Leseprobe_Franke_Die kataleptische Starre
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Lebens die Fermaten selbst setzen, aber bisher war<br />
das nur ein frommer Wunsch geblieben.<br />
Er warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr.<br />
Um diese Zeit war seine Chefin schon längst im<br />
Büro und checkte ihre E-Mails. In dreißig Minuten<br />
würde sie sich bei ihm melden: der erste von unzähligen<br />
Kontrollanrufen.<br />
Sein Büro lag am Stadtrand, weit von der Innenstadt<br />
entfernt, doch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln<br />
gut erreichbar. Er arbeitete in einem unbeschreiblich<br />
hässlichen Glaskasten, der sich im Sommer<br />
so sehr aufheizte, dass die Klimaanlage durchgehend<br />
auf Hochtouren laufen musste. Im Winter dagegen<br />
war es eiskalt und die Mitarbeiter fühlten sich wie<br />
Tiefkühlkost. <strong>Die</strong> Krankenstände stiegen dann rasant.<br />
Das Designer-Duo Bertrand & Durant, das für den<br />
Entwurf verantwortlich war, hatte daran wohl keinen<br />
Gedanken verschwendet und die Pritzker-Preis-<br />
Jury mit ihrem modernen und gleichzeitig energiesparenden<br />
Konzept überzeugt. Auch die Fachpresse<br />
war von dem Bau begeistert gewesen.<br />
Verdammte Architekten, dachte er jedes Mal,<br />
wenn er das Gebäude betrat.<br />
In den letzten Monaten gelang es ihm nicht, einen<br />
Gedanken in Ruhe zu Ende zu denken. Es gab keinen<br />
Platz für Privates, nichts machte ihm Spaß. Und so etwas<br />
wie Quality Time – wie man heutzutage so schön<br />
sagt – hatte er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr<br />
erlebt. Sein Lebensmotto war zusammengeschrumpft<br />
auf die Devise: »Funktionieren, funktionieren, funktionieren<br />
und noch einmal funktionieren …«<br />
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