Leseprobe_Franke_Die kataleptische Starre
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Er legte die Zigarette in einen Aschenbecher, der<br />
einmal seinem Großvater gehört hatte. Am Boden<br />
des Aschenbechers war die Abbildung eines Wagens<br />
zu sehen: ein Rolls-Royce, Baujahr 1904. Er erfreute<br />
sich jedes Mal an dem alten Stück: Königlich<br />
privilegierte Porzellanfabrik, kurz Königl. pr. Tettau<br />
war darauf zu lesen. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts<br />
galt feinstes Tettau-Porzellan bei Hofe als<br />
Ausdruck vollendeter Tischkultur, so hatte es sein<br />
Großvater bei größeren Familienzusammenkünften<br />
immer erzählt. Seitdem faszinierten ihn die Produkte<br />
der ältesten Porzellanfabrik Bayerns, gegründet<br />
1794 unter Mitwirkung des berühmten Naturforschers<br />
Alexander von Humboldt.<br />
Er drehte das kleine Küchenradio auf. Leise Klaviermusik<br />
drang an sein Ohr. Mit einer lässigen<br />
Handbewegung strich er sich die Haare zurück. Er<br />
spürte, wie ihn die Musik beruhigte. Ein wohliges<br />
Gefühl stieg in ihm auf. Er kannte das Stück, das<br />
er in seiner Jugend unzählige Male gehört hatte:<br />
Les Tendres Plaintes von Jean-Philippe Rameau. Sein<br />
Großvater war ein begnadeter Pianist gewesen und<br />
hatte es tage- und nächtelang – zum großen Ärger<br />
der Nachbarn – rücksichtslos einstudiert. Er hörte<br />
aufmerksam zu. Alte, fast vergessene Bilder tauchten<br />
währenddessen in seiner Erinnerung auf.<br />
An der Wand hing ein Porträt seiner Mutter:<br />
Jung und schön strahlte die lebenslustige Dreiundzwanzigjährige<br />
darauf. Für ihn war sie – nach wie<br />
vor – die schönste Frau der Welt.<br />
Er lächelte ihr zu.<br />
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