Gut Aiderbichl Magazin Herbst/Winter 2021: Leben lieben
Lesen Sie herzerwärmende Tierrettungsgeschichten und erfahren Sie allerlei Wissenswertes rund um Gut Aiderbichl.
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„Der Stärkere hilft<br />
den Schwächeren.“<br />
Sein halbes <strong>Leben</strong> ist geprägt<br />
von <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> – gemeinsam<br />
mit Michael Aufhauser definierte<br />
Stiftungsvorstand Dieter<br />
Ehrengruber vor 20 Jahren<br />
das Wort „Tierschutz“ neu – sie<br />
erschufen ein Refugium, das in dieser Art bis<br />
heute weltweit einzigartig ist. Hier spricht er<br />
über das, was ihn treibt – und darüber, wo<br />
der Weg in Zukunft hinführen soll.<br />
Michael Aufhauser, der Gründer von <strong>Gut</strong><br />
<strong>Aiderbichl</strong> …<br />
Dieter Ehrengruber: … ist ein Mann, der<br />
mich, meine Sicht auf die Welt, enorm geprägt<br />
hat. Ich begegnete ihm an einem<br />
Abend im Jahr 1998 – es war spät in der<br />
Nacht, und ich joggte noch durch den Park,<br />
als plötzlich ein Mann aus der Dunkelheit<br />
trat, eine Zigarette im Mundwinkel, und<br />
mir sehr bestimmt erklärte, ich solle ihm<br />
jetzt helfen, seine Hunde einzusammeln;<br />
sein Butler schaffe es nicht alleine. Nach<br />
und nach tauchten lauter Namen auf: Rodrigo,<br />
Felix, Daniel. Es waren sieben, acht<br />
oder neun Hunde. Da war ich schon vollkommen<br />
überfordert. Aber wir sammelten<br />
die Tiere ein und standen dann noch zusammen<br />
und redeten über Gott und die<br />
Welt. Da erzählte mir dieser Mann, sein<br />
Traum sei es, einmal etwas ganz Großes für<br />
Tiere zu tun; einen Ort zu schaffen, an dem<br />
alle Lebewesen sicher und geschützt sind.<br />
An dem jeder Hilfe erfahren werde, der Hilfe<br />
bedarf. Ich hielt das für die Spinnerei eines<br />
exzentrischen Millionärs – war aber<br />
gleichzeitig auch fasziniert.<br />
Inwiefern?<br />
Dieter Ehrengruber: Michael träumte damals<br />
davon, etwas Unmögliches zu erschaffen.<br />
Zu einer Zeit, in der Masttiere<br />
noch als seelenlos galten, in der Sportpferde<br />
fast ausschließlich in engen Boxen gehalten<br />
wurden, in der es kaum jemanden<br />
kümmerte, was mit den Straßenhunden in<br />
Europa geschah, stellte er sich hin und<br />
brachte die Menschen dazu, hinzusehen.<br />
Wirklich hinzusehen. Ich selbst stamme aus<br />
einem kleinen Dorf, und Tierschutz war bis<br />
zu diesem Zeitpunkt nie ein Thema für<br />
mich. Ich lebte in dem Glauben, es gäbe<br />
genug Vereine, die all das regulierten. Aber<br />
Michael ging es nie darum, irgendetwas zu<br />
regulieren – er wollte mehr. Er beauftragte<br />
mich, eine Organisation zu suchen, die sich<br />
im Falle seines Todes um seine Tiere kümmerte<br />
– und zwar ebenso liebevoll und mit<br />
ebenso viel Wissen, wie er selbst es tat. Ich<br />
suchte ein Jahr lang – vergeblich. Es gab so<br />
etwas nicht, nirgendwo. Und genau das<br />
war der Anfang von <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong>.<br />
„Wir möchten den<br />
Stimmlosen eine<br />
Stimme geben“<br />
Was ist die Philosophie von <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong>?<br />
Dieter Ehrengruber: Wir möchten den<br />
Stimmlosen eine Stimme geben. Michael<br />
war der Überzeugung, dass es unsere<br />
Pflicht sei als Menschen, als Gesellschaft,<br />
für die Schwächeren einzustehen.<br />
Ihnen einen Platz zu geben. Er hat sein<br />
ganzes <strong>Leben</strong> <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> gewidmet,<br />
viel investiert – er hat immer alles riskiert<br />
für diese Überzeugung. Und zwar mit<br />
absoluter Leidenschaft.<br />
Gab es für Sie ein Schlüsselerlebnis?<br />
Dieter Ehrengruber: Etwa zwei Jahre nach<br />
der Gründung von <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> retteten<br />
wir einige Mastschweine vor dem Schlachter.<br />
Wir luden die Tiere ab und brachten sie<br />
in ihren neuen Stall. Da nahm der Eber ein<br />
Maul voll Stroh und deckte damit ganz behutsam<br />
die Sau zu, die sich erschöpft in<br />
eine Ecke gelegt hatte. Dieser Moment hat<br />
mich nie wieder losgelassen, weil in ihm<br />
alles lag, alles gesagt war.<br />
Was veränderte sich mit diesem Moment?<br />
Dieter Ehrengruber: Auf einmal verstand<br />
ich, was Hinsehen bedeutet. Wirkliches,<br />
wahrhaftiges Hinsehen. Ein Hinsehen, das<br />
gar nicht so sehr mit den Augen geschieht,<br />
sondern mit dem Innersten; das sich nicht<br />
abwendet, nicht ausblendet, nicht schönredet.<br />
Sondern das erfasst, was nur ein mitfühlendes<br />
Herz sehen kann. Diese Tiere –<br />
die Abertausend Namenlosen, die ihr<br />
<strong>Leben</strong> in Mastbetrieben unter schlimmsten<br />
Bedingungen fristen, die einfach nicht gesehen<br />
werden – diese Tiere haben eine<br />
Seele. Sie empfinden Angst, Trauer,<br />
Schmerz. Von diesem Moment an aber<br />
wollte ich zu denen gehören, die ihnen die<br />
Möglichkeit schenken, auch die andere Seite<br />
des emotionalen Spektrums zu erfahren:<br />
Zufriedenheit. Freude. Sicherheit.<br />
Kann Tierschutz die Welt verändern?<br />
Dieter Ehrengruber: Vor einigen<br />
Jahren bekam ich den Anruf eines<br />
Viehhändlers. Er hatte ein Schlachtpferd<br />
auf den Hof bekommen, doch er<br />
brachte es nicht übers Herz, das Tier zu<br />
töten. Denn er wusste, dieses Pferd<br />
gehörte einem kleinen Jungen, dem es<br />
alles bedeutete. Die Familie hatte es<br />
leider aus Kostengründen verkaufen<br />
müssen und im Vertrauen darauf, dass<br />
das Pferd sicherlich einen schönen,<br />
neuen <strong>Leben</strong>splatz bekäme, an einen<br />
Händler gegeben, der das Pferd<br />
allerdings schnurstracks zu besagtem<br />
Schlachter fuhr. Wir kauften dem Mann<br />
das Tier ab. Dann riefen wir die Familie des<br />
Jungen an und brachten die beiden<br />
wieder zusammen. Kann Tierschutz also<br />
die Welt verändern? Ja! Denn jedes Mal,<br />
wenn wir ein Tier retten, retten wir die<br />
Welt. Indem wir die Herzen der<br />
Menschen daran erinnern, was Liebe ist.<br />
Was Hoffnung bedeutet. Und:<br />
Mitgefühl. Das ist die Grundlage, auf der<br />
alles andere erwachsen kann und muss.<br />
Diese Empathie darf nicht verloren gehen,<br />
denn sie ist der Halt für alles.<br />
Woran glauben Sie?<br />
Dieter Ehrengruber: Ich habe schon lebhafte<br />
Diskussionen mit Wissenschaftlern<br />
geführt, die behaupteten, es sei nicht mehr<br />
5 vor 12, sondern bereits 5 nach 12. Aber ich<br />
weigere mich, das anzuerkennen. Wir<br />
geben nicht auf! Im Gegenteil – wir<br />
wünschen uns, in Zukunft noch mehr<br />
Tieren Schutz zu bieten, noch mehr<br />
Menschen zu helfen, noch mehr Wissen<br />
zu vermitteln. Ich glaube fest daran, dass<br />
es immer Lösungen gibt; dass das<br />
Unmögliche möglich ist. Denn genau das<br />
hat mich <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> in 20 Jahren gelehrt:<br />
Erwarte Wunder – denn es gibt<br />
17<br />
sie!