Leseprobe_Franke_Die kataleptische Starre
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Er setzte sich auf seinen heiß geliebten Thonet-<br />
Sessel und wartete auf das Piepen des Teekochers.<br />
Auf dem Küchentisch lagen eine aufgerissene<br />
Packung Johanniskrautkapseln, Brotkrumen und<br />
eine alte Tageszeitung. Gedankenverloren blätterte<br />
er darin. Bei den Jahreshoroskopen blieb er hängen.<br />
Normalerweise las er solche Prophezeiungen nie,<br />
aber diesmal machte er eine Ausnahme, anscheinend<br />
war er wirklich angeschlagen und leicht kränklich.<br />
Gleich beim ersten Satz musste er laut auflachen:<br />
In beruflicher Hinsicht dürfte es ein durchaus erfolgreiches<br />
Jahr werden, da es viele Überraschungen für Sie bereithält.<br />
Was sollte das bedeuten? Überraschungen konnte er<br />
nicht ausstehen, überdies konnte man auch negativ<br />
überrascht werden. Verärgert schlug er die Zeitung<br />
zu, stand langsam auf und ließ den Teebeutel in die<br />
Tasse mit heißem Wasser gleiten.<br />
Vier Stockwerke unter ihm stand sein neuer<br />
Sportwagen, ein italienisches Modell, ganz in Rot,<br />
in einem Top-Zustand und mit allem D&D, wie sein<br />
bester Freund immer zu sagen pflegte. Von 0 auf<br />
100 in nur 3,8 Sekunden und mit einem maximalen<br />
Drehmoment von 485 Newtonmetern war der<br />
Wagen eine wahre Rakete, fast nicht zu bändigen.<br />
Heute würde er damit ins Büro fahren, beschloss er.<br />
Doch nicht einmal dieser Gedanke vermochte ihn<br />
aufzuheitern.<br />
<strong>Die</strong> vergangenen fünf Jahre waren eine Qual, ein<br />
nicht zu beschreibender Horror, eine selbst auferlegte<br />
Tortur gewesen, die er irgendwann beenden<br />
musste. Eigentlich wollte er in der Partitur seines<br />
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