Gut Aiderbichl Magazin Herbst/Winter 2021: Leben lieben
Lesen Sie herzerwärmende Tierrettungsgeschichten und erfahren Sie allerlei Wissenswertes rund um Gut Aiderbichl.
Lesen Sie herzerwärmende Tierrettungsgeschichten und erfahren Sie allerlei Wissenswertes rund um Gut Aiderbichl.
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WENN DIE SEELE WEINT<br />
Je länger ein Tier in Angst leben muss,<br />
desto mehr Zeit benötigt es später,<br />
um diese Furcht und bestimmte<br />
Verhaltensmuster zu überwinden,<br />
weil sie zu einem körperlichen<br />
Automatismus geworden sind …<br />
60<br />
„Mche He sterben<br />
ihr Ast“<br />
Weit aufgerissene Augen. Jeder<br />
Muskel im Körper ist<br />
angespannt, bereit zur<br />
Flucht. Als die Kuh Lieni<br />
zum Schlachttransporter geführt wird und<br />
das verzweifelte Brüllen ihrer Artgenossen<br />
hört, ergreift sie Todesangst. In Panik, von<br />
einem unbändigen Überlebenswillen getrieben,<br />
reißt sie sich los und flieht.<br />
Als die Tierschützer von <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> von<br />
dem Vorfall erfahren, steht sofort fest: Lieni<br />
verdient eine zweite<br />
Chance. Kurzerhand<br />
wird das Rind dem<br />
Metzger abgekauft.<br />
Heute lebt Lieni auf <strong>Gut</strong><br />
<strong>Aiderbichl</strong> in Sicherheit.<br />
„Sie ist inzwischen<br />
mehr als neun Monate<br />
bei uns, und noch immer<br />
kämpft sie damit,<br />
Vertrauen zu fassen“, sagt Eva Zach. Die<br />
Chef-Tierpflegerin von <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong><br />
Henndorf hat schon mit vielen ängstlichen<br />
Tieren gearbeitet. „Die meisten Tiere, die zu<br />
uns kommen, bringen aus ihrem vorherigen<br />
<strong>Leben</strong> Ballast mit. Viele standen kurz<br />
vor dem Tod. Manche standen wie Lieni<br />
schon beim Schlachter. Ihre Angst war extrem.“<br />
Dass Tiere Emotionen wie Freude<br />
oder Angst empfinden, ist längst wissenschaftlich<br />
bewiesen. Es gibt resiliente Charaktere<br />
und andere, die an ihrem Schicksal<br />
zerbrechen. Josef Hellinger ist Hundesachverständiger<br />
und arbeitet seit Jahren mit<br />
Angsthunden. Er weiß, dass Angst ein Tier<br />
für sein <strong>Leben</strong> zeichnen kann. „Manche<br />
Hunde sterben an der Angst“, sagt er. Je<br />
mehr negative Erfahrungen ein Tier gesammelt<br />
hat, desto mehr Zeit braucht es<br />
oft, bis sein Trauma verblasst. Die Tierpfleger<br />
auf <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> bewerten jeden Fall<br />
individuell. Jeder Neuankömmling bekommt<br />
einen Betreuer. „Wir überlegen genau,<br />
wem wir wem zuteilen, damit die<br />
Tiere gerade am Anfang nicht zu viele verschiedene<br />
Menschen kennenlernen. Um<br />
Vertrauen zu knüpfen, arbeiten wir viel mit<br />
Futter, Ruhe und Geduld. Wir nähern uns<br />
nur sehr, sehr langsam. Jeder einzelne<br />
Schritt wird bedacht. Wenn wir den Eindruck<br />
haben, dass wir zu schnell waren –<br />
gehen wir wieder zurück“, erklärt die Chef-<br />
Tierpflegerin.<br />
Die Tierschützer von <strong>Aiderbichl</strong> wissen genau,<br />
welche Bedürfnisse Pferde, Schimpansen<br />
oder Hunde haben. Dieses Wissen<br />
ist notwendig für eine<br />
bestmögliche und artgemäße<br />
Fürsorge. „Zeit<br />
und Geduld sind bei<br />
der Rehabilitation eines<br />
Angst-Tieres am wichtigsten“,<br />
so Eva Zach.<br />
Die Tierpflegerin weiß<br />
aus Erfahrung, dass es<br />
manchmal Monate<br />
oder Jahre dauert, bis ihre Schützlinge beginnen,<br />
sich sicher zu fühlen. „Dabei spielen<br />
auch die Artgenossen eine große Rolle,<br />
denn die Tiere, die schon bei uns sind, vertrauen<br />
uns. Die Neuankömmlinge sehen<br />
das. Sie lernen so, dass sie uns vertrauen<br />
können.“<br />
Auch Kuh Lieni hat inzwischen ihren Platz<br />
in einer Herde auf <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> Henndorf<br />
gefunden. Sie wird vielleicht noch Zeit<br />
brauchen, bis auch sie Menschen wieder<br />
vertraut, doch Eva Zach ist zuversichtlich:<br />
„Diese Tiere haben oft viel durchgemacht<br />
und so große Angst verspürt, dass man sie<br />
fühlen konnte. Aber wenn man Geduld<br />
hat, kommt irgendwann der Punkt, an dem<br />
sie neugierig werden. Dann ist es schön zu<br />
beobachten, wie die Tiere langsam ihre<br />
Furcht ablegen, neue Freunde finden und<br />
wie ihre <strong>Leben</strong>senergie zurückkehrt.“<br />
GUT AIDERBICHL<br />
AKADEMIE<br />
Angsthunde im<br />
Alltag<br />
➤ Die <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> Akademie<br />
bietet eine Vielzahl von Seminaren<br />
in den Bereichen Tierhaltung,<br />
-pflege, -psychologie und -ethik<br />
an. Ziel ist es, für ein besseres<br />
Verständnis und Zusammenleben<br />
von Mensch und Tier zu sorgen.<br />
Der Hundetrainer und Sachverständige<br />
Josef Hellinger leitet an<br />
der Akademie ein Webinar, in dem<br />
es um Angst bei Hunden im Alltag<br />
geht. „Die Nachfrage ist vor allem<br />
wegen der vielen Hunde aus dem<br />
Auslandstierschutz so groß“, sagt<br />
Josef Hellinger. „Die Hunde haben<br />
nicht immer eine traumatische<br />
Vergangenheit. Aber sie haben in<br />
ihrem früheren <strong>Leben</strong> meist auf<br />
der Straße gelebt. Wenn sie zu uns<br />
kommen, kriegen sie einen regelrechten<br />
Kulturschock. Hier wird<br />
ihnen ein neues <strong>Leben</strong> übergestülpt,<br />
das macht ihnen Angst.“<br />
Damit möglichst vielen Menschen<br />
und auch Hunden geholfen werden<br />
kann, findet das zweiteilige Online-<br />
Seminar jeden Monat statt. In der<br />
interaktiven Veranstaltung werden<br />
Fragen geklärt wie: Was ist Angst,<br />
und wie entsteht sie? Wie erkenne<br />
ich Angst? Oder auch: Wie kann ich<br />
meinem ängstlichen Hund helfen<br />
und Sicherheit geben? Das Seminar<br />
richtet sich an Halter, die<br />
betroffen sind und einen Angsthund<br />
zu Hause haben, oder an<br />
Menschen, die mit Hunden arbeiten.<br />
Es wird erklärt, wie man auf<br />
einen ängstlichen Hund zugeht und<br />
wie man dessen Körpersprache<br />
richtig deutet. Jeden 4. (1. Teil)<br />
und 12. (2. Teil) des Monats.