NOE Falkstaff
Niederösterreich mal anders
Niederösterreich mal anders
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
CORNELIA<br />
TRAVNICEK<br />
Die aus St. Pölten<br />
gebürtige Autorin<br />
errang 2012 den<br />
Publikumspreis<br />
beim Bachmann-<br />
Wettbewerb. Ihr<br />
Erfolgsroman<br />
»Chucks« wurde<br />
2015 verfilmt.<br />
Illustration: Gina Mueller, Fotos: Shutterstock, Paul Feuersänger<br />
Verwaschen ist wohl auch oft genug das<br />
konkrete Bild unseres Bundeslandes vor<br />
den inneren Augen Auswärtiger: Ein paar<br />
Felder, ein paar Flüsse, ein paar Kirchen,<br />
ein paar Bahnhöfe und ein paar Hügel, die<br />
an den Rändern noch zu Bergen werden.<br />
Donaublau, Semmeringgrün, Marillenorange,<br />
Rapsgelb und Lachsforellengrau ist dieses<br />
durchaus hübsche Aquarell, mit Grünem<br />
Veltliner statt mit Wasser angemischt,<br />
doch es bleibt schemenhaft: Irgendetwas<br />
zwischen Bratislava, Krumau und »Ist das<br />
nicht schon in der Steiermark?«.<br />
NIEDERÖSTERREICH UND<br />
WIEN – GEBEN UND NEHMEN<br />
Ein Dazwischen also. Für andere ist Niederösterreich<br />
mehr ein Rundherum: Der Uterus,<br />
in dem Wien wie ein Embryo eingebettet<br />
liegt, mit der Westbahn als Nabelschnur und<br />
dem Marchfeld als Plazenta. In den letzten<br />
Jahren macht sich in unserem Bundesland<br />
allerdings verstärkt eine Art umgekehrte<br />
Zentrifugalkraft bemerkbar, die seine BewohnerInnen<br />
von den Rändern in diverse Zentren<br />
zieht, während Wien weiterhin gerne seine<br />
Arbeitskräfte zum Wohnen über die Stadtgrenze<br />
hinauskatapultiert. Daraus resultiert<br />
eine rege Bautätigkeit, durch die in vorher<br />
eher verschlafenen kleinen Dörfern des<br />
erweiterten und noch einmal erweiterten<br />
Speckgürtels der Bundeshauptstadt plötzlich<br />
ganze neue Wohnviertel entstehen, in denen<br />
vor Niedrigenergie-Häusern neben hölzernen<br />
Hochbeeten Hybridautos parken. Von Alteingesessenen<br />
werden diese Wohnviertel halb<br />
liebevoll »Schlumpfhausen« getauft, während<br />
das malerische Grenzland Niederösterreichs<br />
stetig malerischer wird.<br />
DIE MENSCHEN IN<br />
NIEDERÖSTERREICH<br />
SEHEN DAS ALLES<br />
UNAUFGEREGT –<br />
AUSSER JEMAND AUS<br />
EINEM ANDEREN<br />
DORF SCHNEIDET<br />
IHNEN DEN<br />
MAIBAUM UM.<br />
Auch im Ausland komme ich von Zeit zu<br />
Zeit in die Not zu erklären, in welchem Teil<br />
Österreichs ich nun genau lebe und was diesen<br />
ausmacht und das ist durchaus kompliziert,<br />
wenn die eigene Wohngegend nicht<br />
unbedingt gemeinsam mit den Lipizzanern in<br />
der Tourismuswerbung vorkommt oder Austragungsort<br />
von Skiweltcup-Veranstaltungen<br />
ist. Und so wie das Fehlen eines distinguierten<br />
Dialekts möchten so manche, ich bin versucht<br />
zu schreiben Uninformierte, Niederösterreich<br />
gerne einen Mangel an Identität<br />
nachsagen.<br />
Ich sage, es hat mehr als genug davon,<br />
genügend Identitäten. Zwischen Wald, Wein,<br />
Most und Industrie wohnen mindestens vier<br />
Seelen in der niederösterreichischen Brust,<br />
der Donauraum ist ohnehin ein eigenes Kapitel,<br />
und irgendwie haben wir auch noch ein<br />
Stück Alpen abgestaubt. Die Menge an<br />
Mi kroklimas könnte sogar die ZAMG überfordern,<br />
und man kann hier als Aufwachsende<br />
schon eine veritable Identitätskrise erleiden,<br />
wenn einem der lokale Wein der Wahl<br />
nicht ans Herz wachsen möchte (oder an den<br />
Magen), trotz all seiner Auszeichnungen.<br />
Wären wir ein neuer Kleinstaat, jemand aus<br />
der globalen Community würde uns einen<br />
Nation-Building-Process aufoktroyieren.<br />
VON NIEDERÖSTERREICH LERNEN<br />
Die NiederösterreicherInnen selbst ficht das<br />
alles selten an, sie gehen grundsätzlich eher<br />
entspannt durchs Leben – außer jemand aus<br />
einem anderen Dorf schneidet ihnen den<br />
Maibaum um. Mittlerweile sehe ich zum Beispiel<br />
meinen über Generationen innerhalb<br />
Österreichs weitervererbten tschechischen<br />
Nachnamen als das Niederösterreichischste<br />
überhaupt an mir. Interessierten ausländischen<br />
Besuch nehme ich gerne mit auf ein<br />
Kellergassenfest, zu Feuerflecken und Ribiseltorte,<br />
denn Erläuterungen zu komplexen<br />
Lokalkulturtheorien gehen zwar nicht durch<br />
den Magen, sind vor vollen Tellern jedoch<br />
entspannter zu führen. Weißwein trinke ich<br />
immer noch wenig, Traisental-Kindheit hin<br />
oder her, aber es gibt im Leben ja noch mehr.<br />
Blauen Zweigelt etwa.<br />
Wenn nun manche behaupten, Niederösterreich<br />
wäre schwer zu fassen, tangiert das dieses<br />
Bundesland nicht einmal peripher. Denn wenn<br />
es eines hat, dann gesundes Selbstbewusstsein.<br />
Und das ist etwas, das man von Niederösterreich<br />
lernen kann – und das auf alle EinwohnerInnen<br />
ein bisschen abfärbt.<br />
falstaff<br />
105<br />
document8144945809528150822.indd 105 12.08.21 14:28