Klausurtagung „Hospiz“ - Peter Godzik

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24.12.2012 Aufrufe

Was sind die Ziele der Hospizbewegung? (Prof. Dr. Student) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin einigermaÖen in Verlegenheit gekommen, als ich dieses Referat vorbereitet habe, weil ich mir Çberlegt habe, daÖ hier lauter Menschen sitzen, die bereits intensiv Çber Hospiz und Hospizbewegung informiert sind; sei es in kritischer Distanz, oder sei es in intensivem Engagement und aktiver TÑtigkeit in der Hospizbewegung. Ich kann Ihnen daher eigentlich Çberhaupt nichts Neues bieten. Ich bitte Sie also zu verzeihen, wenn ich nicht mehr tun kann, als Sie ein wenig daran zu erinnern, was Hospizbewegung meint und damit sozusagen eine gemeinsame Ausgangsbasis fÇr das zu schaffen, was uns diese zwei, drei Tage lang beschÑftigen wird. Ich máchte das so einteilen, daÖ ich Ihnen zunÑchst ein biÖchen etwas zu den Defiziten sage, aus denen heraus sich die Hospizbewegung entwickelt hat. Weiter máchte ich Sie dann noch daran erinnern, was das Hospiz in seiner heutigen Fassung meint und zum SchluÖ ganz grob einige Dinge sagen, die sich aus meiner Sicht hinsichtlich der deutschen Entwicklung beschreiben lassen. Meine Damen und Herren, wir leben in einer Zeit, in einem Jahrhundert, in dem es unendlich viele UmbrÇche, wie Kriege, Katastrophen und VerÑnderungen gegeben hat. Diese VerÑnderungen haben natÇrlich vor keinem Bereich in unserer gesellschaftlichen RealitÑt Halt gemacht. Warum sollten sie es im Bereich von Sterben, Trauer und Tod getan haben? Der franzásische Historiker Ariãs, dem wir eine sehr gute Übersicht Çber die Entwicklung des Umgangs mit Sterben und Tod im Abendland verdanken, hat fÇr den Umgang mit diesem Thema in unserer Zeit sehr drastische Worte gefunden. Er spricht von einer Verwilderung des Umgangs mit dem Tod, was er in drei PhÑnomenen festmacht: 1. DaÖ der Tod verheimlicht und das Sterben isoliert wird, 2. daÖ der sterbende Mensch belogen und entmÇndigt wird und 3. daÖ die Trauer abgeschafft worden ist. Das Verheimlichen und Isolieren des Todes sehen Sie immer sehr deutlich daran, daÖ Sie dem Tod im Alltag eigentlich kaum noch begegnen und wir den Tod am ehesten dort erleben, wo er in seltsamer, verzerrter Form auftaucht, nÑmlich am allerhÑufigsten abends vor dem Fernseher, durch Katastrophen oder in Kriminalfilmen. Der alltÑgliche Tod findet unter AusschluÖ der âffentlichkeit statt. Der zweite Punkt, das BelÇgen und EntmÇndigen des sterbenden Menschen besteht darin, daÖ der Sterbende, ja bereits der schwerkranke Mensch, hÑufig systematisch desinformiert wird und die ganze Last der Information und des konkreten Wissens den Angehárigen aufgebÇrdet wird – so als seien die Angehárigen leichter in der Lage, damit fertig zu werden, als der Betroffene selbst. Mit der Abschaffung der Trauer sind hilfreiche Rituale zur BewÑltigung der Krise des Verlustes als kollektive Vereinbarung in unserer Zeit nicht mehr vorhanden. Diese Entwicklung hat eine ganze Reihe von Wurzeln. Ich máchte versuchen, Ihnen zunÑchst einige Bedingungen zu zeigen, aus denen heraus sich diese Verwilderung entwickelt hat. Ich máchte das aus dem Blickwinkel meines eigenen Fachgebietes tun, der Medizin. Ich máchte Ihnen mit ein paar Zahlen prÑsentieren (Schaubild), was der Sozialmediziner SchÑfer einmal als Panoramawechsel der Krankheitsbilder ge- 28

zeigt hat. Da wurden bestimmte Krankheiten aufgelistet, solche, die wir als akute Krankheiten und solche, die wir als chronische bezeichnen, und zwar im Vergleich der Jahrhundertwende mit der Mitte dieses Jahrhunderts. Seit 1955 bis heute hat sich nichts Wesentliches verÑndert. Das gilt im wesentlichen nicht nur fÇr Deutschland, sondern fÇr alle westeuropÑischen Industriestaaten. Da gibt es einmal die akuten Krankheiten, damit meint man vor allen die Infektionskrankheiten und die chronischen Krankheiten, das sind vor allem Krankheiten im Bereich Herz, Kreislauf oder die Krebserkrankungen. Um die Jahrhundertwende herum waren diese Bereiche ausgeglichen. Wenn Sie die VerÑnderung ansehen, bemerken Sie, daÖ die akuten Erkrankungen als Todesursache erheblich zurÇckgegangen sind auf etwa 10 % und die chronischen Erkrankungen erheblich zugenommen haben auf etwa 80 %, sie sind heute die Çberwiegende Todesursache. Was dies fÇr unser Thema bedeutet ist, daÖ die Zunahme chronischer Krankheiten als Todesursache die Zeit des Sterbens verlÑngert, das heiÖt, Menschen sterben heute Çber einen lÑngeren Zeitraum, als noch um die Jahrhundertwende. Was sich hinter dem RÇckgang der akuten Krankheiten versteckt, ist etwas, was man als Erfolg der Medizin in unserem Jahrhundert apostrophiert hat, nÑmlich der RÇckgang der Infektionskrankheiten. Damit hÑngt eine andere VerÑnderung zusammen: die Kindersterblichkeit ist erheblich zurÇckgegangen. Um die Jahrhundertwende gab es zwei HÑufigkeitsgipfel, was das Sterben anbelangt. Einmal kurz nach der Geburt, im ersten Lebensjahr in der SÑuglingsphase und zum anderen im Alter. Wir haben heute nur noch einen Gipfel der Sterblichkeit der herausragt, und das ist im Alter. Das heiÖt, das Sterben ist zu einem PhÑnomen des Alters geworden. FrÇher war Sterben ein PhÑnomen der ganz frÇhen Kindheit und des Alters. Das kánnen wir uns heute gar nicht mehr vorstellen. Die Konsequenz hieraus mÇÖte eigentlich sein, daÖ es mehr lebende junge Menschen gibt. Es gibt aber nur mehr Çberlebende junge Menschen, die Zahl der lebenden jungen Menschen, also der Kinder die geboren werden, ist seit der Jahrhundertwende deutlich zurÇckgegangen. Im Bereich der Mitte des Jahrhunderts, zwischen 1965 und 1975, hat es die dramatischste Abnahme gegeben, da hat sich die Geburtenrate glatt halbiert. Das hat auch etwas mit unserem Thema zu tun, denn dadurch ist bedingt, daÖ die Zahl der jungen Menschen im VerhÑltnis zur Zahl der alten Menschen deutlich abgenommen hat. Das sehen Sie hier (Schaubild): Um 1890, 1910 war das VerhÑltnis von alten Menschen zu Kindern eins zu sieben und 1980 ist das VerhÑltnis eins zu eins. Das ist eine VerÑnderung, die Folgen hat fÇr unseren Bereich. Es bedeutet nicht, daÖ es mehr alte Menschen gibt, die Menschen werden eigentlich auch nicht, wenn sie das Kindes- und Jugendalter gut Çberstanden haben, wesentlich Ñlter als um die Jahrhundertwende, aber die Zahl derjenigen, die ihnen unterstÇtzend zur Seite stehen kann, hat deutlich abgenommen, das heiÖt, fÇr die Versorgung, fÇr die Pflege, fÇr die Betreuung von Ñlteren Menschen stehen heute deutlich weniger Helfer zur VerfÇgung, als dies noch um die Jahrhundertwende der Fall war. Diese relativ nÇchternen demographischen und epidemiologischen Daten will ich einfach noch einmal zusammenfassen in ihren Folgen: - Tod und Sterben sind in unserer Zeit, also am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem PhÑnomen des Alters geworden. - Die Zeit des Sterbens hat sich fÇr die Mehrzahl der alten Menschen deutlich verlÑngert. - Die Zahl derjenigen, die zur Hilfe zur VerfÇgung stehen, hat deutlich abgenommen. Das allein wÇrde ausreichen, um die Situation des Sterbens in unserer Zeit erheblich zu erschweren. 29

zeigt hat. Da wurden bestimmte Krankheiten aufgelistet, solche, die wir als akute<br />

Krankheiten und solche, die wir als chronische bezeichnen, und zwar im Vergleich<br />

der Jahrhundertwende mit der Mitte dieses Jahrhunderts. Seit 1955 bis heute hat<br />

sich nichts Wesentliches verÑndert. Das gilt im wesentlichen nicht nur fÇr Deutschland,<br />

sondern fÇr alle westeuropÑischen Industriestaaten. Da gibt es einmal die akuten<br />

Krankheiten, damit meint man vor allen die Infektionskrankheiten und die chronischen<br />

Krankheiten, das sind vor allem Krankheiten im Bereich Herz, Kreislauf oder<br />

die Krebserkrankungen. Um die Jahrhundertwende herum waren diese Bereiche<br />

ausgeglichen. Wenn Sie die VerÑnderung ansehen, bemerken Sie, daÖ die akuten<br />

Erkrankungen als Todesursache erheblich zurÇckgegangen sind auf etwa 10 % und<br />

die chronischen Erkrankungen erheblich zugenommen haben auf etwa 80 %, sie<br />

sind heute die Çberwiegende Todesursache. Was dies fÇr unser Thema bedeutet ist,<br />

daÖ die Zunahme chronischer Krankheiten als Todesursache die Zeit des Sterbens<br />

verlÑngert, das heiÖt, Menschen sterben heute Çber einen lÑngeren Zeitraum, als<br />

noch um die Jahrhundertwende. Was sich hinter dem RÇckgang der akuten Krankheiten<br />

versteckt, ist etwas, was man als Erfolg der Medizin in unserem Jahrhundert<br />

apostrophiert hat, nÑmlich der RÇckgang der Infektionskrankheiten. Damit hÑngt eine<br />

andere VerÑnderung zusammen: die Kindersterblichkeit ist erheblich zurÇckgegangen.<br />

Um die Jahrhundertwende gab es zwei HÑufigkeitsgipfel, was das Sterben anbelangt.<br />

Einmal kurz nach der Geburt, im ersten Lebensjahr in der SÑuglingsphase und<br />

zum anderen im Alter. Wir haben heute nur noch einen Gipfel der Sterblichkeit der<br />

herausragt, und das ist im Alter. Das heiÖt, das Sterben ist zu einem PhÑnomen des<br />

Alters geworden. FrÇher war Sterben ein PhÑnomen der ganz frÇhen Kindheit und<br />

des Alters. Das kánnen wir uns heute gar nicht mehr vorstellen. Die Konsequenz<br />

hieraus mÇÖte eigentlich sein, daÖ es mehr lebende junge Menschen gibt. Es gibt<br />

aber nur mehr Çberlebende junge Menschen, die Zahl der lebenden jungen Menschen,<br />

also der Kinder die geboren werden, ist seit der Jahrhundertwende deutlich<br />

zurÇckgegangen. Im Bereich der Mitte des Jahrhunderts, zwischen 1965 und 1975,<br />

hat es die dramatischste Abnahme gegeben, da hat sich die Geburtenrate glatt halbiert.<br />

Das hat auch etwas mit unserem Thema zu tun, denn dadurch ist bedingt, daÖ<br />

die Zahl der jungen Menschen im VerhÑltnis zur Zahl der alten Menschen deutlich<br />

abgenommen hat. Das sehen Sie hier (Schaubild): Um 1890, 1910 war das VerhÑltnis<br />

von alten Menschen zu Kindern eins zu sieben und 1980 ist das VerhÑltnis eins<br />

zu eins. Das ist eine VerÑnderung, die Folgen hat fÇr unseren Bereich. Es bedeutet<br />

nicht, daÖ es mehr alte Menschen gibt, die Menschen werden eigentlich auch nicht,<br />

wenn sie das Kindes- und Jugendalter gut Çberstanden haben, wesentlich Ñlter als<br />

um die Jahrhundertwende, aber die Zahl derjenigen, die ihnen unterstÇtzend zur Seite<br />

stehen kann, hat deutlich abgenommen, das heiÖt, fÇr die Versorgung, fÇr die<br />

Pflege, fÇr die Betreuung von Ñlteren Menschen stehen heute deutlich weniger Helfer<br />

zur VerfÇgung, als dies noch um die Jahrhundertwende der Fall war.<br />

Diese relativ nÇchternen demographischen und epidemiologischen Daten will ich einfach<br />

noch einmal zusammenfassen in ihren Folgen:<br />

- Tod und Sterben sind in unserer Zeit, also am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts<br />

zu einem PhÑnomen des Alters geworden.<br />

- Die Zeit des Sterbens hat sich fÇr die Mehrzahl der alten Menschen deutlich verlÑngert.<br />

- Die Zahl derjenigen, die zur Hilfe zur VerfÇgung stehen, hat deutlich abgenommen.<br />

Das allein wÇrde ausreichen, um die Situation des Sterbens in unserer Zeit<br />

erheblich zu erschweren.<br />

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