FINE - Das Festivalmagazin
Magazin zum 25. Rheingau Gourmet & Wein Festival
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CHAMPAGNER<br />
DIE 100 WICHTIGSTEN MAISONS,<br />
WINZER UND KOOPERATIVEN<br />
UNSERE GROSSE VERKOSTUNG TEIL 3<br />
MOËT & CHANDON<br />
Grand Vintage 2012 Extra Brut<br />
Marktführer Moët & Chandon verkörpert wie kaum eine andere Maison die Champagne als Ganzes – nicht<br />
zuletzt, weil er Trauben von 90 Prozent aller Gemeinden der Region verarbeitet. Auch die Stilistik ist klassisch<br />
für einen Négociant, so die Verwendung der drei Hauptrebsorten der Champagne, Ausbau in Inox, Durchlauf<br />
der Malo und hoher Anteil von Reserveweinen im Blend der Non-Vintages.<br />
2012 ist der 74. Grand Vintage des Hauses, und wegen der exzeptionellen Qualität des Pinot Meunier beträgt<br />
dessen Anteil diesmal hohe 26 Prozent (Ch 41 %, PN 33 %). Entsprechend ist die Nase geprägt von reifem<br />
Pfirsich, Walnuss und Brioche. Auch am Gaumen sehr stimmig: feine, harmonische Textur mit schöner<br />
Frische, Komplexität und erfreulich niedriger Dosage von nur fünf Gramm.<br />
Kostspielig und begehrt: Jahrgangs-Champagner und Prestige-Cuvées stehen für die qualitative<br />
Spitze der Champagnerproduktion. Dabei sind sie nur in wenigen Fällen repräsentativ für<br />
die jeweiligen Häuser und deren spezifischen Stil. Nun trauen sich erste Cuvées als eigenständige<br />
Marken in die Selbstständigkeit. Nur ein Zufall oder schon ein Trend?<br />
Mit Dom Pérignon fing alles an. Nicht nur war<br />
der gleichnamige Schaumwein 1936 die<br />
erste kommerziell vermarktete Prestige-<br />
Cuvée der Champagne − Dom Pérignon war auch<br />
die erste Marke, die nach der Abspaltung von Moët &<br />
Chandon um 1996 als eigene Maison Unabhängigkeit<br />
erlangte. 2018 folgte das Haus Piper-Heidsieck<br />
diesem Beispiel, indem es seine Spitzen-Cuvée Rare<br />
ausgliederte.<br />
Doch selbst wenn das Scheinwerferlicht oft auf<br />
solche Ikonen fällt: Tatsächlich beruht das Grundgeschäft<br />
der Champagnerproduzenten auf ihren jahrgangslosen<br />
Standard-Cuvées. Diese machen rund<br />
80 Prozent aller Champagner aus, in sie wird die<br />
meiste Werbung investiert, und entsprechend bilden<br />
sie die Visitenkarte jeder Maison. Es sind Verschnitte<br />
nicht nur unterschiedlicher Jahrgänge, sondern in<br />
der Regel auch unterschiedlicher Traubensorten und<br />
verschiedener Regionen der Champagne. Die jährliche<br />
Assemblage, also die Zusammenstellung der<br />
zahlreichen Grundweine vor der Flaschengärung,<br />
stellt für viele Produzenten immer noch die eigentliche<br />
Kunst der Champagnerproduktion dar.<br />
Diese Perspektive ähnelt der von hochwertigen<br />
Spirituosen wie Cognac, weswegen beide<br />
Industrien viele Berührungspunkte haben, vor allem<br />
in ihrem Markenverständnis. Der Blick vom Wein<br />
auf Champagner bevorzugt dagegen eine stärkere<br />
Individualisierung der Produkte, insbesondere hinsichtlich<br />
der Jahrgänge, Rebsorten und Terroirs.<br />
Tatsächlich verdanken die Vintages, die Blancs de<br />
Von STEFAN PEGATZKY<br />
Fotos GUIDO BITTNER<br />
Blancs (Champagner ausschließlich aus weißen Rebsorten)<br />
oder Cuvées Parcellaires (aus Einzellagen)<br />
ihre Existenz dem Verständnis von Champagner als<br />
Wein. Auf die Spitze getrieben wurde diese Idee,<br />
als einige Produzenten von Winzerchampagner die<br />
burgundische Philosophie »eine Traube, ein Terroir,<br />
ein Jahrgang« übernahmen.<br />
Prestige-Cuvées bewegen sich in diesem<br />
Spannungsfeld zwischen Assemblage-Philosophie<br />
und Individualisierung. Beinahe alle Vertreter ihrer<br />
Art sind Vintage-Champagner. Rebsortenreine<br />
Cuvées sind immer noch in der Minderheit, und<br />
wenn es sie gibt, bestehen sie ausschließlich aus<br />
Chardonnay. Noch seltener sind klassische Prestige-<br />
Cuvées aus einer Einzellage. Herstellern von Winzerchampagner<br />
ist das Konzept der Prestige-Cuvée<br />
dagegen eher fremd, selbst wenn sie längst Produkte<br />
auf diesem Niveau anbieten. Bemerkenswerterweise<br />
entsteht der teuerste Winzerchampagner überhaupt,<br />
der Selosse Millésime, inzwischen nicht mehr als<br />
Mono-Cru aus Avize, sondern aus Erträgen ganz<br />
unterschiedlicher Weinberge – gewissermaßen eine<br />
Rückkehr zur klassischen Assemblage.<br />
Für die Kraft der Marke und die Kundenbindung<br />
sind auf diesem Level stilistische Fragen eher zweitrangig.<br />
Tatsächlich verwandelt sich Champagner als<br />
Prestige-Cuvée von einem Getränk in ein Luxusprodukt.<br />
Wie der Name schon sagt, geht es nicht einfach<br />
um den besten Wein des Hauses (die »Tête de<br />
Cuvée«), sondern um Image und Exklusivität. Und so<br />
schlagen in Zeiten, in denen sich das Ultra-Premium-<br />
Weinsegment immer mehr vom klassischen Portfolio<br />
abzulösen beginnt, in den Champagnerhäusern die<br />
Herzen für das Basisprodukt und für die Prestige-<br />
Cuvée nicht immer im Gleichklang. Während der<br />
Verkauf von Standardabfüllungen gerade im Kernland<br />
Frankreich seit Jahren sinkt, notieren Spitzenchampagner<br />
derzeit Zuwächse wie kein anderes<br />
vergleichbares Segment der Weinbranche (gemäß<br />
der Fine-Wine-Handelsplattform Liv-ex). In allen<br />
großen Häusern wird sich daher das Gewicht<br />
zugunsten der High-End-Produkte verschieben –<br />
und die Ausgliederungen von Dom Pérignon und<br />
Rare werden nicht die letzten gewesen sein.<br />
CHAMPAGNER<br />
Die 100 wichtigsten Maisons, Winzer und Kooperativen<br />
Von Stefan Pegatzky<br />
240 Seiten · zahlr. Farbfotos · 28 × 29 cm · Hardcover<br />
tretorri-shop.de ISBN 978-3-96033-119-3<br />
POL ROGER<br />
Blanc de Blancs 2013 Brut<br />
Die Maison Pol Roger aus Épernay verkörpert die klassischen Tugenden der Grandes Marques der Champagne:<br />
Seit über 170 Jahren Anhänger der Assemblage-Philosophie von Trauben unterschiedlicher Rebsorten und<br />
Regionen, unter Einsatz modernster Technik, wenn es der Qualität zugutekommt (Zweistufen-Kaltvorklärung,<br />
Ausbau in Inox samt Malo) und dem Festhalten am Besten der Vergangenheit, wie – als Letztem der Großen –<br />
dem vollständigen Rütteln von Hand.<br />
Üblicherweise präferiert das Haus bei den Vintage-Champagnern Pinot Noir mit 60 bis 70 Prozent gegenüber<br />
dem Chardonnay. Hochwertiger Zukauf an der Côtes des Blancs, vor allem in Cramant, führte zum<br />
Blanc de Blancs ab dem 1959er-Jahrgang. In der Nase wechseln sich feine Zitronen-, Mandarine- und<br />
Apfelnoten nacheinander ab, unterlegt von Haselnuss und Brioche. Es folgt eine sehr pure, konzentrierte<br />
Intensität am Gaumen. Die strahlende Säure verheißt ein langes Leben.<br />
DEUTZ<br />
William Deutz Millésimé 2008 Brut<br />
William Deutz ist die klassische Prestige-Cuvée des traditionsreichen Hauses in Aÿ, die nach dem großen Erfolg<br />
des Amour de Deutz freilich ein wenig in den Hintergrund getreten ist. Tatsächlich dominiert hier der Pinot Noir<br />
(62 %, aus Aÿ, Bouzy, Ambonnay und Verzenay, dazu 34 % Chardonnay aus Avize und Le Mesnil-sur-Oger<br />
und 4 % Pinot Meunier aus Pierry). Klassischer Ausbau in Inox und realisierter Malo, 2008 mit moderater<br />
Dosage (8,8 Gramm) und zehn Jahren Hefelager.<br />
Die Maison hat den William Deutz 2008 als eine der letzten Prestige-Cuvées erst im Winter 2020 freigegeben,<br />
entsprechend hoch waren die Erwartungen. Für einen Champagner aus diesem Jahrgang wirkt der Wein<br />
jedenfalls ungewöhnlich reif, mit gelben Früchten wie Mirabellen und Honigmelone sowie einem zarten<br />
Oberton von Himbeeren, dazu Hefe und Brioche. Weiniges Mundgefühl, mit intensiv cremiger Textur und<br />
guter Frische, aber noch etwas verhalten.<br />
68 <strong>FINE</strong> DAS FESTIVALMAGAZIN | CHAMPAGNE<br />
Die Traubensorten werden wie folgt abgekürzt: Pinot Noir = PN, Pinot Meunier = PM, Chardonnay = Ch.<br />
CHAMPAGNE CHAMPAGNE | <strong>FINE</strong> DAS FESTIVALMAGAZIN<br />
69<br />
Bei der Dosage bezieht sich die Grammangabe immer auf das Verhältnis pro Liter.