Klausurtagung „Hospiz“ - Peter Godzik
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PRÜMISSE<br />
Es ist mehr als ein Tatbestand, es ist ein áffentlich anerkanntes Verdienst der Hospiz-Bewegung:<br />
Sie hat das Tabu von Sterben und Tod nicht nur in das áffentliche BewuÖtsein gerÇckt,<br />
sie hat die Aufgabe darÇber hinaus praktisch angepackt und in einen permanenten<br />
Dialog eingebunden, ja ihn eigentlich Çberhaupt erst eráffnet. Es kann konstatiert<br />
werden, daÖ die Bundesrepublik – wenn auch mit Phasenverzug – damit den<br />
Vorreitern GroÖbritannien und USA gefolgt ist.<br />
Ansatzweise ist in der Bundesrepublik durch die Hozpiz-Bewegung – in unterschiedlicher<br />
IntensitÑt und Form – eine neue RealitÑt geschaffen worden, die auch den gesetzlichen<br />
BemÇhungen um diese Aufgabe weit voraus zu sein scheint.<br />
SITUATIONSANALYSE<br />
Versucht man einen Überblick zu gewinnen Çber die gesellschaftliche Situation des<br />
Gesundheitssystems am Beispiel Krankenhaus und dazu als Spiegelbild Gedanken<br />
der Literatur in den Blick zu nehmen, zeichnen sich fÇr mich im Blick auf die Hospiz-<br />
Bewegung zwei wegweisende Veráffentlichungen ab, deren Gemeinsamkeit in dem<br />
anhaltenden Unbehagen Çber einen unverÑndert allgemeinen MiÖstand besteht.<br />
Am Beginn des Aufbruchs zur Hospiz-Bewegung – Mitte der 60-er Jahre – steht die<br />
amerikanische Studie von B.G. GLASER und A.L. STRAUSS „Awareness of dying“<br />
(1965, seit 1974 in deutscher Sprache „Interaktion mit Sterbenden“), gefolgt von E.<br />
KÜBLER-ROSS „On death and dying“ (1969, seit 1971 in deutscher Sprache „Interviews<br />
mit Sterbenden“) und in unserem Jahrzehnt die interdisziplinÑre Studie der<br />
ForschungsstÑtte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) herausgegeben<br />
von der Politologin und Theologin G. SCHARFFENORTH und dem Physiker und<br />
praktizierenden Christen A.M.K. MÜLLER mit dem Titel „Patienten-Orientierung als<br />
Aufgabe. Kritische Analyse der Krankenhaussituation und notwendige Neuorientierungen“.<br />
Bemerkenswert ist – und das stimmt auch mit meinen eigenen Forschungsarbeiten<br />
Çberein –, daÖ am Beginn des Aufbruchs zur Hospiz-Bewegung – wie von<br />
mir nachgewiesen – der SchlÇsselbegriff „Betroffensein“ stand.<br />
So war das zentrale Motiv der Pioniere GLASER/STRAUSS fÇr die Untersuchung<br />
der Beziehung zwischen Pflegenden und Sterbenden ihr unertrÑglich unverarbeitetes<br />
SchuldgefÇhl: Beide hatten als Érzte „medizinisch perfekt“ ihre VÑter im eigenen<br />
Krankenhaus behandelt, aber unter Ñrztlichem Gesichtspunkt ohne Erfolg; sie starben....<br />
Wochen spÑter verstÑrkte sich in ihnen mit zunehmendem Abstand vom Todesgeschehen<br />
das ahnende BewuÖtsein, die „Awareness“ darÇber, etwas Entscheidendes<br />
versÑumt, máglicherweise sogar versagt zu haben. Sie stellten sich die Frage:<br />
„Wo waren wir als Mensch, als Mitmensch, ja, als leiblicher Sohn?“<br />
Mit Erschrecken und Erstaunen entdeckten sie das Ausgeliefertsein des Patienten –<br />
ihrer VÑter – an das Krankenhaus, die „Totale Institution“ (vgl. GOFFMAN), und begannen<br />
ihre Untersuchung Çber die Beziehungsstruktur zwischen Sterbenden und<br />
Lebenden. Die Empirie bewies dann, was jedermann inzwischen weiÖ:<br />
Je schwerer die Erkrankung, je nÑher der Zeitpunkt des Sterbens, desto ferner ist der<br />
Pflegende/Begleitende, desto lÑnger die Wartezeit zwischen dem Klingeldruck des<br />
Patienten und dem Eintritt der Person ins Kranken-/Sterbezimmer. Sie, GLASER/<br />
STRAUSS, erkannten:<br />
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