Klausurtagung „Hospiz“ - Peter Godzik

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24.12.2012 Aufrufe

Die andere Antwort auf die schwierige Situation des Sterbens in unserer Zeit ist die Hospizbewegung. Das ist das Thema, mit dem wir uns hier beschÑftigen. Sie ist entstanden in der Mitte dieses Jahrhunderts, Ende der 60er Jahre mit der GrÇndung des ersten Hospizes neuer Art, dem St. Christopher Hospiz in London, als eine Gegenbewegung gegen die Form des Sterbens, die bis dahin praktiziert wurde. Es ist interessant zu sehen, daÖ in den 60er Jahren ein Háhepunkt der Technisierung in der Medizin erreicht worden ist. Die Hospizbewegung ist an die Namen zweier Frauen gebunden, die Sie alle kennen und die ich hier einfach noch einmal erwÑhnen will, nÑmlich Cicely Saunders und Elisabeth KÇbler-Ross. Es ist schon interessant zu sehen, daÖ es zwei Frauen sind, die in unserem mÑnnerbeherrschten Jahrhundert hier etwas Neues in Gang gebracht haben und es ist dann auch erstaunlich, daÖ hier in der Runde relativ wenige Frauen sitzen und eigentlich bin ich hier auch an der falschen Stelle als Mann, aber vielleicht sind es fÇr eine Runde dieser Art sogar noch erstaunlich viele Frauen. Begonnen hat alles mit einem Haus, das damals in London sehr wichtig war, in St. Christopher, als eine Máglichkeit, nach auÖen zu demonstrieren, daÖ hier wirklich Raum fÇr sterbende Menschen ist. Sterbende Menschen haben einen ganz konkreten Platz und sie haben ein Recht darauf, Platz zu haben, in einer Welt, die ihnen relativ wenig Raum und Máglichkeiten lÑÖt. Inzwischen ist ein Vierteljahrhundert vergangen und die Dinge haben sich verÑndert. Weltweit sind inzwischen Çber 2.000 Hospize zu zÑhlen, die auÖerordentlich unterschiedlich in ihrer AusprÑgungsform sind. Was sie vereint, ist nicht so sehr eine bestimmte ÑuÖere Organisationsform, sondern in erster Linie ein Handlungskonzept, und auf diese Weise ist aus den vielen Hospizen etwas geworden, was wir heute Hospizbewegung nennen. Wenn wir etwas vereinfacht sagen, daÖ Krankenhaus und herkámmliches Gesundheitswesen in erster Linie das Ziel haben, Menschen gesund zu machen, dann kann man ebenso vereinfacht und plakativ sagen, daÖ Hospize das Ziel haben, Menschen wieder heil werden zu lassen. Heil in einem Sinne, der mit dem Schlagwort der Ganzheitlichkeit vielleicht auch zu belegen ist, aber der das Ziel hat, das was getrennt worden ist – auch durch viele schwierige Prozesse im KrankheitsprozeÖ getrennt worden ist –, wieder zusammenzufÇhren. Aus einem Menschen, der vielleicht nur als „der Krebs“, vielleicht „der Darmkrebs“ angesehen wurde, wieder einen Menschen zu machen, der sich insgesamt wahrzunehmen wagt als ein Wesen, das nicht nur durch den Krebs charakterisiert wird, sondern durch Eigenschaften, menschliche Eigenschaften. Das ist ein Wesen, daÖ dadurch zum Menschen wird, daÖ es zu seinem ganzen Kárper stehen darf, und nicht einen Teil seines Kárpers ablehnen muÖ, weil er fÇr ihn verhaÖt geworden ist. Dieses Wieder-ganz-werden-Lassen macht einen Perspektivenwechsel auch bei den Helfenden notwendig; der sterbende Mensch soll nicht das Objekt des Handelns, sondern zum Subjekt werden, indem Macht auf ihn Çbertragen wird. Das Hospiz oder die Hospizkonzeption sieht vor, daÖ die Macht vom sterbenden Menschen und seinen Angehárigen ausgeht, das heiÖt von der Gruppe von Menschen, die am stÑrksten von dem Leid betroffen ist und die am stÑrksten UnterstÇtzung benátigt, aber selbst bestimmen sollte, welche Art von UnterstÇtzung sie benátigt. Dies heiÖt natÇrlich auch, daÖ im Zentrum dessen, was geschieht, der Wunsch des sterbenden Menschen im Mittelpunkt steht, und da ist es selbstverstÑndlich, daÖ Hospize in erster Linie versuchen, Menschen das Sterben zu Hause zu ermáglichen. Sie alle kennen wahrscheinlich die Stuttgarter Untersuchung, die befragt hat, wo Menschen denn sterben máchten, wenn sie es sich denn aussuchen kánnten. Die Çberwiegende Zahl gab zur Antwort, daÖ sie zu Hause sterben máchten. 32

FÇr Hilfsangebote, die den ganzen Menschen betreffen, reicht es natÇrlich nicht aus, daÖ die klassischen Berufsgruppen des Gesundheitswesens als Helfende vertreten sind, sondern der Kreis der Helfenden muÖ vergráÖert werden, z.B. um die Seelsorger und Seelsorgerinnen, Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen, aber auch andere Berufsgruppen, z.B. Juristen u.a. sind hier nÇtzliche und wichtige Mitarbeiter. Das Vermeiden der Abstraktion im Umgang mit sterbenden Menschen heiÖt aber auch, daÖ die Helfenden nicht von sich selbst abstrahieren, das heiÖt, ihr Hilfsangebot nicht als etwas verstehen, was sie von sich weggeben, sondern auch als etwas, was von ihnen selbst herkommt und etwas mit ihnen selbst zu tun hat, und das schlieÖt ein Wissen darum ein, daÖ man zu anderen Menschen nicht besser sein kann als zu sich selbst. Wir mÇssen lernen, als Hospizhelfende zu uns selbst nicht schlechter zu sein, als wir zu anderen sein wollen. Die Erweiterung des Teams – und das ist vielleicht die dramatischste VerÑnderung, die das Hospizkonzept einfÇhrt –, ist die VergráÖerung der Gruppe um die sogenannten Laienhelfer. Das bedeutet, daÖ an dem ProzeÖ der Erleichterung des Sterbeprozesses nicht nur Profis beteiligt sind, sondern Menschen, die aus der Gemeinschaft stammen, aus der der Sterbende selbst herkommt. Laien, die nicht den Anspruch haben, etwas spezifisch Fachliches zu tun, sondern durch ihr Dasein signalisieren: Wir nehmen wahr, daÖ du dich in einer Krise befindest, und wenn du unsere Hilfe brauchen kannst, dann sind wir fÇr dich da; aber wir sind nicht nur Menschen, die sozusagen etwas Caritatives tun fÇr andere, sondern dabei auch etwas fÇr uns selbst gewinnen wollen, das heiÖt, etwas von dem Wissen, von den Erfahrungen mit hinaustragen in die Gemeinschaft und damit ein Verweben stattfindet von der isolierten Situation des Sterbenden und der Gemeinschaft aus der er stammt, also ein WiederrÇckgÑngigmachen der Trennung. Das alles klingt leicht, wenn man es so schildert, nach viel gutem willen anstelle von hochtechnisierter Medizin. So einfach ist es nicht oder so einfach sollte es wenigstens nicht sein. Auch Hospize verzichten natÇrlich nicht auf hochqualifizierte Medizin. Sie brauchen diese Medizin, aber nur soweit der sterbende Mensch selbst danach verlangt und soweit das fÇr die Familie richtig und wichtig ist. Sie alle kennen die Éngste sterbender Menschen und die Éngste, die wir alle haben, wenn wir an unseren Tod denken. Zu diesen Éngsten gehárt vor allem auch die Angst vor Schmerzen. Deswegen ist die Schmerzbehandlung, auch die perfekte medizinische Schmerzbehandlung, ein besonderes Anliegen der Hospizkonzeption. Aus den Hospizen sind ja eine FÇlle von hilfreichen Methoden der Schmerztherapie entwickelt worden, die dann z.B. in die Schmerzkliniken eingegangen sind, zu einem Zeitpunkt, als hier in Deutschland noch kein Mensch wuÖte, daÖ es Çberhaupt Hospize gab. Das heiÖt, wir haben eine FÇlle von medizinischen Techniken zur VerfÇgung, um sterbenden Menschen diese letzte Lebenskrise zu erleichtern und damit auch der Familie zu helfen. Aber damit ist es nicht getan; zum Hospizkonzept gehárt auch das Wissen, daÖ Schmerzen sehr vielfÑltige Ursachen haben. Die Bedeutung der Pflege hat in den Hospizen wieder neuen Auftrieb bekommen: Ein sterbender Mensch ist in vielen FÑllen ein Mensch, der eine lange Zeit hinter sich hat, in der sein Kárper ein geschundener Kárper war, den eigentlich niemand mehr recht angucken wollte und an dem er selbst nur gelitten hat. Pflege heiÖt im Hospiz auch ein StÇck Versáhnung mit diesem geschundenen Kárper, Aussáhnung mit dem Kárper dadurch, daÖ der sterbende Mensch spÇrt, daÖ mit ihm liebevoll und fÇrsorglich umgegangen wird, er liebevoll und fÇrsorglich berÇhrt wird zu einem Zeitpunkt, wo sonst eigentlich die meisten Menschen einen Bogen um die BerÇhrung eines Sterbenden machen. Dies heiÖt natÇrlich auch zu wissen, daÖ Schmerzen nicht im kárperlichen 33

Die andere Antwort auf die schwierige Situation des Sterbens in unserer Zeit ist die<br />

Hospizbewegung. Das ist das Thema, mit dem wir uns hier beschÑftigen. Sie ist entstanden<br />

in der Mitte dieses Jahrhunderts, Ende der 60er Jahre mit der GrÇndung des<br />

ersten Hospizes neuer Art, dem St. Christopher Hospiz in London, als eine Gegenbewegung<br />

gegen die Form des Sterbens, die bis dahin praktiziert wurde. Es ist interessant<br />

zu sehen, daÖ in den 60er Jahren ein Háhepunkt der Technisierung in der<br />

Medizin erreicht worden ist. Die Hospizbewegung ist an die Namen zweier Frauen<br />

gebunden, die Sie alle kennen und die ich hier einfach noch einmal erwÑhnen will,<br />

nÑmlich Cicely Saunders und Elisabeth KÇbler-Ross. Es ist schon interessant zu sehen,<br />

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etwas Neues in Gang gebracht haben und es ist dann auch erstaunlich, daÖ hier in<br />

der Runde relativ wenige Frauen sitzen und eigentlich bin ich hier auch an der falschen<br />

Stelle als Mann, aber vielleicht sind es fÇr eine Runde dieser Art sogar noch<br />

erstaunlich viele Frauen.<br />

Begonnen hat alles mit einem Haus, das damals in London sehr wichtig war, in St.<br />

Christopher, als eine Máglichkeit, nach auÖen zu demonstrieren, daÖ hier wirklich<br />

Raum fÇr sterbende Menschen ist. Sterbende Menschen haben einen ganz konkreten<br />

Platz und sie haben ein Recht darauf, Platz zu haben, in einer Welt, die ihnen<br />

relativ wenig Raum und Máglichkeiten lÑÖt. Inzwischen ist ein Vierteljahrhundert vergangen<br />

und die Dinge haben sich verÑndert. Weltweit sind inzwischen Çber 2.000<br />

Hospize zu zÑhlen, die auÖerordentlich unterschiedlich in ihrer AusprÑgungsform<br />

sind. Was sie vereint, ist nicht so sehr eine bestimmte ÑuÖere Organisationsform,<br />

sondern in erster Linie ein Handlungskonzept, und auf diese Weise ist aus den vielen<br />

Hospizen etwas geworden, was wir heute Hospizbewegung nennen.<br />

Wenn wir etwas vereinfacht sagen, daÖ Krankenhaus und herkámmliches Gesundheitswesen<br />

in erster Linie das Ziel haben, Menschen gesund zu machen, dann kann<br />

man ebenso vereinfacht und plakativ sagen, daÖ Hospize das Ziel haben, Menschen<br />

wieder heil werden zu lassen. Heil in einem Sinne, der mit dem Schlagwort der<br />

Ganzheitlichkeit vielleicht auch zu belegen ist, aber der das Ziel hat, das was getrennt<br />

worden ist – auch durch viele schwierige Prozesse im KrankheitsprozeÖ getrennt<br />

worden ist –, wieder zusammenzufÇhren. Aus einem Menschen, der vielleicht<br />

nur als „der Krebs“, vielleicht „der Darmkrebs“ angesehen wurde, wieder einen Menschen<br />

zu machen, der sich insgesamt wahrzunehmen wagt als ein Wesen, das nicht<br />

nur durch den Krebs charakterisiert wird, sondern durch Eigenschaften, menschliche<br />

Eigenschaften. Das ist ein Wesen, daÖ dadurch zum Menschen wird, daÖ es zu seinem<br />

ganzen Kárper stehen darf, und nicht einen Teil seines Kárpers ablehnen muÖ,<br />

weil er fÇr ihn verhaÖt geworden ist. Dieses Wieder-ganz-werden-Lassen macht einen<br />

Perspektivenwechsel auch bei den Helfenden notwendig; der sterbende Mensch<br />

soll nicht das Objekt des Handelns, sondern zum Subjekt werden, indem Macht auf<br />

ihn Çbertragen wird.<br />

Das Hospiz oder die Hospizkonzeption sieht vor, daÖ die Macht vom sterbenden<br />

Menschen und seinen Angehárigen ausgeht, das heiÖt von der Gruppe von Menschen,<br />

die am stÑrksten von dem Leid betroffen ist und die am stÑrksten UnterstÇtzung<br />

benátigt, aber selbst bestimmen sollte, welche Art von UnterstÇtzung sie benátigt.<br />

Dies heiÖt natÇrlich auch, daÖ im Zentrum dessen, was geschieht, der Wunsch<br />

des sterbenden Menschen im Mittelpunkt steht, und da ist es selbstverstÑndlich, daÖ<br />

Hospize in erster Linie versuchen, Menschen das Sterben zu Hause zu ermáglichen.<br />

Sie alle kennen wahrscheinlich die Stuttgarter Untersuchung, die befragt hat, wo<br />

Menschen denn sterben máchten, wenn sie es sich denn aussuchen kánnten. Die<br />

Çberwiegende Zahl gab zur Antwort, daÖ sie zu Hause sterben máchten.<br />

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