in der Bildungslandschaft. Die „Balance“ wurde zerstárt, sogenannte Behinderte von Nicht-Behinderten – zutreffender, sogenannte Betroffene von Noch-Nicht- Betroffenen – wurden separiert, damit war die Chance zu einem wechselseitigen Lernen genommen. Entsprechend deutscher GrÇndlichkeit oder auch der PÑdagogen- Bequemlichkeit entlastete man sich von jedem ProblemschÇler. Die Weisheit der BILDUNGSRATS-EMPFEHLUNG von 1973 „soviel Integration wie mÅglich, so wenig Separation wie nÅtig“, kam gar nicht erst zum Zuge. Soziales Lernen fand kaum noch statt, es reduzierte sich auf den Konsum eines Medienangebotes per Curriculum. Verstehen Sie die Analogie unserer Fragen heute zu dieser geschichtlichen Entwicklung? Menschen mit Behinderungen sind Teil der Gesellschaft – wie jeder Mensch ein Teil des Ganzen ist. Eine Gesellschaft, die ihre behinderten Mitmenschen ausgliedert, wird selbst zu einer behinderten Gesellschaft. Gleicherweise sind Sterben und Tod Teil des Lebens. Mit PAULUS gesprochen leben wir tÑglich „als Sterbende, und siehe: Wir leben!“ (2. Kor. 6,9). 41
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Gesundwerden, zum Heil?<br />
Heute, 1991, 35 Jahre spÑter, entschlÇsselt die Studie der FEST aus der „Kritischen<br />
Analyse der Krankenhaussituation“ die Probleme der Krankenhausmitarbeiter (Érzte<br />
und Pflegende, aber auch der Seelsorger) und die Náte der Todkranken und deren<br />
Angehárigen; durch eine interdisziplinÑre Untersuchung wird nachgewiesen, wo<br />
MÑngel liegen und wo eine Neuorientierung notwendig ist. Sie fordert die „Patienten-<br />
Orientierung“, die heute zu kurz kommt, als klare Aufgabe. Aufgrund der Ergebnisse<br />
des Projekts „Naturwissenschaftliche Medizin und christliches Krankenhaus“ wurden<br />
sehr konkret die Fragen nach HumanitÑt in den ArbeitsablÑufen des Krankenhauses<br />
gestellt. Es hat sich gezeigt, daÖ MÑngel in der Begleitung von Patienten besonders<br />
bei „krankheitsbedingten lebensgeschichtlichen ÜbergÑngen“ vorliegen, bei<br />
„Schwangerschaft und Geburt in der Klinik“, bei „Begleitung von unheilbar Kranken<br />
und alten Patienten“, bei „Sterben und Tod im Krankenhaus“, bei der „Zusammenarbeit<br />
der KrankenhÖuser mit anderen Einrichtungen der Krankenhausversorgung“ –<br />
und das alles mit Blickrichtung auf die Zielperspektive oder Vision „Krankenhaus als<br />
Arbeits- und Lebensraum fÄr Patienten, AngehÅrige und Mitarbeiter“.<br />
Untersucht man die Literatur zur gesellschaftlichen Situation des Gesundheitssystems<br />
bzw. der Menschen in Krisen aus den vergangenen 35 Jahren, so stellt man<br />
fest, daÖ sie durchzogen ist von der Forderung nach Humanisierung oder – ganz allgemein<br />
– nach menschlicheren Formen der Krankenversorgung. Die sichtbarste Antwort<br />
darauf ist gegenwÑrtig die Hospiz-Bewegung. Sie hat bisher – aus meiner Sicht<br />
– mit vorbildlicher Entschiedenheit die Vision in eine Neuorientierung praktisch umgesetzt.<br />
Damit zeigt sie das auf, was in der Definition der Aufgaben im ä 2 Absatz 1 Krankenhausgesetz<br />
(KHG) fehlt; dort heiÖt es:<br />
Das Krankenhaus ist eine Einrichtung, in der „durch Ñrztliche und pflegerische Hilfeleistungen<br />
Krankheiten, Leiden oder KárperschÑden festgestellt, geheilt oder gelindert<br />
werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird“ und in dem „die zu versorgenden<br />
Personen untergebracht und verpflegt werden kánnen“.<br />
Das Krankenhausgesetz berÇcksichtigt nicht klar die Notwendigkeit der Zuwendung<br />
und Hilfe, auf die schwerkranke und sterbende Menschen – gleicherweise wie ihre<br />
Angehárigen – angewiesen sind. Darum war die Hospiz-Bewegung eine baldige<br />
praktizierbare Antwort. Sie hat die Schrittmacherfunktion fÇr das áffentliche BewuÖtwerden<br />
dieses Mangelzustandes geleistet.<br />
Zugleich aber stellt sich die Frage:<br />
40<br />
- wird damit womáglich ein Einfallstor fÇr eine erneute Aus-Grenzung von<br />
chronischen Leiden, Sterben und Tod eráffnet?<br />
- Beginnt hier máglicherweise eine erneute Spezialisierung und Professionalisierung<br />
im „Umgang“ mit Sterbenden und deren Angehárigen?<br />
Damit keine Unklarheiten aufkommen oder MiÖverstÑndnisse sich anbahnen, sei in<br />
aller Deutlichkeit betont: unter der PrÑmisse der Hospiz-Bewegung, „menschenwÇrdiges<br />
Leben und Sterben zu ermáglichen“, ist keinesfalls diese Absicht der Ausgliederung<br />
intendiert; aber im Lernen aus der Geschichte dÇrfen wir die Augen nicht verschlieÖen<br />
vor dieser máglichen Gefahr.